012021

Foto: Schub@: take a seat, read a book (CC BY-NC-SA 2.0)

Service & Dialog

Frank Reintgen

Rezension: Monika Kling-Witzenhausen: Was bewegt Suchende?

Monika Kling-Witzenhausen: Was bewegt Suchende? Leutetheologien – empirisch–theologisch untersucht, Stuttgart 2020

Welche Themen bewegen Gläubige, die für existenzielle Grundfragen und Antwortversuche empfänglich sind, und sich in bestimmtem Maße vom kirchengemeindlichen Leben “angezogen” fühlen, dort aber nicht aktiv teilnehmen? Dieser Frage geht Monika Kling-Witzenhausen in einer empirisch-theologischen Untersuchung über Leutetheologien nach, die unter dem Titel “Was Suchende bewegt” veröffentlicht wurde.

Jede und jeder, der bzw. die sich mit Fragen nach Sinn, Gott, Religion etc. auseinandergesetzt und diese reflektiert hat, besitzt eine persönliche Theologie.

Monika Kling-Witzenhausen ist promovierte Theologin und arbeitet als Seelsorgerin in Stuttgart. Grundlegend für ihr Theologieverständnis ist die These, dass “jede und jeder, der bzw. die sich mit Fragen nach Sinn, Gott, Religion etc. auseinandergesetzt und diese reflektiert hat, eine persönliche Theologie besitzt.” (S. 20) Sie greift dabei ein Konzept auf, das Christian Bauer unter dem Begriff “Leutetheologien” in den wissenschaftlichen Diskurs eingeführt hat.

Solche Leutetheologien reifen, entwickeln und bewähren sich im konkreten Alltag eines Menschen. Sie sind stark durch die je eigene Lebensgeschichte geprägt und somit subjektiv bestimmt und konstruiert. So verstanden gibt es nicht die Leutetheologie. Leutetheologien sind plural und vielfältig. Deswegen wird der Terminus Leutetheologien nur im Plural verwendet.

Für Kling-Witzenhausen stellen Leutetheologien und akademischen Theologien verschiedene Diskursarten dar, denen verschiedene Wissensformen zugrunde liegen. Ziel der Arbeit es, Leutetheologien in den Dialog mit wissenschaftlicher Theologie zu bringen und darzulegen, wie sich beide Arten gegenseitig ergänzen und bereichern können, ja müssen.

In fünf Kapiteln präsentiert Kling-Witzenhausen die Ergebnisse ihrer Forschung. Ein erstes, einführendes Kapitel dient vor allem der Klärung zentraler Begriffe und Konzepte, auf die in der Arbeit zurückgegriffen wird, und einer pastoraltheologischen Verortung der Arbeit. Insbesondere wird hier in das Konzept der Leutetheologien eingeführt.

Kling-Witzenhausen entwickelt hier den Gedanken, dass Leutetheologien als eigenständiger und bedeutsamer locus theologicus zu werten sind und als solcher Ort der Gottesoffenbarung unbedingt Aufmerksamkeit der akademischen Theologie bedürfen.

Empirische Grundlage der Untersuchung sind narrative Interviews, die Kling-Witzenhausen mit vier “Suchenden” bzw. Schwellenchristinnen/-christen geführt hat. Hinweise zur methodischen Anlage dieser Interviews sowie eine thematische Querauswertung der Interviews finden sich im zweiten Kapitel.

Im dritten Kapitel werden ausgewählte Inhalte der Interviews in den Dialog mit akademischer Theologie gebracht. Dabei werden die von den Interviewpartnern in den Gesprächen benannten  Themen “Stellenwert der Bibel”, “(Gottes)Erfahrung und Körperlichkeit” sowie die “Mündigkeit der Gläubigen und die Frage nach Freiheit” in den Blick genommen.

Das vierte Kapitel zeichnet die Theologie-geschichtliche Debatte um die loci theologicus nach. Kling-Witzenhausen entwickelt hier den Gedanken, dass Leutetheologien als eigenständiger und bedeutsamer locus theologicus zu werten sind und als solcher Ort der Gottesoffenbarung unbedingt Aufmerksamkeit der akademischen Theologie bedürfen.

Im fünften Kapitel bündelt Kling-Witzenhausen zentrale Ergebnisse und Erkenntnisse ihrer Untersuchung. Sie legt dar, welches sowohl kritische aber auch innovative Potenzial Leutetheologien für die akademische Theologie bieten. Theologie und pastorale Praxis sind geradezu darauf angewiesen, “Leutetheologien” in den Dialog mit akademischer Theologie zu bringen, damit “die geoffenbarte Wahrheit immer tiefer erfasst, besser verstanden und passender verkündet werden kann“ (GS 44). Menschen mit ihren je eigenen (Leute-) Theologien werden so zu Subjekten im theologischen Gespräch, zum Korrektiv, zu Ideengeberinnen/-gebern und Diskussionspartnerinnen/-partnern. Die Stimmen der Leutetheologien in den akademischen Diskurs einfließen zu lassen und für Pastoral und Verkündigung fruchtbar werden zu lassen, wird eine bleibende Aufgabe für (akademische) Theologie sein (müssen).

Kling-Witzenhausen greift in ihrem Buch hochaktuelle Themen auf. Sie zeigt, welches Potenzial darin liegt, die “Welt” als Raum der Gottesoffenbarung ernst zunehmen und Theologie ausgehend von den Erfahrungen der “Leute” zu treiben. Eine solche induktive Theologie passt gut zu einer Pastoral, die Menschen den christlichen Glauben als Ressource für ihre Lebensbewältigung anbieten möchte, und Pastoral als Lebenshilfe für Menschen versteht.

Aktuelle pastorale Strategien betonen zudem, wie wichtig es ist, kirchliches Leben von den Bedarfen und Bedürfnissen der Leute her zu denken und zu konzipieren.

Eine Pastoral (Theologie), die sich als Lebenshilfe versteht, ist immer wieder neu herausgefordert, die konkreten und je unterschiedlichen Fragen und Lebensthemen von Suchenden aufzugreifen und zum Ausgangspunkt eigenen Nachdenkens und Reflektierens zu machen.

Aktuelle pastorale Strategien betonen zudem, wie wichtig es ist, kirchliches Leben von den Bedarfen und Bedürfnissen der Leute her zu denken und zu konzipieren. Die Sensibilität für Leutetheologien kann (und muss) hierbei ein wichtiger Baustein sein. Die Suche nach neuen Formen des Kirche-Seins kann nicht ohne eine wertschätzende Auseinandersetzung mit den Leutetheologien derer stattfinden, die die Kirche von morgen bilden wollen. Für die Frage, wie eine menschendienliche Kirche der Zukunft aussehen könnte, können (vielleicht müssen) Leutetheologien wichtige Impulse geben.

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