022022

Foto: Ivan Vranić/Unsplash

Praxis

Barbara Hucht

Kirche in der Krise – geht auch das kirchliche Engagement den Bach runter?

Wahrnehmungen einer Organisationsberaterin

Annäherungen

Dass sich die jetzige Form von Kirche in einer massiven und tiefgreifenden Krise befindet, ist hinlänglich und schon seit langem bekannt. Spannend ist derzeit die Frage, ob sich die Institution Kirche selbst abschafft oder ob und wie sie noch zu retten ist.

In diesem Artikel soll der Frage nachgegangen werden, wie die bislang hoch engagierten freiwillig wie auch beruflich tätigen Personen in Kirche die sich abzeichnenden kirchlichen Entwicklungen wahrnehmen, sie bewerten und mit ihnen umgehen.

Als stellv. Leiterin der Beratungsdienste im Erzbistum Paderborn bin ich mit vielen Kolleg*innen im Gespräch, die hauptberuflich im Erzbistum Paderborn tätig sind, sei es in der erzbischöflichen Behörde im Bereich Pastoral, Personal oder Verwaltung, sei es in Einrichtungen oder Verbänden. Viele von ihnen sind auch ehrenamtlich in Gemeinden und pastoralen Räumen aktiv. Durch meine Tätigkeit als Organisationsberaterin begegne ich vielen hauptberuflich und freiwillig tätigen Menschen in Pastoralen Räumen. Darüber hinaus mache ich selbst Erfahrungen in Kirche als Ehrenamtliche im pastoralen Raum und in einem kirchlichen Sozialfachverband. Aus diesen Erfahrungen und Wahrnehmungen erwachsen die eher subjektiven Streiflichter zu den Fragestellungen dieses Artikels.

Wie nehmen die (bislang) hoch engagierten freiwillig wie beruflich tätigen Personen in Kirche die sich abzeichnenden kirchlichen Entwicklungen wahr? Wie bewerten sie diese?

In vielen Gesprächen zeigt sich durchgängig eine Aussage: „Es kann in und mit Kirche nicht so weitergehen wie bisher! Es muss sich endlich etwas ändern.“1

Bei genauerem Nachfragen ergeben sich verschiedene Aspekte, die zu dieser grundlegenden Aussage führen:

Die Veränderungen in der Gesellschaft führten zur Frage, welche Menschen den transzendenten Bezug, den Kirche herstellen will, überhaupt noch bräuchten und ob Kirche dann die Partnerin für die Erfüllung von möglicher spiritueller Sehnsucht sei. Vielen Menschen sei diese Welt genug, so dass Kirche mehr und mehr an Bedeutung verliere.

Die Institution Kirche kämpfe schon lange mit einem Glaubwürdigkeitsproblem. Die Sprache der Kirche sei nicht (mehr) die Sprache der Menschen. Die Sprache in Liturgie und Verkündigung erreiche die Menschen genauso wenig, wie die Sprache im kirchlichen Gesetzes- und Regelwerk. Dazu komme, dass die Botschaft Jesu Christi, die u.a. eine Botschaft von Liebe, Barmherzigkeit und Vergebung sei, für viele Menschen nicht im Agieren der Institution Kirche und mancher ihrer Vertreter*innen spürbar wäre. Botschaft und Taten deckten sich nicht.

Die schon länger bestehende Krise in der Kirche sei in den letzten Jahren durch die Veröffentlichung der MHG-Studie (Studie zum Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland) noch einmal massiv verschärft worden. Die jetzt nach und nach über Jahre veröffentlichten Ergebnisse der Missbrauchsstudien der einzelnen Bistümer würden immer wieder als Einschläge erlebt, die Menschen erschütterten. Die gefühlt „scheibchenweise“ Bekanntgabe von Ergebnissen und das Zögern bei der Aufklärungsarbeit schürten das Misstrauen gegenüber der Kirche als Institution enorm. „Jetzt ist es endlich genug!“ bzw. „Das ist nicht mehr meine Kirche!“ seien geläufige Reaktionen.

Insgesamt wird wahrgenommen, dass die in der Institution Kirche Verantwortlichen […] viel zu lange gezögert hätten, um zukunftsweisende Richtungen, wie z. B. die stärkere Beteiligung der Laien, insbesondere auch der Frauen, an Leitung oder das konsequente Zugehen auf Menschen, die sich von der Kirche entfernt haben, einzuschlagen.

