022022

Foto: Schub@: take a seat, read a book (CC BY-NC-SA 2.0)

Service & Dialog

Jan-Christoph Horn

Rezension: T. Hanstein, H. Schönheit, P. Schönheit (Hg.): Heillose Macht. Von der Kultur der Angst im kirchlichen Dienst

Es ist ein Verdienst sich als katholisch verstehender Buchverlage, Titeln zur Aufarbeitung der früher tabuisierten und abgewehrten Machtereignissen in der (römisch-katholischen) Kirche Platz in den Veröffentlichungsprogrammen zu geben.

Im Verlag Herder erschienen in diesem Jahr drei Bücher – in thematischer Breite, aber alle institutionell verbürgten Machtmissbrauch in der Kirche betreffend:

  • von Michael Brinkschröder, Jens Ehebrecht-Zumsande, Veronika Gräwe, Bernd Mönkebüscher und Gunda Werner: „Out in Church. Für eine Kirche ohne Angst“,
  • von Bernhard Frings, Thomas Großbölting, Klaus Große Kracht, Natalie Powroznik und David Rüschenschmidt: „Macht und sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche. Betroffene, Beschuldigte und Vertuscher im Bistum Münster seit 1945“,
  • und das hier zu besprechende Buch von Thomas Hanstein, Hiltrud Schönheit und Peter Schönheit: „Heillose Macht. Von der Kultur der Angst im kirchlichen Dienst“.

Missbrauch geschieht nicht, wenn man ihn nicht öffentlich macht. Was da in Räumen, Zimmern und Büros kirchlicher Häuser „niedermachendes“ (so Barbara Hendricks in ihrem Geleitwort zum vorliegenden Buch, Seite 11) passiert ist und passiert, gehört öffentlich gemacht, weil es nur über Öffentlichkeit aufhören kann. Das Geschehene wird dadurch nicht Ungeschehen, aber das Verdrängte dringt sich auf, wird sichtbar und dadurch potentiell bearbeitbar. Da auch Schmerz und die Scham wiedererlebt werden (wieder und wieder und immer wieder), ist die Bereitschaft derer, die als Betroffene anfangen zu erzählen, hochzuschätzen. Sie sind mahnende Platzhalter:innen einer anderen Kirche, in der (Macht-)Missbrauch Unkultur ist.

Neben den Verlagen und Zeug:innen gehört auch den Herausgeber:innen ein Dank für ihre Arbeit. Mit Blick auf das vorliegende Buch ist es die Rolle als Raumgeber:innen. Raumgeber:innen, die angesichts der Berichte, denen sie Raum geben, als entsetzte und wütende Mitmenschen (und vermutlich auch Mitchristen) hervortreten, was dem Charakter dieses Buches entsprechen darf.

50 Zeugnisse erhalten Raum. Es geht um Missbrauch in Anstellungsverhältnisses, es geht um Macht zwischen Führung und Mitarbeiter:in, es geht um Unvermögen von Mächtigen. In ihrer Einführung klären die Autor:innen: „Nicht Macht als solche – verstanden als Gestaltungswille verbunden mit Gestaltungsfähigkeit in einer definierten Aufgabe mit festgelegten Zielen -, sondern deren heilloser Missbrauch zur brachialen Durchsetzung von Interessen, Regeln und Glaubenssätzen ist das Thema dieses Sammelbandes.“ (Seite 13)

Ja, es gibt gesund-wirksame Macht. Mit dieser Macht werden die Menschen, die berichten, ermächtigt, zu berichten. Sie tun dies zum größeren Teil im Schutzraum des Anonymen. Einige Zeugnisse befinden sich auch in einem Zwischenraum individuell empfundenen Missbrauchs. Nur einige Male lässt sich z.B. arbeitsrechtlich definierbarer Missbrauch, der dann tabuisiert und/oder verschoben wurde, bezeichnen. Das ist ja das Perfide der ‚dunklen Seite der Macht‘, dass sie sich nicht kategorisieren lässt. Das löst Betroffenheit beim Lesen aus: Man möchte mitunter laut rufen „Löst die Situation auf!“, aber weiß selber nicht, wie.

