012016

Foto: Jitter Buffer: physical hazard (CC BY-NC-SA 2.0), Bildausschnitt

Statements

Bernhard Spielberg und Frank Reintgen

Losgehen und reinspringen

Unsere Gesellschaft ist geprägt von zahlreichen massiven Umbrüchen und rasanten Entwicklungen. Organisationen und Institutionen stehen unter dem massiven Druck, sich permanent an neue Umwelten anzupassen zu müssen. Organisationen, die dies nicht schaffen, stehen in der Gefahr, ihre  Relevanz zu verlieren und werden früher oder später sterben. Von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in diesen Organisationen arbeiten, wird zunehmend eine hohe Flexibilität und die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen erwartet. Uns interessiert, wie Menschen mit diesem permanenten Veränderungsdruck umgehen: Wie erleben sich Menschen persönlich in der Spannung von Sehnsucht nach Sicherheit und der Lust am Neuen und Experimentieren? Was erleben sie für sich angesichts dieser gesellschaftlichen Entwicklung als größte Herausforderung? Was hilft, sich diesen Herausforderungen zu stellen?

Frank Reintgen: Wie erleben Sie sich persönlich in der Spannung von Sehnsucht nach Sicherheit und der Lust am Neuen und Experimentieren?

Bernhard Spielberg: Salopp gesagt: Die Spannung gehört zu meinem Jobprofil. Juniorprofessoren machen natürlich das, was Professoren so machen: Vorlesungen halten, Abschlussarbeiten begleiten und in Sitzungen sitzen. Ach ja: Texte schreiben tun sie auch – wenn sie dazu kommen. Denn das, was man früher einen Lehrstuhl nannte, haben sie nicht. Das klingt charmant in dem „Junior“ an, was bedeutet, dass man eben recht wenig Ausstattung hat, dafür aber die Pflicht, sich im Wissenschaftswettbewerb noch einmal zu qualifizieren. Deshalb sind Juniorprofessorinnen und -professoren auch nur auf Zeit beschäftigt. Das Berufsbild selbst ist so etwas wie ein Experiment mitten in einem altbewährten System, der Universität. Das kann man als Untergangsszenario betrachten. Für mich bringt es die Freiheit mit sich, meinen Beruf neu zu erfinden. Das macht meistens sogar großen Spaß.

Reintgen: Was erleben Sie für sich persönlich angesichts dieser gesellschaftlichen Entwicklung als größte Herausforderung?

Spielberg: Dort, wo ich mit Menschen arbeite, die sich und ihre Institution neu erfinden müssen, beispielsweise mit Seelsorgerinnen und Seelsorgern, erlebe ich drei Herausforderungen, denen ich selbst auch immer wieder gegenüberstehe: die erste ist, die Angst vor dem Loslassen zu nehmen. Sie ist ja auch ganz natürlich. Gekleidet wird sie oft in beschwichtigende Floskeln („Wenn wir das gut organisieren, dann können wir auch weiterhin…“) oder in die Betonung von überkommenen institutionellen Mustern („Die Leitung kommt hier natürlich nur einem zu…“). Hier ist letztlich Trauerarbeit gefragt.

Letztlich vertraue ich jener Lebensweisheit, die im Wort vom Weizenkorn genauso steckt wie in den Auferstehungserzählungen.

Die zweite ist die, neue Bilder und Ideen zur Welt kommen zu lassen: Wie sehen wir uns in fünf oder zehn Jahren? Wofür sind wir dann gut? Wo lesen wir heute schon die Spuren unserer Zukunft? Das ist anspruchsvoll und verlangt Kreativität. Diese Bilder sind der Proviant für die erste Etappe. Ohne sie wird es schwer, aufzubrechen.

Die dritte Herausforderung ist die, angesichts von Unsicherheit wirklich darauf zu vertrauen, dass das Wenige reicht, was man hat – wenn man es teilt.

Reintgen: Was hilft Ihnen, sich diesen Herausforderungen zu stellen?

Spielberg: Praktisch hilft, loszugehen und reinzuspringen – wie auf dem 3-Meter-Brett. Theologisch inspirieren mich dazu einige biblische Geschichten: zum Beispiel die vom Sieg des Kindes David über den Kriegshelden Goliath. David hatte von Saul, dem Heerführer, zur Sicherheit dessen Schwert und Rüstung bekommen, um nicht völlig ungeschützt losziehen zu müssen. Er ging ein paar Schritte und merkte: „Ich kann so nicht gehen“. Da legte er die schwere Rüstung und die Waffe ab, steckte sich seine Schleuder ein und suchte sich fünf Kieselsteine im Bach …

Letztlich vertraue ich jener Lebensweisheit, die im Wort vom Weizenkorn genauso steckt wie in den Auferstehungserzählungen. Sie gilt, glaube ich, nicht nur individuell, sondern auch gesellschaftlich und systemisch: das Leben wird gewandelt, nicht genommen.

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