012021

Freiheit und Ordnung

Maren Lehmann

Nur das Änderbare können wir akzeptieren, oder: Freiheit als öffnende Einschränkung

Verfallsdiagnosen sind en vogue. In welche Tageszeitung, welches Wochenblatt, welchen Blog auch immer man schaut: die Anfälligkeit der Gegenwartsgesellschaft für ihren Verfall wird überall gesehen, an vielen Stellen auch beschworen. Beklagt werden Einbußen an Übersichtlichkeit, an Berechenbarkeit, an Gestaltbarkeit, an Verläßlichkeit, und mitlaufend unterstellt wird eine Normalität, in der all dies selbstverständlich gewesen sei – so dass man die diversen Verlusterfahrungen vielleicht unter dem Namen einer Krise des Selbstverständlichen zusammenfassen kann. Es stellt sich dar wie ein Gewahrwerden eigenen Alterns: alles Mögliche (vor allem Körperliches, eben noch das Selbstverständliche schlechthin) klappt nicht mehr, jedenfalls nicht mehr umstands- und anstrengungslos, und die Erfahrung des Misslingens schiebt sich vor jede andere Erfahrung ...

Editorial

Ordnungszusammenhänge, wie wir sie kennen und auf die wir uns in der Vergangenheit verlassen konnten, werden brüchig und zunehmend infrage gestellt. Die hiermit einhergehende Erfahrung strukturellen Kontrollverlusts ist für viele Menschen sehr belastend. Man zieht sich in Bezüge zurück, in denen die eigenen Einstellungen bestärkt werden. Die Verführung, nach einfachen Lösungen zu greifen und jenen zu folgen, die eine starke, vertikale Führung versprechen, ist groß. Der unidirektionale Einsatz auch repressive Machtmittel zur Durchsetzung von Positionen, mit denen man sich identifiziert, reduziert die eigene Unsicherheit und maximiert die Identifikation mit denjenigen, die Macht ausüben. Dies treibt gesellschaftliche Polarisierungen weiter voran. Die Freiheit des einzelnen und die Durchsetzung von Partikularinteressen mit allen Mitteln scheinen zur zentralen Maxime zu werden. Die Möglichkeit dazu eröffnet der technologische Fortschritt, insbesondere die rasant wachsenden Einflussmöglichkeiten Technik-basierter sozialer Kommunikation.

Die Beiträge dieser Ausgabe laden ein, sich der Dynamik von Freiheit und Ordnung aus unterschiedlichen Perspektiven anzunähern. Nehmen Sie - in aller Freiheit - die Artikel als willkommene Irritation, die eigenen Ordnungssysteme infrage zu stellen, zu ergänzen oder zu verwerfen.

Viel Spaß an der Lektüre wünscht die Redaktion der futur2

Autor

Valentin Dessoy

Kirchenentwickler, Autor, Geschäftsführer kairos. Coaching, Consulting, Trai­ning

  • Mail: valentin[.]dessoy[at]futur2[.]org

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