Gott in Allem und Alles in Gott
Grundintuitionen des Panentheismus
1) „Gott“ ist ein Wort – zunächst nur ein Wort. Es wird gesagt, bedacht, gebraucht, beschwiegen. Es bedeutet etwas, kann in bestimmter Weise verstanden oder auch miss-verstanden, benutzt und gar ersetzt werden. Imponierende, aber auch ganz schlichte Bilder, Einsichten, Empfindungen, Erlebnisse, Fragen lassen sich mit ihm verbinden. Manchmal – wie bei so vielen anderen Worten unseres Alltags – gebraucht man es einfach, ohne sich ausdrücklich Rechenschaft über seine Bedeutung abgelegt zu haben; sie mag dann im jeweiligen Zusammenhang spontan einleuchten, aber ein vertiefter Sinn und ein klares Verständnis müssen dabei nicht aufgehen. Auch „Gott“ ist ein solches Wort. Man muss aufhorchen und innehalten, wenn es sich in seinem Vielklang aufschließen soll.
Viele wache Menschen empfinden ein Unbehagen darüber, dass im Getriebe der modernen Funktionsgesellschaft, aber auch im Gefüge der kodifizierten Religionen ein Sinn und Gespür für die Wirklichkeit „Gottes“ oder des „Göttlichen“ jenseits reglementierter und offizieller „Gott-Rede“ abhandengekommen ist. „Aber manche Leute wollen Gott mit den Augen ansehen, mit denen sie eine Kuh ansehen, und wollen Gott lieben, wie sie eine Kuh lieben. Die liebst du wegen der Milch und des Käses und deines eigenen Nutzens. So halten’s alle jene Leute, die Gott um äußeren Reichtum oder inneren Trostes willen lieben; (…).“1
Manchmal – wie bei so vielen anderen Worten unseres Alltags – gebraucht man das Wort “Gott” einfach, ohne sich ausdrücklich Rechenschaft über seine Bedeutung abgelegt zu haben
Auch wenn dieses Diktum aus der Feder des Meister Eckart drastisch und überzeichnet sein mag, kennzeichnet es auf eine realistische Weise jedoch eine Grundform unseres Gottesverhältnisses: die der pragmatischen Nutzung seiner vermeintlich alle unsere endlichen Vermögen übersteigenden Allmacht oder einer Instanz der Letzterklärung oder -verursachung von Ereignissen und Erlebnissen, deren schiere Wucht unsere Deutungskapazitäten übersteigen. Dann ist Gott womöglich – immerhin – ein Trostpflästerchen für die körperlichen und seelischen Verwundungen, wenn uns die eingespielten Mechanismen der Leid- und Freudbewältigung endgültig auf unsere unüberwindlichen Begrenzungen zurückwerfen.
Demgegenüber äußert sich jedoch auch ein religiöses Bewusstsein, wonach das Göttliche eine Form von Präsenz habe, wonach es die erfahrbare Wirklichkeit in all ihren dinglichen und lebendigen Dimensionen formt und in sich einbegreift. Dass solche Intuitionen nicht bloß esoterisch-überspannten Charakter zum Ausdruck bringen, sondern eine Rationalität eigenen Typs darstellen, – und dies im reflektierten Überstieg über die Möglichkeiten hergebrachter und ausdrücklicher „Ding-Rede“ – gehört zu den grundlegenden Einsichten dessen, was in der religionsphilosophischen Tradition als Form und Vollzug eines „spekulativen Denkens“ gelten kann.
Zu allen Zeiten haben sich Gedanken und Vorstellungen von „Gott“ herausgebildet, die einen prägenden Einfluss auf die soziale und kulturelle Dimension von Gesellschaften ausübten.
Was also ist eigentlich gemeint, wenn wir von „Gott“ sprechen? In jedem Menschenleben und zu allen Zeiten haben sich Gedanken und Vorstellungen von „Gott“ herausgebildet, die zudem einen prägenden Einfluss auf die soziale und kulturelle Dimension von Gesellschaften ausübten. In der Geschichte menschlichen Denkens ist die Frage danach, worauf sich der Gottesgedanke bezieht, immer präsent geblieben. Sie bezeugt, dass es nicht beliebig war, als was und wie das mit dem Wort „Gott“ Bezeichnete zu verstehen sei. Es ist die überwältigend-beseligende, alles umfassende Macht, auf die sich der Mensch in kultischer Verehrung und Hingabe bezogen fühlen kann. Ganz grundlegend jedoch – und im Ansatz ausdrücklicher philosophischer Reflexion, die mit den Vorsokratikern im 6. Jahrhundert v. Chr. beginnt – steht der Gottesgedanke in engster Verbindung mit einer Reflexion auf die Ursprungsdimension der Wirklichkeit im Ganzen. Und jener „Ursprung des Ganzen“, durch den sich das Ganze der Wirklichkeit thematisieren lässt, wird in diesem Zusammenhang „als das eigentlich Göttliche“2 gedacht.
