022019

Konzept

Stefan Kiechle

Macht und Spiritualität

Viele Menschen streben Macht an, manche mit beinhartem Willen und mit zweifelhaften Mitteln. Das gilt nicht nur für Politiker jeglicher Couleur, bei denen dieses Streben in der Öffentlichkeit wahrgenommen und entsprechend kritisiert wird. Es gilt für viele andere Mächtige, und oft ist das Streben nach Macht nur das Einfallstor für ihren Missbrauch. Macht trägt eine Ambivalenz in sich – unübersehbar, unvermeidbar. Skandale des Machtmissbrauchs – von Managern, Kirchenführern, Staatslenkern – bringen diese Ambivalenz und manches daraus resultierende Verbrechen aus den diskreten Hinterstuben in die große Öffentlichkeit. Darf man Macht anstreben? Wie kann man Missbrauch verhindern? Welche Chancen und welche Risiken liegen in der Macht? Wie stehen Christen – die ja spirituell leben wollen – zur Macht?

Macht trägt eine Ambivalenz in sich – unübersehbar, unvermeidbar.

Aber: Hat ein Jesuit und Priester dazu etwas zu sagen? Ist die Kirche nicht der klassische Ort autoritären Machtgebrauchs? Ist dort nicht die Macht exklusiv einem Netzwerk zölibatärer Männer reserviert, die streng hierarchisch und kaum kontrolliert die Macht in Händen halten? Nun ist die Kirche ja andererseits ein großer bunter Zoo, in dem – bei näherem Zusehen zeigt sich das bald – jeder auch ein wenig macht, was er will. Weil man christlich-milde miteinander umgeht und außerdem den Vorwurf, autoritär zu sein, fürchtet, wird in der Kirche meist viel freilassender regiert als etwa in der Wirtschaft. Es gibt die autoritäre und zugleich die dezentral-vielgestaltige Praxis – dieser Widerspruch ist nach außen wenig bekannt. Als Kirchenmann und schöpfend aus christlichem Erbe – auch das säkularisierte Europa steht ja mit seinen Werten und mit seiner Rechtstradition auf christlichem Boden – reflektiere ich die Machtfrage. Ich lasse mich dabei vom Geist des Jesuitenordens und seines Gründers Ignatius von Loyola (1491 bis 1556) inspirieren.

Was ist Macht? – Macht ist gut.

Es gibt die autoritäre und zugleich die dezentral-vielgestaltige Praxis – dieser Widerspruch ist nach außen wenig bekannt.

Das deutsche Wort „Macht“ kommt vom althochdeutschen Wort „mugan“, dieses vom indogermanischen „magh“. Ursprünglich bedeutet dies „kneten“, dann auch „können“, „vermögen“. Um im Bild zu bleiben: Wer Macht ausübt, knetet einen Teig, d.h. er bearbeitet ihn zu einer homogenen Masse und drückt ihm anschließend eine Form auf. Der Sozialphilosoph Max Weber definiert: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht.“ Der Theologe Karl Rahner sagte schon in den 1950er-Jahren, dass, wer Macht ausübt, immer in irgendeiner Weise in die Freiheitsrechte anderer eingreift. Macht erhalte ich durch ein Amt, das mit Entscheidungsbefugnissen ausgestattet ist, durch Kompetenz und Überlegenheit, durch materielle Mittel – der Reiche erkauft sich Macht über andere – oder durch Zugehörigkeit zu einer mächtigen Gruppe oder Partei.

Wenn ich Macht ausübe, zwinge ich einem anderen etwas auf, was dieser u.U. nicht will. Darf ich das? Unter welchen Umständen darf ich das? Widerspricht das nicht einem christlichen Menschenbild, in dem die Freiheit eine so große Rolle spielt und in dem die Menschen als Schwestern und Brüder respekt- und liebevoll miteinander umgehen sollen?

Ich behaupte: Macht auszuüben ist dann gut, wenn sie Böses verhindert; man greift in die Freiheitsrechte anderer ein, um schädlichen Freiheitsgebrauch zu verhindern. Zum Beispiel müssen Eltern ihren pubertierenden Kindern Grenzen setzen: Würden diese ihrem stark triebgesteuerten und schrankenlosen Freiheitsdrang nachgeben, zerschlügen sie unendlich viel Porzellan und würden sich selbst und anderen schaden. Durch Eltern, die Grenzen setzen und diese durch Androhung von Strafe auch durchsetzen, lernen sie einen guten Freiheitsgebrauch und werden erwachsen. Das Beispiel ist auf vieles übertragbar. Allerdings findet der Machtgebrauch darin sein Kriterium und sein Maß, dass er mehr neue Freiheit schafft als vorhandene zerstört.

