022021

Foto: Jeremy Bishop/Unsplash

Statements

Gerhard Dane

Supervision bei Jesaja

Um es gleich zu sagen: Ich liebe die Kirche, trotz allem, wie eine alte Mutter. Von ihr habe ich, was mir wichtig ist. Zwischen Hoffen und Bangen? Eher umgekehrt!

In einem Offenen Brief1 hatten wir, die 1967 im Kölner Dom zu Priestern Geweihten, im Januar 2017, also nach einem halben Jahrhundert, von unseren unerfüllten Hoffnungen geschrieben und dafür viel Zustimmung erhalten. Angetreten zur Zeit des wunderbaren Reformkonzils (1962 bis 1965 in Rom) ist unsere Enttäuschung die von vielen geworden. Wir leiden mit zahlreichen, früher hochengagierten Christen, die zwischen Zweifeln und Verzweiflung ihren Glaubensweg suchen. Die real existierende Kirche in Deutschland bietet zurzeit wenig Anlass, Hoffnung zu schöpfen, zumindest nicht aus den veröffentlichten Meldungen. In überschaubaren Ortsgemeinden und kleinen Gemeinschaften dagegen gibt es durchaus schon Zeichen von Vorfrühling.

Ein flächendeckendes „Weiter so“ geht weder in der Politik noch in der Kirche

„Es ist viel zu tun“ stand im Spätsommer auf manchen Wahlplakaten und ein flächendeckendes „Weiter so“ geht weder in der Politik noch in der Kirche.

Aber was ist jetzt vor allem zu tun oder zu lassen?

Hektische Betriebsamkeit verlerne ich gerne im Garten: Ausreißen, Umgraben, Zurückschneiden, Säen, Pflanzen: JA, aber vor und nach allem: Wachsen lassen! Da gibt es Kräfte, die nicht „schnell mal eben“ wirken. Wenn ich einen Schalter umlege oder einen Knopf drücke, funktioniert das sofort. Technik kann ungeduldig machen und fördert einen gewissen Machbarkeitswahn.

„Kirche“ ist hierzulande fast ein Schimpfwort geworden. Was bedeutet das Wort ursprünglich? Es kommt aus dem griechischen Wort „Kyriake“ und meint die Gemeinschaft, die dem „kyrios“, dem „HERRN“ gehört. Da der Gemeinte ein Jude war, sollten wir, die Zeichen der Zeit erkennend, eine neue Suchgemeinschaft bilden mit den Juden, unseren älteren Geschwistern. Den Großteil der Bibel haben wir mit ihnen gemeinsam und schon der Hl. Hieronymus (gestorben 420 in Betlehem) stellte fest: „Wer die Schrift nicht kennt, kennt die Kraft und Weisheit Gottes nicht. Wenn die Kenntnis der Schrift fehlt, fehlt die Kenntnis Christi.“ Das schrieb er im Prolog seines Jesaja-Kommentars.

Ich lade ein zu einer Supervision bei Jesaja. Das lateinische Wort „Supervisor“ heißt ja – griechisch ausgedrückt – „episkopos“, also einer, der hilft, draufzuschauen und auch Unangenehmes nicht zu übersehen.

Jesaja sagt den Leuten in Jerusalem am Ende des 8. Jahrhunderts vor Christi Geburt kurz und knapp: „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht!“ (Jesaja 7,9)

Was meint er genau?

Vertrauen, sich fest machen an dem grenzenlosen Unsichtbaren

Hier haben wir wieder das Riesenproblem unserer religiösen Sprache. Im heutigen Deutsch ist „glauben“ verwirrend doppeldeutig! Wer „nur“ glaubt, vermutet etwas, ohne sicher zu sein. Glauben ist also ein Defekt gegenüber dem Wissen. Jesaja dachte aber nicht deutsch, sondern hebräisch. Sein „aman“ – wir haben es noch im internationalen „Amen“ – bedeutet: Vertrauen, sich fest machen an dem grenzenlosen Unsichtbaren, den wir „Gott“ nennen – wieder so ein mit Missverständnissen vollgesaugtes Schwammwort.

„Diesen“ verbindet die ganze jüdische Bibel unzählige Male mit den beiden Eigenschaften: Güte und Treue. Festmachen also nicht an wackeligen Menschen, aber mit ihnen an der „Liebe, die alles umfängt“!

Alles, auch unsere Dummheiten, Fehler und Verbrechen sind dieser Liebe keineswegs gleichgültig, aber sie ist treu, unbedingt verlässlich!

Wir dürfen uns anschließen lassen an ein unerschöpfliches Energiezentrum!

Wir dürfen uns anschließen lassen an ein unerschöpfliches Energiezentrum! Davon reden wir zwar irgendwie, aber …? Den Vorwurf, wir seien, genau besehen, zurzeit eine „gottlose Kirche“, weisen wir zwar verärgert zurück, Jesaja aber fragt unbeirrt, an was für einem „Gott“ wir uns festmachen. Ist „ER“ wahrhaftig für uns der „Gott des Unmöglichen“, der sein armseliges Volk in ein neues Land führen und Jesus aus dem Tod zu sich holen konnte? Der Prager Theologe Tomáš Halík spricht von „resurrectio continua“ wie wir schon lange von „creatio  continua“  sprechen.

Ein Blick in die Kirchengeschichte gibt für solche Hoffnungssicht viele gute Gründe an. Was hat die Kirche schon alles überstanden, wieviel Zeitbedingtes immer wieder lassen müssen! Neulich war ich bei einer Wanderung in Nideggen (Kreis Düren). Unten im Burgturm, in einem fensterlosen Verlies saß 1242 für 9 Monate der Kölner Erzbischof als Gefangener des Grafen von Jülich, dem er in einer Schlacht Herrschaftsgebiet abtrotzen wollte. Es war der gleiche Konrad von Hochstaden, der 1248 den Grundstein des heutigen Kölner Doms gelegt hat. Sein Neffe und Nachfolger Engelbert II. verbrachte in dem gleichen Kellergewölbe ab 1267 sogar dreieinhalb Jahre, ebenfalls wegen seiner Machtansprüche. Dann erst konnte der hl. Albertus Magnus ihm seinen Starrsinn ausreden.

„Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht!“ Stürme reißen Dächer ab, Feuer und Fluten können Häuser zerstören, selten aber die Fundamente. Nach Kriegen und Katastrophen wurde manche Stadt neu aufgebaut, schöner und zeitgemäßer.

Vertrauen ist angesagt – Vertrauen auf den wirklichen Bauherrn.

Ich glaube an die Gnade der Krise.

  1. https://www.domradio.de/themen/erzbistum-koeln/2017-01-10/der-brief-der-priester-des-weihejahrgangs-1967-im-wortlaut

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