012021

Statements

Andrea Voß-Frick

Von der Ordnung der Religion und der Freiheit des Glaubens

Ordnung und Freiheit – ein ziemlich spannendes Wortpaar. Ergänzen sie sich? Widersprechen sie sich? Oder schließen sie einander sogar aus?

Am Anfang von allem steht das Chaos in das hinein Gott* eine Ordnung wirft. Am Anfang unseres je eigenen Zugehens auf die Welt steht ebenfalls die Ordnung. Wir wählen aus, verwerfen, verknüpfen und bündeln, sortieren und unterscheiden noch bevor uns überhaupt bewusst ist, dass wir es tun. Wir schaffen Ordnung im Reizchaos, dass auf uns einprasselt, um überhaupt bewusst wahrnehmen und handeln zu können. Wir sind auf diese basale Ordnung der Dinge angewiesen. Sie ist ein grundlegendes Prinzip unseres Seins, da sie unser Bild von der Welt erschafft – ganz unfrei sind wir da. Erst auf der Grundlage dieser Ordnung könne wir uns der Welt zuwenden, in der Welt sein und so etwas wie Freiheit überhaupt für uns reklamieren. Insofern ergänzen sie sich, die beiden Prinzipien, in gewisser Weise.

But when it comes to religion …

Ordnung und Freiheit – Religion und Glaube. Vielleicht passt es ganz gut, sie einfach mal so nebeneinander zu stellen diese vier Worte. Ist die verfasste Religion (wobei ich persönlich nur von der römisch-katholischen Konfession sprechen kann) die Ordnung des freien Glaubens? Religion als Ordnungsprinzip des Glaubens an Gott* diente dem einzelnen Menschen immer auch dazu, seine Angst vor einem strafenden Gott* im Zaum zu halten.

Als stünden wir an einem Scheideweg: auf der einen Seite die Verlockungen der Ordnung von klaren Rollen-, Geschlechter- und gesellschaftlichen Verhältnissen auf der anderen Seite die Unsicherheit und Weite einer schier unbegrenzten Vielfalt, Vielgestaltigkeit und Freiheit.

Wenn ich als Glaubende*r nur gewissenhaft und sorgfältig die Regeln und Vorschriften beachte und einhalte, dann bin ich auf der sicheren Seite. Auf der Seite der Guten, der Richtigen. Gleichzeitig hat die Religion diesen strafenden Gott* überhaupt erst erschaffen, die Angst vor ihm durch die Jahrhunderte getragen und geschürt. Sie hat den Menschen nicht in die Freiheit einer tragenden Gottesbeziehung begleitet und ihm Raum gelassen, den aufrechten Gang auf diesem tragenden Grund einzuüben. Sie hat ihn unfrei und klein gehalten in der Angst.

Dies alles sitzt auch heute noch tief in unseren Knochen und unseren Herzen. Je größer die Angst des einzelnen Menschen vor der Weite des Glaubens, der Vielfalt der Lebensentwürfe, der Freiheit der anderen umso enger und stärker müssen die Leitplanken sein, die mich führen. Dann ist Religion keine Rückbindung mehr – kein Zurückgebunden-Sein im Glauben – sondern ein Korsett, dass mich zwar stützt, mich aber auch einengt, mich meiner Freiheit beraubt, mich den aufrechten Gang verlernen lässt. Hier prallen sie also aufeinander die beiden Prinzipien Ordnung und Freiheit.

[Und diese Aufeinanderprallen scheint mir nicht auf die Religion begrenzt sondern Ausdruck einer Zeitenwende zu sein. Als stünden wir an einem Scheideweg: auf der einen Seite die Verlockungen der Ordnung von klaren Rollen-, Geschlechter- und gesellschaftlichen Verhältnissen auf der anderen Seite die Unsicherheit und Weite einer schier unbegrenzten Vielfalt, Vielgestaltigkeit und Freiheit.]

Die Gelingensfrage

Die römisch-katholische Kirche wird begreifen müssen, dass in einer freien Gesellschaft der Großteil der Menschen sich nicht mehr festbinden wird lassen in den alten Mechanismen von Schuld, von Angst und Sühne, von Wahrheitsbehauptung und der Diffamierung von Lebensentwürfen. Sie wird anfangen müssen, dem Glauben, dem Suchen und Sehnen des einzelnen Menschen zu trauen und begreifen, dass der freie Mensch nur in Freiheit ein glaubender Mensch sein kann.

Wir sind frei!

Denn daran glaube ich, dass Jesus von Nazareth uns von einem Gott* erzählt, der* uns zur und in die Freiheit gerufen hat. Eine Freiheit die im Bloch’schen Sinne im Nächsten nicht ihre Begrenzung findet sondern eine Freiheit, für die der oder die Nächste Bedingung und Garant ist. Ob der Kirche dies jemals gelingen wird? Es gibt gute Gründe, daran zu zweifeln; oder, wie ein lieber Freund es schrieb: Mutter Kirche verliert den Sorgerechtsprozess gegen den Schöpfer Gott*. Wir sind frei!

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