Insgesamt wird wahrgenommen, dass die in der Institution Kirche Verantwortlichen (angefangen in Rom, über den eigenen Bischof und vielfach bis zu den Leitungen in den Pastoralen Räumen vor Ort und in den Bereichen der bischöflichen Behörde) viel zu lange gezögert hätten, um zukunftsweisende Richtungen, wie z. B. die stärkere Beteiligung der Laien, insbesondere auch der Frauen, an Leitung oder das konsequente Zugehen auf Menschen, die sich von der Kirche entfernt haben, einzuschlagen. Immer wieder würden Entscheidungen aufgeschoben, z.T. auch wieder zurückgenommen. Oftmals interpretieren die Menschen dieses Zögern und Zaudern der Leitungen in Kirche als Mittel, um die eigene Macht nicht teilen oder abgeben zu müssen.

Hauptberuflich wie freiwillig Engagierten konnten, trotz Kritik an der Institution Kirche und Nicht-Einverstanden-Sein mit kirchlichen Entscheidungen, lange für sich sagen: „Ich kann hier vor Ort an meinem Platz Kirche positiv gestalten und verändern und damit ein guter Teil von Kirche sein!“ Dieses oftmals gut eingeübte Konstrukt funktioniere inzwischen nicht mehr, da zum einen die Erfolgserlebnisse im eigenen Tun fehlten („es funktioniert alles nicht mehr!“) und zum anderen die vielen Negativschlagzeilen in und über Kirche das eigene Engagement massiv überlagerten. Es sei nicht mehr attraktiv und cool, in kirchlichen Bereichen zu arbeiten oder sich dort zu engagieren. Mehr und mehr seien die Engagierten Angriffen, Hohn und Spott ausgesetzt. Viele ausgeschriebene Arbeitsstellen im kirchlichen Kontext könnten derzeit nicht besetzt werden, weil passende Bewerbungen fehlten. Selbst an Orten, an denen Engagierte sich gut einbringen und viel gestalten können, schlüge ihnen aufgrund der Großwetterlage der Wind ins Gesicht. Ohne eine starke eigene Glaubensüberzeugung, die weiterhin Kraftquelle für das eigene Leben ist, könnten man in diesen rauen Zeiten nicht bestehen.

All diese Wahrnehmungen führen immer häufiger und zugespitzter zu der Aussage, dass Kirche sich unbedingt verändern müsse, damit „nicht alles den Bach runter geht!“ Gleichzeitig herrscht eine große Skepsis vor, ob die Verantwortlichen in der Institution Kirche wirklich bereit seien, die Entwicklungen zu sehen und auf die Menschen zu hören und – noch grundlegender – ob Institution sich überhaupt noch verändern könne. Zu häufig haben die Engagierten offensichtlich keine Veränderung nach vorne, sondern Stillstand, ja bisweilen sogar Rückschritt erlebt.

Wie gehen die Engagierten mit Ambivalenzen, Widersprüchen und Polarisierungen um, die in der aktuellen Situation deutlicher werden? Welche persönlichen Strategien sind beobachtbar?

Erst einmal ist festzustellen, dass jede*r Engagierte für sich persönlich einen Umgang mit der jetzigen Kirchensituation finden muss. Trotzdem lassen sich einige, durchaus auch unterschiedliche Tendenzen des Umgangs bei hauptberuflich und freiwillig Engagierten wahrnehmen:

Hauptberuflich Engagierte, die in ihrer Arbeit im kirchlichen Bereich sehr nah an den Menschen mit ihren Lebensfragen und -nöten sind und hier eine hohe Wirksamkeit für sich erleben, können die Krise der Kirche besser ausblenden als andere.

Hauptberuflich Engagierte, die in ihrer Arbeit im kirchlichen Bereich sehr nah an den Menschen mit ihren Lebensfragen und -nöten sind und hier eine hohe Wirksamkeit für sich erleben, können die Krise der Kirche besser ausblenden als andere. Sie haben das Gefühl, etwas sehr Sinnvolles zu tun, etwas, das auch wirklich funktioniert. Hierzu gehören Mitarbeitende in der Kategorie (z.B. in der Gefängnis- oder der Krankenhausseelsorge) oder in jedweder Form von Beratung.

