012024

Foto: Alex Azabache/Unsplash

Konzept

Gregor Maria Hoff

Kohäsion im Konflikt?

Die synodale Transformation der römisch-katholischen Kirche

Transformation als Kollaps?

Globale Krisen betreffen alle Gesellschaften dieses Planeten im 21. Jahrhundert auf eine Weise, dass sich erstmals eine Weltgesellschaft als Haftungsgemeinschaft herausbildet.

Globale Krisen betreffen alle Gesellschaften dieses Planeten im 21. Jahrhundert auf eine Weise, dass sich erstmals eine Weltgesellschaft als Haftungsgemeinschaft herausbildet: mit den Folgen des Klimawandels und damit verbundener Migrationsströme, mit der Pandemie der Jahre 2020ff. und nicht zuletzt ihren schuldenökonomischen Langzeitfolgen; mit der digitalen Verschaltung globaler Kommunikation und neuen Organisationsmustern medialer Gouvernementalität. Sie wirken sich in eigener Weise als Belastungen offener demokratischer Gesellschaften aus, weil sich der komplexe Problemdruck nur in ebenso komplexen Entscheidungsprozessen bearbeiten lässt. Autoritäre Politik gewinnt vor diesem Hintergrund an Attraktion und Resonanz. Ob sich damit eine nachhaltige Politik langfristiger, zukunftsfähiger Problemlösungen forcieren lässt, muss man bezweifeln: Für komplexe Probleme reichen unterkomplexe Bearbeitungsstrategien kaum aus. Dennoch gewinnen populistische Politiker und Parteien weltweit Wahlen und setzen in demokratischen Gesellschaften die Funktionsmuster differenzierter Gesellschaften unter Druck.

Transformation nicht nur zum Thema, sondern zum Modus gesellschaftlicher Theoriebildung.

Damit zeichnen sich krisenimprägnierte Transformationsspiralen ab, die jede synchrone Beobachtung empirisch überfordern, weil sie sich akut und in einander überlagernden, vielfältigen gesellschaftlichen Gegenwarten vollziehen, sodass man von Gesellschaft im Modus ihrer performativen Organisation nur als „Gesellschaft der Gegenwarten“ 1 sprechen kann. Damit wird Transformation nicht nur zum Thema, sondern zum Modus gesellschaftlicher Theoriebildung – und zwar gerade mit Blick auf die Frage, wie sich unter dem skizzierten Problemhandlungsdruck gesellschaftliche Zusammenhänge für ihre Bearbeitung erwarten lassen.

Bildet Transformation insofern den Kollaps gesellschaftlicher Kohäsion? Traditionen nationaler, kultureller, religiöser Provenienz können gesellschaftliche Kommunikationszusammenhänge verbürgen, wo sie hinreichend Plausibilität für ihre Orientierungsmuster freisetzen und verbürgen. Aber lässt sich dies in posttraditionalen Gesellschaftsformationen erwarten, die basale Überzeugungen – auch und nicht zuletzt verfassungskonstitutive – in digitalen Kommunikationsräumen mit akuter Produktionszeit und schnellen Ablauffristen von Positionen einer Meinungsbildung zur Verfügung stellen und aussetzen müssen, in denen sie genau dadurch auf dem Spiel stehen? Wie soll unter diesen Bedingungen eine transformative Gemeinsamkeit mit konsensfähigen Bindungswirkungen überhaupt entstehen können – und zwar nicht nur angesichts, sondern im Zuge von Werteinstellungskonflikten? Dass sich Menschenrechtserklärungen in ihrem politischen Gehalt entleeren, sobald sie im Konflikt beansprucht werden, stellt das das zivilisationskulturelle Menetekel der 2020er Jahre dar.

