022022

Foto: Abbie Bernet/Unsplash

Statements

Katharina Haubold

Kirche trotz Kirche

In den letzten Jahren frage ich mich zunehmend, was mich eigentlich noch in „dieser“ Kirche hält. „Diese Kirche“ ist in meinem Fall die Evangelische Landeskirche, der ich mich vor zwölf Jahren bewusst angeschlossen habe, weil sich meine in Teenagerjahren entwickelte Identität als katholisch Getaufte und durch eine Jugendfreizeit evangelisch Engagierte aus beruflichen Gründen nicht länger parallel gestalten ließen.

Ich bin sehr bewusst in diese Kirche eingetreten – ganz und gar nicht ohne Abschiedsschmerz, aber doch mit der starken Überzeugung, Gestaltungsfreiraum zu erleben, an „eher kirchenfernen Menschen“ orientiertes Engagement einbringen und einen für mich und die Leute in meinem Umfeld relevanten Glauben entdecken, feiern und leben zu können. Ich mag das weite Dach der Evangelischen Landeskirche, dass unterschiedliche Frömmigkeiten Platz haben, dass Tradition eine Ressource darstellt, dass ich gerade als Jugendliche aber auch immer wieder Innovation erleben durfte.

Ich erlebe mich zunehmend als widerständig „im eigenen Laden“.

Und sicherlich ist das auch heute möglich und mit einem starken Engagement vor Ort umsetzbar, aber je stärker ich mich in Gremienarbeit vor Ort einbrachte, je deutlicher wurde, dass es auch auf struktureller Ebene Veränderung braucht, die nicht nur das Umgehen mit Mitgliederschwund und sinkender Pfarrpersonenzahlen zum Ziel hatte, desto frustrierter wurde ich. Strukturdebatten, jahrelange andauernde Fusionsprozesse, marode Kirchengebäude und zunehmend implizit und explizit die Auffassung, dass inhaltliche Ausrichtung, ein Klären unseres gemeinsamen „Warums?“ und eine Kirche, die sich von ihrer Sendung her begreift und gestaltet, Luxusdebatten seien, für die es weder Zeit noch Energie gebe. „Kirche trotz Kirche“ formulierte es kürzlich jemand treffend und ich fühlte mich sehr verstanden.

Ich erlebe mich zunehmend als widerständig „im eigenen Laden“. Als auf Veränderung pochend. Aber auch als müde und resigniert. Zu oft habe ich Sätze gehört wie: „Woher sollen wir dafür noch die Zeit und die Kraft nehmen?“; „Dafür müssen wir uns dann mal richtig viel Zeit nehmen, einen ganzen Tag am besten.“ (Spoiler: Diese „ganzen Tage“ ließen sich leider nicht einrichten); „Die ‚da oben‘ müssten mal was verändern, wir müssen hier ausführen, was uns vorgesetzt wird, und ständig steigt der Verwaltungsaufwand.“; „Nee, das muss auf Gemeindeebene laufen und gelöst werden, da kann man hierarchisch gar nichts lösen, schließlich sind wir eine presbyterial organisierte Kirche.“ Uff.

Vor allem in meiner ehrenamtlichen Tätigkeit stelle ich mir zunehmend die Frage, wo ich meine Zeit, Kraft und Energie einsetzen kann und möchte und was mich wirklich zum Engagement motiviert. Denn das bin und bleibe ich ja weiter:

Doch neben diese inhaltliche Motivation tritt zunehmend eine strukturbegründete Resignation.

Inhaltlich motiviert, begeistert von der (für mich) guten Nachricht, dass es einen Gott gibt, die in dieser Welt zu finden ist, die Co-Kreator*innen sucht, die Ideen für unser Miteinander hat, die Entfaltung, Aufblühen und Erfüllung mit sich bringen. Ein Gott, der lebendig ist und durch Sterben und Auferstehen das Leben transformiert. Ein Gott der Hoffnung, der Liebe, der Empathie. Und ich wünsche mir, an Formen und Inhalten von Kirche mitgestalten zu können, in denen es möglichst wahrscheinlich wird, dass Menschen eigene Gotteserfahrungen und ihrerseits gute Nachricht erleben.

