022021

Foto: Murat Bengisu/Unsplash

Statements

Wolfgang Schmitz

Zwischen Hoffen und Bangen

Download | Sprecher: Uli Keip

Ein Spaziergang im Kölner Königsforst, noch nicht lange her. Mir kommt eine junge Mutter mit Kinderwagen entgegen. Ich möchte das Baby sehen, beuge mich vor und ernte lautes Geschrei und bittere Tränen. Ich zucke zurück mit schlechtem Gewissen. Sowas ist mir noch nie passiert. „Sie haben keine Maske an“, erklärt mir die Mutter, „normale Gesichter kennt die Kleine nicht und hat sich deshalb so erschreckt“.

Ein kleiner Anfang wäre es, wenn Kinderrechte endlich in vollem Umfang Platz im Grundgesetz fänden

Diese Szene verfolgt mich durch den Tag. Einmal mehr wird mir klar, welche Schäden und Verwüstungen die Corona-Monate insbesondere bei den Nachwachsenden angerichtet haben. Spielplätze gesperrt, KiTas zu, wochenlang keine Freunde und Freundinnen gesehen, Chaos im Schulbetrieb, überforderte ErzieherInnen und LehrerInnen, Eltern verzweifelt. Was ist das für ein Alltag, dessen Regeln so viel NEIN und kaum JA mit sich bringen?

Das hat Folgen, da helfen keine Überbrückungskredite oder ein paar Tage zusätzliche Elternzeit. Wie lange wird es dauern, bis die Kleine im Kinderwagen wieder Speck an der Seele hat, bis Eltern ohne Verbotsschilder im Kopf rumlaufen können, bis all das nachgelernt ist, was Corona hat ausfallen lassen? Zwischen Hoffen und Bangen? Was die Erwachsenen von morgen und übermorgen betrifft: Im Moment ganz viel Bangen. Skepsis, ob und wie hilfreiche Unterstützung bei der Aufarbeitung der Pandemie-Schäden bei den Familien ankommt. Konjunktur ankurbeln, Arbeitsplätze sichern, Rohstoffe beschaffen: wie das gehen könnte, dafür gibts Rezepte. Aber Kinder stark machen? Hat das unsere Gesellschaft, hat das die Politik wirklich im Blick? Ein kleiner Anfang wäre es, wenn Kinderrechte endlich in vollem Umfang Platz im Grundgesetz fänden. Ob man da auf die neue Regierung, das neue Parlament hoffen darf?

Liebe und dann tu, was Du willst

Und noch ein Spaziergang, täglich nötig, um dem kleinen Hund angemessene Bewegung bieten zu können. Einmal um die Kirche. Und manchmal dann auch mit einem Blick in die Kirche des katholisch geprägten Vororts von Köln. Das ist auch einem gerade Ausgetretenen wie mir erlaubt, denke ich. Also wie immer Kerze anzünden, das gehört für mich seit Kinderzeiten zum festen Ritual. Ein paar Sekunden wünschen, bangen und hoffen für die Menschen, die mir wichtig sind. Und dann: Ein Blick ins, ja wirklich, so gut wie leere Gotteshaus. Und das am Sonntagmorgen – ohne Maskenpflicht. Corona? Ja, sicher haben einige Ältere Sorge und vertrauen sich lieber dem Radio-Gottesdienst an. Allerdings: Junge sehe ich schon garnicht.

Klar, die Gottesdienste leiden schon lange unter Besucherschwund. Aber da ist mehr, wie ich in Gesprächen vor der Kirche erfahre. Und da fällt auch schon der Name, dessentwegen ich mit vielen anderen gegangen bin: Woelki. So viel Ignoranz, so viel Mitleidlosigkeit, so wenig Barmherzigkeit und Reue. Ob der Mann schon mal zur Beichte geht? Und von wem Absolution bekommt?

Hoffen, dass der Platz frei wird für einen Neuanfang, für eine Gemeinschaft, deren Mitglieder … auf Augenhöhe eine Kirche der Nächstenliebe und der Toleranz zu ihrer Sache machen

„Liebe und dann tu, was Du willst“ – dieses Wort von Augustinus war der leitende Glaubenssatz meiner Mutter. Eine alltagstaugliche Empfehlung, die mir in meinem Leben oft weiter geholfen hat. Wer darf sich von diesem Kardinal geliebt fühlen, der sich ganz offensichtlich über die Gemeinschaft der Gläubigen gestellt hat. Und damit steht er außerhalb, gestützt nur noch von alten Männern in Rom.

Hoffen und Bangen: Bangen, dass der Kardinal demnächst nach seiner „Auszeit“ mit einem fröhlichen Alaaf zurückkommt und so lange in seinem Amt durchhält, bis aus der Gemeinde eine Sekte wird. Hoffen, dass der Platz frei wird für einen Neuanfang, für eine Gemeinschaft, deren Mitglieder, ob Frau, ob Mann, ob divers, ob geweiht oder nicht, auf Augenhöhe eine Kirche der Nächstenliebe und der Toleranz zu ihrer Sache machen. Und so Vorbild werden können für eine Gesellschaft, die immer mehr ihren Zusammenhalt verliert.

Wie viele Spaziergänge wird es wohl noch brauchen, um da anzukommen?

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