022015

Foto: michimaya: Korsika Fähre (CC BY 2.0), Bildausschnitt

Konzept

Philipp Elhaus

Die Kraft der inneren Bilder

Der vorliegende Beitrag ist die überarbeitete Fassung eines Vortrages im Rahmen des gleichnamigen Forums im Zentrum Gemeinde des Deutschen Evangelischen Kirchentages 2015 in Stuttgart. Der mündliche Charakter wurde beibehalten.

1. Gemeinde ist für mich wie …

Auf einem Studientag mit Vikarinnen und Vikaren der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers zum Thema „Neue Gemeindemodelle“ bat ich, die Vorstellungsrunde mit Namen und Herkunftsort um eine kleine Aufgabe zu ergänzen: einen Gegenstand bzw. ein bildliches Symbol zu benennen, das mit „Gemeinde“ verbunden wird. Ich notierte die Begriffe auf Moderationskarten, und am Ende ließen wir das besondere Gemeindekaleidoskop auf uns wirken. Zwei Bilder sind mir in besonderer Weise in Erinnerung geblieben:

„Gemeinde ist für mich wie die drei Musketiere: einer für alle und alle für einen.“
„Gemeinde ist für mich wie eine Thermoskanne. Nach innen schön warm und nach außen ziemlich isoliert und dicht.“

„Gemeinde ist für mich wie eine Thermoskanne. Nach innen schön warm und nach außen ziemlich isoliert und dicht.“

2. Bilder sind geronnene Erfahrungen

Bilder sind geronnene Erfahrungen (Elias Canetti). Im Bild verdichtet sich ein Ensemble von Erlebnissen, Gefühlen und Deutungen. Solche Bilder wirken – um wieder im Bild zu sprechen – wie ein Anker oder eine Brücke. Ein Anker, der über das Bild die entsprechenden Eindrücke und Stimmungen in mir wieder wach ruft. Oder eine Brücke, die die Eindrücke zu anderen hin vermittelt und weitere Assoziationen anstößt.

„Pünktchen, Pünktchen, Komma, Strich …“ – Urbild des Gesichtes der Mutter beim Stillen (oder des Vaters beim Flasche-Geben), das sich in Seelenschichten einprägt und der Rede vom „Angesicht“ seinen Ursprungsort zuweist. Kein Wunder, dass der Künstler Alexej von Jawlensky diese elementarisierte Kinderform für seine bekannten Christusgesichter verwendet.

3. Zwischen Vision und Re-Vision

Internalisierte Bilder rufen jedoch nicht nur Erinnerungen wach, sondern formen auch Wahrnehmungen von Wirklichkeit. Bilder werden zu Brillen, mit denen ich meine Welt wahrnehme und in die Zukunft blicke. Für den Ausblick in die Zukunft verwenden wir gerne den Begriff der Vision. Eine Vision ist ein Bild einer erstrebenswerten Zukunft, die nach vorne zieht, motiviert und da, wo es geteilt wird, zu gemeinsamen Handlungsoptionen führen kann. Daher werden Bilder nicht nur gerne als Imaginationsübung in der Einzeltherapie, sondern auch in der Organisationsentwicklung für soziale Systeme verwandt. Ein schönes Beispiel stammt aus einem Regionalisierungsprozess, der von einer Gemeindeberaterin begleitet wurde. An einer entscheidenden Weichenstelle des Prozesses stellte sie die Frage: „Was sehen Sie jetzt vor sich? Eine Kröte oder einen Märchenprinz?“

Die subjektiven Deutungen der Wirklichkeit, die sich in Bildern und Metaphern verdichten, können eine entscheidende Rolle für den Prozessverlauf spielen.1 Ob ich eine Kröte schlucken muss oder die Verwandlung eines Märchenprinzen erwarten darf, wirkt sich sowohl auf die Motivation als auch auf die Handlungsperspektiven aus. „Bilder malen vor Augen, was erstrebenswert ist. Und sie helfen entdecken, was möglich ist. Leitende Bilder ermöglichen Erfahrungen. Sie motivieren zum Handeln. Sie legitimieren Interessen. Sie orientieren Handlungsschritte. Sie integrieren Einzelvollzüge. Sie organisieren das Zusammenspiel im System und das Zusammenspiel des Systems mit seiner Umwelt. Leitende Bilder spiegeln nicht nur Wirklichkeit. Sie schaffen neue Wirklichkeit“2

