022021

Foto: rolf neumann/Unsplash

Statements

Gundula Gause

Ein feste Burg ist unser Gott …

Hoffen lassen mich die frisch in ihre Führungsämter einer protestantischen Organisation und eines katholischen Vereins gewählten Frauen: die neue EKD-Ratspräsidentin, Präses Annette Kurschus und die neue ZdK-Präsidentin, Dr. Irme Stetter-Karp. In Respekt und Anerkennung vor der Leistung ihrer jeweiligen Vorgänger, wage ich zu behaupten, dass mit mir viele – und nicht nur Frauen – auf einen frischen Neubeginn für die Kirchen hoffen. Vielleicht schaffen ja Frauen, was Männer über Jahrhunderte „verbockt“ haben. Es sei mir erlaubt, mit einem Schmunzeln in diese ernsthafte Betrachtung zu starten.

Vielleicht schaffen ja Frauen, was Männer über Jahrhunderte „verbockt“ haben

Beide neue Führungspersönlichkeiten haben in ihren Antrittsreden den Reformstau in den Kirchen als prioritäre Aufgabe und Herausforderung beschrieben. EKD-Ratspräsidentin, Präses Annette Kurschus ebenso wie ZdK-Präsidentin Stetter-Karp vermittelten, dass sie mit vielen Gläubigen die Sorge um den Zustand der Kirchen teilen. Beide wollen neue Akzente setzen, neu hinsehen und neue Wege einschlagen. Präses Kurschus gestand ein, dass große Aufgaben vor den Kirchen lägen – Lösungen habe die Evangelische Kirche in Deutschland nicht, schon gar keine Einfachen. Man wisse es auch nicht besser als Andere. Vieles sei in nie gekannter Weise ungewiss geworden – auch in ihrer Kirche.

Und da spricht sie nicht nur für ihre Kirche, sondern über die Sorge vieler, die um den christlichen Glauben in Deutschland bangen. Mit eben diesem Bangen will ich mich zunächst auseinandersetzen und dazu auch Lösungsvorschläge formulieren. Schließen möchte ich dann mit einem Ausblick, der wieder hoffen lässt.

So treibt mich aktuell ein Kirchenlied von Martin Luther um, gerade gesungen in einem wunderbaren Gottesdienst zum Reformationstag in der Katharinenkirche im rheinhessischen Oppenheim: „Ein feste Burg ist unser Gott“.

Abgesehen davon, dass es wie viele protestantische Kirchenlieder nicht wirklich einfach zu singen ist, lässt einen der Text, von dem hier nur die erste Strophe zitiert sein soll, angesichts der Situation der christlichen Kirchen sehr nachdenklich werden:

Es ist ein Text aus einer anderen Zeit, die schlicht vorbei ist

„Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen.
Er hilft uns frei aus aller Not, die uns jetzt hat betroffen.
Der alt böse Feind mit Ernst er‘s jetzt meint, groß Macht und viel List
Sein grausam Rüstung ist, auf Erd ist nicht seinsgleichen.“

Der Text aus dem Jahr 1529 macht in doppelter Hinsicht betroffen. Zum einen lässt er sich frei beziehen auf die aktuelle Not der christlichen Kirchen in Deutschland. Zum anderen ist er rein sprachlich für den modernen Menschen des 21. Jahrhunderts nur noch schwer zu verstehen und – das soll der Kern meiner Betrachtungen sein – steht damit symptomatisch für die Probleme der Glaubensvermittlung hierzulande. Es ist ein Text aus einer anderen Zeit, die schlicht vorbei ist. Zudem, und das ist noch viel wichtiger, hat die Burg, als Metapher für Kirche, Gott und Glauben, ihre Bedeutung für die Menschen von heute verloren. Statt eine Burg und ihren Schutz aufzusuchen, wenden sich immer mehr Menschen von ihr ab. Sie verstehen die Kirche nicht mehr. Sie verstehen nicht, was Gott und Glauben im Kern bedeuten. Das, was Gott und Glauben bedeuten, wird zugedeckt und erschüttert von Skandalen, von Intransparenz und amtskirchlicher Sklerose.

Immer weniger Menschen glauben offenbar das einst vertraute, heute aber auch als unbequem und eng empfundene Sicherheitsgefühl der Burg zu brauchen. Im Gegenteil: sie lehnen die Burg ab – und suchen ihr Glück außerhalb der Ringmauern in der Welt der großen, individuellen Freiheit. Und davon gab es noch nie so viel für so viele: Informations- und Bildungschancen, Wohlstand, Unterhaltung, Reisen, Feste usw… Insgesamt scheint es uns allen – Corona zum Trotz – doch gut zu gehen. Ein Glück – vielleicht ein brüchiges Glück?!?

Das, was Gott und Glauben bedeuten, wird zugedeckt und erschüttert von Skandalen, von Intransparenz und amtskirchlicher Sklerose

Das ahnt man wohl in den Burgen der Kirchen und bittet deswegen „Fanfaren-Trompeter“ in Form von mehr oder weniger Prominenten, die sich zu ihrem Glauben bekennen, „Zeugnis abzulegen“. Man möchte meinen, die Kirchen selbst finden nicht mehr die richtigen Worte, um den Kern ihrer Verkündigung zu formulieren – und damit die Gesellschaft  zu erreichen.