Kohäsion durch Konflikt? Ein katholischer Seitenblick

Umso interessierter muss man auf mögliche Lernschritte blicken, die gesellschaftliche Akteure einbringen können. Religionshistorisch bietet sich dafür die römisch-katholische Kirche als ein Modell für die Aushandlung konfliktiver Transformationsprozesse an. Als ecclesia semper reformanda verlangt sie sich ab, ihre Tradition über notwendige Kurskorrekturen in Bewegung zu halten. Traditionsdynamik wird dabei in der Regel nicht als Traditionskritik konfiguriert: Das kirchliche Schuldbekenntnis aus dem Jahr 2000 stellt diesbezüglich eine große Ausnahme dar. Genau darin zeigt sich die konsensuelle Anstrengung, die eine Umstellung von Traditionsgehalten mit sich bringt.

Man sollte dies für eine spezifisch moderne Operation halten: die fortlaufende Arbeit an pluralen Bestimmungsmustern dessen, was als verbindende und verbindliche Tradition den normativen Gehalt der Kirche als Glaubensgemeinschaft ausmacht. Auf eine katholische Kurzformel gebracht: Einheit in Vielfalt. Aber entspricht das der historisch-reflexiven Form, in der sich die römisch-katholische Kirche in der Moderne bestimmt? Die Frage, wie – im Sinne des vorliegenden Themenheftes – „gesellschaftliche Aushandlungsprozesse über ihre eigenen Basisprämissen funktionieren können“, entscheidet sich am Modus der spezifischen Modernität einer Kirche, die sich zu Beginn des dritten Jahrtausends in einer dramatischen Krise wiederfindet:

  • mit Säkularisierungseffekten in den geschichtlichen Ursprungszonen des Christentums, die im Westen kirchlichen Wandel mit Kirchensterben korrelieren;
  • im Horizont religionskultureller Unterschiede einer sich globalisierenden Kirchenform, die im Blick auf die Rolle von Frauen und sexualethische Normen einander ausschließende Positionen und habituelle Einstellungen aneinander vermitteln;
  • angesichts eines komplexen Missbrauchsproblems, das in seiner systemischen Dimension die theologischen Begründungen und die ekklesiologischen Dispositive kirchlicher Gouvernementalität unter Plausibilitätsdruck setzen.

    Dass ein Papst seinerseits an die Tradition gebunden ist, die er zu wahren hat, und dass die Evaluation von Traditionsgehalten epistemisch mehrinstanzlich läuft, scheint wiederum modernitätsaffine Züge anzunehmen.

Diese Probleme werden kirchlich auf unterschiedlichen Ebenen ausgehandelt: zwischen Amtsträgern und Laien, zwischen Ortskirchen und ihren universalkirchlichen Bezügen, die wiederum von der römischen Kirchenzentrale dirigiert und kontrolliert werden. Dafür stehen unterschiedliche Kommunikationsformate zur Verfügung, die diversifizierte Formen kirchlicher Beteiligung vorsehen – wobei Letztentscheidungen für den Papst mit souveräner Kirchenvollmacht reserviert bleiben. Dass ein Papst seinerseits an die Tradition gebunden ist, die er zu wahren hat, und dass die Evaluation von Traditionsgehalten epistemisch mehrinstanzlich läuft (vgl. DV 10 und die Methodologie der loci theologici), scheint wiederum modernitätsaffine Züge anzunehmen. Das gilt nicht zuletzt, weil sich darin ein spezifisch geschichtlicher Diskurs der Bestimmung von Glaubenswahrheiten vollzieht. Tatsächlich macht die Ausdifferenzierung unterschiedlicher Funktionssysteme gegenüber ständisch verfassten, in festen Ordnungsmustern verfugten Gesellschaften Modernität aus. Präzisiert man mit Peter Gay diese Definition von Modernität formbestimmend, so zeichnen moderne Diskurse zwei Aspekte besonders aus2: ihr häretisches Moment, sprich: die Arbeit an der Autorität normativ festgelegter Ansprüche, sowie das Interesse an „bedingungsloser Selbsterforschung“, sprich: die selbstreflexive Beobachtung und Verflüssigung der eigenen Positionen. Kommunikation wird als Kommunikationskommunikation betrieben. Sie bricht mit Selbstverständlichem, sie verteilt Plausibilitätsressourcen auf unterschiedliche Akteur*innen, die sie herstellen, und verflüssigt sich in jenen operativen Eingriffen, mit denen jeweils neu Kommunikation an Kommunikation anschließt. In digitalen Gesellschaften vollzieht sich dieser Vorgang in einer Radikalität, die als Konsequenz von Modernität erscheint: In einer epistemisch digital organisierten Welt wird die Wahrnehmung der wirklichen Welt als Wirksamkeit von Beobachtungen greifbar. Kunst macht dies sichtbar, indem sie als und im Bild Wahrnehmung zum Thema macht. Sie stellt die eigene Wahrnehmung dar und wird zugleich zum Gegenstand von Wahrnehmung. Die epistemische Form wird umgestellt: von einer ontologischen auf eine semiotisch-performative:

In digitalen Gesellschaften vollzieht sich dieser Vorgang in einer Radikalität, die als Konsequenz von Modernität erscheint: In einer epistemisch digital organisierten Welt wird die Wahrnehmung der wirklichen Welt als Wirksamkeit von Beobachtungen greifbar.

„Aus wissenssoziologischer Sicht ist das strukturelle Bezugsproblem moderner Gesellschaft die Perspektivität des jeweiligen Weltzugangs. Die entscheidende Frage lautet nicht mehr, was die Welt sei. Es handelt sich nicht mehr um die ontologische Frage nach den Beschaffenheiten, sondern um die epistemologische Frage nach dem Zugang und der Repräsentation. Die Welt ist nur noch in der Verdoppelung zugänglich, genauer: nur noch als Verdoppelung, die ihr Original nur in der Verdoppelung kennt.“3

Ein Muster liefert das 2. Vatikanische Konzil, das auf verschiedenen Feldern neue Positionierungen der katholischen Kirche vornahm. Es handelt sich um Umstellungen kirchlicher Lehre, die einerseits wirkliche Veränderungen mit entsprechenden Effekten darstellen. Andererseits wurden sie als traditionskontinuierend ausgewiesen. Auf diese Weise konnten hohe Mehrheiten für Konzilsentscheidungen gefunden werden, die einen Konsens praktizierten, der nur wenige Jahre vorher theologisch ausgeschlossen schien. Das zeigt sich in mehreren Richtungsentscheidungen, die vor dem Konzil vom kirchlichen Lehramt in verschiedenen Dokumenten nahezu kontradiktorisch anders getroffen worden waren:

  • mit der Anerkennung der Religionsfreiheit;
  • mit der aktiven Beteiligung an der ökumenischen Bewegung und der Anerkennung des kirchlichen Charakters auch jener Gemeinschaften, gegen die zuvor kontroverstheologisch argumentiert wurde;
  • mit einer theologisch begründeten Wertschätzung anderer religiöser Traditionen;
  • mit einer Umstellung der Perspektive auf das Judentum und einer veränderten Lehrpraxis.

Diese Transformationsprozesse waren möglich, weil sich das Konzil selbst transformativ entwickelte, nicht zuletzt indem die Konzilsväter die vorbereiteten Schemata der Kurie zurückwiesen und sich als Konzil konstituierten. Damit bildete sich das performative Verständnis einer Kirche als Communio heraus, das in die ekklesiologischen Bestimmungen (LG) einging und konsensbestimmend wirksam wurde. Anders als auf dem 1. Vatikanischen Konzil wurde Bedenken und Einwänden, Vorbehalten und abweichenden Voten der Minderheit auf dem 2. Vatikanischen Konzil Raum gegeben. Dadurch nahmen manche Dokumente in auch neuralgischen Punkten Kompromisscharakter an, und Zuordnungen wie die von Bischofskollegium und Papst in kirchlicher Letztverantwortung bleiben zwar nicht operativ, wohl aber ekklesiologisch offen, gerade wenn es um Entscheidungskonflikte geht.

Damit hat das 2. Vatikanische Konzil – und zwar gerade in seinen Problembearbeitungsüberhängen – vor allem eins ermöglicht: eine dynamische Aushandlung und Zuordnung der eigenen Traditionsbildung im Modus ihrer Transformation. 