Internalisierte Bilder rufen nicht nur Erinnerungen wach, sondern formen auch Wahrnehmungen von Wirklichkeit. Bilder werden zu Brillen, mit denen ich meine Welt wahrnehme und in die Zukunft blicke.

Ob bei der Gehirnforschung3, in der Psychotherapie4, in der Organisationsentwicklung5 oder in der Seelsorge6 – das Potential der inneren Bilder wird allseits geschätzt und besonders bei Situationen der Wandlung und Veränderung ins Spiel gebracht. So spielt in der Organisationsberatung die symbolische Ebene von Bildern an der Schwelle von alter und neuer Ordnung eine entscheidende Rolle. Denn Bilder verknüpfen unterschiedliche sachliche und emotionale Aspekte, ermöglichen neue Sichtweisen und stoßen Kreativitätsprozesse im Blick auf die eigene Identität an. „So könnten Bilder in Organisationen letztlich auch dazu beitragen, unser Bild von Organisationen nachhaltig zu wandeln. Dieser Wandel scheint notwendig, wenn organisatorische Innovation gelingen soll.“7

Doch was passiert, wenn sich Zukunftsbilder allein an den Erfahrungen der Vergangenheit orientieren und diese fortzuschreiben suchen, weil die Gegenwart als im Vergleich zur Vergangenheit defizitär erlebt und beurteilt wird? Dann können sich mit den entsprechenden Zukunftsbildern ausgesprochen vergangenheitsorientierte Aussichten verbinden, die weniger Visionen als vielmehr Re-Visionen darstellen. Oder, mit Karl Valentin gesprochen: „Die Zukunft war früher auch besser.“ Das Bild der vollen Kirche – eine Re-Vision verklärter Nachkriegsjahre. Lasst die Kirche im Dorf – oft verstanden als Plädoyer für den Erhalt von Pfarrstellen. Welche Bild von Kirche soll hier fortgeschrieben werden? Eine bekannte Variante dieser Wiederholungsschleife, bei der man sich Zukunft nur als Wiederkehr von Vergangenheit vorstellen kann, begegnet uns beim bekannten Dinner for one: „The same procedure as every year? The same procedure as last year.“ Ein Ausdruck für volkskirchliche Normalität? Man fährt das bewährte Standardprogramm, die übliche (Tisch)Liturgie, auch wenn Sir Toby, Mr. Winterbottom und Admiral Schneyder schön längst das Zeitliche gesegnet haben.

Die Kraft der inneren Bilder ist also mit Vorsicht zu genießen. Sie können sich von dem Kontext ihrer Entstehung lösen und sich wie äußere Determinanten auf Gegenwart und Zukunft legen. Dieser Übergang wird am Begriff der „Gerinnung“ anschaulich. Hier wird etwas verfestigt und erstarrt. Die Kraft der Bilder muss man also immer wieder – im wahrsten Sinne des Wortes – in Fluss bringen. Innere Bilder gilt es zu liquidieren – konkret und übertragen – damit sie ihre positive Kraft entfalten können. Sehr treffend wird dieser Zusammenhang in dem Spruch von Lothar Zenetti beschrieben:

„Frag hundert Katholiken, was das Wichtigste in der Kirche ist – sie werden sagen: die Messe. Frag hundert Katholiken, was das Wichtigste an der Messe ist – sie werden sagen: die Wandlung. Sag hundert Katholiken, dass das Wichtigste in der Kirche die Wandlung ist. Sie werden sagen: Nein, alles soll so bleiben wie es ist.“

4. Kirchenbilder8 – ein biblisches Kaleidoskop

In jedem dieser (biblischen) Bilder (von Gemeinde) verdichten sich bestimmte Erfahrungen, Erlebnisse, kultur- und sozialgeschichtliche Kontexte. Sie fokussieren bestimmte Aspekte der damaligen gemeindlichen Wirklichkeit – oft um damit neue Perspektiven auf diese Wirklichkeit zu eröffnen und damit auch neue Verhaltensmöglichkeiten anzustoßen.