Macht wird erlebt und – das ist das Neue – das Erleben in die Selbstreflexion der Kirche eingebunden. Aus theologischen Gründen: Das Selbstbestimmungsrecht von Individuen wird in die Feststellung von Wahrheit eingedacht. Die anthropologische Wende der Theologie (als dessen Vertreter sei Karl Rahner genannt), lehramtlich auf dem 2. Vatikanischen Konzil Raum gegeben, kommt im Selbsterleben der Kirche an.

In Folge dessen muss auch kirchliches Führungsverständnis neu betrachtet, gedacht und etabliert werden. Auf diese Pointe hin legen die Herausgeber:innen die Zeugnisse in einem gelungenen konzeptionellen (Schluss-)Teil (Seiten 211 bis 224) aus. Unter der launigen Überschrift „Lasst die Hirten im Stall!“ werden zeitgenössische Leadership-Konzepte vorgestellt und eine Lanze für ein differenziertes Führungsverständnis gebrochen: „Führung muss man wollen, können und dürfen. Vor dem Spiegel moderner Führungsansätze besteht das Drama des Katholizismus darin, dass mit der Ordination eine Kompetenz auf allen drei Ebenen zugesprochen wird. Ein heilsamer Ansatz würde das Führendürfen abhängig machen vom Führenwollen und Führenkönnen.“ (Seite 221f.)

Hier zeigt sich die Expertise der Herausgeber:innen als Coach und Berater. Deren eigenes Werte- und Handlungskonzept als (ehemalige) Führungskräfte – auch in Kirche – wird zudem im Schlusswort (Seiten 225 bis 231) deutlich. Wo Führungsmacht zur Selbstermächtigung von Mitarbeiter:innen genutzt wird, klingt etwas wirkungsstark-kräftiges für die Organisation von Kirche mit. Auch wenn die Korrelation viel zu einfach ist: Man ist versucht zu überlegen, was für eine Kirche wir hätten, wenn die, die hier über Führung schreiben, in Führungsaufgaben (geblieben) wären.

Was die drei Herausgeber:innen motiviert hat, die intensive Arbeit für dieses Buch aufzunehmen, wird nicht ganz deutlich. Einige Formulierungen im Schlusswort sind sehr scharf – schwingt hier selbsterlebte Kränkung und Enttäuschung mit, die sich aus den biographischen Angaben (Seiten 237f) herauslesen lassen? Gibt es ein politisches Anliegen? Oder was bedeutet der Aufruf, dass man sich mit weiteren Zeugnissen melden kann – auf eine (private?) @gmx.de-Adresse?

Das Buch sei auch noch in den Kontext des Themas dieser Ausgabe von futur2 gestellt: Wer die Möglichkeit, Worträume zu schaffen, einlöst, schafft, dass sich Schweigen auflöst. Es ist die wichtige Botschaft des Buches, dass sich in den Auflösungsprozessen der Kirche nicht nur das gewinnbringend-heilsame in Kirche auflöst. Das Buch macht Mut, dass sich toxische Führung früher oder später und nicht zwangsläufig zu spät auflöst, und es gibt die Idee einer Alternative an die Hand.

Das Buch ist allen Sprachlosen und Unsichtbaren gewidmet und mit dem Beginn des biblischen Schöpfungshymnus bezeichnet: „Im Anfang war das Wort“ (Seite 20). Es ist gut, dass in diesem Buch Worte gebunden wurden und nicht aufgelöst blieben.

 

T. Hanstein, H. Schönheit, P. Schönheit (Hg.), Heillose Macht. Von der Kultur der Angst im kirchlichen Dienst, Herder, Freiburg/Breisgau 2022.

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