012021

Foto: Frank Busch/Unsplash

Statements

Konstantin Bischoff

Der Kampf um die Deutungshoheit – Reflexionen zum Synodaler Weg

Der Kampf um die Deutungshoheit beweist: hier geht es um was!

Er scheint – zumindest für mich – eines der zentralen Subthemen des Synodalen Wegs der Katholischen Kirche in Deutschland zu sein: Der Kampf um die Deutungshoheit. Vor allem vor und nach den großen Vollversammlungen, ob präsent in Frankfurt, dezentral in den Regionalversammlungen oder online vor wenigen Monaten, versuchen viele die Deutungshoheit über den Synodalen Weg zu gewinnen. Ist es erlaubt, legitim, ziemlich, statthaft oder wie auch immer, dass sich der*die zur Frage äußert, gar etwas sagt, was bisherige lehramtliche Entscheidungen infrage stellt? Sind Lehrveränderungen möglich und/oder angebracht?

Als Vertreter des Berufsverbands der Pastoralreferent*innen Deutschlands e.V. bin ich von meinem Verband gewähltes Mitglied der Vollversammlung. Und seitdem befinde ich mich mitten drin, in diesen Fragen. Daher: ein persönlicher Zwischenblick auf Interventionen, Blogbeiträge und Äußerungen von mir

Gewählt und nicht berufen

Bewusst schreibe ich über mich: gewähltes Mitglied. Anders als viele andere Mitglieder bin ich in einer demokratischen Wahl von wiederum demokratisch legitimierten Vertreter*innen auf einer Bundesdelegiertentagung wirklich gewählt, nicht gesandt, erwählt, ausgesucht oder sonst irgendwas.

Die Frage nach der Deutungshoheit in der Kirche wird durch den Synodalen Weg gerade verändert.

Indem ich dies als meinen persönlichen Distinktionsgewinn wahrnehme stehe ich für eine Deutung: Demokratie, transparente Beteiligungsverfahren gehören in die Kirche, so bin ich es als Verbandler mit Leib und Seele gewöhnt und mit dieser Brille blicke ich auf den Synodalen Weg.

Der Antrag zur Geschäftsordnung

In der Satzung steht, dass die Zustimmung von zwei Dritteln aller Mitglieder und gleichzeitig zwei Drittel der Bischöfe einem Beschluss zur Gültigkeit verhelfen. Für mich und meine Kolleg*innen war das ein Zeichen des Misstrauens gegenüber den Nicht-Bischöfen. Wie auf so etwas reagieren? Für mich gibt es nur einen Weg: konstruktiv, aber selbstbewusst. Und so stellten wir einen Geschäftsordnungsantrag, dass auf Antrag die Frauen getrennt abstimmen müssen und so ein weiteres Quorum eingeführt wird. Erfolgreich. Innerhalb weniger Minuten während der ersten Vollversammlung das Thema in den Medien – so gewinnt man Deutungshoheit nicht durch vorlautes Reden, sondern durch Tat.

Das Fazit nach Frankfurt 1

In einem Blogbeitrag auf www.pastoralreferenten.de schrieb ich mit einer Kollegin noch auf der Heimfahrt: „Während Kardinal Woelki vorzeitig den Saal verlässt und beim Domradio über Manipulation, Protestantisierung und mangelnde Katholizität spricht, feiert Daniel Deckers in der FAZ bereits den Geist der Freimut, der sich schon in der ersten Versammlung Bahn gebrochen habe. Auch wir finden: Das war ein guter Anfang! Persönliche, fundierte, reflektierte und kontroverse Statements prägten … Einzig Bischof Voderholzer liest, nicht zum ersten Mal, ein vorbereitetes allgemeines Statement ab, hält die anschließende Erwiderung durch Frau Prof. Aschmann nicht aus und brüllt wild dazwischen.“ Auch wir versuchen uns an der Deutungshoheit durch öffentliche Worte.

Römischer Zwischenruf

Weil wir Pastoralreferent*innen uns sonst ja oft eher nicht auf großes mediales Interesse einstellen dürfen, ist unser Beitrag meist weniger der von lauten Wortmeldungen, sondern von theologischer und durch Erfahrung gedeckter Arbeit. Ein Foulspiel der alten Garde, des klassischen Verständnisses von kirchlicher Autorität ließ uns aber im Sommer 2020 anders handeln. Auf das römische Verbot von Laien in der Leitung von Gemeinden antworteten wir, zusammen mit den Vertreter*innen der Gemeindereferent*innen mit einem öffentlichen Statement. Dieses stand unter dem Titel: „und jetzt bitte mal konstruktiv.“

Eine Kirche, die in ihren eigenen Strukturen ein Evangelisierungshindernis darstellt, braucht dringend strukturelle Veränderung. Strukturfragen reflektieren Glaubensinhalte – oder sie sind nicht evangeliumsgemäß.

