Rezension: Maja Göpel: Unsere Welt neu denken. Eine Einladung
Die Autorin Maja Göpel leitet als Generalsekretärin den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen, lehrt als Honorarprofessorin an der Leuphana Universität Lüneburg, ist Mitbegründerin von #Scientists4Future und gehört dem Club of Rome an. Die Politökonomin gilt als anerkannte Transformationsforscherin, Nachhaltigkeitsexpertin und Gesellschaftswissenschaftlerin mit Schwerpunkt auf transdisziplinärem Denken. In den vergangenen Jahren hat sie sich zunehmend auf Wissenschaftskommunikation spezialisiert. Sie ist durch regelmäßige Publikationen, Vorträge sowie Interviews in Medien öffentlich präsent und zählt aktuell zu Deutschlands einflussreichsten und inspirierendsten Ökonominnen.
„Unsere Welt neu denken“ ist eine Einladung. Göpel möchte die Lesenden dafür gewinnen, die Welt neu zu denken. Ausgangsgangpunkt für ihre Überlegungen ist die Feststellung, dass „sich unsere heutige Welt fundamental von der Welt vor zweihundertfünfzig Jahren unterscheidet, als die Industrielle Revolution begann.“ (GÖPEL 2021, S. 15) Ob Umwelt oder Gesellschaft – unsere Systeme seien gleichzeitig unter Stress geraten. All dies, so Göpel, könne zurückgeführt werden auf die Regeln, nach denen wir unsere Wirtschaftsysteme aufgebaut haben.
Doch obwohl wir heute in einer anderen Welt leben als noch zu Beginn der Industriellen Revolution, „suchen wir heute vorwiegend mit der damaligen Sichtweise auf die Welt nach Lösungen. Wir haben vergessen, unsere Denkmuster auf ihre Tauglichkeit für die Gegenwart zu prüfen. Sie zu hinterfragen macht die Hebel frei, mit denen wir aus der Krise in die Zukunftsgestaltung im 21. Jahrhundert kommen.“ (GÖPEL 2021, S. 15) Damit macht Göpel sich ein Konzept aus der Systemtheorie zu eigen, wonach (Lebendige) Systeme oft auf Lösungen setzen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt, in einem bestimmten Kontext sinnvoll und hilfreich waren. Werden solche Lösungen weiter genutzt, obwohl sich der Kontext ändert, können Lösungen Teil des aktuellen Problems werden. Um die aktuellen Krisen zu meistern, müssten wir uns, so Göpel, „die Regeln bewusst machen, nach denen unser Wirtschaftssystem gebaut ist. Erst, wenn wir sie erkennen, können wir sie auch ändern. (GÖPEL 2021, S. 22)
In den weiteren Kapiteln entfaltet Göpel diese Grundgedanken. Zunächst legt sie dar, inwiefern sich unsere Situation heute von der der Menschen zu Beginn der industriellen Revolution unterscheidet. „Während der Menschheit lange sehr viel Planet für wenige Menschen gegenüberstand, gibt es heute für immer mehr Menschen immer weniger Planet. Will die Menschheit nicht ihren eigenen Zusammenbruch herbeiführen, muss sie lernen, in einer vollen Welt zu wirtschaften, auf einem einzigen Planeten, mit begrenzten Ressourcen.“ (GÖPEL 2021,36) So werde es ganz neu zur Aufgabe für die Menschheit, die „Grenzen des Wachstums“ zu erkennen und in eine neue Form des Wirtschaftens einzutreten. Die bestehenden Systeme seien nicht nachhaltig (genug) und „müssen notgedrungen zusammenbrechen, wenn wir nicht lernen, sie umzubauen.“ (GÖPEL, S. 54)
Sie beschreibt das Mindset und die Gedankenwelt, die bis heute unsere Gesellschaft und insbesondere unser Wirtschaftssystem prägt. Aktuell würden die Wirtschaftswissenschaften mehrheitlich den Menschen als egoistisches Wesen denken. „Dieses Menschenbild ist falsch und muss dringend einem Update unterzogen werden. (…) Wir brauchen eine Neubetrachtung der Werte, die Menschen in ihre kooperativen Lebendigkeit stützen. (GÖPEL, S. 72)
Vom Produkt zum Prozess. Vom Förderband zum Kreislauf. Vom Einzelteil zum System. Vom Extrahieren zum Regenerieren. Vom Wettkampf zur Zusammenarbeit. Von Unwucht zur Balance. Vom Geld zum Wert.