Auch sind hauptberuflich Engagierte erkennbar, die sehr bewusst und motiviert in besondere Projekte und Initiativen hineingehen. Durch das Heraustreten aus der bisherigen kirchlichen Struktur sehen sie Möglichkeiten, Kirche und pastorale Arbeit zukunftsfähig aufzustellen. Wo es gelingt, diese Projekte und Initiativen organisatorisch, finanziell und personell gut auszustatten und das Verhältnis von Bisherigem und Neuem gut auszuloten, sind Aufbrüche zu erkennen, wie z.B. in sozialen Stadtteilprojekten oder auch in der Arbeit in geistlichen Zentren. Diese tragen zur Zufriedenheit der Engagierten bei und fördern das Erleben von eigener Wirksamkeit.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass immer mehr hauptberuflich Engagierte nach Möglichkeiten der Weiterbildung suchen. Damit wollen sie sich selbst für neue zukunftsfähige Arbeitsfelder fit machen. Bisweilen ziehen sie sich nach einer Weiterbildung auch aus der pastoralen Arbeit in den Gemeinden und pastoralen Räumen zurück und gehen sehr bewusst hinein in andere kirchliche Berufsfelder. Und sie haben durch die Weiterbildung ein weiteres berufliches Standbein entwickelt, um womöglich ganz aus dem kirchlichen Dienst aussteigen zu können.

Andere beruflich Engagierte in der Flächenpastoral befinden sich gefühlt wie in einem Hamsterrad. Die bisherigen Konzepte und Strategien funktionieren längst nicht mehr.

Andere beruflich Engagierte in der Flächenpastoral befinden sich gefühlt wie in einem Hamsterrad. Die bisherigen Konzepte und Strategien funktionieren längst nicht mehr. Die zu erfüllenden Aufgaben werden durch Personalknappheit immer mehr. Hektischer Aktionismus und mehr des immer Gleichen sind die Strategien, um die Kirche zu retten. Im Arbeitsalltag bleibt keine Zeit, um zu stoppen, zu reflektieren und sich wirklich mit der Situation auseinander zu setzen. Oft endet dieses Agieren in der totalen Überforderung, die schlussendlich krank macht. Ausfälle, Burnouts und Depressionen sind inzwischen nicht mehr nur Einzelfälle.

Weiter erlebe ich hauptberuflich Engagierte, die innerlich völlig zerrissen sind. Die Diskrepanz zwischen dem eigenen Bild von Kirche und dem derzeitigen Zustand von und in Kirche führt bei vielen hauptberuflich Engagierten zu Fragen, wie sie mit dieser Zerrissenheit umgehen können, ob ihr Platz noch in dieser Kirche sein kann, ob sie bleiben können oder gehen sollen. Der Anstieg von diesen und ähnlichen Themen in Supervisions- und Coachingprozessen ist deutlich wahrnehmbar.

Gerade bei hauptberuflich Engagierten, die schon lange im kirchlichen Dienst tätig sind, ist ein innerer Ausstieg wahrzunehmen. Oft haben sich diese Menschen viele Jahre lang in der Kirche eingesetzt, haben um Veränderungen gekämpft und sich u.a. an der Hierarchie abgearbeitet. „Ich habe keine Kraft mehr zum Kämpfen!“ oder „Hoffentlich schaffe ich es noch bis zur Rente!“, wird in Gesprächen gesagt. Diese hauptberuflich Tätigen machen irgendwie ihren Job, privat ziehen sie sich vermehrt aus Kirche zurück.

Insgesamt ist festzustellen, dass hauptberuflich engagierte Laien durch ihre berufliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber Kirche eher vorsichtig sind mit Kritik. Daher stabilisieren sie durch ihr Verhalten das derzeitige System Kirche.

Darüber hinaus gibt es hauptberuflich Engagierte, die weiterhin das tun, was sie schon immer getan haben, nach dem Motto: „Das war schon immer so!“. Sie blenden die Entwicklungen in Gesellschaft und Kirche aus bzw. bewerten sie mit ihren eigenen Denkschemata. Sie sehen keine Veränderungsnotwendigkeit, weil sich die wesentlichen ‚Wahrheiten‘ des Glaubens nicht verändern. Menschen, die Veränderungen fordern, haben in ihrer Denklogik den Kern der Glaubenswahrheiten nicht verstanden. Insgesamt ist festzustellen, dass hauptberuflich engagierte Laien durch ihre berufliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber Kirche eher vorsichtig sind mit Kritik. Daher stabilisieren sie durch ihr Verhalten das derzeitige System Kirche.

