„Was braucht meine Seele, damit sie Veränderungen mittragen kann“
Vom professionellen Umgang mit Transformationsprozessen
In einer Welt mit permanenter Veränderung ist professioneller Umgang mit Veränderung gefragt. Es gilt die in der Veränderung liegenden Chancen zu sehen und zu nutzen – als Organisation ebenso wie als Person: „Wie gehe ich mit Veränderungen um, die ich mir nicht ausgesucht habe, so dass es mir und meiner Umwelt gut geht?“ Kirche ist mehr als eine Organisation. Aber sie trägt auch Züge einer Organisation wie es Verwaltungen und Unternehmen sind. Daher lohnt es sich, einen Blick auf die in der Organisationslehre entwickelten Techniken zum Umgang mit Veränderungssituationen zu werfen.
Veränderungen – allgegenwärtig und Chance für Weiterentwicklung
Die Welt ändert sich permanent und schon immer. Vielleicht heute mehr denn je, zumindest bewusster? Die individuelle Alltagsgestaltung ebenso wie berufliche Rahmenbedingungen. Kommunikationsmittel und damit auch die Art und Weise, wie wir leben und arbeiten. Das ist nicht notwendigerweise negativ: Ohne Wandel keine Weiterentwicklung – weder in der Entwicklung der Menschheit noch im Weg Gottes mit seinem Volk. Beschreibt nicht Teilhard de Chardins Punkt Omega das Ziel der Schöpfung? Wo Bewegung ist, da kann sich was bewegen. Dennoch: Stehen in Verwaltungsbereichen oder Pfarrgemeinden, in Altenheimen oder Kindergärten Veränderungen an, zeigt sich oft Widerstand. Die Verantwortlichen für Prozesse oder Arbeitsteams sehen sich nun in der Zwickmühle zwischen Vorgaben von oben, den eigenen Zweifeln und dem Widerstand von unten. Oft passiert dann einfach nichts.
Das ist fatal. Denn heute geht es nicht mehr darum, mit der anstehenden Veränderung umzugehen und sich dann zufrieden in der neuen Struktur einzurichten. Die nächste Veränderung steht schon bevor! Heute geht es darum, das stetige Verändern der Rahmen- und Arbeitsbedingungen zu gestalten, und dabei die Chance zu nutzten, in der Bewegung alles Handeln auf ein Ziel hin zu orientieren, den Wandel gestalten – in neudeutsch „managen“. Und zwar so, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Führungskräfte und Mitglieder bzw. Kunden sich nicht demotiviert zurückziehen, sondern vielmehr ihre Chancen in den Veränderungen sehen und wahrnehmen. Die Erfahrung aus unterschiedlichen Beratungsprojekten zeigt, dass dies möglich ist.
Je mehr wir in einer Welt leben, die von stetiger Veränderung geprägt ist, um so wichtiger wird die Fähigkeit mit Veränderungen konstruktiv umzugehen. Es ist eine der wertvollsten Fähigkeiten, die es zu erlangen und stetig zu verbessern gilt. Dies gilt sowohl von den heute und hier wirkenden Organisationen als auch von mir selber als Person.
Veränderungsbereitschaft von Organisationen fördern
Jede Organisation sieht sich den gesellschaftlichen Entwicklungen ausgesetzt. Sie muss mit diesen konstruktiv umgehen, da sie zu einem bestimmten Zweck gegründet wurde, der verfolgt werden muss. Vor dieser Herausforderungen stehen heute alle Organisationen: der Verlag Herder ebenso wie die Bäckerei in der Straße, die Universität ebenso wie Gemeinde-Verwaltungen, die politische Partei ebenso wie der Fußballverein im Ort.
Auch wenn katholische Diözesen ebenso wie evangelische Landeskirchen im gläubigen Verständnis mehr sind als von Menschen geschaffene Organisationen, so haben im Laufe ihrer Geschichte Strukturen entwickelt und Verwaltungen gebildet. Und weil Kirche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat, durch diese nach innen und nach außen wirkt, weil sie Strukturen und Arbeitprozesse aufweist, weil sie Aufgaben wahrnimmt und Ziele verfolgt, ist sie auch Organisation. Daher kann und muss sie ihre Verantwortung als Organisation wahrnehmen: Den Weg in die Zukunft gehen und dabei mit den Erwartungen und den Ängsten der Mitglieder verantwortungsbewusst umgehen. Als Organisation gelten für Kirche die gleichen Regeln wie für andere Organisationen. Strukturen, Kultur und Prozesse können daher auch mit Methoden und Instrumenten der allgemeinen Organisationsentwicklung für die Beteiligten, die Mitarbeiter/innen und Anhänger zum Positiven hin gestaltet werden.