Beim Blick in die Ursprungsurkunde unseres Glaubens tut sich ein besonderes Bilderbuch auf. Die metaphorische Rede von Gott ist nicht nur ein Band zwischen dem ersten und dem zweiten Testament. Auch die Kirche wird in zahlreichen Bildern und Metaphern beschrieben, in denen sich unterschiedliche Kontexte widerspiegeln. So präsentiert sich das biblische Bild von Gemeinde bzw. Kirche als ein Kaleidoskop, eine – wörtlich – Schönbildschau, die immer neue Formationen und Facetten bietet, je nachdem, wie man den Betrachtungsgegenstand dreht und wendet. Ob Licht der Welt oder Salz der Erde (Mt 5,13-16), Leib und Glieder (1. Kor 12), Brief Christi (2. Kor 3,3), Weinstock und Reben (Joh 15), Hirt und Herde (Joh 10), Volk Gottes (1. Petr 2,9), Tempel des lebendigen Gottes (1. Kor 3,16), heilige Priesterschaft (1. Petr 2,9), Haus der lebendigen Steine (1. Petr, 2,5) oder Hütte Gottes bei den Menschen (Apk 21,3).

In jedem dieser Bilder verdichten sich bestimmte Erfahrungen, Erlebnisse, kultur- und sozialgeschichtliche Kontexte. Sie fokussieren bestimmte Aspekte der damaligen gemeindlichen Wirklichkeit – oft um damit neue Perspektiven auf diese Wirklichkeit zu eröffnen und damit auch neue Verhaltensmöglichkeiten anzustoßen. So stellt Paulus das Bild vom Leib und seinen Gliedern in eine Konfliktsituation in der Gemeinde in Korinth vor Augen, die stark von Konkurrenzen geprägt ist. Mit dem Ziel, die Vielfalt der Unterschiede als bereicherndes Mit- und Füreinander zu begreifen und zu gestalten – managing diversity in der Urchristenheit.

Biblische Bilder haben unterschiedliche, ganz konkrete Gemeindesituationen und Menschen im Blick. In ihnen schlagen sich das Selbstverständnis, der jeweilige Kontext und die konkrete Gestalt nieder. Wer auf Jesu unmittelbare Wiederkunft wartet, braucht keine Strukturen, um sich in der Zeit einzurichten. Eine Verfolgungssituation bringt andere Formen von Gemeinde hervor als eine privilegierte Rechtssituation.

Die Bibel bietet also keine Standardbilder – einmal im Original gemalt und ganz oft abgepaust – sondern ein Kaleidoskop, bei dem sich durch die Facettenvielfalt bestimmte Grundmuster erkennen lassen.9

  • Die grundlegende Beziehung zu Christus (z.B. Weinstock – Reben)
  • Die Einstellung zur Umwelt – sowohl im Blick auf die Herkunft aus dem Judentum als auch im Kontext der paganen Umwelt (z.B. Salz – Licht)
  • Das Netz innergemeindlicher Beziehungen (z.B. Leib – Glieder)
  • Das Verhältnis von Einheit und Vielfalt von Ortsgemeinde und Gesamtkirche
  • Die innergemeindliche Diakonie

 5. Verkirchlichung der Kirchenbilder

Im Neuen Testament fällt auf, dass vor allem in den Evangelien zahlreiche Bilder aus dem Mund Jesu stammen und Zuschreibungen im Sinne performativer Rede sind: „Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt. Ich bin der Hirte, der sein Leben für die Schafe gibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.“ Diese Bilder, die in besonderer Weise die Verbindung von Christus und Gemeinde und den Auftrag und damit in beiden Fällen die Identität der Gemeinde in den Blick nehmen, begegnen als Zusage. Biblische Bilder von Gemeinde und Kirche gilt es also nicht zu „machen“, noch zu verwirklichen, sondern zu empfangen.