Ganz grundlegend jedoch steht der Gottesgedanke in engster Verbindung mit einer Reflexion auf die Ursprungsdimension der Wirklichkeit im Ganzen.
2) Um nun deutlicher zu begreifen, was – ungeachtet der vielen Bedeutungsvarianten – der Begriff „Panentheismus“ bezeichnet, muss der Grund-Gedanke des Verhältnisses von Einheit und Verschiedenheit erläutert werden. Dessen Evidenz zeigt sich auch im alltäglichen Erleben und Denken: etwa durch die Erfahrung der leiblichen Einheit in der Verschiedenheit ihrer Funktionen; eine Vorstellung von der Einheit des Universums in der Ordnung seiner Veränderungen, oder im Wissen um die grundlegende Bezogenheit von allem Wirklichem untereinander. Was bedeutet das? Um nämlich irgendetwas als seiend und Teil der Wirklichkeit zu denken, muss es als eine Einheit, als etwas Bestimmtes gedacht werden. Denn jedweder Denkgegenstand ist eben ein solcher und darin unterscheidbar von anderen Denkgegenständen bzw. allen anderen „Weltgehalten“. Die Idee von Einheit in Verschiedenheit muss bereits in Anspruch genommen sein, damit überhaupt etwas gedacht werden kann. Insofern also Einheit der Grund alles Seienden und Denkbaren ist, ist auch das Nicht-Eine, das Viele, letztlich durch die Einheit bedingt.
Dieses Verhältnis lässt sich noch weiter entfalten: In meiner sinnlich-geistigen Wahrnehmung identifiziere ich demgemäß einen bestimmten Gegenstand immer in Relation bzw. im Unterschied zu anderem Wahrnehmbaren (konkret anwesend im Raum oder in meinen Gedanken). Und die Bedingung der Möglichkeit von Wahrnehmung und Verstehen überhaupt ist das Bei-Sich-Sein, die Einheit des erlebenden, wissenden Bewusstseins meiner selbst, ohne das kein Denken und Handeln möglich wäre. Dieser Selbstbezug vollzieht sich zudem in der Möglichkeit einer unendlichen Beziehung auf alles Denkbare und Seiende. Und diese grundlegende einbegreifende Bezogenheit von Allem mit Allem bildet schließlich einen Sinn von Wirklichkeit, der die Intuition einer fundamentalen Einheit und Ganzheit nahelegt, die im subjektiven Bewusstsein präsent ist.
Alles einzelne Bestimmte ist nur denkbar im Aus- bzw. Vorgriff auf ein Ganzes, das die Identität-Differenz-Struktur des Wirklichen ermöglicht.
Die Pointe ist demzufolge, dass jener alle Bestimmtheit ermöglichende Bezug von Identität und Differenz nur im Horizont eines Ganzen verstehbar ist, „vor dem sich jedes bestimmte Etwas erst als von anderem Verschiedenes und mit sich Identisches abhebt.“3 Ohne ein Ganzes, das sowohl einen bestimmten Einzelgegenstand etc. als auch alle anderen Weltgehalte, von denen sich ein Einzelnes notwendig abhebt, umfasst, wäre eine Identität mit sich durch Differenz zu Anderem weder denkbar noch erkennbar; es gäbe sie nicht. Daraus folgt, dass alles einzelne Bestimmte nur denkbar ist im Aus- bzw. Vorgriff auf ein Ganzes, das die Identität-Differenz-Struktur des Wirklichen ermöglicht. Dieses Ganze ist zu verstehen als der notwendig mitzudenkende Horizont, in dem alles Bestimmte als es selbst auftreten kann. Sofern also etwas als Bestimmtes gedacht bzw. erkannt wird, wird jenes Ganze notwendig mitgedacht, weil anders das Denken selbst nicht zu verstehen ist. Das Denken der Ganzheit kann von (der Erfahrung) seiner Wirklichkeit nicht getrennt werden.
Gott, als Ursprung der Wirklichkeit im Ganzen, ist mit allem Wirklichen unendlich und innerlich eins und in dieser Einheit von allem Wirklichen unendlich und wesenhaft verschieden.
