022021

Foto: Shashank Sahay/Unsplash

Statements

Christoph Meyns

Gottvertrauen und gelassenes Engagement

Meine Wahlheimat Niedersachsen ist ähnlich wie Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein weniger von der Corona-Pandemie betroffen als andere Regionen. Zugleich sind Norddeutsche eher nüchtern und pragmatisch eingestellt. Sie neigen nicht zu emotionalen Ausbrüchen. Ein kurzes „Na!“ als Antwort auf das, was Menschen einem erzählen ­– je nach Aussageabsicht verschieden intoniert – ersetzt tausend Worte. Typische Sprichworte lauten „Wat mutt, dat mutt“ und „Wer sich nicht zu helfen weiß, dem ist nicht zu helfen“. Auf die aktuelle Lage angewendet heißt das: Wer sich nicht impfen lässt, wird krank und stirbt, oder er steckt andere an, die krank werden und sterben. Deshalb ist es gut, sich impfen zu lassen. Mehr muss man dazu nicht sagen.

Als Nordlicht ist mir deshalb die Frage nach dem, was mir aktuell im Blick auf Kirche und Gesellschaft Hoffen und Bangen bereitet, eher fremd. Ich frage mich vielmehr: Wo liegen die Probleme? Wie packen wir sie an? Und was müssen wir hinnehmen, weil wir es nicht ändern können? Dabei ist klar: Es lässt sich nicht alles steuern. Aber es ist möglich, etwas beizusteuern, um Herausforderungen zu bewältigen. Zugleich gilt: Veränderungen beginnen bei uns selbst und nicht bei anderen.

Was steht an? Ich meine, vor allem sollten wir versuchen, nicht der Faszination des Bösen zu erliegen und damit in eine Art Problem-Trance zu geraten. Es wäre besser, der Corona-Pandemie und anderem Ungemach, wie Karl Barth es empfohlen hat, nur einen kurzen schrägen Seitenblick zu gönnen. So wird die Seele frei, die Aufmerksamkeit stattdessen auf Jesus Christus zu richten und daraus die Kraft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe zu schöpfen.

Als Nordlicht ist mir deshalb die Frage nach dem, was mir aktuell im Blick auf Kirche und Gesellschaft Hoffen und Bangen bereitet, eher fremd

So gesehen ist die eigene spirituelle Verankerung der wichtigste Beitrag, den wir als Christinnen und Christen zu Bewältigung der Pandemie und anderer gesellschaftlicher Herausforderungen leisten können. In dem Maße, in dem wir uns von Gott im Leben wie im Sterben und über den Tod hinaus gehalten wissen, sind wir in der Lage, in eine Haltung der Dankbarkeit und des gelassenen Engagements hineinzufinden.

Dazu ein Beispiel: Im Jahr 1528 fixierte Johannes Bugenhagen in der ersten evangelische Kirchenordnung für die Stadt Braunschweig die allgemeine Schulpflicht für Jungen und Mädchen. Es hat dann 200 Jahre gedauert, bis in Deutschland das Niveau der Lese- und Schreibfähigkeit der Antike wieder erreicht war. Noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein genoss der Einsatz von Kindern bei der Feldarbeit Priorität vor dem Schulbesuch. Erst nach 400 Jahren wurde mit der Weimarer Reichsverfassung die Schulpflicht verbindlich flächendeckend umgesetzt.

In dem Maße, in dem wir uns von Gott im Leben wie im Sterben und über den Tod hinaus gehalten wissen, sind wir in der Lage, in eine Haltung der Dankbarkeit und des gelassenen Engagements hineinzufinden.

Aus dem Halt im Glauben wächst die Kraft, mit Beharrlichkeit und Geduld langfristig angelegte kulturelle Lernprozesse zu initiieren, umzusetzen und sich dabei von Misserfolgen nicht entmutigen zu lassen. Und eben das wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten notwendig sein. Denn die Pandemie werden wir demnächst besiegt haben. Aber die bestehenden ökologischen Herausforderungen werden uns die nächsten einhundert Jahre beschäftigen.

Worüber in diesem Zusammenhang niemand gerne spricht: Die Abkehr von fossilen Brennstoffen bedarf nicht nur enormer technologischer und wirtschaftlicher Anstrengungen, sondern auch eines Wandels unserer Vorstellungen von einem guten Leben. Wir haben die Grenzen des Wachstums endgültig erreicht. Der Primärenergieverbrauch wird bis 2050 um ein Drittel sinken mit erheblichen Folgen für Wohnung und Heizen, die Kosten von Gütern des täglichen Bedarfs und für die Mobilität. Wir werden lernen müssen, mit weniger auszukommen.

Die bestehenden ökologischen Herausforderungen werden uns die nächsten einhundert Jahre beschäftigen.

Es geht deshalb bei den aktuellen Zukunftsprozessen in Landeskirchen und Bistümern aus meiner Sicht nicht nur um die Bewältigung organisatorischer Abbrüche und Umbrüche. Vielmehr steht eine inhaltliche Neuausrichtung an, die aufhört, den Erfolg der kirchlichen Arbeit am quantitativen Wachstum empirisch messbarer Kriterien ablesen zu wollen, sondern bereit ist, Gott inmitten von Rückgang und Schrumpfung zu suchen und zu finden.

Dabei gilt es, im Glauben gegen den Augenschein Zuversicht und Gelassenheit zu bewahren. Oder wie man in meiner alten Heimat Nordfriesland scherzhaft sagt: „Sturm ist erst, wenn die Schafe keine Locken mehr haben.“

Vielmehr steht eine inhaltliche Neuausrichtung an, (…) die bereit ist, Gott inmitten von Rückgang und Schrumpfung zu suchen und zu finden

futur2 möglich machen

Hinter der futur2 steht ein Verein, in dem alle ehrenamtlich arbeiten.

Für nur 20 € pro Jahr machen Sie als Mitglied nicht nur die futur2 möglich, sondern werden auch Teil eines Netzwerks von Leuten, die an der Entwicklung von Kirche und Gesellschaft arbeiten.

» MEHR ERFAHREN