Macht auszuüben ist dann gut, wenn sie Böses verhindert; man greift in die Freiheitsrechte anderer ein, um schädlichen Freiheitsgebrauch zu verhindern.

Noch einmal: Macht ist gut, weil von Gott verliehen, um Gutes zu tun, d.h. die Welt zu guten Zielen hin zu gestalten. Dass sie verliehen ist, bedeutet: Der Mensch hat sie nicht aus eigener Hoheit, sondern sie ist von einem Schöpfer geschaffen, damit sie zum Guten wirke. Was verliehen ist, muss zurückgegeben werden, spätestens am Ende des Lebens, an dem wir alle Macht loslassen müssen. Und sie muss verantwortet werden: „Verantworten“ enthält „Antwort“, d.h. wir üben Macht aus als Antwort auf etwas oder auf jemanden, der zuerst zu uns gesprochen hat: auf seinen Anruf und Aufruf zum Handeln. Der gläubige Mensch wird sagen: Verantwortlich Macht ausübend antworten wir dem Auftrag Gottes; am Ende legen wir ihm Rechenschaft ab über unseren Machtgebrauch. Auch wer nicht an Gott glaubt, wird dem Satz zustimmen, dass Macht mit einem Auftrag verbunden und zu verantworten ist: gegenüber der Menschheit, gegenüber dem Leben und gegenüber dem Ganzen des Daseins, in das wir hineingestellt sind. Solange es Böses in der Welt gibt und solange dieses sich in den Herzen der Menschen und in den Strukturen der Gesellschaft festgefressen hat, braucht es Macht, um Böses – gegen dessen Willen – niederzuhalten, um es zu bekämpfen und zu überwinden.

Macht ist damit Gabe und Aufgabe. Und Macht ist Mittel, nicht Ziel; würde man Macht um ihrer selbst willen anstreben, würde man sie zum Ziel machen – sie würde selbst von einem guten Mittel zum bösen, weil versklavenden Götzen werden. Nun bedarf es der spirituellen Unterscheidung von Ziel und Mittel und ebenso der von Gut und Böse – ein weites Feld, das eigens zu behandeln wäre.

Macht ist damit Gabe und Aufgabe. Und Macht ist Mittel, nicht Ziel.

Macht korrumpiert

Die Erfahrung lehrt eine traurige Wahrheit: Macht korrumpiert, und viel Macht korrumpiert viel. Warum das so ist, ist schwer zu ergründen. Offensichtlich ist der menschliche Geist allzu leicht vom Bösen und dessen Schlichen verführbar. Einige Felder der Korruption durch Macht möchte ich ansprechen:

Wer Macht ausübt, muss eigene und fremde Interessen wägen. Die Mächtige darf nicht nur eigene Interessen verfolgen – ihre Termine, ihren Gewinn, ihre Karriere… – sondern sie muss die Interessen der anderen Beteiligten wahrnehmen und im gleichen Maß einbeziehen. Es wäre nicht christlich, nur in vollkommener „Selbstlosigkeit“ die Interessen anderer zu verfolgen und die eigenen zu verleugnen; christlich ist vielmehr der Ausgleich beider, entsprechend dem Hauptgebot: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“. Im „Wie“ ist die Parallelität beider Aspekte ausgedrückt. Natürlich wird in der Regel dieser Ausgleich auch die Mächtige etwas kosten, denn es wäre ungerecht, die Kosten – sie hätte ja die Machtmittel dazu – nur anderen aufzubürden. Bei schmerzhaften Entscheidungen sollen alle Beteiligten Federn lassen – und bei Gewinn alle profitieren.

Wer Macht ausübt, muss eigene und fremde Interessen wägen.