Die große Zahl der Austritte zeigt deutlich, dass inzwischen nicht nur die „Kirchenfernen“, sondern auch die Menschen aus dem „inner circle“, die bisher hoch motivierten freiwillig Engagierten, die Kirche verlassen. Neben dem inneren Ausstieg, der das Niederlegen des Engagements zur Folge hat, gibt es eben auch den äußeren Ausstieg, der mit dem Kirchenaustritt aus dieser Kirche besiegelt wird.

Andere freiwillig Engagierte bleiben Mitglied der Kirche, weil es ihnen um den eigenen Glauben geht. Diesen erleben sie für sich als eine Kraftquelle für ihr Leben, sie bleiben auf der Suche nach der Erfüllung der eigenen spirituellen Sehnsucht, oft „trotz allem“.

Die Suche nach einer Nische, in der die freiwillig Engagierten ihren Platz haben, die Suche nach einem Ort, einer Gruppe, in der das eigene Engagement Spaß macht und wirksam ist, wird größer. Erstaunlicherweise gibt es immer noch viele freiwillig Engagierte, die weiter massiv darum kämpfen, ihren Lebens- und Glaubensort mitgestalten zu dürfen, gerade auch gegen die Macht von Klerikern und Verantwortlichen vor Ort.

Insgesamt ist mein Eindruck, dass die Emanzipation der Menschen und damit auch der freiwillig Engagierten weiter stark voranschreitet. Das Verständnis, dass sie selbst Kirche sind, wächst. Auch wenn der Gedanke, ganz auf die Institution Kirche zu verzichten noch nicht sehr ausgeprägt scheint, suchen immer mehr Menschen Orte und Gruppierungen, in denen sie ohne die Strukturen der derzeitigen Kirche ihren Glauben leben und (eine andere, neue) Kirche sein können. Und andere gehen einfach – wohin auch immer.

Kann die jetzige Form der Kirche bestehen bleiben? Welche Knackpunkte werden identifiziert? Wie kommt die nächste Sozialform von Kirche in die Welt?

In den Gesprächen mit hauptberuflich und freiwillig Engagierten wird deutlich formuliert, dass die jetzige Form der Kirche so nicht weiter bestehen bleiben könne und es dringend radikale Reformen in den folgenden Bereichen brauche. Aus Sicht der Engagierten liegen besondere Knackpunkte hier:

Das Leben der Menschen und damit die Menschen selbst und die Situationen, in denen Menschen leben, müssten endlich eine Relevanz für die Kirche in ihrem Agieren und in ihrer Verkündigung haben. Nur wenn sie von den Menschen her denke und agiere, könne sie auch wieder Relevanz für die Menschen haben. Der Anspruch, der im II. Vaticanum in der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ formuliert sei, gelte auch heute noch: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“2 Und gerade die Menschen, die eine spirituelle Sehnsucht spürten, bräuchten Orte und Angebote, um diese Sehnsucht zu erfüllen. Hier werde Kirche nicht mehr als Ansprechpartnerin gesehen.

Das Leben außerhalb von Kirche habe sich massiv geändert. Die Welt sei global vernetzt, unsere Gesellschaft werde u. a. durch die Individualisierung der Menschen und demokratische Strukturen geprägt. In diese Welt passe Kirche mit ihrer hierarchischen Struktur und mit ihren z.T. als menschenverachtend empfundenen Regelungen und Gesetzen nicht mehr hinein. Daher brauche es endlich die schon lange geforderten synodalen Strukturen und den Dialog auf Augenhöhe.

Mehr Synodalität würde zum einen bedeuten, dass es keine einsamen Entscheidungen der „Machthaber“ mehr gäbe, sondern auf allen Ebenen gemeinsam entschieden würde. Dazu bräuchte es Beteiligungsformate, die von Anfang an die betroffenen Menschen beteiligten.

Ganz praktisch benötige die Kirche insgesamt eine gute, zielgerichtete Organisation und einen effektiven Ressourceneinsatz.

