022021

Foto: Elena Joland/Unsplash

Statements

Clemens Gruenebach

Eingeklemmt zwischen Hoffen und Bangen

Ignatianischer Zwischenruf zu einem unchristlichen Zustand

Vielerorts ist im Raum der römisch-katholischen Kirche eine Lähmung zu beobachten, die vielfältige Ursachen hat. Insbesondere in der bunten Gruppe derer, die seit Langem für dringend angesagte Veränderungen in der Kirche plädieren und sich dafür einsetzen sind der Frust und die daraus resultierende Antriebslosigkeit groß.

Dabei unterscheiden sich die Symptome kaum, gleich ob man sie im Kontext des Synodalen Weges auf Ebene der Bischofskonferenz oder lokal bei den diversen Veränderungsprozessen der Diözesen diagnostiziert. Frustauslösend sind dabei u.a. die diversen Interventionen aus der römischen Zentrale, wie die “Instruktion zur pastoralen Umkehr der Pfarrei”, das Segnungsverbot gleichgeschlechtlicher Beziehungen, die päpstlichen Entscheidungen hinsichtlicher diverser Bischofsrücktritte oder der  massive Eingriff in die Umsetzung der Trierer Diözesansynode. Auch Äußerungen von deutschen Bischöfen, die mit dem Verweis auf das kirchliche Lehramt deutlich rote Linien für Moral und Theologie markieren, sind Dämpfer für diverse Aufbruchbewegungen oder Hoffnungen auf Veränderungen. Nicht zuletzt trägt insbesondere die zähe nicht unabhängige Aufarbeitung der diversen Missbrauchskandale und die mangelnde institutionellen Übernahme von Verantwortung zum trostlosen Gesamtbild maßgeblich bei.

Trostlosigkeit und Lähmung sind für Ignatius von Loyola deutliche Anzeichen dafür, dass der Geist Gottes nicht am Werk ist

Dass in diesem Setting die gute, professionelle und notwendige Arbeit von Seelsorgerinnen und Seelsorgern wie zuletzt bei der Koordinierung der dringend benötigten (Notfall)-Seelsorge in den Flutkatastrophengebieten wenig öffentliche Sichtbarkeit erhalten, verstärkt den Eindruck der Trostlosigkeit.

Trostlosigkeit und Lähmung sind für Ignatius von Loyola deutliche Anzeichen dafür, dass der Geist Gottes nicht am Werk ist. In seinen geistlichen Übungen1 (Nr. 317) bezeichnet er mit Trostlosigkeit “Dunkelheit der Seele, (…) Unruhe von verschiedenen Bewegungen und Versuchungen, die zu Unglauben bewegen, ohne Hoffnung, ohne Liebe, wobei sich die Seele ganz träge, lau, traurig und wie von ihrem Schöpfer und Herrn getrennt findet.“

Trost hingegen ist für Ignatius das Kennzeichen dafür, dass Gott am Werk ist und nicht sein Widersacher. Dabei soll man sich nicht täuschen lassen und über einen längeren Zeitraum anschauen, in welche Richtung man wirklich geführt wird: „Wir müssen sehr die Folge der Gedanken beachten. Und wenn der Anfang, die Mitte und das Ende alles gut ist, dann ist dies ein Kennzeichen des guten Engels.” (EB 333) Der biblische Verweis dieser Einsicht ist bei Matthäus 7,16 zu finden, wenn der Evangelist weiß, dass man an den Früchten erkennen kann, was gut und böse ist.

Wenn nun jährlich hunderttausende Menschen aus den beiden großen Kirchen austreten, wenn vielerorts Religionslehrerinnen und -lehrer ihre Missio zurückgeben, wenn die Zahl der Studierenden an den Theologischen Fakultäten dramatisch abnimmt, dann mag der geneigte Leser und die geneigte Leserin selbst beurteilen, ob diese Art von Früchten auf gutem oder schlechtem Boden wachsen.