Wer Macht ausübt, muss gut mit Angst umgehen. Wenn er selbst Angst hat, gibt es eine doppelte Gefahr: Entweder er verschleppt Entscheidungen aus Angst, etwas falsch zu machen, übt also die Macht nicht aus; in das entstehende Machtvakuum dringen andere ein und übernehmen die Führung, allerdings weniger kontrolliert und weniger verantwortet. Oder er ergreift im Gegenteil die Flucht nach vorne und übt die Macht umso autoritärer und einsamer aus, aus Angst um seinen Status und um sein Amt. Beides kann fatale Folgen haben. Der Mächtige kann auch mit Angst regieren, indem er Untergebenen Angst macht: durch Kontrolle, mit oft kleinen und subtilen Machtakten, Drohungen usw.; er kann ein ungeheures Angstsystem um sich herum aufbauen – Diktatoren sind oft paranoide Menschen, die sich völlig in ein Kontroll- und Spitzelsystem einschließen. Beide Aspekte, das Angsthaben und das Angstmachen, sind oft die beiden Seiten derselben Medaille: Das eine schlägt in das andere um, der Ängstliche wird zum Diktator und umgekehrt. Um sich durch Ängste – wer hat sie nicht? – nicht korrumpieren zu lassen, braucht es Selbstvertrauen und Kommunikation – und ebenso Vertrauen in Mitarbeitende und in Untergebene.

Wer Macht ausübt, muss gut mit Angst umgehen.

Wer Macht ausübt, darf nicht Erlittenes weitergeben. Jeder Mensch erlitt Verletzungen: Er wurde zurückgesetzt, beleidigt, hintergangen, abgewertet, gekränkt. Verletzungen sitzen meist tief in der Seele, umso tiefer, je früher in der Kindheit oder Jugend sie zugefügt wurden. Auch wenn sie im Alltag ziemlich perfekt weggedrängt sind, arbeiten sie doch unter der Oberfläche weiter: Man tendiert dazu, anderen – oft ohne es selbst zu bemerken! – „eins auszuwischen“, sie ebenfalls herabzusetzen, sie ein wenig oder auch deutlich zu kränken. Indirekt rächt man sich damit für erlittenes Unrecht und gibt es an andere weiter. Bisweilen empfindet man daran – heimlich und uneingestanden – ein wenig Lust, und manchmal kann sich das zu sadistischen Gefühlen auswachsen. Wer Macht hat, gerät leicht in Gefahr, diese zu solchen Akten zu missbrauchen – der Betroffene kann sich ja nicht rächen, weil er schwächer ist. Dieser Machtmissbrauch ist eine subtile und heimtückische Korruption. Wir können uns nur immer wieder ehrlich und radikal mühen, Kränkungen eben nicht weiterzugeben, sondern sie – das ist nun in der Tat christlich – zu vergeben. Dass uns das Vergeben schwerfällt, dürfen wir zugeben – es einzugestehen, ist schon der erste Schritt zur Umkehr.

Wer Macht ausübt, darf nicht Erlittenes weitergeben.

Wer Macht ausübt, soll die narzisstische Falle vermeiden. Man sagt, wir leben in einem narzisstischen Zeitalter. Krankhafter Narzissmus bedeutet, knapp zusammengefasst: Ein Ich, das sich klein fühlt und darunter leidet, macht sich größer als es ist. Es braucht die Bühne, auf der es auftreten kann und Bewunderung bekommt. Es wird geradezu süchtig nach Anerkennung und Wichtigsein. Es liebt vor allem sich selbst, in dem Sinn, dass es alles tut, um selbst groß und bedeutend und mächtig zu sein. Andere Menschen wird dieses Ich gerne ausbeuten: Sie müssen ihm dienen und seine narzisstischen Bedürfnisse erfüllen, d.h. ihn loben und ehren und fördern. Der Narziss erträgt niemals Kritik – diese nimmt er persönlich, sie kränkt ihn nur. Er schätzt Menschen, solange sie ihn loben, und lässt sie fallen, ja wertet sie ab, sobald er Kritik oder Gegnerschaft wittert. Natürlich strebt er nach Macht, denn diese stärkt sein im Grunde schwaches Ich und stillt seinen Hunger nach Anerkennung. In der Machtposition benutzt er Untergebene für seine Zwecke; dazu umgibt er sich mit Höflingen, Kritiker werden ausgestoßen. Er schließt sich in einen Kokon von Günstlingen ein und merkt nicht, wie er sich der Welt entfremdet, wie er alles nur auf sich bezieht, wie er seine Macht missbraucht. Er bleibt immer unzufrieden, denn wie bei jedem Süchtigen wird seine Gier nach Bewunderung und Karriere nie gestillt sein. Auf jeden narzisstischen „Erfolg“ folgt die Gier nach mehr. Auch macht er sich abhängig von seinen Bewunderern, und diese wissen seine Sucht durchaus für ihre Zwecke zu nutzen: Wer den Narzissten genügend schmeichelt, bekommt nämlich von ihm alles, was er will. Um der narzisstischen Falle zu entgehen, braucht es Selbstbewusstsein, Demut, innere Freiheit – ein Leben lang einzuüben. In spiritueller Sprache geht es um die Ehre: Diese gebührt nicht dem Menschen, sondern Gott, dem Schöpfer, Geber und Lenker alles Guten.

