012022

Foto: Tobias Rademacher/Unsplash

Praxis

weingarten

Auf dem Weg zur ökologischen Umkehr Schöpfungsverantwortung im Erzbistum Köln

Als Mitarbeitender eines katholischen Bistums ist die Konfrontation mit Krisen mittlerweile zum Liniengeschäft geworden. Neben den vielen innerkirchlichen Krisen beschäftigen uns auch die Flutkatastrophe aus dem letzten Jahr, die andauernde Corona-Krise und die schreckliche Ukraine-Krise. Ist es angesichts dieser schlimmen und sich überlagernden Krisen richtig, in diesen Tagen auch noch in der Kirche über Lösungen der Umwelt- und Klimakrisen zu sprechen, wo gleichzeitig eine immer stärker werdende Angst vor einer Gas- und Energieknappheit oder einer Inflation herrscht?

Diese Frage beantworte ich mit einem ganz klaren “Ja!”. Es ist sogar zwingend notwendig. Die Wucht, mit der die durch den Klimawandel verstärkten Unwetter, Hitzeperioden oder Dürren bei uns angekommen sind, ist erschreckend. Zustände herrschen, die in den nächsten Jahrzehnten zunehmen werden und die Menschheit vor noch weitaus größere Herausforderungen stellen werden. Wir müssen uns immer wieder bewusstmachen, dass die Klima- und Umweltkrise die größten und vor allem lebensbedrohlichsten Krisen sind, die wir haben, vor allem, weil sie irreversible Schäden an unserer Erde verursachen. Und doch hindern andere Krisen uns immer wieder am Handeln in diesem Bereich. Papst Franziskus stellt uns in seiner Enzyklika Laudato si‘ dazu die entscheidende Frage: „Welche Art von Welt wollen wir denen überlassen, die nach uns kommen, den Kindern, die gerade aufwachsen?“ (LS 160)

Welche Art von Welt wollen wir denen überlassen, die nach uns kommen, den Kindern, die gerade aufwachsen?

In den letzten Jahren haben wir Kirchen in verschiedenen Krisen gezeigt, dass wir noch schnelle Hilfe für Menschen in Not bieten können. Sehr positiv haben wir in den letzten zwölf Monaten die große Solidarität und Hilfsbereitschaft für die Opfer der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen beobachten können. Auch viele Kirchengemeinden und kirchliche (Jugend-)Verbände, einzelne Christinnen und Christen bieten bis heute ihre tatkräftige Unterstützung, Unterkünfte oder Spenden an. Es scheint auf den ersten Blick, dass wir Christinnen und Christen in dieser Krise das Gleichnis des barmherzigen Samariters verstanden haben: bedingungslose Hilfe für die Opfer ist selbstverständlich.

Gleichzeitig wage ich aber einen zweiten Blick, einen ganzheitlichen, und dann müssen wir uns ehrlich eingestehen, dass wir als Kirche eigentlich auch Teil der Räuberbande in dem Gleichnis sind, weil wir uns am Raubzug an der Schöpfung aktiv beteiligen. Wieso? Durch die vielfache Ignoranz oder das Nicht-Ernst-Nehmen unserer Schöpfungsverantwortung sind die deutschen Diözesen im Vergleich zu Städten oder Kommunen schlecht aufgestellt. Dabei ist Schöpfungsverantwortung ein urchristliches Thema. Durch die beachtliche CO2-Emission im Betrieb kirchlicher Gebäude mit häufig veralteten fossilen Heiztechniken, durch unser Konsumieren und durch die Dienstmobilität schädigt auch die Kirche das Klima. Durch eine radikale ökologische Umkehr verhindern wir nicht die Klima- und Umweltkrise, aber wir leisten unseren Beitrag, dass wir die Auswirkungen und somit Leid abmildern. Deswegen ist es wichtig, in diesen Krisen die Querschnittskrise nicht aus den Augen zu verlieren.

Wollen wir als Kirche in den nächsten Jahren nicht noch mehr Glaubwürdigkeit verlieren, müssen wir unsere ökologische Schuld ehrlich anerkennen.

Zusätzlich besteht die Gefahr, dass bei Nicht-Beachten der Umwelt- und Klimakrise durch die Kirche die nächste innerkirchliche Krise entsteht. Denn wollen wir als Kirche in den nächsten Jahren nicht noch mehr Glaubwürdigkeit verlieren, müssen wir unsere ökologische Schuld ehrlich anerkennen. Wir benötigen eine radikale sozial-ökologische Umkehr. Dabei helfen kein weiteres Formulieren von Handlungsempfehlungen durch die Bischofskonferenz und auch kein Laudato-si‘-Zitate-Bingo in Predigten und Flyern. Da helfen Bischöfe, die sich weigern, das Flugzeug zu benutzen, und nur in dringenden Fällen mit dem Auto fahren. Da hilft es, Fleischkonsum in allen kirchlichen Einrichtungen auf den Sonntagsbraten zu reduzieren. Da helfen Kirchengemeinden, die ihre großen Gas- und Ölheizungen einfach ausschalten und die eingesparten Betriebskosten in eine Photovoltaikanlage und elektrische Sitzheizung investieren. Da helfen Christinnen und Christen, die endlich “Nein” sagen zum unökologischem Handeln ohne „ja, aber …”.