Das Gute ist: Mit diesen Reaktionen kann professionell umgegangen werden! Wie kann das gelingen? Zwei Aspekte sind hervorzuheben:
Eine Stabilität in Themen, Räumen und Arbeitszusammenhängen geht oft genug mit einer geistigen Unflexibilität von Beschäftigten einher. Dies aufzubrechen war Ziel einer Abteilung eines größeren Unternehmens. Daraufhin wurde regelmäßig die Zuordnung der Beschäftigten zu Teams und Räumen verändert. Ist der Sinn nachvollziehbar, weil z. B. das Projekt es bedarf, werden solche Maßnahmen akzeptiert. Nebenbei verhindert es die Entwicklung von Besitzstandsdenken: „My desk is my castle.“
Die Erfahrung „Veränderungen sind normal und fordern uns“ wird durch projekthaftes Arbeiten eingeübt. Wechselnde Aufgaben und Arbeitsteams fördern darüber hinaus die Qualifizierung der Beschäftigten. Wichtig ist dabei, dass Projekte auch Erfolg zeigen bzw. für die Beteiligten die Teilerfolge sichtbar werden. Das Bewusstsein, etwas geleistet zu haben und den eigenen Kompetenzzuwachs anerkannt zu sehen, motiviert.
Wo Menschen neue Dinge tun und lernen, passieren Fehler. Zumindest werden nicht immer die bestmöglichen Entscheidungen getroffen. Daher muss „Lernen aus Fehlern“ möglich sein, um die neuen Arbeitsmethoden, Themen und Situationen positiv wahrzunehmen. Die Konsequenzen der getroffenen Entscheidungen müssen selbstverständlich getragen werden, die Entscheidungsbereitschaft jedoch wertschätzend honoriert.
Hinter den abwehrenden Reaktionen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können verschiedene Gründe liegen. Angst und Sorgen z. B. um die existenzielle Zukunft oder auch nur Unsicherheit oder Bequemlichkeit. Das Gefühl des Ausgeliefertseins bei oder auch tatsächlich fehlende Überzeugung über Sinn und Ziele der Veränderung. Solche Reaktionen wirken sich oft negativ auf das Arbeitsklima, die Motivation oder auch auf die Gesundheit der Personen aus.
Ergänzend zu einer unterstützenden Unternehmenskultur spielt die erlebte direkte Führung eine entscheidenden Rolle in der Stärkung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Meist sind Führungskräfte damit beauftragt, die gewünschte Veränderung umzusetzen. Dabei sollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „mitgenommen“ werden. Das ist nicht trivial. So etwas gut zu meistern ist in den seltensten Fällen angeboren.
Um die belastenden Situation in Veränderungszeiten positiv zu gestalten, brauchen Menschen Reflektion und manchmal Unterstützung. Es gilt zu überlegen, ob dem Widerstand mangelndes Wollen, Wissen oder Können zugrunde liegt.
Manchmal finden sich konkrete Unterstützungsmöglichkeiten wie zusätzliche Information, Aufbau von Qualifikation oder eine Entlastung hinsichtlich Zeithorizont oder Ressourcen. Manche Mitarbeiter brauchen das Gefühl der Sicherheit durch persönliche Bestätigung. Oft hilft es motivations-bedingte Widerstände dadurch zu begegnen, dass die Beteiligten in die Gestaltung des Veränderungsprozesses einbezogen werden. Durch größere Transparenz und das Einbezogen-sein in den Prozessen werden aus ‚Betroffenen’ ‚Beteiligte’. Eine „wertschätzende und unterstützende Führung“ sowie eine „Unternehmenskultur der Veränderungsbereitschaft“ müssen Hand in Hand gehen.
Meine eigene Veränderungsbereitschaft stärken
Wichtig für die meisten Menschen sind Sicherheit und Stabilität. Um so mehr ist es Aufgabe, den eigenen Umgang mit stetiger Veränderung zu reflektieren und die eigene Veränderungsbereitschaft zu stärken. In dieser Reflektion kann es notwendig sein, nach Unterstützung zu fragen. In der unsicheren Zeit der Veränderung ist es wichtig für sich herauszufinden, was das Gute an der momentanen Situation ist. Wichtig ist nach Zielen und Lösungen zu schauen, statt das Problem der Veränderungssituation immer wieder neu zu thematisieren. Die Blickrichtung ist die Zukunft!
- Was genau will ich?
- Wann, wo und mit wem will ich das Ziel erreichen?
- Was tut es Gutes für mich diese Ziel zu erreichen?
- Welchen ersten Schritt tue ich?
- Dies stärkt Motivation, Handlungs- und Leistungsfähigkeit.