Wer die Kirche nur mit einer geschichtlich dominanten und biografisch vertrauten Organisations- und Sozialform identifizieren kann, bleibt sowohl unter dem Niveau des Bilderreichtums des NT, der Gestaltungsfreiheit unserer Bekenntnisse (vgl. CA 7 für die lutherischen Kirchen) als auch der vielfältigen Ausdrucksformen in der weltweiten Kirche.

Doch kann man bereits im Neuen Testament eine Verschiebung bei zentralen Bildern von der Beziehung Christus – Gemeinde hin zum Verhältnis von „Amtsträger“ – Gemeinde feststellen. So wird das Bild des Hirten zunehmend auf die Leitungstätigkeiten innerhalb der Gemeinde ausgeweitet, die nun als Herde im Gegensatz zum Hirten erscheint – eine deutliche Klerikalisierung, die die Gegenüberstellung von Christus und Gemeinde durch ein Stufenmodell von Erzhirte (1. Petr 2,25) – Hirte – Gemeindeschäflein abzulösen scheint. Dieses Bild ist als Grundmodell im katholischen wie im evangelischen Bereich bis in die Mentalitätslagen von Amtsträger_innen und Kirchenmitgliedern sehr wirksam und nicht umsonst unter Autoritätskritik gestellt worden. Pastor heißt auf Italienisch auch Schäferhund … Einen liturgischen Wadenbeißer aber haben die Pastoralbriefe nicht vor Augen gehabt!

Eine ähnliche Verschiebung hin zu einer Verkirchlichung ist bei Luthers Reformationsklassiker „Ein feste Burg ist unser Gott“ festzustellen. Hier verschiebt sich die Zuschreibung der schützenden Funktion von Gott auf den Kirchenraum als Burg bis hin zu einer mentalen Wagenburgmentalität, in der man sich gegenüber einer feindlich empfundenen Umwelt abschottet. In der seit dem Spätmittelalter wirksamen „kirchlichen Dreifaltigkeit“ von Territorium, Pfarramt und Kirchengebäude fließen unterschiedliche Akzente zum wohl wirkungsmächtigen Kirchenbild zusammen, das bis heute sehr präsent ist und nach wie vor Debatten wie Haushaltspläne prägt. Oft genug, wenn man „die Kirche im Dorf lassen“ will oder sich „Kirche nicht aus der Fläche zurückziehen darf“, steht dieses Bild und damit eine bestimmte pastorale Versorgungsstruktur vor Augen. Damit soll nicht die Verlusterfahrung bagatellisiert werden, die mit diesen Redewendungen angezeigt wird. Aber wer die Kirche nur mit einer geschichtlich dominanten und biografisch vertrauten Organisations- und Sozialform identifizieren kann, bleibt sowohl unter dem Niveau des Bilderreichtums des NT, der Gestaltungsfreiheit unserer Bekenntnisse (vgl. CA 7 für die lutherischen Kirchen) als auch der vielfältigen Ausdrucksformen in der weltweiten Kirche.

Doch auch bei einem anderen neutestamentlichen Bild ist eine deutliche Verkirchlichung festzustellen. Das Bild vom Leib und den Gliedern wird vielerorts als Inbegriff von Gemeinschaft verstanden und nicht mit einem Körper in Bewegung und Kommunikation, sondern mit einem Kreis verbunden. Der macht schon in seiner Grundform Inklusions- und Exklusionseffekte deutlich, die im anfänglichen Bild von der Thermoskanne mitschwangen: nach innen wendet man den anderen das Gesicht zu, nach außen den Rücken.

