022022

Foto: Mika Baumeister/Unsplash

Bonustrack

Ulrich Graf von Plettenberg

Bistum Trier

Beschäftigen Sie sich in Ihrer Diözese mit dem Szenario einer disruptiven Entwicklung bzw. eines Zusammenbruchs der bisherigen Gestalt?

Ja und Nein.

Ja, insofern wir die Realität zurückgehender finanzieller und personeller Ressourcen genau betrachten und versuchen, die Konsequenzen zu ziehen: Verhandlungen zu höheren Refinanzierungen mit Staat und Kommunen, Planung von konkreten Kostensenkungsmaßnahmen.

Nein, weil wir wohl nicht konsequent genug sind, nicht umfassend genug denken und weil wir uns noch Dinge schönreden (z.B. „Die Zinsen steigen ja wieder, das bringt uns Entlastung bei den Pensionsrückstellungen…“). Ähnliches gilt bei der Fusion von Pfarreien. Die „Pfarrei der Zukunft“ wäre ein großer Schritt auf eine Neubetrachtung von Pfarrei (als Organisations- und Verwaltungsraum) mit vielen „Orten von Kirche“ (als Räume kirchlichen Lebens und seelsorgerischen Handelns) gewesen. Sie hätte meiner Ansicht nach selbst disruptiv gewirkt. Wir hätten eine Entwicklung vorweggenommen, die nun schleichend kommt. Und wir hätten dabei selbst steuernd wirken können, statt einer Entwicklung ausgeliefert zu sein. Leider ist die „Pfarrei der Zukunft“ am Widerstand einiger Verwaltungsräte und an Rom gescheitert. Die Entwicklung findet nun trotzdem statt – auf einen längeren Zeitraum hin und mit wesentlich mehr Aufwand.

Die letzten drei Jahre mit ihren vielen unvorhersehbaren Krisen (Pandemie, Flutkatastrophe und Klimakrise, Krieg und Flucht, Energiekrise und Inflation) haben in die weitere Entwicklung viel Unsicherheit hineingebracht: Was können wir noch vorhersehen, berechnen? Geschieht nicht doch alles anders?

Im Bistum Trier hat dies im Rahmen des durch inhaltliche Kriterien geleiteten Haushaltssicherungsprozesses auch dazu geführt, dass kein Handlungsfeld ganz aufgegeben wird, sondern überall etwas gespart werden soll, wenn auch in unterschiedlicher Intensität und mit zarten Akzentsetzungen. Es scheint noch nicht der Zeitpunkt („kairós“) zu entscheiden, wo sich zukünftig der Schwerpunkt kirchlichen Handeln abspielen sollte.

Wo bzw. mit wem wird das Thema systematisch diskutiert und bearbeitet?

Von einer systematischen Diskussion und Beratung zu diesem Thema kann nicht die Rede sein. Es wird hier oder da angesprochen – siehe Diskussion zur Haushaltssicherung oder auch im Zusammenhang des Synodalen Weges oder in Gesprächen in kleinem Kreis am Rande von Konferenzen und Sitzungen. Aber das Thema wird in meinen Augen noch verdrängt, bzw. vielfach flüchtet man sich ins Gewohnte und Sicherheit Gebende – mit dem Argument des „Noch“.

Wie bereiten Sie Ihre Diözese kommunikativ auf dieses Szenario vor?

Zunächst einmal werden die Zahlen kommuniziert: Kirchenaustritte mit stets neuen Rekorden, steter Rückgang der Katholikenzahl im Bistum auch durch Überhang an Sterbefällen gegenüber Taufen. Im Zusammenhang mit der Kommunikation des Haushaltssicherungskonzeptes wurden die Prognosen deutlich gemacht: minus 35% reale Kirchensteuereinnahmen (=135 Mio. Euro weniger); minus 50% hauptamtliches pastorales Personal. Auch der Arbeitskräftemangel auf allen Ebenen wird bei vielen Gelegenheiten angesprochen. Der unmittelbar darauffolgende Gedanke, dass dieser Rückgang nicht ohne Folgen für das kirchliche Leben und Handeln bleiben wird, leuchtet unmittelbar ein.

Aber die Problematik solcher Kommunikation liegt darin, dass die Schilderung des Rückgangs als Schilderung des „Untergangs der Katholischen Kirche“ interpretiert wird. Damit verbunden wird dann die Warnung, dass mit zu viel Schreckensszenarien auch die Motivation zu kirchlichem Handeln verloren gehen kann. Ich halte dagegen und sage, dass eine Minderung der Quantität von kirchlichem Handeln nicht gleichgesetzt werden kann mit einer Minderung an Qualität. Die darin enthaltene Chance des „Weniger ist mehr“ wird aber mangels Erfahrung bislang nur selten geteilt.

Wie wollen Sie die Handlungs- und Steuerungsmöglichkeit Ihrer Diözese erhalten?