Hilfreich für die persönliche Auseinandersetzung mit der Veränderungssituation kann es auch sein, sie mit „den Augen des Glaubens“ zu sehen. Erfahrungen im Umgang mit zum Teil massiven Veränderungssituationen und Situationen großer Unsicherheit finden sich in der Geschichte Gottes mit seinem Volk. So ungern wir selber uns aufgetragene Veränderungen annehmen wollen, so sehr müssen wir anerkennen, dass die Geschichten im Buch der Bücher überwiegend von Menschen berichten, die der Auftrag Gottes losgeschickt hat. Es lohnt sich, die Geschichten unter dem Blickwinkel zu lesen, wie die Gestalten der Bibel mit Veränderung umgegangen sind, die sie oft genug nicht wollten. Jona flieht, Elia weigert sich weiterzugehen. Jesus selbst sagt von sich, dass der Menschensohn kein Kissen unter dem Kopf habe. Und erst im Einlassen auf den Auftrag Gottes sind sie bei sich angekommen.
Uns Christenmenschen ist nicht ein „ruhiges Haus auf Erden“ versprochen, sondern der Auftrag gegeben, für das Reich Gottes zu wirken. Dies kann helfen, den eigenen Anspruch auf Sicherheit etwas zu relativieren. Natürlich geht es anderen besser. Vielen anderen aber auch schlechter. Sich bewusst zu machen, dass auch heute unser Leben in der Hand eines anderen liegt, kann entlasten.
Als Organisation ist Kirche doch etwas Besonderes. Zweck und Auftrag sind religiös begründet und werden ihr von außen gegeben. Darin liegt Potenzial für eine besondere „Gestaltung“ der Kultur des Umgangs miteinander – aber auch die große Gefahr, dass hier unterschiedliches Verständnis über Auftrag und Umsetzung sowie enttäuschte Erwartungen viel kaputt machen. Die oftmals geforderte Kultur der Wertschätzung muss dabei unabhängig von Religion begründet werden. Als in der Pastoral Tätigen kann mich das ermutigen, gemeinsam mit ehrenamtlichen Gruppen oder in Gemeinden mit der Veränderung auch spirituell umzugehen und den Aufbruch als Chance zu begreifen. Als Führungskraft mit disziplinarischem Verhältnis zu Mitarbeitern wird dies eher die Ausnahme als die Regel sein können.
Geschichten aus den Testamenten können helfen, Menschen, die durch eine Veränderungsprozess begleitet werden müssen, zu unterstützen. Im Buch Nehemia findet sich die Geschichte eines konkreten „Chance-Prozesses“: Hier beschreibt der Erzähler, Nehemia selber, wie er es konkret anpackte, das zerstörte Jerusalem wieder aufzubauen.
Ein weiteres Bild, das helfen kann, ist das Bild des wandernden Volkes Gottes, das unter Führung und Begleitung Gottes seinen Weg durch die Wüste in das verheißene Land findet. Kirche und oder Gemeinde dabei als Volk Gottes auf dem Weg in die Zukunft zu begreifen, bietet vielfältige Gesprächsanlässe, um den eigenen Veränderungsprozess zu reflektieren. Auch die Geschichte der frühen Christen zeigt, wie z. B. der Umgang mit den Heidenchristen die jüdischen-stämmigen Glaubensbrüder und -schwestern Auseinandersetzung gekostet hat.
Um so handeln zu können, braucht es als Führungsperson einen Lernraum und ein entsprechendes Umfeld und Kultur. Jede persönliche spirituelle Auseinandersetzung kann Qualifizierung von Führungskräften und Leitungspersonen im Umgang mit Veränderung nicht ersetzen. Hierzu zu ermuntern und Hilfestellungen zu geben ist wiederum organisatorische Aufgabe der Institution – auch der Kirche.
Fazit: Der Umgang mit Veränderung ist nicht leicht, aber gestaltbar!
Zu Beginn wurde die Herausforderung benannt, Veränderungsprozesse so zu gestalten, dass die Beteiligten sich nicht demotiviert zurückziehen, sondern ihre Chancen wahrnehmen. Dies ist möglich. Aufgrund vielfältiger Erfahrungen sind folgende Voraussetzungen maßgeblich: Ein Motor, der den Prozess treibt, und Beteiligung der Betroffenen, Transparenz und ehrliche Kommunikation, Klarheit der Gestaltungsspielräume, Offenheit für ungewohnte Wege und eine Emotionalisierung des Prozesses, was heißt Zulassen des Schmerzes über den mit dem Wandel einhergehenden Verlusten und Einlassen auf zunächst fremd anmutende Ergebnisse.