022022

Foto: ekir.de

Bonustrack

Thorsten Latzel

Evangelische Kirche im Rheinland

Beschäftigen Sie sich in Ihrer Landeskirche mit dem Szenario einer disruptiven Entwicklung bzw. eines Zusammenbruchs der bisherigen Gestalt?

Natürlich sind uns in der Rheinischen Kirche die disruptiven Szenarien bekannt. Sie sind vielfältig beforscht und kommuniziert. Das Modell der „Volkskirche“, welches unser kirchliches Selbstverständnis und unsere Strukturen über Jahre geprägt hat, müssen wir verabschieden.

Gleichzeitig ist meiner Einschätzung nach das wesentliche Problem nicht, dass wir weniger Mitglieder und Ressourcen haben werden. Auch damit können wir gut Kirche sein. Unser Problem ist, dass wir den alten Strukturen und Selbstbildern verhaftet bleiben und uns nicht konsequent auf die grundlegend veränderten Voraussetzungen einstellen.

Wo bzw. mit wem wird das Thema systematisch diskutiert und bearbeitet?

Das Thema „Verkleinerung“ hat sehr unterschiedliche Dimensionen. Etwa personelle Reduktion, aber auch Reduktion von Gebäudebestand. Wie zukunftsorientiert mit der Frage der notwendigen Reduktion kirchlicher Gebäude umgegangen werden kann, wurde im September auf dem Evangelische Kirchbautag in Köln diskutiert. Unter dem Motto „Mut baut Zukunft“ haben sich die Teilnehmenden der Frage gestellt: Wie, trotz schwieriger werdender Rahmenbedingungen, mit Mut, Ausdauer und Kreativität die Gemeinden ihre Baumaßnahmen angehen können und dies schon getan haben. Rückbau ist dabei vielfach die Voraussetzung für die Entstehung von Neuem.

Die Veränderungen unserer kirchlichen Strukturen und deren Konsequenzen werden auf allen Ebenen diskutiert. Wichtig ist mir jedoch, dass wir als Kirche nicht im Modus des Beredens und Diskutierens stehen bleiben, sondern handeln und die Möglichkeiten zur Gestaltung, die uns offenstehen, jetzt nutzen. Die Kirchenleitung hat sich deshalb mit dem Positionspapier EKiR 2030 – Wir gestalten „evangelisch rheinisch“ zukunftsfähig – fünf Handlungsfelder vorgenommen, bei denen sie unmittelbar anpacken möchte: Mitgliederorientierung, Organisation, Junge Generation, Digitalisierung, Vernetzung.

Wie bereiten Sie Ihre Landeskirche kommunikativ auf dieses Szenario vor?

Was wir im Moment brauchen, um Kirche voranzubringen und zukunftsfähig zu gestalten, statt in einem Narrativ des Verfalls zu verharren, sind Hoffnungsgeschichten. Ich möchte von Erfolgserlebnissen und innovativen Projekten erzählen, die andere inspirieren und motivieren. Dafür ist mir die Begegnung mit den Menschen vor Ort, in den Gemeinden, den Werken, Organisationen und Initiativen unserer Landeskirche sehr wichtig.

Wie wollen Sie die Handlungs- und Steuerungsmöglichkeit Ihrer Landeskirche erhalten?

Entscheidend im Prozess der anstehenden Strukturveränderungen in unserer Landeskirche ist die Befähigung der Gemeinden und Kirchenkreise bei diesen Veränderungen handlungsfähig zu bleiben. Hier brauchen die Gemeinden auch neue Spiel- und Freiräume, die Innovation und Erprobung von Neuem zulassen. Dazu muss von Seiten der Landeskirche auch die kirchliche Gesetzgebung überdacht werden, um den Gemeinden einen Rahmen für höhere Flexibilität zu schaffen – beispielsweise im Umgang mit Kasualien und der veränderten Lebenssituationen unserer Mitglieder.