Damit hat das 2. Vatikanische Konzil – und zwar gerade in seinen Problembearbeitungsüberhängen – vor allem eins ermöglicht: eine dynamische Aushandlung und Zuordnung der eigenen Traditionsbildung im Modus ihrer Transformation. Dass dies freilich nur im Ansatz in bewusster Modernität geschah, zeigt sich

  • in der sehr eingeschränkten Wahrnehmung von Modernität – exemplarisch in der Analyse der „Situation der Menschen in der heutigen Welt“ der Pastoralkonstitution Gaudium et spes (Nr. 4-10);4
  • in den Interpretationskonflikten nach dem Konzil, vor allem in den lehramtlichen Regulierungen jener Pluralität, die auf dem Konzil durch die Bischöfe zu Wort kam, sich aber als Weltkirche aus und in Ortskirchen unter Globalisierungsbedingungen neu anmeldet und vom Lehramt mit Dissens-Verboten belegt wurde;5
  • in der fehlenden Reflexion auf die Geschichte des katholischen Antimodernismus und seine Konsequenzen für die Arbeitsweise des Konzils;
  • in der nur ansatzweise übernommenen Perspektive historisch-kritischer Forschung (Dei Verbum), die methodisch das Problemrepertoire des modernen Historismus bestimmte.

Diese defizitär-unentschlossene Modernität bestimmt die katholische Kirche lehramtlich vor allem mit Blick auf Autonomie-Ansprüche, namentlich in sexual-ethischer Hinsicht, sowie in den mitlaufenden Rückbezügen auf naturrechtliche Begründungskonstruktionen. Sie bieten Vergewisserungen einer objektiven Glaubensperspektivik an, mit denen sich im kirchlichen Binnenraum theologische Deutungskonflikte justieren und einhegen ließen. In dem Maße, in dem diese Milieus zerbrochen sind, vor allem aber mit dem Fanal des weltweiten katholischen Missbrauchskomplexes lösen sich die Plausibilitätsrahmen auf, mit denen das kirchliche Lehramt regieren konnte. Genau das hat eine Zunahme offener Deutungskonflikte in theologischen Grundsatzfragen zur Folge. Ihr Auftreten, ihr öffentlicher Austrag ist Aspekt und Motor einer systemischen Transformation, die disruptiv auftritt – mit der durchschlagenden Wirkung von Missbrauchsstudien und dem Scheitern ihrer konsequenten Bearbeitung durch das kirchliche Leitungsamt, das sich dafür als zuständig deklariert.

Synodale Transformation der katholischen Kirche als Kohäsionspraxis?

In diesem Transformationsprozess werden seine Bestimmungs- und Aushandlungsformen sowohl zum Thema wie zur operativen Praxis. Anders gesagt: Die Umstellung der römisch-katholischen Kirche auf Synodalität, die in Deutschland – ausgehend von der MHG-Studie zu Missbrauch in der Kirche – zum Reformprojekt des Synodalen Wegs führte und weltkirchlich von Papst Franziskus betrieben wird, unternimmt eine kirchliche Transformation, indem sie diese behandelt.

Diese synodale Transformation macht sich an einer komplexen Krise der katholischen Kirche fest. Sie verschärft sich in auseinanderscherenden religiösen Einstellungen, theologischen Perspektiven und kirchlichen Orientierungen. Zur Diskussion steht der Zusammenhang der katholischen Kirche bezogen auf die eigene Traditionsgewähr im Zuge von Umstellungen der Lehre wie hinsichtlich des gelebten Glaubensverbundes als einer communio. Ein Beispiel: Die Ermöglichung, homosexuelle Partnerschaften zu segnen, löst nicht nur moraltheologische Deutungskonflikte aus, sondern spitzt schrift- und traditionshermeneutische Fragen so zu, dass sich diametrale Konflikte zwischen den verschiedenen kirchlichen Positionen ergeben. Sie lassen sich auch mit den differenztheoretischen Methoden christlicher Ökumene kaum bearbeiten, weil nach der Regel versöhnter Verschiedenheit bzw. des differenzierten Konsenses Glaubenssätze nicht direkt widersprechen oder einander ausschließen dürfen. Genau das aber ist der Fall bei der Beurteilung von Homosexualität etwa in den Kirchen Afrikas und Westeuropas.