In einem Zukunftsweg darf das herausforderndste gesellschaftliche Thema der Zukunft nicht fehlen.

Ein erster großer Schritt auf institutioneller Ebene wurde dafür im Erzbistum Köln im November 2020 gegangen. Durch die Einsetzung einer Vision mit dem Ziel ein klimapositives und nachhaltig schöpfungsfreundliches Erzbistum Köln zu werden, hat unser Erzbischof ein deutliches Signal an die Verwaltung des Bistums und die Kirchengemeinden gesandt. Motiviert wurde die Erstellung dieser Vision von vielen Gläubigen, die zum pastoralen Zukunftsweg im Erzbistum kritisch zurückmeldeten, dass in einem Zukunftsweg das herausforderndste gesellschaftliche Thema der Zukunft nicht fehlen darf. Somit wurde die Schöpfungsverantwortung ein fester Bestandteil des Zukunftsweges mit dem Ergebnis eines konkreten Auftrags an das Erzbistum Köln für das Jahr 2030.
Bei der Erstellung der Vision wurde weniger geprüft, was wir erreichen können, sondern vielmehr gewagt auszusprechen, was wir als Christinnen und Christen in unserer Verantwortung für Gottes Schöpfung erreichen müssen. Dabei wurde in Anlehnung an die Enzyklika Laudato si‘ ein ganzheitlicher ökologischer Ansatz gewählt. Die Gefahr, dass nach einzelnen Leuchtturmprojekten mit guter Außendarstellung, die Bemühungen wieder eingestellt werden, sollte somit vermieden werden. In den sechs folgenden Handlungsfeldern wurden dabei der Einfluss der Kirche auf Umwelt und Klima ermittelt und kurz- und langfristige Ziele gesetzt:

  • Energie & Gebäude
  • Beschaffung
  • Biodiversität
  • Mobilität
  • Bildung und Pastoral
  • Umweltmanagement

Um eine ganzheitliche sozial-ökologische Umkehr im Erzbistum zu erreichen, muss die Schöpfungsverantwortung als Querschnitts- und Schwerpunktthema gesetzt werden. Dabei ist die harte Erreichung des formulierten Zieles der Vision bis 2030 gar nicht unbedingt das Wichtigste, sondern vielmehr die schnellstmögliche Änderung unseres Handelns in all unserem Tun. Wenn das gelingt und wir die Dringlichkeit einsehen, dann kann eine Kirche aufgrund der vielen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren vor Ort viel mehr schaffen als ihr zugetraut wird und auch das herausfordernde Ziel eines klimaneutralen Gebäudebestandes bis 2030 wird realistischer.

In der Praxis ist für eine ökologische Umkehr viel Bewusstseinsbildung und Kommunikation notwendig. Die meisten Diskussionen auch in kirchlichen Kreisen enden leider doch wieder bei der Frage nach der (kurzfristigen) Finanzierung. Dabei wird mittlerweile immer deutlicher: Am teuersten wird es, wenn wir nichts tun! So wird es auch bei den Kirchengemeinden sein. Sicher sind für die Umstellung hohe Investitionen notwendig, die in den nächsten zehn Jahren schmerzen werden, weil sie den Spielraum für andere Bereiche verkleinern. Diese Investitionen sind aber notwendig, um langfristig den Betrieb bei steigenden Energie- und CO2-Kosten aufrecht erhalten zu können.

Es  wird aber auch deutlich, wie verschwenderisch die Kirchen insbesondere in den sakralen Gebäuden mit Energie umgegangen sind.