Zunächst einmal ist das für mich eine Frage der persönlichen Haltung:

  • Disruptive Haltungen machen mir persönlich erstmal keine Angst. Ich halte Veränderungen in der Kirche für not-wendig. Zu Vieles ist verkrustet und erstarrt, aber eben nicht aus eigener, allein menschlicher Kraft zu lösen.
  • Es ist für mich auch eine Frage der Spiritualität: Es gibt kein wirkliches Leben, es sei denn durch den Tod hindurch. Das ist die Frohe Botschaft der Auferstehung, aber auch menschliche Erfahrung (z.B. Abnabelung des Kindes von der Mutter nach der Geburt) und das Erleben der Natur (z.B. neues Erwachen im Frühling und Sommer nach dem Sterben in Herbst und Winter). Entsprechend kann eine Optimierung nicht nur aus rein menschlichen Bemühungen entstehen, sondern durch ein Sich Ver-Lassen auf Gott hin (vgl. dazu den empfehlenswerten Artikel von Joachim Reger, Selbstoptimierung. Christliche Reflexion auf ein verbreitetes Ideal, in: Stimmen der Zeit 10/2022, S. 769-777).

Daraus folgend ist es für mich handlungsleitend, den Menschen die Angst vor Veränderungen zu nehmen und – bei aller Enttäuschung und Trauer vor dem starken Rückgang der Bedeutung von Kirche in unserer Zeit – Gelassenheit und Gottvertrauen zu leben und zu verkünden. Daraus wiederum wächst die Kraft, auch aktiv und angstfrei in die Veränderung zu gehen und sie mitzugestalten – natürlich nicht allein, sondern mit Gleichgesinnten.

Welche Überlegungen gibt es, in diesem Szenario den Übergang zu gestalten?

Die Zielrichtung der Veränderungen sind für mich durch die Ereignisse und prägenden Entwicklungen der letzten Jahre deutlich ablesbar:

  • Die Erkenntnisse aus dem Erleben und der Aufarbeitung von sexuellem, geistlichem und Machtmissbrauch in der Kirche müssen zu einer deutlicheren Verteilung von Macht und Verantwortung führen. Führen im Team ist da für mich ein wichtiger Schritt.
  • Die vielfältigen Krisen der letzten Jahre machen deutlich, dass die Kirche besonders zur helfenden Nächstenliebe herausgerufen und -gefordert ist. Die Bistumssynode von Trier hat daher das diakonische Handeln in den Mittelpunkt gerückt, das nachsynodal zum Leitwort „Da sein. Für Mensch und Welt“ geführt hat. Im Haushaltssicherungskonzept wurden aus diesem Grund in den besonders diakonisch geprägten Handlungsfeldern (neben den auf Kinder und Jugendliche ausgerichteten) die geringsten Kostensenkungsquoten angesetzt.
Wie kann in diesem Szenario Ihre Diözese der Verantwortung für die Mitarbeitenden gerecht werden?

Das gehört wohl zu den schwersten Aufgaben, denn der Verantwortung für die Mitarbeiter*innen gerecht zu werden, heißt ja v.a. ihnen den Lebensunterhalt zu ermöglichen. Wenn nicht nur die Kirchensteuereinnahmen aufgrund von demografischer Entwicklung und Kirchenaustritten zurückgehen, sondern einmal die politische Entscheidung fällt, die Kirchensteuer zu streichen (wie es vor wenigen Jahren im benachbarten Luxemburg der Fall war), wird es nicht leicht durchzuhalten sein, niemandem betriebsbedingt zu kündigen.

Im Übrigen versucht die Diözese durch regelmäßige Kommunikation die Mitarbeiter*innen auf dem Laufenden zu halten und v.a. über die Mitarbeitervertretungen auch an den Entwicklungen zu beteiligen – und zwar nicht nur auf den offiziellen bzw. formalen Wegen gemäß der MAVO, sondern auch durch unmittelbares Einbinden in die Steuerungsgruppen der Prozesse.

Wie können Sie als Diözese in dieser Situation der Verantwortung für die Gesellschaft gerecht werden?

Die katholische Kirche ist nicht alleiniger Akteur in der Gesellschaft. Durch die zurückgehende Bedeutung und wohl auch Akzeptanz der Kirche in der Gesellschaft wird es zunehmend darauf ankommen, in gute Kooperationen zu gehen. Bei der Sorge um Flüchtlinge in den letzten sieben Jahren wurden da bereits gute Erfahrungen gemacht. Kommunen und andere Hilfsorganisationen und Wohlfahrtsverbände gehen womöglich andere Wege der Hilfe, aber im Ziel, dem Wohl der Bedürftigen zu dienen, sind sich viele einig.

Ein weiteres „Kerngeschäft“ von Kirche sehe ich in unserer Botschaft: In unsicheren Zeiten wie den aktuellen suchen Menschen vermehrt nach Sinn, Halt und Orientierung. Die Frohe Botschaft Jesu Christi in ihrem geistlichen und geistigen Reichtum ist geradezu prädestiniert, Menschen in ihren verschiedenen Lebenssituationen abzuholen und Sinn zu schenken.

 

2.11.2022

Ulrich von Plettenberg, Generalvikar Bistum Trier

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