Mit dieser Wortwahl sprachen wir bewusst dem römischen Dokument, das doch formale Autorität für sich beanspruchen kann, die inhaltliche Autorität ab. Und weil wir gerade dabei waren um die Deutungshoheit zu kämpfen nahmen wir auch noch ein Lieblingsargument eher beharrender Kräfte, dass es doch mehr um Evangelisierung, denn um Strukturen gehen muss als Hauptargument, wenn wir schrieben: „Wir sind überzeugt, dass eine Reform kirchlicher Strukturen nicht gegen den Gedanken einer Evangelisierung ausgespielt werden kann und darf. Wer Evangelisierung sagt, der muss auch Selbstevangelisierung betreiben. Eine Kirche, die in ihren eigenen Strukturen ein Evangelisierungshindernis darstellt, braucht dringend strukturelle Veränderung. Strukturfragen reflektieren Glaubensinhalte – oder sie sind nicht evangeliumsgemäß.“

Den Mund aufmachen

Auf den Regionalversammlungen war nun endgültig klar, dass man den Mund klar aufmachen muss, will man nicht denen das Feld überlassen, die wollen, dass alles bleibt. So sagte ich in München: “Wir müssen benennen, dass wir Lehrveränderung wollen, nicht eine blumige Rede von -reflexion und -vertiefung”.

Und dann das Totschlagargument

Der Prozess schreitet voran. Die Foren arbeiten. Und immer wieder wird, gleichsam als eine Art Totschlagargument, gefragt: Ist denn der Synodale Weg geistlich genug? Wird da genug gebetet oder nur taktiert? Schon die Frage ist natürlich wieder der Versuch Deutungshoheit zu gewinnen. Anders als in der unsäglichen Debatte, ob es die Gefahr einer deutschen Nationalkirche gibt, entschieden wir uns hier wieder einmal zu einer Stellungnahme, wenn wir gemeinsam mit anderen Verbandsvertreter*innen schrieben:

Auch Diskussionen, Abstimmungen und Wahlen sind geistliche Prozesse, die den Synodalen Weg fundamental stärken.


„Wir Verbandsvertreter*innen bringen unsere guten Erfahrungen von demokratischen und zugleich geistlichen Entscheidungsprozessen, die auf der Gottesebenbildlichkeit aller basieren, in den Synodalen Weg ein. Auch Diskussionen, Abstimmungen und Wahlen sind geistliche Prozesse, die den Synodalen Weg fundamental stärken.“

Kritische Selbstreflexion

Als Synodaler bin ich oft zu Bildungs- und Diskussionsveranstaltungen eingeladen. Schon häufiger bekam ich am Ende zu hören: “Danke. Ihr Engagement macht mir Mut. Endlich mal einer, der noch Schwung und Energie hat und daran glaubt, dass was voran geht.” Oder so ähnlich. Selbstkritisch frage ich mich dann: Ist die Hoffnung, die ich verbreite, gerechtfertigt oder durch irgendetwas gedeckt? Angesichts von Schrumpfungsdepression, mangelndem Aufklärungswillen, klerikalen Fassaden, Machtmissbrauch und Reformstau. Darf ich Hoffnung stiften angesichts verbreiteter Hoffnungslosigkeit?

Wir müssen benennen, dass wir Lehrveränderung wollen, nicht eine blumige Rede von -reflexion und -vertiefung”


Nach der Onlinekonferenz des Synodalen Wegs wagte ich ein vorsichtiges „JA“.
Denn es geschieht etwas. Immer mehr Synodale wagen sich aus der Deckung. Auch die Bereitschaft zu Kritik unter Bischöfen steigt. Die Erkenntnis, dass am Ende keine weichgespülten Texte stehen dürfen, setzt sich durch. Fehlentwicklungen werden benannt. Und vor allem: Die Stimme der Betroffenen hat einen guten Ort in der Versammlung gefunden und erinnert uns an die Wurzel des Synodalen Wegs.

Die Reihe dieser Beobachtungen eigener Tätigkeiten ließe sich noch lange fortsetzen, zum Beispiel mit der Frage, mit wem man sich solidarisiert, z.B. in der Frage nach der Segnung Homosexueller, oder wessen Solidarität einem gut tut, in meinem Fall des orthodoxen Bischofs, der sagte, dass ihm in seiner Kirche wahrscheinlich ebenso oft die Orthodoxie abgesprochen würde, wie manch Synodalem die Katholizität. Auch gerade letzteres ist ja gleichsam die Mutter aller Deutungshoheitsfragen und sie führt mich auch zu meiner vorläufigen Antwort: Die Frage nach der Deutungshoheit in der Kirche wird durch den Synodalen Weg gerade verändert. Mag es auch noch so viele geben, die dem Weg jede Legitimität oder Katholizität absprechen und seinen Vertreter*innen den guten Willen, die Kompetenz, die Legitimität oder die Geistlichkeit – je länger die Debatten dauern, desto mehr zeigt sich: Das alte Schema „Mutter Kirche spricht – die Kinder Gottes hören“ greift nicht mehr. Alle Versuche es aufrecht zu halten wirken immer verzweifelter. Sie hätten nur Erfolg, wenn alle gingen, austräten, der Kirche den Rücken kehrten. Und das mache ich nicht, denn: Dann hätte ich den Kampf um die Deutungshoheit verloren. Und das möchte ich nicht.

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