Der Angriffskrieg von Russland in der Ukraine und seine globalen Auswirkungen – insbesondere der Gasknappheit – werden die Dringlichkeit des Energieeinsparens und Umstellung auf erneuerbare Energien beschleunigen. Schon jetzt merken einige Kirchengemeinden, dass diese ihre Kirchenheizung im nächsten Winter nicht mehr bezahlen können und somit abgestellt werden. Dabei wird aber auch deutlich, wie verschwenderisch wir Kirchen insbesondere in den sakralen Gebäuden mit Energie umgegangen sind. Die Beheizung von großen Räumen mit einer Luftheizung führt dazu, dass das gesamte Luftvolumen aufgewärmt wird und nur ein sehr kleiner Anteil der Energie wirklich zum Erwärmen der Gottesdienstbesucherinnen und Gottesdienstbesucher aufgebracht wird. Dabei gibt es praktikable alternative Lösungen, zum Beispiel durch Sitzheizungen, welche die Gottesdienstbesucherinnen und -besucher direkt am Platz erwärmen, wodurch über 90 % der bisherigen Heizenergie reduziert werden kann. Auch in großen Pfarrzentren, Kitas oder anderen Einrichtungen wird sich in den nächsten Monaten zeigen, wer auf einen sinnvollen Verbrauch von Energie geachtet hat. Noch besser aufgestellt sind dabei die Kirchengemeinden, die ihre großen Dachflächen nutzen, um mit Photovoltaikanlagen ihren eignen Strom zu produzieren. Hätten die Kirchen ihre Dächer in den letzten zehn Jahren sinnvoll für die Erzeugung von Strom eingesetzt, dann wären die steigenden Herausforderungen beim Betrieb der Gebäude jetzt deutlich geringer.

Die Deutsche Bischofskonferenz hat die Dringlichkeit, Notwendigkeit und das Potenzial der Schöpfungsverantwortung nicht ansatzweise erkannt.

Das Erzbistum Köln ist dabei aber keine Ausnahme. Auch die anderen deutschen Bistümer haben im Bereich Nachhaltigkeit viel Nachholbedarf. Zwar starten viele Bistümer aktuell mit der Entwicklung von Klimaschutzkonzepten, eine umfangreiche überdiözesane Zusammenarbeit findet dabei aber nicht statt. Dabei hätten die deutschen Bistümer eine große Chance, das Potenzial von Synergien zu nutzen, da alle Bistümer vor den gleichen Herausforderungen stehen, wenn sie klimaneutral werden wollen. Der Grund, warum das Erzbistum Köln in den letzten zwei Jahren eine ganze Abteilung aufgebaut hat und jetzt großflächig aktiv wirkt, liegt an der Herangehensweise. Anstatt ein neues eigenes Konzept zu entwickeln, wurden andere bereits bestehende Konzepte von Kirchen kopiert. Anstatt neue Lösungen zu finden, wurde in Kommunen oder Kirchen gesucht, ob schon gute Ansätze in anderen Orten bestehen. Somit konnten viel Zeit und auch Ressourcen eingespart werden. Noch sinnvoller wäre die Einrichtung einer Koordinationsstelle auf der Ebene der Deutschen Bischofskonferenz. Diese Stelle könnte alle Bistümer verknüpfen, den Austausch stärken und dafür sorgen, dass kleinere oder weniger nachhaltig aktive Bistümer von den ambitionierteren Bistümern lernen. Die evangelische Kirche Deutschlands hat im letzten Jahr gezeigt, dass eine solche Zusammenarbeit sinnvoll ist, inklusive der Ausrufung eines gemeinsamen Ziels (klimaneutral zu werden bis 2035). Hier muss man als Außenstehender leider feststellen, dass die Deutsche Bischofskonferenz die Dringlichkeit, Notwendigkeit und das Potenzial der Schöpfungsverantwortung nicht ansatzweise erkannt hat. Für viele Bistümer wird dies in den nächsten Jahren zu immensen ökonomischen Herausforderungen führen und im schlimmsten Fall zu einem weiteren Glaubwürdigkeitsverlust der katholischen Kirche.

Wenn wir als Kirche und als Christinnen und Christen radikal authentisch eine ökologische Umkehr vorleben, dann können wir Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.

Dabei müssen wir als christliche Kirche die Klimakrise nicht nur als Krise verstehen, sondern vielmehr als Chance. Sozial-ökologisch leben vereint so viele christliche Tugenden, wie (intergenerationelle und globale) Nächstenliebe, Dankbarkeit für und Freude an Gottes Schöpfung, Achtsamkeit, Einfachheit, etc. Wenn wir als Kirche und als Christinnen und Christen radikal authentisch eine ökologische Umkehr vorleben, dann können wir Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Dies gelingt nicht, wenn Letzteres die einzige Motivation für die Umkehr ist. Dann endet das Vorgehen schnell im Greenwashing, also dem Versuch, sich ein grünes Mäntelchen umzuhängen und ein umweltfreundliches und verantwortungsbewusstes Handeln nur vorzugeben.

Stattdessen müssen wir uns ganzheitlich auf den Weg zur ökologischen Umkehr machen. Auch mit der zusätzlichen Motivation, die wir als Christinnen und Christen aus einer Schöpfungsspiritualität heraus gewinnen können, denn – so formuliert es Papst Franziskus in seiner Umweltenzyklika passend, „es wird nicht möglich sein, sich für große Dinge zu engagieren allein mit Lehren, ohne eine “Mystik”, die uns beseelt, ohne “innere Beweggründe, die das persönliche und gemeinschaftliche Handeln anspornen, motivieren, ermutigen und ihm Sinn verleihen.” (LS 216)

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