022011

Foto: Schub@: take a seat, read a book (CC BY-NC-SA 2.0)

Service & Dialog

Martin Lätzel

Buchrezension: Kruschwitz, Nina ; Laur, Joe ; Senge, Peter M. ; Smith, Bryan: Die notwendige Revolution

Kruschwitz, Nina ; Laur, Joe ; Senge, Peter M. ; Smith, Bryan: Die notwendige Revolution. Wie Individuen und Organisationen zusammenarbeiten, um eine nachhaltige Welt zu schaffen.

Dass wir an den Grenzen des Wachstums stehen und unsere gesamte Zivilisation neu justieren müssen, gehört heute zum Allgemeingut. Da sind zwar hier und da Lobbygruppen, die immer noch verkünden, man müsse wenig ändern und so viele Wetterphänomene seien erdgeschichtlich bedingt. Wer jedoch nüchtern rechnen kann, kommt zu dem Ergebnis, dass die Ressourcen auf unserer Welt begrenzt sind und neue Ideen notwendig sind. Wir brauchen neue Ideen und wir brauchen eine Revolution des Bewusstseins. Jetzt fand ich ein neues Buch des amerikanischen Systemtheoretikers Peter Senge. Senge ist der Direktor der MIT Sloan School of Management in Cambridge (MA) und hierzulande bekannt geworden mit seinem Buch Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation. In seinem neuen, absolut lesenswerten Buch Die notwendige Revolution. Wie Individuen und Organisationen zusammenarbeiten, um eine nachhaltige Welt zu schaffen, verbindet er seine Kenntnisse von Systemen und deren Veränderungen mit den anstehenden globalen Herausforderungen. Wie gesagt, wir stehen vor einer notwendigen Neujustierung unseres Wirtschaftssystems und, damit eng verbunden, unseres Lebensstils. Aber wie ist das zu schaffen? Eigentlich gibt es nur zwei Alternativen: Die Öko-Diktatur oder die Bewusstseins-Revolution. Erstere verordnet top-down, durchaus mit lauteren Motiven, eine radikale Wende. Die Gesellschaft wird gezwungen, sich zu verändern. Nicht nur, dass das unserem staatlichen (und auch philosophischen) Verständnis von der Freiheit des Individuums widerspricht. Eine Zwangsbeglückung wird sicher nicht funktionieren und nur mehr Widerstand provozieren. Dann also geht der Weg über die Änderung des Bewusstseins. Ein wesentlicher Faktor dazu muss Bildung des Einzelnen sein.

Senge geht darüber hinaus das Thema als Organisationsberater an und legt eine fulminante und überzeugende Zusammenstellung vor, mit der eine nachhaltige Gestaltung unseres Planeten gelingen kann. Ihm geht es ebenfalls um eine Revolution, nämlich um eine industrielle Revolution. Das ist auch eine Form der Bewusstseins-Revolution, nur das bei Senge nicht der Konsument, sondern der Unternehmen im Fokus steht. Sein Buch, entstanden mit einem mehrköpfigen Autorenteam, lässt er sich leiten vom Gedanken des Konstruktivismus. Er geht davon aus, dass jeweils einzelne Sichtweisen miteinander in Kooperation treten müssen, um im Wissen der Vergangenheit die Zukunft zu gestalten. Zunächst einmal stellen die Autoren den Status Quo dar, Analysen, die wir so oder anders schon verschiedentlich lesen konnten. Wichtig aber ist im, dass es um konzertierte evolutive Prozesse geht, die Veränderungen bewirken können. „Der Unterschied zwischen vielen zufälligen Initiativen, die letztlich keine gemeinsame Richtung annehmen, und einer Revolution, die eine Gesellschaft transformieren kann, läuft auf eine Veränderung im Denken hinaus.“(25) Senge will die heutigen Umweltprobleme in einem größeren Zusammenhang sehen. Insbesondere sei es das Problem unserer Ökonomie, kurzfristige Erfolge (Gewinne) zu realisieren, ohne systemische Folgewirkungen ausreichend zu betrachten. Als zentrale Herausforderung sieht er den globalen Klimawandel. Diesem sei jedoch nur dann wirksam zu begegnen, wenn es gelingt, einen integrierten, also systemischen Blick zu entwickeln. Das löse die Produktion und der Ressourcenverbrauch aus der Selbstreferentialität heraus, und stelle sie in eine Verbindung von Vergangenheit und Zukunft, Natur und Mensch. Eine Einschränkung der Lebensqualität müsse damit nicht verbunden sein und löst vermutlich auch zu viele Ängste aus.