In beiden Fällen gerät die Kirche nur in der Binnenperspektive in den Blick – im Gegenüber von Amt und Gemeinde bzw. von Einheit und Vielfalt. Die Um- bzw. Mitwelt, die Dimensionen von Auftrag und Sendung sind völlig ausgeblendet. Dies scheint auf dem Hintergrund einer Christentumsgesellschaft, in der alle ohnehin zur Kirche dazugehören, noch plausibel zu sein. Aber in unserer Situation des Umbruchs, in der wir mittelfristig auf eine Minderheitensituation zugehen, ist die Konzentration auf die Binnenperspektive mehr als ein blinder Fleck. Hier lässt sich im Rückgriff auf das Lichtwort, dass die Sendung als Identitätsmerkmal von Kirche fasst, nur kritisch zurückfragen: „Welchen Sinn haben Streichhölzer, die in ihrer Schachtel in Frieden miteinander alt werden?“10

„Welchen Sinn haben Streichhölzer, die in ihrer Schachtel in Frieden miteinander alt werden?“ (Sellmann)

6. Sich neu ins Bild setzen

Die gegenwärtige Umbruchsituation in unseren Kirchen fordert, dass wir uns neu ins Bild setzen. Ins Bild der sich gewandelten Wirklichkeit. Wir befinden uns nicht mehr in den Komfortzonen einer wie immer auch christlichen Gesellschaft, sondern mitten in Rückbauprozessen und dem Ringen um gesellschaftliche wie lebensweltliche Relevanz. Die Kirche steht auf der Schwelle zwischen einer sich langsam auflösenden alten Sozial- und Organisationsgestalt und noch offenen Formationen in der Zukunft. Auf dieser Schwelle lassen sich nach wie vor große konfessionelle und regionale Unterschiede feststellen. Es gibt jedoch einen gemeinsamen Nenner: auf der Schwelle stehen alle unter einem Anpassungsdruck, den Übergang von vertrauter Vergangenheit in eine ungewisse Zukunft angesichts schwindender finanzieller Ressourcen und verdunstender kultureller Plausibilitäten zu gestalten. Darum gilt es, die kirchlichen Binnenperspektiven zu verlassen und Verkirchlichungsfallen zu meiden. Mit sola structura und Re-Visionen lässt sich kein Zukunftsbild von Kirche malen, das ins Offene, Unsichere lockt. Veränderungen beginnen im Kopf und im Herzen, bei unserer Wahrnehmung, unseren Ansichten und Bildern von der Wirklichkeit. So können emotionale Blockaden gelöst und neue Energien freigesetzt werden. Es macht in meinem Fühlen, Denken und Handeln einen großen Unterschied, ob über mir ein Pleitegeier kreist oder sich eine Hoffnungstaube aufschwingt. Ob und wie sich ein Pleitegeier in eine Hoffnungstaube verwandeln kann, wird zu entscheidenden Frage. Oder, in einem anderen Bild gesprochen: Die Kirche ist wegen Umbau geöffnet – nicht geschlossen.

In der Diskussion um Weichenstellungen beim kirchlichen Umbau ist das Spiel der Bilder rund um die Lichtmetaphorik besonders interessant. So malte das Impulspapier der EKD „Kirche der Freiheit“11 mit zwölf Leuchtfeuern die Orientierungspunkte der zukünftigen Kirchenlandschaft vor Augen, bei der konzentrierte kirchliche Zentren als Leuchttürme eine besondere Rolle spielen. Postwendend kam die Replik mit dem Begriff des Lagerfeuers, der auf die besondere Bedeutung der Lokalität der Kirche hinwies. „Leuchtfeuer oder Lichternetz?“12 heißt der Titel einer Veröffentlichung, die die Entwicklung von Kirche in ländlichen Räumen in ökumenischer Perspepktive beschreibt. Das Lichternetz wiederum verbindet die Lichtmetapher mit dem innerkirchlich immer populärer werdenden Netzwerkgedanken aus der Soziologie, der ja auch ein spezifisches Bild vor Augen malt und im neuesten kirchentheoretischen Werk von Eberhardt Hauschildt und Uta Pohl-Patalong aufgenommen wird. Dort knüpft es in einer pragmatischen Funktion (Anspruch, Relevanz, zeigen) inhaltlich an die Lichtmetaphorik im Sinne von Mt 5 an:

„Hat die Kirche den Anspruch, das Evangelium mit breiten Bevölkerungsgruppen zu kommunizieren, und seine Relevanz für die Gesellschaft insgesamt zu zeigen, dann erfordert dies vielfältige Zugänge zur Kirche auf unterschiedlichen Wegen und nach unterschiedlichen Logiken – als Netz von Gemeinde an kirchlichen Orten“.13

Wir befinden uns nicht mehr in den Komfortzonen einer wie immer auch christlichen Gesellschaft, sondern mitten in Rückbauprozessen und dem Ringen um gesellschaftliche wie lebensweltliche Relevanz.

Das Element – statt Licht Wasser –  wechselt die „Lake and River-church“. Dieses Bild von Phil Potter aus der anglikanischen Church of England beschreibt das ergänzenden Miteinander von Ortsgemeinden und bunten fresh expressions of church – in England als mixed economy bezeichnet. Die durch Lokalität, Stabilität und Zugänglichkeit charakterisierte Struktur der Ortsgemeinde wird durch die dynamischen, sich ihren Weg in kirchenfremde Milieus bahnende fresh expressions ergänzt, damit das lebensspende Element des Evangeliums seinen Weg auch in Gegenden jenseits der „Seeufer“ erreichen kann.14

Sich neu ins Bild zu setzen heißt aber nicht nur, sich einer veränderten Wirklichkeit zu stellen und sich von vertrauten Bildern zu verabschieden, sondern sich auf Gottes Zukunft einzustellen. Wenn Kirche das große, heilige Experiment Gottes ist, dann wartet in der Zukunft nicht nur ein Rückbau, den wir zu gestalten haben, sondern eine neue Ankunft Gottes, die wir erwarten dürfen. Diese Ankunft kann uns heute schon ins Bild setzen – mit Bildern der Sehnsucht und Erwartung, der Hoffnung und Zuversicht für das Volk Gottes und die ganze Familie Mensch. Diese Bilder müssen wir nicht selber malen, sie sind schon da, im großen Kaleidoskop der Bibel. Wir dürfen sie entdecken, miteinander teilen.15

Eine aktuelle Stellschraube für den Bilderwechsel in Kopf und Herzen ist das Verhältnis von Haupt- (und bei diesem Wort tritt oftmals als Bild sofort die Amtsträgerin und nicht der Diakon oder die Kirchenmusikerin vor Augen) und Ehrenamtlichen. Solange hier das verkirchlichte Bild von Hirt und Herde grundlegend bleibt, verfällt man der Differenzlogik. Dann sind Ehrenamtliche entweder die Mitarbeitenden des Pfarrers – oder dürfen keine Lückenbüßer sein. Ihnen muss man mit mehr Wertschätzung begegnen, sie müssen geschützt werden. In jedem Fall geraten sie nur als Objekte in den Blick, auf den sich die Hauptamtlichen handelnd zu beziehen haben. Und die Pastorenfraktion fürchtet bei der langsam, aber stetig wachsenden Übertragung von pastoralen Aufgaben an die „Laien“ um ihr Alleinstellungsmerkmal und ihre Identität, die sich im Gegenüber bzw. in der Abgrenzung bildet. Wie lässt sich diese Differenzlogik durchbrechen? Am besten im Rückgriff auf das ursprüngliche „Herden“-Bild aus der Bibel: die eine Herde des einen Hirten: Christus. Auch das Bild vom Volk Gottes betont zuerst das Wir, ebenso wie das Bild vom Leib und seinen unterschiedlichen Gliedern auf die eine Taufe und den einen Geist zurück weist. Kirche baut sich von der Taufe her auf – und von dort her entfaltet sich die Verschiedenheit von unterschiedlichen Aufgaben, Funktionen, sozialen und rechtlichen Formen. Das Miteinander unserer kirchlichen Berufsgruppen sowie von beruflich Tätigen und Ehrenamtliche braucht neue Bilder, die aus dieser Kraft des EINEN fließen, der in sich Gemeinschaft ist.16