Hinter den hier benannten Aspekten stünden zentrale theologische Fragestellungen, z. B. die Frage nach dem Verständnis des Priesteramtes und der Frage, wozu Priester in Zukunft gebraucht würde. Und auch die Frage nach dem Verständnis von Sakramentalität einschließlich der Frage, wie Sakramentalität von Kirche zu verstehen sei und wie Kirche als „Zeichen des Heils in der Welt“3 agieren könne.4

Neben all den inhaltlichen Fragestellungen, die hier benannt werden und die sicher noch fortgeführt werden könnten, schwingt in den Gesprächen mit Engagierten etwas mit, was ich als den eigentlichen Knackpunkt benennen möchte:

„Das, was wir benennen, ist nicht neu. Vieles wird schon seit langem besprochen, eingefordert, erkämpft, und es ist gefühlt immer nur in Mini-Schritten nach vorne gegangen. Oft gab es auch Rückschritte. Es dauert alles viel zu lange, es ist eigentlich schon zu spät und wir glauben gar nicht mehr daran, dass die Kirche sich in dem Maße verändern kann, wie es notwendig ist.“

Aus all dem resultiert, dass die Engagierten vielfach nicht mehr an einen sanften Übergang von der jetzigen zur nächsten Gestalt von Kirche glauben. 

Aus all dem resultiert, dass die Engagierten vielfach nicht mehr an einen sanften Übergang von der jetzigen zur nächsten Gestalt von Kirche glauben. Dafür sind zu viele Chancen für eine Assimilation vertan worden. In ihren Augen braucht es jetzt radikale Veränderungen, die auch radikale Einschnitte beinhalten. Dass die jetzige Kirche komplett zusammenbricht, ist noch nicht wirklich vorstellbar, auch wenn dieser Gedanke inzwischen häufiger ins Spiel gebracht wird.

Welche Optionen werden diskutiert, wie der Übergang konstruktiv gestaltet werden kann und Risiken gemindert werden können?

Mit Blick auf die oben benannten Knackpunkte wird von vielen hauptberuflich und freiwillig Engagierten beschrieben, dass es in diesen Bereichen nur eine Option gäbe: klare Wegweisungen und inhaltliche und strukturelle Entscheidungen von den an höchster Stelle Verantwortlichen in der Institution Kirche (von den Bischöfe, gerne auch vom Papst). Diese und nachrangig dann alle weiteren verantwortlichen Entscheidungsträger*innen müssten eine zukunftsweisende Richtung einschlagen, die geprägt sei von synodalen, demokratischeren Strukturen, von der Option für die Menschen (die „Armen“) und von der Beteiligung der Betroffenen. Und sie müssten beherzt, engagiert und ehrlich in diesem Sinne handeln. „Leitung muss vorgehen – wenn Leitung nicht vorgeht, kann man irgendwann nur weggehen!“

Am Beispiel des synodalen Weges zeigt sich, wie gerade auch die Engagierten über die Zukunftsfähigkeit der Institution Kirche denken. Einige erwarten keine gewichtigen Entscheidungen und glauben, dass die deutschen Ergebnisse spätestens in Rom wieder „einkassiert“ werden. Andere erwarten, dass die Entscheidungen, die die deutsche Kirche direkt umsetzen könnte, auch wirklich direkt umgesetzt werden. Hier brauche es ein gemeinsames Zeichen in der Kirche von Deutschland. Alle Verzögerungen, auch das Ausbremsen von einzelnen Bischöfen seien ein großes Risiko. Die Menschen, und hier auch die hoch Engagierten, scheinen nicht mehr bereit, diese Reaktionen zu tolerieren. Das Risiko ist sehr groß, dass mit dem Scheitern des synodalen Weges alles infrage gestellt wird: „Wenn der synodale Weg nicht gelingt, dann ist es aus mit der Kirche!“, „Dann habe ich keine Hoffnung mehr!“

Welche impliziten und expliziten Bilder und Szenarien der „nächsten“ Kirche sind wirksam und wie beeinflussen sie Haltung, Mitarbeit und Engagement in der Kirche?