Doch neben diese inhaltliche Motivation tritt zunehmend eine strukturbegründete Resignation. Ich verstehe, dass es Struktur braucht. Und doch kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Debatten häufig so geführt werden, als sei die Struktur ein Selbstzweck. Oder als sei man ihr ausgeliefert. Menschengemacht scheint „sie“ nun eine solche Eigendynamik entwickelt zu haben, dass ihr Genüge getan werden muss und aktive Veränderung nur in sehr starren Rahmenbedingungen möglich ist. Vielmehr muss permanent auf Veränderung von außen reagiert werden, anstatt dass eine aktiv gestaltende Rolle übernommen wird. Und auch hier leuchtet mir ein, dass man nicht von heute auf morgen „Tabula Rasa“ machen kann, dass sich ein „Apparat“ von (Entscheidungs-)Gremien, Ausschüssen, Synoden, Verwaltung, Verbeamtung, Organisation usw. nicht einfach mal eben umkrempeln lässt. Und doch frage ich mich: Ist bei all dem klar, was die Antreiber und Motivationen für die Entscheidungen, die getroffen werden, sind. Wie sehr geht es am Ende doch um Macht, den Erhalt von Privilegien und das Einrichten im Vorfindlichen? Dabei ist mein persönlicher Eindruck mit Nichten, dass „im System“ dabei zu wenig gearbeitet wird oder es prinzipiell an Engagement fehlt. Im Gegenteil. Gerade auf Seiten von Hauptamtlichen begegnet mir ein Arbeiten am Limit – am zeitlichen Limit, am emotionalen Limit, am kräftetechnischen Limit. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, warum Veränderung ein Luxusgut zu sein scheint – weil sie immer on top von „sowieso schon zu viel“ gedacht werden muss.

Vielmehr muss permanent auf Veränderung von außen reagiert werden, anstatt dass eine aktiv gestaltende Rolle übernommen wird.

Niemand im System scheint nachhaltig etwas verändern zu können, niemand scheint entscheiden zu können, was in Würde sterben und gelassen werden darf, niemand scheint die Adresse zu sein, an die sich Widerstand richten könnte und von wo aktive Veränderung eingefordert werden könnte. Und natürlich bin ich froh darum, dass Entscheidungen in der Kirche nicht von Einzelpersonen „mal eben“ getroffen und dann „nach unten durchgereicht werden können“.

Neben Motivation und Resignation tritt so immer stärker auch eine Ratlosigkeit. Nein, ich habe keine Lösung, wenn auch vielleicht manche Idee, die man mal diskutieren und erproben könnte. Aber das scheint nicht zu reichen. Weder meine Ideen noch die der vielen anderen, die ähnliche Themen bewegen. Zu wirkmächtig sind die Narrative des „das schaffen wir nicht“, „das können wir nicht“, „du stellst dir das zu einfach vor“.

Aber. Aber es gibt m.E. wenig Anzeichen dafür, dass die strukturelle Form von Kirche, wie wir sie derzeit noch erleben, Zukunft hat. Fehlende Relevanz, nicht anschlussfähige Formen und Inhalten und Schatten der Vergangenheit bewegen immer mehr Menschen zur Abstimmung mit den Füßen und eine Trendwende scheint da nicht in Sicht.

Aber es gibt m.E. wenig Anzeichen dafür, dass die strukturelle Form von Kirche, wie wir sie derzeit noch erleben, Zukunft hat.

Wird das System kollabieren? Wird es sich auflösen? Wird eine Transformation doch aktiv und gestalterisch gelingen? Das vermag wohl derzeit niemand zu sagen.

Aber ich möchte aktiv daran arbeiten, dass meine inhaltliche Motivation stärker bleibt als die strukturbedingte Resignation. Möchte mitgestalten, wo es möglich ist, und eine Kirche, die sich von ihrer Sendung her versteht, immer wieder zum Thema machen. Und so ist das „trotz“ in ‘Kirche trotz Kirche’ ein hoffnungsvolles, widerständiges, zukunftsgewandtes „trotz“.

 

 

 

 

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