„An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“ (Mt 7,16)
Oder: Die Wirkungskette als Instrument der Strategieentwicklung im kirchlichen Kontext
Der Vorstand einer Kirchlichen Hospizgesellschaft fragt nach einer Beratung. Nach vielen Jahren des Engagements und der guten Atmosphäre innerhalb des „Familienbetriebs“ haben sich einige grundlegende Parameter verändert und das bisherige Gleichgewicht außer tritt gebracht. Der ehrenamtliche Vorstand ist zum Arbeitgeber geworden, der sich um die wirtschaftliche Absicherung der Unternehmung sorgen muss. Durch den Einbezug in ein staatlich gefördertes Palliativ-System müssen neue Routinen von Abrechnung und Qualitätssicherung eingeführt werden. Die Gründungsmitglieder haben die Verantwortung an eine zweite und dritte Generation weitergegeben, sind aber im Hintergrund mit ihren Erinnerungen, wie es im Anfang der Hospizgesellschaft war, immer noch kritisch präsent. Die hoch qualifizierten hauptberuflichen Palliativ-Fachkräfte fordern den Vorstand heraus, seine Führungsaufgabe professionell wahrzunehmen. Viele gesellschaftliche Gruppen wollen Informationen zur Hospizbewegung. Für die nächsten Wahlen zum Vorstand sind noch keine Kandidatinnen und Kandidaten absehbar.
In dieser „Gemenge-Lage“ bietet das Beraterteam eine Strategieberatung an, mit deren Hilfe Lösungen für die anstehenden Fragen entwickelt werden sollen.
Viele dieser Fragen sind in unterschiedlichen Färbungen kirchlichen Systemen sehr vertraut. Welchen Beitrag kann die eine an dem Typus der wirkungsorientierten Organisation entwickelte Strategieberatung dazu liefern?1
I.
Alle Organisationen – so die Ausgangshypothese für diese Überlegungen – lassen sich im Kern nach der Art und Logik ihrer Leistungserbringung differenzieren. Diese grundlegende Unterscheidung hat eine enorme Reichweite für das Selbstverständnis einer Organisation und auf die sich daraus ergebenden Interventionen und Handlungen im Sinne ihrer strategischen Ausrichtung. Wie für alle Typisierungen ist allerdings auch damit zu rechnen, dass es Abweichungen von den Idealbeschreibungen gibt und sich zudem auch Mischformen ausbilden können.2
Profitorientierte Organisationen sehen sich in einem ständigen Wettbewerb mit anderen Anbietern, in dem es darum geht, die Relation von Angebot und Nachfrage so zu steuern, dass durch eine Optimierung des Mitteleinsatzes die Erträge erhöht und die shareholder in ihren Interessen befriedigt werden. Alle strategischen Maßnahmen sind diesen Zielen zuzuordnen und haben im weiteren Sinn das eigene Überleben und Wachsen im Blick.
Versorgungsorientierte Organisationen stehen in einem mehr oder minder stark reglementierten Wettbewerb untereinander. Sie dienen der (flächendeckenden) Versorgung mit notwendigen Dienstleistungen und Produkten (etwa mit Energie oder ärztlichen Leistungen). Die Reglementierung ist in normalerweise durch staatliches Handeln begründet. Strategisches Handeln hat vor allem die Optimierung der Versorgungsleistung und die Beeinflussung der Wettbewerbsbedingungen zum eigenen Nutzen als Ziel.
Wirkungsorientierte Organisationen haben davon unterschiedene Bedingungen für ihr Handeln. Die finanziellen Mittel werden hier nicht erwirtschaftet und vermehrt, sondern sie sind die Einnahmen durch Mitgliedsbeiträge, Zuwendungen oder durch den Zufluss aus Drittmitteln. Die Organisation ist in besonderer Weise treuhänderisch den Mittelgebern verpflichtet, die die zur Verfügung gestellten Finanzen effizient eingesetzt wissen wollen im Sinne derer, die die Geldmittel übergeben haben. Mit den Mitteln gilt es die optimalen Wirkungen zu erzielen und den Nutzen der von den Mitteln profitierenden zu erhöhen. Strategisches Handeln bedeutet hier, Maßnahmen zu definieren, die den Nutzen stärken und ihn messbar vergrößern können, und durch diese Maßnahmen eine den Zielen der Unternehmung adäquate Positionierung zu erreichen.