Matthäus 7,16: Der Evangelist weiß, dass man an den Früchten erkennen kann, was gut und böse ist

Da die Wahrnehmung dieser Entwicklungen oft gepaart ist, mit einer strukturellen Unfähigkeit und Unmöglichkeit, diesen Zustand zu verändern, bleibt nichts als gelähmtes Abwarten. Umgangssprachlich nennt man diese Art der Ungewissheit, ob etwas gut oder schlecht ausgeht, einen Zustand “zwischen Hoffen und Bangen”. Menschlich ist diese Haltung sehr nachvollziehbar; alleine, es ist keine christliche Haltung, denn sie führt eben nicht aus der Trostlosigkeit heraus, sondern verfestigt die Trostlosigkeit und trägt ungewollt aber durchaus wirksam dazu bei, dass sich kaum eine geistgewirkte Dynamik von Veränderung und Aggiornamento entwickeln kann. Zwischen Hoffen und Bangen darf kein Dauerzustand für Christen sein, wenn dieser ein Hoffen auf Veränderung und ein Bangen davor ist, dass sich letztendlich doch nichts tut.

Was also tun?

Ignatius und die jesuitische Tradition empfehlen im Sinne von 1 Joh 3,18 ”Meine Kinder, wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit”, mehr Gewicht auf die Tat als auf das Wort zu legen, um den Seelen zu helfen.

Im großen Schatten der reinen kirchlichen Lehre finden sich in den bunten Tiefen des echten Lebens genügend Gelegenheiten das, was ich vom Evangelium verstanden habe, auch zu tun. Hierbei geht es nicht um einen Aktionismus sondern um ein Handeln, dass sich aus der tiefgläubigen Gewissheit speist, dass Gott auch heute am Werk ist und mich braucht um Heil zu wirken. Dass dabei u.U. die Kluft zwischen kirchenamtlichen Äußerungen sowie kirchenoffziellen Handeln auf der einen Seite und der gelebten Praxis von Christinnen und Christen größer wird, ist nach m.E. um des Evangeliums Willen in Kauf zu nehmen. Denn wir haben bei den meisten lähmenden Themen kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Anerkennungs- und Umsetzungsdefizit.

Man muss sich nicht beim Papst oder Bischof absichern, um …

Man muss sich nicht beim Papst oder Bischof absichern, um Menschen zu segnen, die sich lieben, um Frauen und Männer gleich zu berechtigen,  um klerikale männerbündische Attitüden abzulegen, um immer noch existierende kirchliche Privilegien nicht in Anspruch zu nehmen, um Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, aber deren Taufe ja nicht ungültig geworden ist,  zu fragen, wie man Ihnen helfen kann, ihren Glauben zu leben oder die kirchliche Blase zu verlassen und auf andere Menschen zuzugehen und mit diesen zu kooperieren.

Den in der Pastoral Tätigen in der deutschen Kirche wird oft kritisch vorgeworfen, “ihr Ding” zu machen. Wenn damit gemeint ist, einem in der Kirchenblase abgeschlossenen Milieukatholizismus zu huldigen, kann ich dem nur zustimmen. Wenn damit aber diskreditiert wird, dass das Agieren von Männern und Frauen, die ihr Christsein ernst nehmen indem sie an der Front gesellschaftlicher Entwicklungen und dort wo die Würde des Menschen bedroht ist, kooperative Projekte aus dem Geist des Evangeliums initiieren, dann ist dem zu erwidern, dass es vielerorts schon lange kein lebendiges kirchliches Tun mehr gäbe, wenn nicht Männer und Frauen ihr Christsein ins 21. Jahrhundert übersetzt hätten und einfach gehandelt hätten auch und manchmal auch besser auf den Nebengleisen offizieller Kirchenstrukturen.

Um in den aktuellen Krisenzeiten nicht an der Kirche zu verzweifeln, muss ich meine direkten und indirekten Gestaltungsmöglichkeiten erkennen, erweitern und nutzen.

Um in den aktuellen Krisenzeiten nicht an der Kirche zu verzweifeln, muss ich meine direkten und indirekten Gestaltungsmöglichkeiten erkennen, erweitern und nutzen

Als begeisterter Fitnesssportler kenne ich den Spruch, der in vielen Studios hängt “Könnte – Sollte – Hätte – WürdeMüsste – Machen”. Diesen Spruch empfehle ich allen, die sich gelähmt fühlen. Wir müssen den Wirkungskreis (Circle of influence) ausnutzen und weiten, den jeder und jede hat und den der Geist jedem und jeder Getauften eröffnet. Er ist meist größer als gedacht und führt aus der trostlosen Lähmung in ein Christsein, das Sinn stiftet und sogar Spaß machen kann; wetten?

  1. Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen, Übertragung und Erklärung von Adolf Haas, Freiburg5 1981, S. 105

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