012020

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Statements

Arnd Bünker

Mehr als nur zwei Päpste. Vom Katholizismus zur Katholizität

Es hört nicht auf. Josef Ratzinger, Ex-Papst Benedikt XVI., agiert je länger, je mehr, als Hintergrundpapst. Nicht, dass das schlimm wäre, aber es macht Arbeit. In der katholischen Kirche wurde die Machtfülle des Papstamtes allerdings längst demokratisiert. Jede und jeder ist Papst. Es zeigt sich hier nur die Spitze des Eisbergs. Die einheitsstiftende Funktion der Hierarchie ist insgesamt bis zur Unkenntlichkeit geschwächt. Gleichzeitig zeigt sich, dass das eben zerbrochene Modell kirchlicher Einheit seine Zeit und seine Geschichte hatte – wie andere zuvor auch. Heute – unter Corona-Bedingungen – erleben wir, wie sich kirchliche Kommunikation und entsprechende Machtverhältnisse durch die Digitalisierung dezentralisieren und wieder neu mischen. Historisch gilt, dass die Einheitlichkeit des modernen Katholizismus eine Folge der Industrie-Moderne war. Die Kirche, hochgradig zentralisiert und bürokratisiert, ermöglichte einen uniformen Katholizismus, wie es ihn zuvor nie gegeben hatte.

„Leitung“ der Kirche schafft bestenfalls Moderation, schlimmstenfalls Spaltung.

Dieser Katholizismus, der Vielfalt nur als äußeres Dekor anerkannte, transformiert sich seit einigen Jahrzehnten und unter hohen Verlusten an struktureller Macht zur Katholizität. Religiöse Macht ist dezentral, wenn nicht diffus verteilt. Es gibt konkurrierende und widersprüchliche Gruppierungen und Machtzentren. „Leitung“ der Kirche schafft bestenfalls Moderation, schlimmstenfalls Spaltung.
Unsere Spätmoderne ist anders als die Moderne vom Umgang mit bleibender Vielheit geprägt. Das gilt für die Ebene der Individualisierung wie für neue Kollektivierungsprozesse in der Kirche: Schon vor dreißig Jahren hat Karl Gabriel diverse Sektoren im „Christentum zwischen Tradition und Postmoderne“ beschrieben. Durch die seitdem gewachsene Bedeutung von Digitalisierung, Globalisierung und Migration verschränken, vermischen und vervielfältigen sich diese Sektoren. Ihre jeweiligen Eigenrationalitäten nutzen sich im zuweilen schmerzhaften Ringen um Katholizität mal ab, mal spitzen sie sich zu – aber sie führen kaum zu einer neuen alten Einheitsform. Der katholischen Kirche bleibt nichts anderes übrig, als sich der kulturellen Matrix der Vielfalt anzupassen. Sie kann ihre Katholizität dann nur noch als Horizont und Praxis der Verständigung in Vielfalt leben.

Der katholischen Kirche bleibt nichts anderes übrig, als sich der kulturellen Matrix der Vielfalt anzupassen.

Diese Katholizität dürfte alternativlos sein. Sie macht Arbeit, gibt keine Ruhe, verlangt Ambiguitätstoleranz und bleibt immer offen. Robert Schreiter hat dafür längst ein Kochbuch verfasst. In „Die Neue Katholizität“ (1997) benennt er Spielregeln einer Vielfaltskirche, an denen man sich fürs Erste orientieren kann. Dabei gilt: Die unterschiedlichen Akteure der Vielfaltskirche sind selbst gefordert, sich in neuer Katholizität kritisch-selbstkritisch zu behaupten. Zugleich gilt: Die Vielfaltskatholizität ist nie fertig. Sie bleibt ein Aushandlungsprozess ohne starke inhaltliche Vorgaben. Für Menschen, die noch im Katholizismus sozialisiert wurden, mag das entweder befreiend sein oder beängstigend. Zur Vielfalt gehört somit schließlich auch die Auseinandersetzung mit Positionen, die gerade diese Vielfalt nicht anerkennen möchten.
Ein Seitenblick in gesellschaftliche und politische Orientierungsprozesse zum Umgang mit Vielfalt hilft. Die Migrationsforschung bringt Impulse, die auch für eine erfolgreiche Katholizität fruchtbar sind. Naika Foroutan hat für die postmigrantische Vielfaltsgesellschaft fünf Stichworte genannt, die auch für eine spätmoderne Vielfaltskirche gelten:

  1. Anerkennung der Vielfaltssituation
    Der Schritt vom Katholizismus zur Katholizität braucht das Eingeständnis einer neuen Situation der Kirche. Nur dann kann die Situation auch gestaltet werden.
  2. Aushandeln der Identitätsfragen
    Die katholische Kirche geht aktuell Schritte in Richtung größerer Aushandlungsprozesse: der Synodale Weg in Deutschland ist ebenso ein Suchmoment dieses Prozesses wie die angekündigte Bischofssynode zur Synodalität.
  3. Antagonistische Positionen abwehren
    Zur real existierenden Katholizität gehören Stimmen, die diese Situation an und für sich als illegitim bekämpfen. Es gehört zum Minimalkonsens der neuen Katholizität, hier zu widerstehen.
  4. Allianzen der Vielfalt in Netzwerken gestalten
    Vielfalt und Katholizität brauchen Erfahrungs- und Übungsräume. Im Kirchenalltag, in Pfarreien, Projekten, Verbänden … kann Vielfalt als Alltagsrealität erlebt und erprobt werden.

    Zwei Päpste sind nicht genug für die Vielfalt der Katholizität.

  5. Ambiguität aushalten
    Vielfalt ist mühsam, weil sie eigene Positionen und Identitäten in Frage stellt. Das ist nicht zu umgehen und verlangt die Bereitschaft und Fähigkeit, „Fünfe gerade sein zu lassen“.

Zwei Päpste sind nicht genug für die Vielfalt der Katholizität. Wenn alle Papst sind, dann gilt aber auch: Alle tragen an der Bürde des Amtes der Einheit mit.

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