3) Hat man diese hier nur skizzierte Gedankenfolge bezüglich Einheit und Verschiedenheit erfasst, lässt sich ein Gottesgedanke, der im „Panentheismus“ seinen Ausdruck findet, folgendermaßen auslegen: Gott, als Ursprung der Wirklichkeit im Ganzen, ist mit allem Wirklichen unendlich und innerlich eins und in dieser Einheit von allem Wirklichen unendlich und wesenhaft verschieden. Dies ist eine systematische Umschreibung der etymologischen Wortbedeutung von „Panentheismus“, die besagt, dass „Alles in Gott“ ist. Damit ist jedoch lediglich eine Grund-Intuition umrissen, deren begriffliche Elemente begründungsbedürftig sind. Diese werden aber klarer, wenn man den Panentheismus im Kontext anderer Gottesgedanken betrachtet, in denen das Verhältnis Gottes zum Endlichen thematisiert wird, und von denen er abzugrenzen ist.
Die klassisch-theistische Position besagt, dass die Welt und alle Endlichen von Gott geschaffen sind und zu ihrem Fortbestand seiner wirkenden Präsenz bedürfen. Grundlegend ist hierbei die Unterscheidung zwischen dem transzendenten Gott als Schöpfer, dessen Wirklichkeit eine von der Welt prinzipiell getrennte ist, und der kontingenten Welt als Schöpfung. Damit ist dann auch das Verhältnis von Gott und Mensch als das Nebeneinander fundamental Unterschiedener zu beschreiben.
Gott und Welt sind dadurch ineins gesetzt, wobei auch ihr jeweiliges Eigensein, als voneinander Unterschieden-Sein, verschwimmt.
Als Gegenpol dazu behauptet eine pantheistische Position eine wesentliche Identität von Gott, Welt und Mensch, der keine Differenz innewohnt; Gott und Welt sind dadurch ineins gesetzt, wobei auch ihr jeweiliges Eigensein, als voneinander Unterschieden-Sein, verschwimmt.
Demgegenüber bestimmt nun der Panentheismus das Verhältnis von Gott und Welt in einer Art Differenz-Einheit, wonach zwischen dem Göttlichen und der endlichen Wirklichkeit eine besonders enge Beziehung in der Weise besteht, dass alles Endliche in einer Einheit mit Gott besteht und dem, was das Eigensein Gottes ausmacht, zugleich auch wesentlich angehört. Entscheidend dabei ist gleichermaßen die Annahme, dass diese Einheit ihre jeweilige Unterschiedenheit nicht aufhebt, insofern Gott als Ursprung der Wirklichkeit im Ganzen und darin als Grund von eigenständig-anderem Wirklichen zu denken ist. Die Grundintuition des Panentheismus als umfassende All-Einheit des Wirklichen behauptet also eine wesentliche Nicht-Differenz von göttlichem Grund und endlichem Seienden. „Diese Nicht-Differenz muss im Sinne der Nicht-Ursprünglichkeit der Differenz verstanden werden, impliziert also nicht, dass die Differenz überhaupt entfallen ist.“4
„Gott ist in Allem“ meint nicht, dass Gott sich mit dem von ihm umgriffenen Wirklichen identisch macht.
Wie lassen sich diese Gedanken konkretisieren? „Alles ist in Gott“ bedeutet nicht ein bloßes räumliches Eingeschlossen-Sein des Wirklichen in Gott. Es kann vielmehr als das, was es konkret ist, nur von Gott her bestimmt werden, weil es in all seinen Existenzvollzügen von ihm umfasst und umgriffen ist. „Gott ist in Allem“ meint nicht, dass Gott sich mit dem von ihm umgriffenen Wirklichen identisch macht. Er ist in seinem Gott-Sein unendlich über alles Wirkliche erhaben und das, wie Anselm von Canterbury sagt, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann. Nichts kann „außerhalb“ Gottes, als Ursprung des Ganzen, überhaupt wirklich sein.
Gerade durch und in der Identität der Seienden mit Gott wächst ihre Eigenständigkeit und somit Differenz von ihm, dem absoluten Sein.