Wer Macht ausübt, soll die narzisstische Falle vermeiden.

Macht gut ausüben

Worauf ist zu achten, wenn man der Korruption gegensteuern und anvertraute Macht zum Wohl der Untergebenen und der Einrichtung, für die man verantwortlich ist, ausüben möchte?

Wer Macht ausübt, soll hören. König Salomo, der weise Herrscher Israels, betet zu seinem Amtsantritt im Traum: „Verleih deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht“ (1 Kön 3,9). Er bezeichnet sich als „Knecht“, d.h. der König ist von Gott zu einer dienenden Rolle eingesetzt. Das Herz soll hören, nicht nur der Verstand – die Gabe der Einfühlung gehört zum Regieren. Und die Unterscheidung von Gut und Böse ist die wichtigste Fähigkeit der Mächtigen – sie braucht eine klare Vernunft, einen diskreten Blick und einen guten Umgang mit Gefühlen, Stimmungen, Bedürfnissen, aber auch mit Argumenten und mit Ordnungen. Aber auf wen sollen wir hören? Mächtige brauchen vor allem gute BeraterInnen: Diese sollen im Innern frei sein, außerdem unabhängig von der Gunst der zu Beratenden, kritisch, sachlich, mutig, ehrlich, nüchtern, mit beiden Beinen in der Realität verankert. Es ist eine große Kunst, sich gute Beratung zu wählen und auf diese zu hören. Mächtige sollen dabei sich selbst in Frage stellen und gewohnte Meinungen oder eine schon vorher festgelegte Politik kritisieren lassen, danach aber auch sich nochmals von BeraterInnen freimachen und mutig selbst entscheiden.

Wer Macht ausübt, soll hören.

Wer Macht ausübt, soll delegieren. Auch diese schon erwähnte Kunst ist einzuüben: Delegieren bedeutet, Arbeitsbereiche an Untergebene zu übertragen, so dass diese selbständig und verantwortlich die Aufgaben gestalten und erfüllen. Delegieren setzt persönliches und sachliches Vertrauen voraus! Dieses muss gepflegt und gefördert werden, wozu es wiederum der guten Kommunikation bedarf. Und Kommunikation, damit sie gelingt, braucht den informellen Fluss, aber auch Strukturen, die den Austausch fördern. Wer an andere delegiert, soll von ihnen Information einfordern, denn sonst wird sein Vertrauen gestört werden. Und er soll nicht nur kritisieren, sondern auch loben. Wer delegiert, gibt Macht ab; dies wird er gelegentlich als narzisstische Kränkung erfahren, was er akzeptieren und aushalten muss! Delegieren ist eine Gratwanderung, die Fingerspitzengefühl und Menschenkenntnis erfordert.

Wer Macht ausübt, soll delegieren.

Wer Macht ausübt, soll seine Rolle annehmen. Rollen sind geprägte Verhaltensmuster, die mit bestimmten, kulturell unterschiedlichen Erwartungen, aber auch mit Rechten und Pflichten verbunden sind. Die Rolle des Mächtigen, also die der Chefin, des Pfarrers, der Lehrerin, der Mutter oder des Richters usw. gilt es in der Tat „zu spielen“. Die Rolle erweckt beim Untergebenen einerseits Vertrauen in die Kompetenz und in die Verantwortlichkeit des Mächtigen, auch die Bereitschaft, sich führen zu lassen, andererseits entstehen durch die Rolle auch Grenzen: In der Rolle ist man eben nicht Freund, redet nicht oder kaum über Privates, sondern bleibt in sachlicher Distanz und beschränkt sich auf die Rolle. Für den Mächtigen ist es oft schmerzhaft, nicht mehr als fühlender und bisweilen leidender Mitmensch wahrgenommen, sondern auf die Rolle reduziert zu werden. Er muss diese Rolle annehmen, manchmal durchleiden – und sich im Privatleben, also außerhalb, Freunde und vielleicht eine Familie suchen, damit er Orte hat, an denen er aus der Rolle springen und „Mensch sein“ darf.

