012020

Foto: Jurien Huggins/Unsplash

Statements

Maria Fischer-Hülser und Anne Katrin Kuhn

Paare im Spannungsfeld von Einheit und Trennung. Wenn Emotionen und Fakten Achterbahn fahren

Nichts bleibt, wie es ist. Warum eigentlich? Weil die Liebe zwischen zwei Menschen kein Kontinuum außerhalb von Zeit und Raum ist? Weil Veränderungen ein unantastbares Gut durchlöchern können wie einen Laib Emmentaler? Spielt Kausalität dabei überhaupt eine Rolle?

Jetzt ist es so. Ewig war gestern. Die Eindeutigkeit des Seins mit dem Partner*in ist verloren gegangen und damit die Eindeutigkeit des Tuns. Der Verstand sagt „geh“, das Gefühl sagt „bleib“ – oder auch umgekehrt. Der Konflikt zwischen Dableiben und Verlassen, zwischen Einheit und Trennung beruht auf der Spannung der jetzt in den Partnern wirkenden Kräfte. Beratung wird gesucht, wenn Eindeutigkeit nicht ohne Einbeziehung eines Dritten wiedergewonnen werden kann. Ein-heit benötigt Ein-deutigkeit und Klarheit. Einheit bedeutet, in wesentlichen Bereichen an einem Strang zu ziehen, den Interessen und Bedürfnissen des Partners*in mit Wohlwollen zu begegnen und mit Liebe an der Seite des anderen zu sein. Die fehlende Eindeutigkeit, die Überflutung von gegensätzlichen Gefühlen und die Kollision von Verstand, Vernunft und Emotion erzeugen das Grundmoment der Spannung im Beratungsgespräch. Dazu kommt Unsicherheit, weil die Entscheidung offen ist.

Schuldzuweisung ist keine weiterführende Maßnahme

Enttäuschungen, Verletzungen, Schuldzuweisungen, Untreue aber auch schöne Erinnerungen, gemeinsame Verpflichtungen und Erreichtes lösen widersprüchliche Gefühle aus und sorgen für ein Wechselbad zwischen Hoffen und Bangen, Dranbleiben oder Aufgeben. Dementsprechend erleben sich Betroffene orientierungslos. Selbstzweifel, falsche Entscheidungen getroffen zu haben, vielleicht auch die Idee der Sinnlosigkeit der vergangen Jahre tauchen auf, die die Einheit in Frage stellen und in die Leere der Trennung führen können. Schon oft bei anderen gesehen, von außen miterlebt, nur scheinbar verstanden, und jetzt selbst hilflos mittendrin?

Nichts bleibt, wie es ist. Warum eigentlich? … Jetzt ist es so. Ewig war gestern.


Menschen erleben sich als scheiternd, Abwehrmechanismen setzen ein. Negative Erfahrungen aus der gemeinsamen Geschichte bekommen zunehmendes Gewicht. Kausalitätsketten, die die Situation zu erklären versuchen, werden jetzt eher zu Ungunsten des Partners*in aufgebaut oft Mithilfe von Schuldzuweisungen und entwertenden Vorwürfen. Das hilft nicht. Auch Coaching-Tools im Sinne des modern gewordenen erfolgreichen Scheiterns führen ins Leere. Schließlich handelt es sich hier nicht um eine Marketing-Präsentation, die in den Sand gesetzt wurde, sondern um das eigene Sein. Es geht jetzt darum, dass Betroffene die Situation der Spannung annehmen. Nicht jede offene Frage, nicht jeder Anspruch zu wissen, wie es denn weitergeht, kann schnell gefüllt werden. Malen nach Zahlen funktioniert nicht. Die Farben und die Zahlen müssen für die Zukunft neu zusammengestellt und neu zugeordnet werden, das benötigt Zeit und Geduld, der Ausgang ist offen. Wenn beide Partner dazu „ja“ sagen, ist der erste Schritt gemacht, um die richtige Entscheidung zu finden.

Der Blick auf den ganzen Menschen als Chance

Solange Fehlverhalten in der Vergangenheit immer wieder als Waffe in Konfliktsituationen von heute verwendet wird oder Kritik und Entwertung weiterhin stattfinden, stehen die Chancen schlecht auf das Wiederfinden der Einheit. Auch wenn an unrealistischen Beziehungserwartungen festgehalten wird, kann der Kreislauf aus Enttäuschung, Schuldzuweisung, Schaden, Druck und Missgunst nicht durchbrochen werden.