Der Kerngedanke des Panentheismus, dessen Grundgedanken der Sache immer schon ein „Tiefenstrom“ christlichen Denkens (etwa bei Meister Eckart oder Nikolaus von Kues) gewesen ist,5 besagt also das In-Sein Gottes im Endlichen. Gott als absoluter Einheitsgrund ist nicht nur Schöpfer einer von ihm unendlich verschiedenen Welt, sondern hat sich in dieser Selbstmitteilung auch zum immanenten Prinzip und Ursprungsgrund dieser Welt gemacht. In seiner Immanenz in allem offenbart sich seine Transzendenz und Verschiedenheit von der Welt und ihren Geschöpfen. Auf der anderen Seite ist die dadurch gegebene geschöpfliche Einheit mit Gott, als Teilhabe an seinem unendlich-transzendenten Sein im Modus ihrer konstitutiven Endlichkeit verwirklicht, worin sie von Gott unendlich verschieden ist. Nur wenn man diesen Zusammenhang von Einheit und Verschiedenheit konsequent berücksichtigt, ist zu verstehen, dass die Selbstmitteilung Gottes und das individuelle Eigensein, die bleibende Differenz also, in gleichem Maße wachsen. „Diese Selbstmitteilung Gottes, in der Gott gerade als der absolut Transzendente sich mitteilt, ist das Immanenteste an der Kreatur.“6 Der Akzent liegt darauf, dass gerade durch und in der Identität der Seienden mit Gott ihre Eigenständigkeit und somit Differenz von ihm, dem absoluten Sein, wächst. Letztendlich ist Alles auf die einzige absolute (= göttliche) Wirklichkeit zurückzuführen. Dieser Gedanke impliziert aber eben die im Maße der Einheit mit dem göttlichen Sein bestehende wirkliche Eigenständigkeit bzw. Differenz von jeglichem Seienden, weil im Maße des je verwirklichten Eigenseins eben auch die Verschiedenheit des Geschöpflichen wächst.
4) Das Konzept des Panentheismus hat nicht nur spekulatives Gewicht. Zwei abschließende Gedanken mögen dies aufzeigen. Insofern Gott das „Nicht-Andere“ (Nikolaus von Kues) zu jedem Wirklichen ist, lässt sich auch die aus einer überzogenen Unterscheidung von Gott und Welt resultierende Kluft zwischen Glaube und Leben überbrücken. Denn Alles (Wirkliche) – der routinierte Alltag, die Erfahrung der Not, aber eben auch die Erlebnisse der Schönheit, der Natur, der Kunst – ist in diesem Sinne als Ausdrucksform der einen göttlichen Wirklichkeit erfahrbar.
Der Panentheismus glaubt mit guten Gründen, dass auch das Leid, auf Wegen, die wir nicht kennen und verstehen, noch von Gott umgriffen und erlöst ist.
„In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“ (Apg 17, 28) Wenn dies stimmt: Was bedeutet das in den Erfahrungen von Not, Schuld und Leid? Offensichtlich nicht, dass Leid und Böses in Gott verschwinden. Deren Realität scheint ungebrochen, und die Frage, ob Gott sich davon überhaupt berühren lasse, hat sich wohl schon jedem glaubenden Menschen aufgedrängt. Ob wir mehr hoffen können, als das Leiden eben auch nicht außerhalb Gottes zu wähnen, sei dahingestellt. Schlimmer und kaum zu ertragen wäre es wohl annehmen zu müssen, dass das Leid noch nicht einmal einen Raum in der göttlichen Wirklichkeit habe, sondern eisiges, gnadenloses Verhängnis sei. Und selbst wenn es dies in unserem Erleben wäre, glaubt der Panentheismus mit guten Gründen, dass auch das Leid, auf Wegen, die wir nicht kennen und verstehen, noch von Gott umgriffen und erlöst ist.
- Meister Eckart: Predigt 16B, in: Werke I. Texte und Übersetzungen von Josef Quint. Herausgegeben und kommentiert von Nikolaus Largier, Frankfurt a.M. 1993, 186–197, hier 195.
- Jens Halfwassen, Gott im Denken. Warum die Philosophie auf die Frage nach Gott nicht verzichten kann, in: Christoph Schwöbel (Hrg.), Gott – Götter – Götzen. XIV. Europäischer Kongress für Theologie (Veröffentlichungen der wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie Band 38), Leipzig 2013, 187–196, hier 188.
- Jens Halfwassen, Jenseits von Sein und Nichtsein. Wie kann man für Transzendenz argumentieren?, in: Thomas Buchheim u.a. (Hrsg.), Gottesbeweise als Herausforderung für die moderne Vernunft, Tübingen 2012, 85–98, hier 94.
- Dieter Henrich, Denken und Selbstsein, Frankfurt a.M. 2007, 266f.
- Vgl. hierzu Klaus Müller, Gott jenseits von Gott. Plädoyer für einen kritischen Panentheismus. Herausgegeben von Fana Schiefen, Münster 2021. Im Übrigen wurde der Terminus selbst 1828 von dem deutschen Philosophen Karl Christian Friedrich Krause geprägt.
- Karl Rahner, Immanente und transzendente Vollendung der Welt, in: Schriften zur Theologie Bd. 8, Einsiedeln u.a. 1967, 601.