In dem Maße, in dem sich im Zeichen pastoraler Barmherzigkeit der Papst selbst als ein lehramtlicher Ambiguitätsverstärker erweist, wird die Übergängigkeit auch dogmatischer Lehrpraxis sichtbar.

Kirchlich handelt es sich um eine Latenzzeit katholischer Transformation, schon weil die hochkonfliktiven Themen vor dem Bergoglio-Pontifikat nicht kirchenöffentlich ausgetragen werden konnten. In dem Maße, in dem sich im Zeichen pastoraler Barmherzigkeit der Papst selbst als ein lehramtlicher Ambiguitätsverstärker erweist, wird die Übergängigkeit auch dogmatischer Lehrpraxis sichtbar.6 Damit stellt die Sonderfigur dieses Papstes mit seiner spezifischen Machtausstattung einen disuruptiven Faktor in der kirchlichen Traditionssicherung dar, die er als synodal-pastorale Transformation bestimmt und betreibt. Die schiere Tatsache, dass der Papst und seine Verteidiger immer wieder die Kontinuität von Benedikt XVI. und Franziskus betonen müssen und sie zugleich mit konservativen Anfragen auch von Kardinälen konfrontiert sind, macht auf dieses disruptive Moment zumindest in der Wahrnehmung aufmerksam.

Der synodale Kirchen-Transformations-Ansatz soll nun auf diese Herausforderung reagieren, indem zum einen Stimmen aus der Weltkirche eingeholt werden, die ein Artikulationsform des Volkes Gottes darstellen sollen und auf diese Weise katholische Communio als kommunikativen Zusammenhang prozessieren. Zum anderen wird auf den römischen Synodalversammlungen das Beteiligungsspektrum über Bischöfe hinaus so erweitert, dass auch Nicht-Bischöfe abstimmungsberechtigt sind. Das stellt einen Bruch geltenden Kirchenrechts für Bischofssynoden dar, mindestens aber seine Überschreitung noch vor der Installierung jener Rechtsform, die synodal erprobt werden soll. Wie sich dieser gespannte Zusammenhang zwischen der souveränen Entscheidungsmacht des Papstes und seiner Bindung an das eigene Kirchenrecht verhält und wie zudem ein monarchisch regierender Papst selbst Aspekt einer synodalen Kirche sein kann, stellt ein eigenes Thema disruptiver Kirchentransformation dar.

Insofern stellt die synodale Transformation der katholischen Kirche eine kommunikative Brückentechnik im Konfliktfall dar, der performativ verhandelt wird.

Auf dem gegebenen Experimentalniveau katholischer Synodalität soll nach dem Willen des Papstes ein Prozess des geistlichen Hörens und der Wahrnehmungsschärfung unterschiedlicher Positionen eine synodale Lernerfahrung ermöglichen. Statt demokratischer Abstimmungen soll in einem mehrstufigen Prozess synodale Praxis entwickelt werden, auf deren Basis dann konfliktive Themen neu verhandelt werden können. Insofern stellt die synodale Transformation der katholischen Kirche eine kommunikative Brückentechnik im Konfliktfall dar, der performativ verhandelt wird. Das synodale Mindset soll auf diesem Weg als katholische Lösungsform und möglicherweise als Modell einer Konfliktbearbeitungsstrategie etabliert werden, um in systemisch bedingten, habituell bestimmten Überzeugungsdifferenzen eine belastbare Kohäsion als Communio zu entwickeln.