Wer Macht ausübt, soll seine Rolle annehmen.

Wer Macht ausübt, soll Schweres und Brüche annehmen und Einsamkeit aushalten. Die Rolle schafft Distanz, für Fehler oder vermeintliche Fehler wird man mit Vorwürfen oder mit Verachtung bestraft, mit Brüchen und Abstürzen muss man leben. Hinzu kommt das Problem der Projektion oder Übertragung: Wer Macht hat, eignet sich hervorragend als Fläche, auf die man andere Konflikte projiziert, oder als Objekt, auf das man Versagen aller Art und aller Personen überträgt. Die Chefin ist ja für alles verantwortlich, also auch an allem Schuld und für alles abzustrafen. Sie braucht daher ein dickes Fell, ohne allerdings abzustumpfen und menschlich unsensibel zu werden. Manch ungerechte Prügel muss die Mächtige einstecken, ohne gleich zurückzuschlagen, was sie als die Mächtigere ja gefahrlos könnte. Hinzu kommt das Problem der Einsamkeit: Der Chefin begegnet man mit Distanz und Scheu, und es wird erwartet, dass sie höflich ihre Mitarbeitenden fragt, wie es ihnen gehe; ihr selbst wird diese Frage jedoch nie gestellt. Wohl der Chefin, die auch in ihrem Machtbereich Verständnis und Wohlwollen findet.

Wer Macht ausübt, soll Schweres und Brüche annehmen und Einsamkeit aushalten.

Erfahrungen der Ohnmacht

Oft erfahren Mächtige plötzlich und erschreckend Ohnmacht: Die heranwachsenden Kinder tanzen den Eltern auf dem Kopf herum, die Untergebenen machen Dienst nach Vorschrift und lähmen die Firma, die Lehrerin bringt ihre Schüler einfach nicht zur Ruhe, dem Pfarrer leert sich trotz großer Mühen unaufhaltsam die Kirche, Mitarbeiter hintertreiben mit ihren Intrigen die guten Initiativen des Chefs. Als Mächtiger will man oft etwas Bestimmtes tun und sollte es aus der Verantwortung heraus anpacken – aber es geht nicht. Diese Ohnmachtserfahrung ist umso schmerzhafter, weil man ja als verantwortungslos erscheint und dafür Vorwürfe oder gar Strafe erntet. Oft handeln Untergebene intrigant, weil sie sich verletzt fühlen und sich ihr Recht holen oder sich rächen wollen – sie bilden nun eigenen Machtzentren, undurchschaubar und unkontrollierbar. So erlebt sich der Mächtige als ohnmächtig, und der Ohnmächtige wird plötzlich mächtig. Macht und Ohnmacht liegen oft nahe beieinander und kippen geradezu ineinander um. Auch diese Situation gilt es anzunehmen. Indem Mächtige gut kommunizieren und Vertrauen aufbauen und pflegen, bemühen sie sich, dass es zu dieser Umkehrung der Verhältnisse gar nicht erst kommt. Im günstigen Fall respektieren sich Chef und Untergebene gegenseitig so, dass die Entscheidungsbefugnis des Chefs anerkannt wird und dass umgekehrt er den Beitrag seiner Untergebenen so wertschätzt, dass beide Seiten vertrauensvoll und kreativ zusammenarbeiten. Wo Respekt und Vertrauen vorherrschen, werden Macht und Ohnmacht unwichtiger. Mit guten christlichen Werten – biblisch stehen Frieden und Gerechtigkeit im Zentrum – wird die Macht dem Gemeinwohl dienen und damit das Reich Gottes aufzubauen helfen.

Wo Respekt und Vertrauen vorherrschen, werden Macht und Ohnmacht unwichtiger.

Zum Weiterlesen:

  • Stefan Kiechle, Macht ausüben, Würzburg 32010;
  • Stefan Kiechle, Achtsam und wirksam. Führen aus dem Geist der Jesuiten, Freiburg 2019.

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