Diese Differenzierung vorausgesetzt, ergeben sich auf die Kirchen interessante Beobachtungsperspektiven. An konkreten strategischen Handlungen (wobei hier noch nicht unterschieden wird, ob diese geplant ausgeführt oder implizit „errechenbar“ sind) lässt sich ablesen, welcher Organisationsform gerade der Vorzug gegeben wird. So wird etwa eine „Reduktion auf das Kerngeschäft“ eher der profitorientierten oder der versorgungsorientierten Organisation zuzurechnen sein. Die Ausrichtung neuer pastoraler Räume an der Anzahl der zur Verfügung stehenden priesterlichen Leitungspersonen ist deutlich der versorgungsorientierten Organisation geschuldet.3
II.
Die These dieses Artikels ist, dass im Kern die Kirchen jedoch wirkungsorientierte Organisationen sind4 und deshalb für ihre strategische Ausrichtung erst noch die richtigen Fragestellungen und Beobachtungsparameter zu generieren sind.
Die Wirkungsorientierung und die dazu gehörenden Instrumente selbst sind eine in der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ, früher GTZ) entwickeltes Modell, das – angetrieben durch die Verknappung der einsetzbaren Personen- und Geldressourcen in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit und der Notwendigkeit der evaluierbaren Transparenz des Mitteleinsatzes – nicht mehr auf die Mittel selbst rekrutiert („Was kann man mit den Personen oder dem Geld anfangen?“), sondern diese in Relation setzt zu den angezielten Wirkungen der Mittel im Feld („Welche Wirkungen möchten wir erreichen und wie müssen dazu Personen und Geld eingesetzt werden?“).5
Das setzt voraus, dass diese erwünschten Wirkungen und der Grad ihrer Erreichung definiert sind und in ihrem Fortschritt beobachtet werden können.
III.
Eine Wirkungsorientierung muss den Kirchen nicht fremd sein. Im 7. Kapitel des Matthäus-Evangeliums etwa ist zu lesen:
15Hütet euch vor den falschen Propheten; sie kommen zu euch wie (harmlose) Schafe, in Wirklichkeit aber sind sie reißende Wölfe. 16 An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Erntet man etwa von Dornen Trauben oder von Disteln Feigen? 17Jeder gute Baum bringt gute Früchte hervor, ein schlechter Baum aber schlechte. 18Ein guter Baum kann keine schlechten Früchte hervorbringen und ein schlechter Baum keine guten. 19Jeder Baum, der keine guten Früchte hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen. 20An ihren Früchten also werdet ihr sie erkennen.
Der Text spricht davon, dass oft nicht von dem mehr oder weniger guten Willen dessen, der etwas in ein System hinein gibt, entscheidbar ist, ob dieser Einsatz auch zu einem guten Ziel gelangt. Vielmehr wird man am Ergebnis, an den Wirkungen ablesen können, ob der Mitteleinsatz zielgerichtet war. Einen wichtigen zweiten Korridor wird in diesem Text zugleich eröffnet: ebenso grundlegend wie der Blick auf die Wirkungen, ist die ethische Komponente. Auch wer perfide Ziele verfolgt, wird Wirkungen hervorrufen. Allerdings sind diese dem Verursacher zuzurechnen und sie werden in ihrer Verwerflichkeit entlarvt. Die Ziele müssen also transparent sein, damit sie überprüft werden können. Es geht also um ein Zueinander von der Gesinnung des Handelnden („falsche Propheten“), „ethisch sauberen“ Zielen (damit sie „reißende Wölfe“ sind) und der lebensförderlichen Wirkungen („gute Früchte“) der Interventionen. Erst in dieser Konstellation der Elemente ist die Chance, dass der gute Baum auch gute Früchte hervorbringen kann, gegeben.
Der Bibeltext rechnet damit, dass der Zusammenhang von Handeln und Wirkung nicht erst eschatologisch zu bestimmen, sondern in der konkreten Gemeindesituation, die Mt im Blick hat, schon jetzt erlebbar ist. Die Reich-Gottes-Perspektive ist also im Hier-und-Jetzt relevant und wirksam.6 Ansonsten wäre die Falschheit der Propheten erst dann zu entlarven, wenn ihr Wirken in Gänze offenbar wäre.
IV.
Historisch gesehen haben sich die Kirchen zu allen Zeiten in Bezug zu ihren relevanten Umwelten positioniert. Immer hat eine geschichtlich gewachsene Situation die Kirchen herausgefordert, sich dazu zu verhalten und auf diesem Hintergrund das Evangelium zu buchstabieren. Daraus ergaben sich jeweils Akzentsetzungen dieses Evangeliums, die im Nachhinein als grundlegende strategische Positionierungen gedeutet und gelesen werden können. Die Auseinandersetzung mit dem Liberalismus und der Moderne im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert hatte andere Positionierungen und damit gesellschaftliche Wirkungen7 für die Katholische Kirche, als in der Neubestimmung des Verhältnisses von Kirche in der Welt etwa in der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes des II. Vatikanischen Konzils.