Sich neu ins Bild zu setzen heißt aber nicht nur, sich einer veränderten Wirklichkeit zu stellen und sich von vertrauten Bildern zu verabschieden, sondern sich auf Gottes Zukunft einzustellen. Wenn Kirche das große, heilige Experiment Gottes ist, dann wartet in der Zukunft nicht nur ein Rückbau, den wir zu gestalten haben, sondern eine neue Ankunft Gottes, die wir erwarten dürfen.

Dass und wie man gemeinsam in einem Boot sitzt, zeigt nicht zuletzt das Bild der Kirche als Schiff:

„Die Kirche ist das Schifflein Petri auf großer Fahrt. Ohne eine Generalüberholung und ohne eine neue Crew wird es wie die Titanic untergehen. Welche Renovierungen nötig sind und welche Personalauswahl richtig ist, damit es nicht unter falscher Flagge segelt und mit seiner Fracht sicher den Bestimmungsort erreicht, ist die Masterfrage. Sie wird nur beantwortet werden können, wenn der Kleinglaube aller Kapitäne, Matrosen und Passagiere eingestanden wird – und nicht das Schiff das Wichtigste ist, sondern das weite Meer und alle Menschen, denen es offenstehen soll.“17

 

  1. Zum konstruktiven Aspekt der symbolischen Kommunikation vgl. Berger, P. L., Luckmann, T., Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt 1991, 56ff.
  2. Breitenbach, G., Gemeinde leiten. Eine praktisch-theologische Kybernetik, Stuttgart-Berlin-Köln 1994, 237.
  3. Vgl. Hüther, G., Die Macht der inneren Bilder, Göttingen 8. Aufl. 2014.
  4. Vgl. Kretschmar, T., Die Kraft der inneren Bilder nutzen,  München 2014.
  5. Vgl. Möslein, K., Bilder in Organisationen, Wiesbaden 2000 und Morgen, G., Bilder der Organisationen, Stuttgart 2008.
  6. Vgl. Grün, A., Die heilsame Kraft der inneren Bilder, Freiburg 2013.
  7. Kröber-Riel, W., Bildkommunikation, München 1996, S. 224.
  8. Im Text wechsele ich immer zwischen den Begriffen von Gemeinde und Kirche. Bereits im NT wird mit demselben Begriff sowohl die Gesamtkirche als auch die konkrete Kirche(ngemeinde) vor Ort gemeint sein kann. Aber so synonym verwende ich die Begriffe in meinem Beitrag nicht. Bei “Gemeinde” habe ich in der Regel die dominante Sozial- und Rechtsform der der Ortsgemeinde vor Augen. Mit Kirche meine ich in diesem Fall das ganze Ensemble von kirchlichen Gestalten und Ausdrucksformen, die auch bestimmte funktionale Arbeitsbereiche, geistliche Zentren, landeskirchliche Einrichtungen sowie größere Strukturen wie Regionen und Kirchenkreis sowie kirchenleitende Organe umfassen. Spannend ist auch hier die Nagelprobe mit dem Kirchenbild. Kann das paulinische Bild vom Leib Christi nur auf die Ortsgemeinde oder auch auf eine Region, einen Kirchenkreis und darüber hinaus beziehen?
  9. Vgl. hierzu Söding, T., Blick zurück nach vorn. Bilder lebendiger Gemeinden im Neuen Testament, Freiburg 1997 und Frische, H., Prophetische Bilder. Leitbilder der Gemeinde Jesu Christi, Neukirchen-Vluyn 2000.
  10. Sellmann, M., Glauben, oder: Vom Unterscheid zwischen Teebeuteln und Piranhas, in: P. Elhaus, C. Hennecke u.a., Kirche². Eine ökumenische Vision, Würzburg 2013, 105-114.
  11. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Kirche der Freiheit. Perspektiven für die Evangelische Kirche im 21. Jahrhundert. Ein Impulspapier des Rates der EKD, Hannover 2006.
  12. Schlegel, T., Alex, M. (Hrsg.), Leuchtfeuer oder Lichternetz. Missionarische Impulse für ländliche Räume, Neukirchen 2012.
  13. Hauschild, E., Pohl-Patalong, U., Kirche. Lehrbuch Praktische Theologie, Gütersloh 2013, 310f.
  14. Vgl. hierzu zur Darstellung und Diskussion dieser liquiden Kirchenbilder die ökumenischen Beiträge von Michael Herbst, Christian Hennecke und Matthias Sellmann im Themenheft „Fresh Expressions of church“. Lebendige Seelsorge 64, 1(2013), 2-24.
  15. Zulehner, P. M., Kirchenvisionen. Orientierung in Zeiten des Kirchenumbruchs, Düsseldorf 2012.
  16. Weiterführend auf diskursiver Ebene – also ohne Rückgriff auf die Bildebene – sind die Überlegungen von Hauschildt, E., Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt. Ehrenamtliche und Berufstätige, in: Pastoraltheologie 102 (2013), 388-407.
  17. Söding, T., Auf hoher See. Kirchenschiffe im Neuen Testament, in: P. Elhaus, C. Hennecke u.a., Kirche². Eine ökumenische Vision, Würzburg 2013, 281-300.

