012016

Foto: Jitter Buffer: physical hazard (CC BY-NC-SA 2.0), Bildausschnitt

Statements

Gunter Dueck

Materiell sicher, aber philosophisch besorgt

Unsere Gesellschaft ist geprägt von zahlreichen massiven Umbrüchen und rasanten Entwicklungen. Organisationen und Institutionen stehen unter dem massiven Druck, sich permanent an neue Umwelten anzupassen zu müssen. Organisationen, die dies nicht schaffen, stehen in der Gefahr, ihre  Relevanz zu verlieren und werden früher oder später sterben. Von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in diesen Organisationen arbeiten, wird zunehmend eine hohe Flexibilität und die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen erwartet. Uns interessiert, wie Menschen mit diesem permanenten Veränderungsdruck umgehen: Wie erleben sich Menschen persönlich in der Spannung von Sehnsucht nach Sicherheit und der Lust am Neuen und Experimentieren? Was erleben sie für sich angesichts dieser gesellschaftlichen Entwicklung als größte Herausforderung? Was hilft, sich diesen Herausforderungen zu stellen?

Früher wollte ich eine große Sicherheit! Ziel war ein Lehrstuhl an der Uni, aber ich bekam keinen, weil die Wissenschaftspreise, die mir einen beschert hätten, einige Jahre zu spät nachkamen. Ich ging zum IBM Wissenschaftszentrum in Heidelberg, begann mit ganz anderen Arbeiten und wurde glücklicher als zuvor an der Uni. In der Folge wechselte ich dort öfter den Job, wurde Manager und bekam ein sicheres Gefühl, dass mit wachsender Souveränität die Sicherheit des Lebens eben in dieser Souveränität selbst liegt, nicht in den äußeren Umständen – diese ändern sich eben! Und ich, der ich keine Angst mehr im Change-Tornado habe, kann „daraus etwas machen“. Ich habe dann auch den CTO-Posten bei IBM verlassen, um jetzt ganz frei Schriftsteller und „Prediger“ zu sein. Alles gut! Ich habe allerdings bei einer Psycho-Studie der Uni Heidelberg den höchsten Wert beim Merkmal „naiver Optimismus“. Die Wissenschaft kommentierte, statistisch gesehen gebe das keinen faktischen Vorteil im Leben („neutral“), aber mir würde es wohl besser gehen.

Ich bin bekümmert, dass die Wirtschaft und Politik sich selbst immer stärker unter Erfolgsstress setzen und dass deren Protagonisten nur noch „Score-Men“ sind, wo sie früher ehrbare Pflichtmenschen waren.

Ich bin bekümmert, dass die Wirtschaft und Politik sich selbst immer stärker unter Erfolgsstress setzen und dass deren Protagonisten nur noch „Score-Men“ sind, wo sie früher ehrbare Pflichtmenschen waren. Davon handelt mein Buch „Supramanie“ („Über die befohlene Sucht, der Beste zu sein“) aus dem Jahre 2001. Das habe ich damals stark besorgt geschrieben. Und dann erleben müssen, wie es alles so kommt. Wir müssen den Weg der Gesellschaft in eine Neurose irgendwie anhalten.

Harald Schmidt sagte von sich selbst, „Rentner mit abgeschlossener Vermögensbildung zu sein“. Das ist ja auch meine Lage. Die ist ja materiell sicher, aber eben philosophisch besorgt – nicht so sehr um mich selbst. Also versuche ich, die Fackel dieser Besorgnis durch die Menge zu tragen und konstruktiv viele Bärte zu versengen.

 

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