Zwischen der strategischen Positionierung und den Wirkungen einer Organisation gibt es jedenfalls einen unauflösbaren Zusammenhang. Manche der Wirkungen sind gewollt und angezielt, andere ergeben sich und zeigen sich als mehr oder weniger wünschenswert und brauchbar.
V.
Wenn eine Institution oder Organisation sich als eine wirkungsorientierte begreift, fällt damit auch der Schleier einer Unwissenheit über das, was sie mit ihrem Handeln erreichen oder auch anrichten kann. Eine wirkungsorientierte Organisation wird sich sehr genau mit dem befassen müssen, was sie erreichen will und kann (und sie zur Erreichung ihres Institutions- oder Organisationszwecks auch soll) und wie sie die ihr dazu die zur Verfügung gestellten Ressourcen einsetzt. Das wird umso einfacher gelingen, je detaillierter erwünschte Wirkungen beschrieben werden und ihre Erreichung zum handlungsleitenden Interesse wird.
Ein sehr brauchbares Hilfsmittel, diesen Zusammenhang in den Blick zu bekommen, ist die Wirkungskette8. Mit ihrer Hilfe lässt sich beschreiben, was sich im Sinne der Organisation als Erfolg ansehen und beschreiben lässt.
VI.
Die Beratung der Kirchlichen Hospizgesellschaft begann mit der Beschreibung der Leistungen, die diese Organisation erbringt, etwa durch die hauptberuflichen Palliativ-Fachkräfte, die ehrenamtlichen HospizhelferInnen, durch die Ausbildung für neue HospizhelferInnen, durch die Herausgabe einer Mitgliederzeitung, durch Informationsveranstaltungen etc. Anschließend wurde die Nutzung dieser Leistungen dokumentiert: Wie viele Menschen werden jährlich betreut, wie viele ausgebildet, wie viele durch die Zeitschrift erreicht, wie viele in den Veranstaltungen angetroffen.
An dieser Stelle ist immer wieder zu erleben, wie wenig die Organisation über die Vielzahl der Menschen weiß, mit denen sie über ihre Leistungen verbunden ist. Mit Erstaunen wird hier festgestellt, in welcher großen Zahl die Organisation Menschen in irgendeiner Form antrifft.
Im nächsten Schritt kann dann der direkte Nutzen der Leistungen eingeschätzt werden. Dazu braucht es die intensive Kommunikation darüber, was durch die Leistungen erreicht wird. Und schließlich wird man sich auch darüber Rechenschaft ablegen können, wozu alle diese Leistungen und ihr Nutzen gemeinsam mit anderen Organisationen einen Beitrag liefern sollen. Hier kommen explizit die Werte zum Vorschein, für die diese Organisation stehen möchte und zu deren Verwirklichung sie einen Beitrag leistet.
Damit die Wirkungskette zu einem Instrument der strategischen Ausrichtung werden kann, werden nun die drei linken Felder herangezogen. Mit welchen Maßnahmen lassen sich die beschriebenen gewünschten Wirkungen stabilisieren oder steigern? Wie kann man unbrauchbare Wirkungen minimieren?
Der Vorstand formulierte hier weit über 20 einzelne Maßnahmen, die sich wiederum in fünf Strategischen Wegen bündeln ließen: Öffentlichkeitsarbeit, Personalentwicklung, tragfähige Vereinsstruktur, Fundraising und interne Kommunikation. Aus den Maßnahmen heraus ließen sich die impliziten Ziele erheben und durch weitere strategische Ziele ergänzen. In diesen wurde deutlich, dass der Hospizverein in seiner Dynamik auf ein moderates und gesteuertes Wachstum in seinen Leistungsfeldern ausgerichtet ist und die notwendigen Aufgaben identifiziert hat, die die Vereinsidee sichern und weiterentwickeln soll.
In einer großen Veranstaltung, in der alle relevanten Substrukturen des Vereins durch Personen vertreten waren, konnte der Vorstand seine strategische Positionierung mittels der Wirkungskette allen transparent machen und die Teilnehmenden in deren Weiterentwicklung einbinden. Der Vorstand hat seine Hausaufgaben gemacht und ist auf einem guten Weg.9
VII.
