012021

Foto: Stephen Leonardi/Unsplash

Statements

Michaela Labudda

Der Ausbruch aus der Zoom-Kachel

Das Videokonferenztool Zoom hat mit dem Update sein Design geändert. Statt in der wunderbar ästhetischen Ordnung zu verharren, in der mein eigenes Bild nur in eine der vielen geometrisch perfekt ausgerichteten Kacheln in eine Zusammenschau eingereiht wird, kann man nun die Personen in einen gemeinsamen virtuellen Hintergrund mit zahlreichen Möglichkeiten, Karibikinseln inklusive, platzieren.

Was für eine Veränderung, im wahren Sinn ein Aufbruch! Mit der wachsenden Fähigkeit der Menschen, Emotionen auch via Videokonferenz in einen Computer hinein- und hinüber zu projizieren, in den Computer hinein zu streiten, Freundschaft zu teilen, Wärme, Trauer, Emotion und sogar Gebet virtuell umzusetzen, reicht die Kachelordnung allein offenbar nicht mehr aus.

Die Konferenzen des letzten Jahres haben den Nachteil, in der Erinnerung zu verschwimmen, zu ähnlich gestalten sich die Zusammenkünfte. Legte sich vor Corona noch ein Netz an Sinneswahrnehmungen und Begleiterscheinungen (die Hinfahrt, die Örtlichkeit, Gerüche, Lichter und Geschmackserlebnisse, der schlechte Kaffee, die obligatorischen Kekse oder Gummibärchen) unter die Erfahrungen von Konferenzen und Tagungen, stehen in Videokonferenzen neuerdings allein Inhalte und die unterschiedlichen Gesichter in den Kacheln als Erinnerungshilfen zur Verfügung, all dies im immer gleichen Setting des eigenen Wohn- oder Arbeitszimmers. Menschliche Kommunikation zeigt sich hier im Minimalismus einer virtuellen Welt.

Im Einheitseinerlei kategorisiert sich jedoch eine neue Form auch des Sitzungskatholizismus heraus, im Kachelmodus sind die Hierarchien aufgehoben

Lachen und zweckloses Geplauder, Schulterklopfen, Raunen und Widerworte: all dies entschwindet in der Stummschaltung der künstlichen Umgebung oder gelingt allein den Multitasker/-innen in der begleitenden Chatfunktion.

Im Einheitseinerlei kategorisiert sich jedoch eine neue Form auch des Sitzungskatholizismus heraus, im Kachelmodus sind die Hierarchien aufgehoben, Tools und Beteiligungsmöglichkeiten sind allen verfügbar und gleichermaßen für alle verwendbar. Männer und Frauen, Junge und Alte, Laien und Kleriker sind gleich berechtigt in diesem Modus des Kachelparlaments und haben gleichwertige Zugangs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten.

Dies zeigt sich dann, wenn diese Partizipationstools beherrscht werden wollen und können. Bei den Konferenzen des Synodalen Wegs lässt sich ein interessantes Phänomen feststellen: Einige setzen lieber auf fachkundige Unterstützung, was die reale Partizipation am Gesamtgeschehen dann erschwert. Interessanterweise sind dies jene Teilnehmer, die eine gewisse Gewohnheit im Vorbereiten inhaltlicher Punkte haben und sich üblicherweise der administrativen Aufgaben durch Delegation entledigen. Um es quasi-biblisch zu sagen, gilt: Wenn jemand auch eine ganze EDV-Abteilung zur Verfügung hätte, (junge) Spezialisten zur Unterstützung im Vorfeld herbeiholte, kommt aber zum Testlauf nicht, so nutzt es ihm nicht. Wer die Tools nicht beherrscht, bleibt vielleicht stumm, zumindest aber nachgeordnet. Da hilft keine Hierarchie.

Die Zoom-Kachel: Sie ist Stückwerk und doch Angesicht.

Im Originaltext dieser biblischen Persiflage heißt es: „Stückwerk ist unser Erkennen (…). Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht.“ (Paulus, 1 Kor 13).