Ganz neu fokussieren wir als Landeskirche außerdem die Aufgabe Strategischer Innovation im Bereich der Kirchenentwicklung – auch personell. Zur Förderung von Innovation und Exnovation wird dieser Arbeitsbereich Tools und Methoden entwickeln, um Leitungsgremien verschiedener Ebenen zu befähigen, solide Entscheidungen zu treffen.

Welche Überlegungen gibt es, in diesem Szenario den Übergang zu gestalten?

Wir haben uns als Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland konkrete Ziele mit Blick auf das Jahr 2030 gesetzt. Wir haben zukunftsrelevante Handlungsfelder identifiziert und Projekte aufgesetzt, die konkrete Veränderungen und Umsteuerungen angehen. Seit drei Jahren fördert die rheinische Kirche mit dem Projekt „Erprobungsräume“ das Erproben innovativer ekklesialer Gemeinschaftsformen, in der Hoffnung, dass Menschen so vielfältigere Zugänge zum Glauben eröffnet werden können. Mit dem Projekt Mixed Economy stellen wir uns nun auch der Herausforderung, den neuen Formen des Kirche- und Gemeinde-Seins einen Platz neben traditionellen Formen einzuräumen. So wollen wir den Übergang zu einer Kirche gestalten, die für unterschiedliche Lebensstile und Lebenssituationen vielfältigere Anknüpfungspunkte als bisher eröffnet.

Wie kann in diesem Szenario Ihre Landeskirche der Verantwortung für die Mitarbeitenden gerecht werden?

Ohne Zweifel stellen die strukturellen Veränderungen, vor denen wir stehen, unsere Mitarbeitenden in Haupt- und Ehrenamt vor große Herausforderungen. Kleinerwerden strengt an: Presbyterien und Synoden sind fortlaufend mit Reformen beschäftigt. Zudem nehmen Verwaltungsvorgaben eher zu – bei weniger vorhandenen Mitarbeitenden. Strukturen zu verändern und zu schaffen, die unseren Mitarbeitenden langfristig gute Arbeitsbedingungen ermöglichen, ist ein langer und sich ständig wandelnder Prozess.

Hierzu zwei konkrete Beispiele: Die Anstellung von Pfarrpersonen auf Kirchenkreisebene statt bei der Gemeinde ermöglicht den Pfarrpersonen, sich stärker gabenorientiert einzusetzen und erhöht die Vernetzung unter den Kolleg-/innen. Das stärkt dann auch die Attraktivität des Berufs. Auf Seiten des Ehrenamts werden momentan unter dem Arbeitstitel „Ehrenamtsakademie“ die bereits vorhandenen Angebote in der Fort- und Weiterbildung für Ehrenamtliche in der EKiR an einer zentralen Stelle auf einer digitalen Plattform gebündelt. Diese kann von Ehrenamtlichen genutzt werden, um schnell passende Angebote zur Qualifikation und Information zu finden. Dadurch kann die Qualität ehrenamtlichen Engagements steigen und Engagierte werden besser wahrgenommen. Sowohl die Motivation von Ehrenamtlichen wird dadurch gesteigert als auch die Attraktivität der EKiR als Ort, an dem ehrenamtliches Engagement möglich ist.

Wie können Sie als Landeskirche in dieser Situation der Verantwortung für die Gesellschaft gerecht werden?

Wir erleben aktuell eine Zeit, in der das Wort „Krise“ in aller Munde ist. Die Energieversorgung steht in Frage, die Wirtschaft wankt, globale Flüchtlingsströme nehmen zu, in Europa herrscht Krieg und dabei darf vor allem die Klimakatastrophe nicht aus dem Blick geraten. Unabhängig von allen strukturellen und personellen Veränderungen, vor denen unsere Kirche stehen mag, bleibt es ihr Auftrag sich den Menschen in Not anzunehmen, von Gott und von der Hoffnung zu erzählen, sowie entgegen den Trends zur Vereinsamung und Individualisierung in unserer Gesellschafft einen Ort der Gemeinschaft und Geschwisterlichkeit zu bieten.

 

12.10.2022

Dr. Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland

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