Die Austritts- und Todeszahlen in beiden großen christlichen Kirchen Deutschlands werden seit Jahren nicht mehr ausgeglichen. Das Kirchenvolk wird kleiner und älter und das, was man medial von der Kirche wahrnimmt, stimmt eher deprimierend als hoffnungsvoll.

Auf Gemeindeebene kämpfen viele mutig dagegen an. Da passiert sehr viel – und das ist aller Ehren wert! Aber: es reicht offensichtlich nicht, um den Trend insgesamt zu drehen. Trotz aller Mühen finden sich keine adäquaten Mittel,  die frohe Botschaft wieder an den Mann und an die Frau zu bringen.

Als Erklärung wird häufig herangezogen, dass schon immer gute Zeiten schlecht für die Kirche waren. In der Konsequenz müssten die Kirchen also auf ein Ende von individueller Freiheit und Wohlstand und stattdessen auf Notlagen setzen. Das kann im Ernst niemand wirklich wollen. Schon gar nicht ein Christ! Im Übrigen finden ja auch die Notleidenden und Verlierer unserer Gesellschaft nicht mehr den Weg zum Glauben, zu Gott und den Kirchen…

Wir müssen uns ehrlich machen! Weder auf der Gemeindeebene, noch auf der Ebene der „Großkopferten“ haben sich in den letzten Jahren Impulse gezeigt, die wirklich Hoffnung machen

Wir müssen uns ehrlich machen! Weder auf der Gemeindeebene, noch auf der Ebene der „Großkopferten“ haben sich in den letzten Jahren Impulse gezeigt, die wirklich Hoffnung machen. Die Rezepte, die wir heute sehen, sind so oder so ähnlich auch die Rezepte der letzten Jahrzehnte. Die Kirchen verwalten ihre immer noch enormen Mittel, stellen dynamisch und aktiv Haushalte auf, reparieren Kirchendächer und Orgeln, verwalten auch ihr Personal und sind vor allem in den Bereichen Krankenversorgung und Pflege durchaus wichtige Teile des Sozialstaates. Nur von einem ist weit und breit viel zu wenig zu spüren: von Aufbruchsstimmung, Optimismus und kraftvollen Zukunftskonzepten …

Dabei gilt: Patentrezepte gibt es nicht! Die bekannten „Megatrends“ Digitalisierung und Globalisierung verändern unsere Welt mit rasender Dynamik. Dieser Entwicklung müssen sich auch die Kirchen stellen. Dem Veränderungsdruck mit Synoden, respektive einem Synodalen Weg zu begegnen, auf denen Missstände beklagt, aber nicht behoben werden, auf denen ausführlich und gut gemeint geredet, aber viel zu wenig Faktisches initiiert wird, kann die Kirchen nicht zukunftsfest machen und sie wieder „vor den Wind bringen“, um es in der Seglersprache zu formulieren. Die Kirchen müssen raus aus ihren selbstreferentiellen Kreisen und auch raus aus den ausschließlichen Kreisen der Gläubigen, hin zu den Menschen, in eine Gesellschaft, die zunehmend „gottloser“ wird, weil Gott und Glauben, Kirche und Religion ihre Bindungskräfte verlieren.

Als Medienfrau, die ihren eigenen Glauben als Geschenk empfindet, sehe ich von daher die folgenden wenigen Punkte als sinnvoll an, um die Wahrnehmung der Kirchen in der Öffentlichkeit positiv zu beeinflussen. Die wichtigsten vier Punkte sind, meiner Meinung nach:

Die Kirchen müssen raus aus ihren selbstreferentiellen Kreisen und auch raus aus den ausschließlichen Kreisen der Gläubigen, hin zu den Menschen, in eine Gesellschaft, die zunehmend „gottloser“ wird, weil Gott und Glauben, Kirche und Religion ihre Bindungskräfte verlieren

1. Die Ökumene!

Wann, wenn nicht endlich jetzt und heute, sollten wir uns vergegenwärtigen, wie sehr die Zeit drängt. Immer noch betonen wir mehr die Unterschiede zwischen katholischer und evangelischer Kirche, als dass wir die Gemeinsamkeit aller Christen würdigen und leben! Es ist doch ein Treppenwitz der Religionsgeschichte, dass wir, 500 Jahre nach der Kirchenspaltung, immer noch nicht in der Lage sind, gemeinsam zu dem Gott zu beten, der seinen Sohn für unser aller Erlösung ans Kreuz hat schlagen lassen. Nach Festlegung einer klaren Agenda müssten sich beide großen Kirchen in Deutschland zügig bewegen. Mit festgelegtem Ablauf und Zeithorizont! Die bestehenden Sklerosen in den Köpfen vor allem derer, die in Machtstrukturen denken, müssen überwunden werden – nicht irgendwann – sondern jetzt!

