Verantwortung für unser Handeln
Unsere Welt – man kann es kaum anders sagen – ist in keinem guten Zustand. Umweltkatastrophen, Kriege, soziale Ungleichheit, zuletzt eine Pandemie mit all ihren sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen weltweit. Als Familienmensch und Großvater, der sich Gedanken macht um die Zukunft seiner Enkel und um die junge Generation, gelingt es mir nicht immer, hoffnungsvoll zu bleiben. Ich fühle mich des Öfteren an die bekannte Ballade „Der Zauberlehrling“ von Johann Wolfgang von Goethe erinnert. Auch wir gleichen heute Zauberlehrlingen, die begreifen, was sie angerichtet haben. Wir sehen, wie tief wir in das Wirkungsgefüge der Natur, ja des Planeten, und in die Grundlagen unseres Lebens eingegriffen haben. Und wir erkennen überhaupt erst, wie komplex und verletzlich diese Zusammenhänge sind. Und da regt sich in mir Tatendrang, als Bürger und als politischer Amtsträger.
Als Familienmensch und Großvater gelingt es mir nicht immer, hoffnungsvoll zu bleiben.
Mitte Oktober hat in Stuttgart im Schloss Rosenstein die „Große Landesausstellung Baden-Württemberg 2021“ begonnen, die unter dem Titel steht: ‚Anthropozän – Zeitalter? Zeitenwende? Zukunft?‘ Mich begeistert diese Sichtweise, denn das Schlagwort vom Anthropozän führt mich direkt hinein in die Betrachtung zum Zustand unserer Welt. Es war der Entdecker des von uns Menschen hervorgerufenen Ozonlochs, der Nobelpreisträger Paul Crutzen, der den Begriff „Anthropozän“ prägte. Dies in einem denkwürdigen Augenblick im Februar 2000, bei einer Konferenz von Geosphären- und Biosphärenforschern in Mexiko. Crutzen war offensichtlich genervt, wie andere Wissenschaftler über die geologische Epoche des Holozän sprachen, also die fast 12.000 Jahre andauernde Warmphase nach der letzten Eiszeit. Deshalb rief er dazwischen: „Hören Sie auf, das Wort Holozän zu verwenden. Wir sind gar nicht mehr im Holozän. Wir sind im … im… Anthropozän!“ Der Ausspruch schlug ein wie eine Bombe. Und seither wird darüber diskutiert, ob Crutzen recht hat. Leben wir in einer neuen, menschengemachten Epoche der Geologie? Crutzen stieß eine der fruchtbarsten Debatten der Gegenwart an, die ganz entscheidend wurde auch für die ökologische Debatte.
Seit Beginn der Industrialisierung und insbesondere seit Beginn der sogenannten „Großen Beschleunigung“ Mitte des letzten Jahrhunderts haben wir ein wahres Kohlenstoffzeitalter begründet und Unmengen an Treibhausgas produziert – sehr viel mehr als das Erdsystem kurzfristig wieder abbauen kann. Wir waren dabei, jedenfalls zu Anfang, ein bisschen wie Kinder, die zum Spielen in den Heizungskeller gegangen sind und dort einfach mal alle Knöpfe gedrückt und alle Regler verstellt haben. Bis die Heizung anfing zu spinnen.
Das ist es, was uns zu Zauberlehrlingen gemacht hat. Die Anthropozän-Diagnose verschiebt nun den Blick hin zu unserer Verantwortung. Zur Verantwortung des Menschen für all die Erdveränderungen, denen wir ausgesetzt sind. Und sie führt uns – und das ist das entscheidende – auch zu dem, was wir tun können, um die Gefahr der Erderhitzung abzuwenden. Es geht darum, wie wir unsere Lebens- und Wirtschaftsweise ändern müssen, um Klimaveränderungen in erträgliche Bahnen zu lenken.
Wir müssen endlich unsere Verantwortung und die konkreten Auswirkungen erkennen, die unser Handeln für unsere Welt hat.
An diesem Punkt ist auch die Politik gefordert. Die im Frühjahr in Baden-Württemberg neu gebildete Landesregierung hat deshalb dem Kampf gegen den Klimawandel oberste Priorität eingeräumt, und strebt ein „Bündnis für die Große Transformation“ an, wie wir es formuliert haben. Denn wir wissen: Es wird kein Spaziergang, unser Land klimaneutral zu machen. Das ist eine Jahrhundertaufgabe – für die uns nur wenige Jahre bleiben. Und diese Aufgabe können wir nur in einer großen gemeinsamen Kraftanstrengung meistern. Da braucht es möglichst viele, die an einem Strang ziehen: Bürgerinnen und Bürger, Betriebe und Unternehmen, Politik und Verwaltung, Wissenschaft und zivilgesellschaftliche Organisationen. Aber vor allem braucht es Kreativität! Nur Kreativität kann uns retten. Die Fähigkeit, neu zu denken, neu zu handeln und Neues zu erfinden. Die Bürgergesellschaft und die Politik müssen jetzt neue Wege finden, um ins postfossile Zeitalter zu kommen. Das ist ein globales Projekt. Dazu muss sich die ganze Menschheit zusammenschließen. Mit einer neuen Kreativität auch in der Zusammenarbeit der Völker, weg von überkommenen Feindbildern und Konflikten, hin zur Lösung des großen gemeinsamen Problems.
Um dorthin zu gelangen, brauchen wir auch einen prinzipiell anderen Blick auf Politik und Geschichte. Denn die Summe unserer Handlungen bringt uns in Gefahr. Wir sollten dringend lernen, uns selber aus der übergreifenden Perspektive zu betrachten. Nämlich aus der Perspektive, die uns die Anthropozän-Debatte gibt. Wir müssen endlich unsere Verantwortung und die konkreten Auswirkungen erkennen, die unser Handeln für unsere Welt hat.
Es kann gut gehen, wenn der Mensch Vernunft annimmt und Verantwortung trägt.
Bei diesem Vorsatz hilft mir persönlich auch das Menschenbild, wie es uns in der Bibel begegnet. Ganz konkret denke ich an die Geschichte von Gottes Bund mit uns Menschen, der uns in der Noah-Erzählung berichtet wird. „Mit dir aber richte ich meinen Bund auf“ ist die Kernzusage Gottes an Noah – trotz der Sintflut, die er über die Welt kommen lässt. Gott setzt also darauf, dass der Mensch seinen bisherigen zerstörerischen Weg verlässt, ganz neu beginnt und seiner Verantwortung als Ebenbild des Schöpfers gerecht wird. Er errichtet mit Noah einen neuen Bund. Dieser Bund Gottes mit uns Menschen meint also: Es kann gut gehen, wenn der Mensch Vernunft annimmt und Verantwortung trägt. Und dabei ist er mit Gott „im Bunde“. Mir gibt diese Zusage jedes Mal aufs Neue Hoffnung.