Dafür steht katholisch der rituelle Erfahrungsraum eucharistischer Gemeinschaft zur Verfügung, der eigene Zusammenhangsdynamiken erzeugen kann, weil sich in liturgischer Praxis der Glaube an die Selbstvergegenwärtigung Jesu Christi pneumatologisch verdichtet, sprich: weil sich im Glauben an seine Geistgegenwart eine Haltung des inneren Zusammenhangs jeweils neu aktualisieren lässt. Diese Praxisform steht in anderen gesellschaftlichen Kontexten nur analog und nicht in dieser spezifischen Verdichtungsform als Glaube zur Verfügung – am ehesten noch in gemeinschaftsstiftenden Ausnahmesituationen durch externe Bedrohungen oder durch nationale Erregungszufuhren.

Insofern kann gerade der Papst als Einheitsfigur im Konflikt eine Lösungsoption darstellen, auch wenn er dies nur im zumindest latenten Widerspruch zur synodalen Kirchenbestimmung zu leisten vermöchte. Freilich stellt dies für offene demokratische Gesellschaften keine Option, sondern eine autoritäre Versuchung dar.

Für die Frage nach der gesellschaftlichen Transformationsdynamik lässt sich das katholische Kirchenmodell damit als Muster heranziehen, das aber deshalb nur einen begrenzten Auskunftswert für konsensorientierte, zumindest aber kohäsionsproduktive gesellschaftliche Aushandlungen in wertbezogenen Konflikten hat, weil die katholische Kirche eine spezifische Ritualpraxis der Bearbeitung ihrer Konflikte unterlegen kann. Allerdings nimmt gerade liturgische Teilnehmerpraxis rapide ab, nicht zu reden vom Mitgliederverlust.7 Zudem ist im synodalen Transformationsprozess der katholischen Kirche offen, ob und inwiefern er auch auf Dauer erlaubt, menschenrechtsbasierte Grundunterschiede, die ihrerseits den Charakter von starken Glaubensüberzeugungen besitzen, aneinander zu vermitteln. Mit Blick auf die Erfahrungen anderer Kirchen wie etwa der anglikanischen Gemeinschaft, ist begrenzter Optimismus angezeigt. Indes kann auch hier eine römisch-katholische Besonderheit weiterhelfen: die Entscheidungsmacht des Papstes, der auf eine synodal erarbeitete und beschlossene Option festlegt. Das 2. Vatikanische Konzil kann als Beispiel dienen, dass eine kirchliche Transformation trotz Reibungsverlusten nur zu einer marginalen schismatischen Abspaltung geführt hat. Hier zeigt sich nicht nur kirchliche Kohärenz, sondern ein durch die Konzilsdokumente dokumentierter Konsens, der eine durchgreifende Transformation der Lehre und der kirchlichen Praxis definiert. Insofern kann gerade der Papst als Einheitsfigur im Konflikt eine Lösungsoption darstellen, auch wenn er dies nur im zumindest latenten Widerspruch zur synodalen Kirchenbestimmung zu leisten vermöchte. Freilich stellt dies für offene demokratische Gesellschaften keine Option, sondern eine autoritäre Versuchung dar – die, wie eingangs markiert, ein eigenes Zeichen krisenhafter Transformationszeiten darstellt.

 

 

  1. Vgl. A. Nassehi, Gesellschaft der Gegenwarten. Studien zur Theorie der modernen Gesellschaft II, Berlin 2011.
  2. P. Gay, Die Moderne. Eine Geschichte des Aufbruchs, Frankfurt a.M. 2008, 24-51; das folgende Zitat ebd., 24.
  3. A. Nassehi, Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft, München 2019, 110.
  4. Vgl. A. Kreutzer, Kritische Zeitgenossenschaft. Die Pastoralkonstitution Gaudium et spes modernisierungstheoretisch gedeutet und systematisch-theologisch entfaltet (ITS 75), Innsbruck, Wien 2006.
  5. Vgl. Die Instruktion Donum Veritatis. Über die kirchliche Berufung des Theologen, 24.5.1990, besonders Nr. 32-41.
  6. Vgl. G. M. Hoff, In Auflösung. Zur Gegenwart des römischen Katholizismus, Freiburg u.a. 22024.
  7. Vgl. St. Bullivant, Mass Exodus. Catholic Disaffiliation in Britain and America since Vatican II, Oxford 2019.

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