Diese Form der Strategieentwicklung mit Hilfe der Wirkungskette lässt sich gut auf Einrichtungen übertragen, die von sich das Bild eines Dienstleisters haben, der auf Kundinnen und Kunden ausgerichtet ist und wirksam das eigene Handeln auf die notwendige Resonanz bezieht. Abteilungen der Bistums- oder Landeskirchenverwaltung, Verbände, Institute, Zentren diakonische Einrichtungen und Dekanate können mit diesem Instrument ein größeres Bewusstsein dafür bekommen, wie sie selbst ihre Entwicklung steuern können.
Solche Einheiten werden sich damit eher schwer tun, die sich nicht als Erbringer von Leistungen für andere sehen, sondern eher ihren institutionellen Eigencharakter hervorheben. Hier könnte man sich Gemeinden vorstellen, die sich eher am vorgegeben kirchlichen Jahreskreis mit ihren Veranstaltungen orientieren und die so ein stabiles Symbol kirchlicher Präsenz vor Ort sein wollen. Die dadurch angezielte mögliche Inklusion aller ist als wichtiger Wert anzuerkennen, denn strategische Überlegungen sind auf der anderen Seite immer mit Exklusionstendenzen behaftet, da eine strategischen Überlegungen folgende Schwerpunktbildung stets andere Möglichkeiten hinten anstellt oder gar ausschließt.10 Mit dieser Ambivalenz ist in Beratungsprozessen im kirchlichen Kontext sorgsam umzugehen. Kommt hier doch die ekklesiale Grundstruktur zum Tragen, dass die Kirche zugleich „die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche“(LG 8) ist. Diese beiden Seiten „sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst“(LG 8). Das Ziel aller Beratung ist dann nicht alleine eine wirkungskräftige Organisation, sondern immer auch das Hineinwachsen in die vorgegebene und stets neu zu entdeckende Mission.
- Die folgenden Ausführungen verdanken sich in hohem Umfang der instruktiven Zusammenarbeit mit Leo Baumfeld (ÖAR Wien) und Gerd Bauz (IPOS der EKHN) in einem gemeinsam von TPI Mainz und IPOS getragenen Qualifizierungskurs zur Strategieberatung im Jahr 2009.
Zur systemischen Strategieberatung sind grundlegend: Nagel, R. / Wimmer, R., Systemische Strategieentwicklung. Modelle und Instrumente für Berater und Entscheider, Stuttgart 2002;
Nagel, R. Lust auf Strategie. Workbook zur systemischen Strategieentwicklung, Stuttgart 2007; Baumfeld, L. / Hummelbrunner, R. / Lukesch, R., Instrumente systemischen Handelns. Eine Erkundungstour, Leonberg 2009.
- Zum Folgenden vgl. Baumfeld, L., Managementkontexte, in: Zeitschrift für Organisationsentwicklung und Gemeindeberatung (2010)10, 4-14.
- Selbstverständlich haben diese Unterscheidungen auch Einfluss auf die entsprechenden Führungs- und Unterstützungssysteme der jeweiligen Organisationen, etwa bei der Frage, wie das Management aussieht.
- Diese Aussage bekräftigt zugleich, dass es immer um hybride Konstellationen geht, in denen alle Kontexte zugleich vorhanden sind, einer davon aber prioritär zum Zuge kommt.
- Vgl. etwa Wagner, K., Orientierung auf Wirkung in der GTZ, Osnabrück 2008 (www.wiso.hs-osnabrueck.de/uploads/media/Wagner.pdf)
- Dazu etwa Mt 4,17: „Von da an begann Jesus zu verkünden: Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe.“
- Zu denken wären hier an Phänomene wie z.B. den Antimodernisteneid und den Milieukatholizismus.
- Zur Grafik und ihrer Beschreibung s. Baumfeld, L. Wirkung steuern. Leitfaden, Wien 2009 (Manuskript ÖAR-Regionalberatung GmbH).
- Die Wirkungskette kann leicht zu einer Balanced Scorecard weiterentwickelt werden und damit noch deutlicher zu einem Instrument der Selbststeuerung der Organisation ausgebaut werden. Zur BSC im kirchlichen Bereich vgl. Halfar, B. / Borger, A. Kirchenmanagement, Baden-Baden 2007.
- Als Beispiel könnte hier der Einzug der Sinus-Milieus in die kirchliche Pastoralplanung angeführt werden. Wenn man sich gezielt einzelnen Milieus zuwenden will, werden andere mit weniger Aufmerksamkeit und Energie bedacht.