Die Zoom-Kachel: Sie ist Stückwerk und doch Angesicht. Wenn alle Insignien verschwinden, alle gleichermaßen ihr Gesicht in die Kamera halten, ungeschützt und aus direkter Nähe, wenn man sogar verdammt dazu ist, sich selbst zu beobachten, wie vielleicht die Mimik entgleist … dann zählt kein großer Titel, kein Einfluss, kein Ruf: dann entscheidet allein das Argument oder die Eindrücklichkeit der Worte, die Sprach- und Auskunftsfähigkeit. Wer nach dem kreativen Potenzial, ja gar nach der Kraft des schöpferischen Grundes, nach dem Wehen des Heiligen Geistes in einer Videokonferenz fragt, mag vielleicht darauf verwiesen sein: In jeder und jedem Teilnehmenden spiegelt sich das Gesicht des Ewigen.

Unter der Kapitelüberschrift „Vereindeutigung durch Kästchenbildung“ reflektiert der Universitätsprofessor Thomas Bauer1 über die Schwierigkeiten des Menschen, „mit den vielfältigen Wahrheiten einer uneindeutigen Welt“2 umzugehen, und die negative Auswirkung der Neigung, sich per Kategorisierung vermeintliche Eindeutigkeiten zu schaffen.

Wenn es gelingt, die Kacheln der Einzelmeinungen in einen gemeinsamen, vielleicht neuen Hintergrund zu framen, fällt das Raster, nicht jedoch die Ordnung.

Bauer unterscheidet zwischen Identität und Authentizität; dabei sei Authentizität „nichts anderes als die Identität eines Individuums mit sich selbst“3. Gefährlich werde es dann, wenn Identität in politischer Verwendung kollektiviert werden solle.4

Vorsichtig auf eine reformbemühte kirchliche Diskussion hin bezogen ist diese Gefahr durchaus erkennbar. Die Identität der kirchlichen Gemeinschaft ist aber nicht ohne Ambiguität zu beschreiben, wenn sie sich nicht mehr nur auf ein allgemeingültiges (und damit leicht identifizierbares) Lehramt berufen will, sondern zugleich für einzelne mit dem Anspruch der Authentizität gelebt werden soll. Das wäre jedoch die Grundlage jeglicher Glaubwürdigkeit in einer auch als virtuell erfahrenen Lebenswirklichkeit.

Kontroverse Diskussionen in Videokonferenzen sind möglich, wenn die einzelnen Teilnehmenden Gesicht zeigen, Stimme ergreifen und sich positionieren, also in sich authentisch sind. Damit wird aus der Zoom-Konferenz ein Paradebeispiel moderner menschlicher Kommunikation. Wenn es gelingt, die Kacheln der Einzelmeinungen in einen gemeinsamen, vielleicht neuen Hintergrund zu framen, fällt das Raster, nicht jedoch die Ordnung.

Geht so Partizipation? Ist das Freiheit?

Im Zoom-Raster verbleibt ein Individuum nicht. Auch virtuell lebt jede und jeder das eigene Beziehungsgeflecht und Netzwerk, real wie virtuell. Die Entgrenzungen dieser Netzbeziehungen, Platzierungsmöglichkeiten und Kommentarfunktionen erweitern die Austauschmöglichkeit und beschleunigen die Meinungsgestaltung, wenn sie die Öffnung der eigenen Bubble erlauben. Geht so Partizipation? Ist das Freiheit? Zumindest die Aktionen von #MariaZweipunktnull und #liebegewinnt, die in letzter Zeit die Grenzen der sozialen Medien auf katholischem Boden überwanden, würden dies bestätigen.

Das Reframing zu initiieren gelingt übrigens bei Zoom nur einer Person allein: der/dem Host! Nicht einmal als Co-Moderator/-in verfüge ich über diese Fähigkeit, sondern bin auf die Führung des Meetingveranstaltenden verwiesen. Ein passendes Stoßgebet bietet sich für die nächste Videokonferenz im kirchlichen Kontext an, wenn die eigenen engen Grenzen und die Schwerfälligkeit der Institution einmal mehr nach fester Ordnung rufen:

Heiliger Host, reframe uns!

  1. Thomas Bauer, Prof. für Islamwissenschaft und Arabistik (Münster): Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt, RECLAM, Stuttgart 2018.
  2. Ebd. 12.
  3. Ebd. 71.
  4. Vgl. ebd.

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