Die neue Realität einer Welt mit begrenztem Raum und begrenzten Ressourcen ernst zu nehmen, müsse Konsequenzen für unsere Idee von Wirtschaften und für unser Verständnis von technischem Fortschritt und für unser Konsumverhalten haben. Es zeige sich mehr und mehr, dass es ein nachhaltiges, werteorientiertes Wirtschaftsmodell brauche. Göpel stellt fest, dass es eine Neuverhandlung darüber brauche, was den Wohlsinn der Menschen zukünftig ausmachen solle. Ein neuer Gesellschaftsvertrag sei nötig, um als Menschheit in eine gute Zukunft gehen zu können. Dazu seien neue Begriffe und Konzepte von Entwicklung, Fortschritt und Wachstum notwendig: „Vom Produkt zum Prozess. Vom Förderband zum Kreislauf. Vom Einzelteil zum System. Vom Extrahieren zum Regenerieren. Vom Wettkampf zur Zusammenarbeit. Von Unwucht zur Balance. Vom Geld zum Wert.“ (Göpel2021, 95) Mit zahlreichen Beispielen, die Göpel an unterschiedlicher Stelle beschreibt, belegt sie, dass in einem Teil der Gesellschaft dieses neue Denken bereits Raum gewinnt und verändernd wirkt.
Nach Ansicht Göpels werde der Markt allein die Probleme der Ressourcenverknappung nicht lösen können. Es brauche ein regelndes Eingreifen des Staates. „Für knappe Güter, die den gesamten Planeten umfassen, müssen globale Ansätze gefunden werden, selbst wenn uns das schwierig erscheint.“ (GÖPEL 2021, S. 155) Damit die ökologische nicht gegenüber der sozialen Frage ausgespielt werde, sei Gerechtigkeit der Schlüssel für eine nachhaltige Wirtschaftsweise, wenn sie global funktionieren solle. Ökologie und Gerechtigkeit gehören, so Göpel, zusammen.
Das abschließende Kapitel „Denken und Handeln“ hat eine ganz eigene Kraft. Es lädt die Lesenden ein, sich ihrer Verantwortung und Selbstwirksamkeit bewusst zu werden. Göpel ermutigt dazu „jeden Tag Teil der Veränderung (zu) sein, die wir uns für die Welt wünschen, auch wenn sich diese Veränderung erst einmal klein und wenig anfühlt.“ (GÖPEL 2021, S. 184) Göpel weist darauf hin, welche Kraft konkrete Schritte und Entscheidungen im eigenen Wirkungsbereich haben: „Konzentrieren Sie sich auf das, was in Ihrer Macht liegt, und kümmern Sie sich nicht zu sehr um das, was nicht in Ihrer Macht liegt.“ (Göpel 2021,S.190)
Maja Göpel ist ein ebenso anregendes wie hoffnungsvolles und mutmachendes Buch gelungen. Sie zeigt darin Wege auf, wie wir als Menschheit gemeinsam die aktuellen Krisen meistern können. Göpels fundierte und fachliche Analysen sind gut nachvollziehbar. Auch komplizierte Zusammenhänge werden von ihr prägnant und gut verständlich dargestellt. Göpel gelingt es, „die großen Linien des heute zu spürenden Zeitenwandels in möglichst zugänglicher Form darzulegen und ein paar Ideen und Sichtweisen anzubieten, die zwischen den scheinbar unauflöslichen Positionen der Bewahrerinnen und Blockiererinnen vermitteln.“ (GÖPEL 2021, S. 18) Sie bringt so Orientierung in den Suchprozess nach einer gemeinsamen, nachhaltigen Zukunft.
Am Ende des Buches wird deutlich, wie sehr es in dieser Krisen erfüllten Zeit darauf ankommt, dass wir uns als Menschheit ein „neues Denken“ zu eigen machen müssen, wenn wir eine gute, gemeinsame Zukunft haben möchten. Göpel weist uns dabei auf unsere Gestaltungsmöglichkeiten und somit auch auf unsere Verantwortung hin, die uns als Menschheit insgesamt, aber auch jedem einzelnen als Individuum zukommt. Denn Zukunft, so Göpel, „ist nichts, was bloß vom Himmel fällt. Nichts, das einfach so passiert. Sie ist in vielen Teilen das Ergebnis unserer Entscheidungen.“ (GÖPEL 2021, S. 14)
Der Kairos unserer Zeit ruft uns auf, „unsere Welt neu zu denken“. Wir sind eingeladen, die nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft und unseres Wirtschaftssystems mitzugestalten. Göpels Buch macht Mut und weckt Lust, Teil dieser Bewegung zu sein.
Maja Göpel: Unsere Welt neu denken. Eine Einladung, Taschenbuch, 206 Seiten, Berlin 2021