2. Subsidiäre Strukturen

Die Kirchen brauchen klarere föderalistische und subsidiäre Strukturen mit deutschlandweitem Anspruch und, zumindest perspektivisch, einem gemeinsamen ökumenischen Zentralorgan. Sämtliche Macht- und Entscheidungsstrukturen sollten paritätisch zwischen Laien und Klerikern auf den unterschiedlichen Ebenen aufgeteilt werden. Dabei müsste, meiner Meinung nach, darauf geachtet werden, dass die Gremien zahlenmäßig möglichst klein bleiben und der ihnen jeweils vorstehende klerikale Leiter eine moderierende Rolle einnimmt. Er sollte allerdings auch das Recht haben, in Streitfällen mit seiner entscheidenden Stimme Patt-Situationen aufzulösen.

3. Die mediale Aufbereitung des Evangeliums

Die Verkündigungsbotschaft sollte und muss über die bestehenden Strukturen hinaus,  in konzentrierter Form auf christliche Kernbotschaften komprimiert,  digitalisiert und mediengerecht aufbereitet  werden. Die Predigt in der Liturgie darf selbstverständlich individuell und differenziert sein. Die nach außen gerichteten medialen Botschaften müssen jedoch den Kommunikationsformen unserer Zeit angepasst werden. Die Kirchen brauchen eine Art Verkündigung 2.0. – und das nicht kleckernd, sondern klotzend!

Der Mitteleinsatz für altes Denken ist drastisch zu reduzieren – alle Kraft ist in den Aufbruch zu stecken!

4. Kraft zu radikaler Anpassung

Um in der medial sich immer weiter ausdifferenzierenden Kommunikationswelt wahrgenommen zu werden und damit zu „überleben“, bedarf es einer vergleichsweise radikalen Anpassung der organisatorischen, finanziellen und personellen Rahmenbedingungen an die angesprochenen Zielsetzungen. Der Mitteleinsatz für altes Denken ist drastisch zu reduzieren – alle Kraft ist in den Aufbruch zu stecken!

Soweit nur vier Punkte, um eine positive Wahrnehmung von Kirchen, Gott und Glauben zu erreichen. Wenn wir uns das als eine Art Gedankenexperiment vorstellen, kommen wir zu der Frage, ob das die Wende bringen kann? Meine Antwort ist: eindeutig ja! In dem Wissen, dass es enorme Kraft und Mut vor allem in den Amtskirchen zu Veränderungen braucht!

Lautet die Frage allerdings: wird das die Kirchen in Deutschland in die alte machtvolle Position in der Gesellschaft bringen? Die Antwort darauf ist: wohl eher nein. Längst ist unser Miteinander dafür zu pluralistisch und differenziert geworden. Aber: wie würde die scheidende Kanzlerin diesen Weg bezeichnen? Richtig! Als alternativlos!

Dabei ist die Zahl der Menschen, die nach Orientierung und spiritueller Erfüllung suchen, größer als manch einer denkt. Und diejenige, die wissen, welch‘ großes Geschenk der Glaube ist, empfinden deutlich, dass gerade die christliche Religion und,  mit gewissen Einschränkungen auch die christlichen Kirchen die richtigen Antworten auf die Fragen unserer Zeit haben. Im aufgeregten medialen Trommelfeuer unseres Alltags dringen sie allerdings nicht mehr durch, auch wegen der „Störfeuer“ durch Skandale.

Also: facta non verba! Handeln, statt reden! Bevor es zu spät ist!

Also: facta non verba! Handeln, statt reden! Bevor es zu spät ist!

Die zweite Strophe des Liedes „Ein feste Burg ist unser Gott“ hat Martin Luther 1529 übrigens so formuliert:

„Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren;
Es streit‘ für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren.
Fragst du, wer der ist? Er heißt Jesus Christ, der Herr Zebaoth
Und ist kein andrer Gott, das Feld muss er behalten.“

Hier zeigt sich ein Kern des Glaubens, den wir Christen teilen: es gibt ein Koordinatensystem, ohne das wir verloren sind. Eine andere Ebene, die ich als Laie vielleicht eine höhere Macht nennen darf, auf die wir uns beziehen können, ebenso wie andere Religionen sich auf ihre Götter beziehen. Nennen wir diesen Kern Gott – oder die Liebe. Der Glaube daran kann Hoffnung geben.

Und Hoffnung gab mir kürzlich auch ein Besuch aus Nigeria. Das katholische Hilfswerk missio, für das ich mich seit vielen Jahren ehrenamtlich engagiere, lud  zum Weltmissionssonntag hohe geistliche Würdenträger aus Nigeria nach Deutschland ein. Der Emir von Wase, Dr. Muhammadu Sambo Heruna, und der Erzbischof von Abuja, Dr. Ignatius Kaigama beschrieben in vielen Begegnungen ihren interreligiösen Dialog, der im Norden Nigerias die Menschen,  Muslime und Christen, zueinander bringt. Persönlich sind beide in ihrer Heimat dafür Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt – und trotzdem bringen sie die Kraft und den Mut für Veränderung auf, brechen mit der Tradition der Abgrenzung – mit dem Ziel von Frieden und Versöhnung. Das lässt hoffen.

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