Im zweiten Teil des Buches präsentiert Senge, in guter Manier anglo-amerikanischer Sachbücher, lebendig erzählte Beispiele von international agierenden Firmen, die innerhalb ihrer Struktur (und nachfolgenden auf dem Markt) eine Trendwende in Bezug auf Ressourcenschonung, Arbeitsprozesse usw. eingeleitet haben. Sie dienen ihm als Referenzpunkte, die zur Nachahmung ermuntern können.

Das dritte Kapitel handelt vom Anfang. Wie kann es gelingen, Strategien zu entwickeln, welche Schritte müssen gegangen werden, wer muss eingebunden werden? Immer findet Senge einen konkreten Hinweis, so dass seine Thesen nicht auf der abstrakten Ebene verbleiben müssen. Das sind Graphiken, Fragenkataloge und eine so genannte Toolbox, die genaue Schritte zur Implementierung von Sustainibility-Strategie beschreiben.

Das vierte Kapitel verbindet nun die vorhergehenden Teile explizit mit dem systemischen Denken. Diejenigen, die innovativ arbeiten wollten, lassen nicht zu, „dass Grenzen ihr Denken einschränken, sie treffen strategische Entscheidungen, die den natürlichen und sozialen Grenzen Rechnung tragen, und sie arbeiten daran, selbstverstärkende Kreisläufe der Innovation zu schaffen…“ (195) Senge propagiert Kreislaufwirtschaften, die verschiedene Perspektiven mit einbeziehen, Abfall reduzieren und Ressourcen schonen, indem sie ihren Einsatz verringern, Recycling fördern oder Materialien substituieren.

Der Kreislauf ist für Senge nicht nur Richtschnur für die Produktion, sondern auch für die Zusammenarbeit. Kooperationen und Netzwerke führen dazu, Problemlösungen zweiter Ordnung zu erreichen, die im geschlossenen System alleine nicht umzusetzen gewesen wären. Davon handelt der fünfte Teil des Buches. Systemisches Sehen ist immer Sehen über den Tellerrand. „Häufig haben die Personen, die an der Spitze von institutionellen Hierarchien stehen, viel zu viel in die Bewahrung des Status quo ihrer eigenen Organisation investiert, um kühne Experimente außerhalb von deren Grenzen zu wagen. Und häufig haben sie zu wenig Berührungen mit den Realitäten des Alltags, um die verschiedenen Einflusskräfte zu verstehen, die man berücksichtigen muss, um echte Veränderungen zu bewirken.“ (267) Nur mit neuen Ideen, mit der Einbeziehung von Querdenkern und Opponenten kann es gelingen, sinnvolle Lösungsansätze zu aufzuzeigen.

Die Zukunft, so Senge im abschließenden sechsten, Teil des Buches, sei eher regional und lokal gestaltet, mit Netzwerken und flachen Hierarchien und, das ist ihm besonders wichtig, mit einer ausgeprägten „Ehrfurcht vor dem Wunder des Lebens“ (418). Zentral seien Beziehungen zu pflegen, nämlich zur Lösung der globalen Probleme, zur weiteren Entwicklung der Gesellschaft, zur Sicherung des Wohlstandes, zur Bewahrung der Schöpfung für kommende Generationen. „In einer regenerativen Gesellschaft geht es um die volle Entfaltung des Lebens, nicht nur um die Entfaltung des menschlichen Lebens.“ Wer dergestaltet wirtschaftet, bietet einen guten Interaktionspartner des Konsumenten, dessen Bewusstseinswandel genauso des revolutionären Prozesses bedarf.

Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, nennt das Buch in seinem Vorwort ein „ermutigendes Werk: es zeigt, dass die große Transformation bereits begonnen hat. Sie wird vorangetrieben durch Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell umbauen; durch Forscher und Ingenieure, Architekten, Ökobauern, lokale Initiativen, Umweltverbände und Millionen Bürger, die ihr Konsumverhalten und ihren Lebensstil überprüfen. Nicht zuletzt bedarf es vorausschauender Politik, um die Weichen in eine nachhaltige Zukunft zu stellen.“ (11) Dafür ist das Buch ein richtiger Ratgeber. Senges Ansatz zeichnet aus, dass er den Blick des Systemtheoretiker auf die drängenden Probleme unserer Zeit richtet. Alle Beteiligten werden mit ihren Visionen und Ängste ernst genommen und ermutigt, in Zusammenhängen zu denken. Das Buch ist für alle, die sich aus systemischer Sicht mit der Lösung von Problemen, ob regional oder global, lesenswert und hilfreich. Niemandem wird etwas oktroyiert, vielmehr wird ermutigt, sich an evolutionären Prozessen zu beteiligen – Überlebenstraining für Unternehmen, für die Gesellschaft und für den Planeten.

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