 

Literatur

  • Berger, P. L., Luckmann, T., Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt 1991.
  • Breitenbach, G., Gemeinde leiten. Eine praktisch-theologische Kybernetik, Stuttgart-Berlin-Köln 1994.
  • Frische, H., Prophetische Bilder. Leitbilder der Gemeinde Jesu Christi, Neukirchen-Vluyn 2000.
  • Grün, A., Die heilsame Kraft der inneren Bilder, Freiburg 2013.
  • Hauschildt, E., Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt. Ehrenamtliche und Berufstätige, in: Pastoraltheologie 102 (2013), 388-407.
  • Hauschild, E., Pohl-Patalong, U., Kirche. Lehrbuch Praktische Theologie, Gütersloh 2013.
  • Hüther, G., Die Macht der inneren Bilder, Göttingen 8. Aufl. 2014.
  • Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Kirche der Freiheit. Perspektiven für die Evangelische Kirche im 21. Jahrhundert. Ein Impulspapier des Rates der EKD, Hannover 2006.
  • Kretschmar, T., Die Kraft der inneren Bilder nutzen,  München 2014.
  • Kröber-Riel, W., Bildkommunikation, München 1996.
  • Morgen, G., Bilder der Organisationen, Stuttgart 2008.
  • Möslein, K., Bilder in Organisationen, Wiesbaden 2000.
  • Schlegel, T., Alex, M. (Hrsg.), Leuchtfeuer und Lichternetz. Missionarische Impulse für ländliche Räume, Neukirchen 2012.
  • Sellmann, M., Glauben, oder: Vom Unterschied zwischen Teebeuteln und Piranhas, in: P. Elhaus, C. Hennecke u.a., Kirche². Eine ökumenische Vision, Würzburg 2013, 105-114.
  • Söding, T., Auf hoher See. Kirchenschiffe im Neuen Testament, in: P. Elhaus, C. Hennecke, u.a., Kirche². Eine ökumenische Vision, Würzburg 2013, 281-300.
  • Söding, T., Blick zurück nach vorn. Bilder lebendiger Gemeinden im Neuen Testament, Freiburg 1997.
  • Themenheft „Fresh Expressions of church”, Lebendige Seelsorge 64, 1(2013).
  • Zulehner, P. M., Kirchenvisionen. Orientierung in Zeiten des Kirchenumbruchs, Düsseldorf 2012.

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