… schließlich muss niemand alles am Andern mögen …

In solchen Fällen entsteht auch beim Fortführen der Partnerschaft keine neue Einheit. Trennung ist hier die bessere Alternative. Gelingt es jedoch, erfahrene und selbst begangene Verletzungen und Versäumnisse aus der gemeinsamen Geschichte anzuschauen, zu verstehen und Wege zur Heilung und Vergebung zu finden, kann Neuorientierung beginnen. Die Bereitschaft, gegenseitige Wertschätzung und Wohlwollen aufzubauen, das dem Gegenüber ehrliche Akzeptanz entgegenbringt, ohne dabei die eigene Haltung und Sichtweise der Dinge aufzugeben, unterstützt den Aufbau eines neuen partnerschaftlichen Verhaltens. Beide können lernen, ungeliebte Anteile in Verhalten und Persönlichkeit des Andern zu akzeptieren, schließlich muss niemand alles am Andern mögen. Solche Erfahrungen bieten gute Chancen zur Entwicklung einer neuen Einheit des Paares und verleihen Hoffnung für die gemeinsame Zukunft.

Sehnsuchtsort Partnerschaft

Die Sehnsucht nach Glück ist schon immer Basis aller Utopien der Geschichte, die Liaison zwischen Glückssehnsucht und ihrer Erfüllung in der Partnerschaft allerdings ein Anspruch aus dem Umfeld der heute üblichen Liebesheirat. Der Andere wird bei allen positiven Konnotationen dieses Umstands als Heilsbringer*in verstanden: ein „partner almighty“. Dieser soll in Parallelität je nach Bedarf perfekt zwischen den Rollen als sicherer Ehepartner*in, Job-Coach, Liebhaber*in, Elternteil und attraktiver Freizeitpartner*in wechseln. Dieser Anspruch überfordert, die Realität hinkt den Idealen hinterher. Zurück bleibt Enttäuschung und Sehnsucht, die sich einen anderen Erfüllungsort sucht, in der Diversität der Rollen intrinsisch angelegt ist, somit per se die Infragestellung des Anspruchs nach Einheit. Emotionen treffen auf Tatsachen, ein Fakt konterkariert den anderen, eine Emotion spielt eine andere gegen sich aus. Der Gedanke an Trennung taucht auf, wenn das an den Einheitsgedanken gekoppelte Sehnsuchtsversprechen nicht erfüllt wird.

Freiheit versus Einheit

Das gegebene Versprechen auf lebenslange Einheit, die sich die meisten Paare wünschen, trifft bei vielen, die Beratung aufsuchen, auf den gleichzeitigen Anspruch der Freiwilligkeit und der dauerhaften Liebe mit Beziehungsglück als Basis der Partnerschaft. Zusammenbleiben ist geknüpft an die Freiheit der Entscheidung jedes Partners. Da nichts bleibt, wie es ist, weil sich stetig jeder und alles verändert, bedeutet Beziehung immer Aufmerksamkeit und gegebenenfalls Veränderungsbereitschaft für das, was jetzt gerade ist.

Da nichts bleibt, wie es ist, weil sich stetig jeder und alles verändert, bedeutet Beziehung immer Aufmerksamkeit und gegebenenfalls Veränderungsbereitschaft für das, was jetzt gerade ist.

Geht das verloren und nehmen schädigende Verhaltensmuster, Schicksalsschläge, unerfüllte Sehnsucht zu oder entwickeln sich Partner sehr unterschiedlich weiter, befördert dies heute auch bei vielen religiös gebundenen Paaren die Überlegung, irgendwann die Karte „Freiheit“ durch Trennung zu ziehen. Was kann ein Berater*in in dieser Situation anbieten? Empathisches Unterstützen ohne Dogmatismus steht an oberster Stelle. Es gilt die für die Ratsuchenden beste Lösung zu erarbeiten. Hierfür braucht es seitens der Berater*in Offenheit und Neutralität auch für eventuell stark von der eigenen Weltanschauung und Sichtweise abweichenden Vorstellungen. Für jeden Einzelnen wichtige Werte und Bedürfnisse werden wertschätzend unter die Lupe genommen, damit deren Integration in die Einheit (wieder) möglich wird und diese festigt. Die Berater*in ist im besten Fall die moderne Inkarnation des Kaleidoskops – er/sie lädt dazu ein, die Situation aus neuen Perspektiven zu betrachten, Experimente zu wagen und dem Paar durch das Spektrum neuer Ideen neue Erfahrungen zu ermöglichen. Präsenz, positive Annahme und eine gute Portion Humor helfen darüber hinweg, wenn neue Denk- und Handlungsansätze erst einmal fremd erscheinen. Neue Erfahrungen beflügeln meist die Findung von Klarheit. Diese führt freilich nicht immer zu neuer Einheit, insbesondere dann nicht, wenn die Liebe verlorengegangen ist. Klarheit ist im Spannungsfeld zwischen Einheit und Trennung ein bedeutender Schritt zu wiedererlangter Sicherheit und gestärktem Selbst- und oft auch Paarwert.

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