In den Gesprächen mit hauptberuflich und freiwillig Engagierten schwingen verschiedene Bilder und Szenarien mit, die sie in ihrem Denken und Handeln beeinflussen, so u.a.:

Es gibt das große Bild einer Kirche, die für die Menschen da ist. Dieses beinhaltet, dass sich die Kirche auf die Lebenssituationen der Menschen einlässt und dass sie von der Welt, in der sie leben und arbeiten, ausgeht, um ihre Botschaft vom Heil und vom Reich Gottes zu verkünden. So gewinne die Botschaft Relevanz für das Leben der Menschen. Dazu gehörten heute Bedürfnisse wie angesehen und geliebt zu werden, jemanden an der Seite zu haben und nicht allein zu sein; als Mensch geschätzt und nicht nach Leistung eingeschätzt zu werden, schwach sein und sogar scheitern zu dürfen, Vergebung zu erfahren. Die Kirche müsse für der Wert des menschlichen Lebens in seiner Vielfalt und die Erhaltung der Schöpfung stehen.

Die Funktionen (besonders auch Leitungsfunktionen), die in der Organisation von Kirche notwendig sind, seien mit Menschen zu besetzt, die entsprechende Kompetenzen besitzen (unabhängig vom Geschlecht). Darauf basierend seien Weihen zu vollziehen, Beauftragungen auszusprechen und Delegationen zu erteilen. Es müssten verschiedene Arten von Leitung unterschieden werden, so z.B. die organisationale und die geistliche Leitung im Sinne von geistlicher Orientierung. Leitung dürfte nicht mehr per se an das Priesteramt gekoppelt sein, sondern jene übernähmen Leitung, die über entsprechende Kompetenzen verfügten. Mit Blick auf die Fähigkeiten und Charismen der Menschen würden Aufgaben verteilt und Funktionen besetzt (Was kannst du gut? – Wo ist dann dein Platz?).

Für die Engagierten in Kirche ist auch die Frage nach den Strukturen eine wichtige. Hier gibt es das Bild von sehr viel flacheren Hierarchien und von ausgeprägten synodalen Strukturen. So sollten Beteiligung von Betroffenen und gemeinsame Entscheidungsfindung auf breiter Basis gewährleistet sein.

Die nächste „neue“ Kirche brauche viel weniger Regelwerk in Liturgie, Verkündigung und Diakonie, sondern eher eine verständliche, den Menschen zugewandte Sprache und eine Orientierung am Nutzen für die Menschen.

Die nächste „neue“ Kirche brauche viel weniger Regelwerk in Liturgie, Verkündigung und Diakonie, sondern eher eine verständliche, den Menschen zugewandte Sprache und eine Orientierung am Nutzen für die Menschen (Was brauchen die Menschen? Was tut ihnen gut? Was kann dazu beitragen, dass sie von Gott berührt werden? Wie kann die spirituelle Sehnsucht von Menschen gestillt werden?). Zentral sei an dieser Stelle, dass die Verkündigung der Botschaft vom Reich Gottes und das Agieren der Kirchenvertreter*innen deckungsgleich seien, so dass eine neue Glaubwürdigkeit entstehen könne. Dieses Szenario setze voraus, dass Kirche viel experimentiere und neue Dinge ausprobiere, sich mit den Menschen auf den Weg mache und Neues wage – und sich auf diese Weise als Kirche immer wieder neu erfinde.

Diese Bilder und Szenarien beeinflussen in der Weise, dass sie eine Folie für das eigene Engagement sind. Immer da, wo diese Bilder oder Teile davon im eigenen Engagement vorkommen, können die Engagierten wirklich engagiert mitarbeiten und sich einbringen. Immer da, wo diese Bilder kaum oder gar nicht vorkommen, ziehen sie sich mehr und mehr zurück, machen Dienst nach Vorschrift oder steigen ganz aus.

  1. Die Zitate stammen aus Gesprächen mit hauptberuflich und freiwillig engagierten Menschen aus meinem beruflichen und privaten Umfeld. Sie sind nicht wortwörtlich wiedergegeben, sondern nehmen die Inhalte und Stimmungen aus den Gesprächen auf.
  2. s. II. Vat. Konzil; Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium es Spes“; Artikel 1
  3. s. II. Vat. Konzil; Dogmatische Konstitution über die Kirche „Lumen Gentium“; Art. 1
  4. Es ginge darum, die zu diesen Themen im II. Vat. Konzil gemachten Aussagen theologisch weiterzuentwickeln und dabei die Zeichen der Zeit nicht zu übersehen.

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