022019

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Konzept

Valentin Dessoy

Geteilte Leitung: Grundlinien einer kirchenrechtskonformen, konfigurierbaren Organisationslösung

Kirche war als Organisation über Jahrhunderte hinweg auf maximale Stabilität und Produktion programmiert. Wenn sie in postmoderner Gesellschaft überleben will, muss sie lernen, sich in einer Umwelt zu bewegen, die sich permanent und mit zunehmendem Tempo verändert, ohne ihre Identität aufzugeben. Sie braucht eine bewegliche, agile Organisationsgestalt, die in der Lage ist, sich den jeweiligen Bedingungen so anzupassen, damit sie ihrem Sendungsauftrag auf Dauer folgen kann. Die Struktur (Sozialgestalt) dient der Funktion (Auftrag). Das gilt auch und in erster Linie für die Art und Weise, wie Leitung organisiert und wahrgenommen wird. Der folgende Text ist kein Beitrag zur zwingend notwendigen theologischen und sozial- und gesellschaftswissenschaftlichen Grundsatzdebatte über die Rolle der Priester, den Zugang zum Priesteramt, Zölibat, Klerikalismus und den Umgang mit Macht in der Kirche.  Der Text widmet sich ausschließlich pragmatisch der Frage, wie unter den aktuell geltenden Bedingungen Leitung in der Kirche vor Ort professionell gestaltet werden kann.1

„Leitungsmodelle“ als diskrete Zustände, die eine Vielzahl von Parametern fixieren, sind völlig unterkomplex angesichts der aktuellen und zukünftigen Herausforderungen, vor denen Leitungskräfte in der Kirche stehen.

1. „Neue Leitungsmodelle“ – Diskussion an falscher Front

Eine Reihe von Bistümern denkt seit längerem über „neue Leitungsmodelle“ nach.2 Lange Zeit drehte sich die Diskussion um den Begriff „Gemeindeleitung“. Die Argumentation war eher ekklesiologisch begründet (Eucharistie als konstituierendes Element von Gemeinde). Inzwischen ist dieses Thema von der Sache her weitestgehend durch. Der fortschreitende Priestermangel hat in den vergangenen Jahren zur Bildung immer größerer pastoraler Einheiten (Großpfarreien) geführt. Die damit einhergehende Differenzierung von Pfarrei und Gemeinde hat den Fokus der Diskussion auf die Pfarrei verschoben. Es ist inzwischen allen klar, dass Kirche ohne eine substantielle Beteiligung der Getauften am kirchlichen Leben keine Chance hat. Dies wird ihnen inzwischen auch in verantwortlicher Funktion v.a. an den sog. „kirchlichen Orten“/ „Kirchorten“ zugebilligt. So tragen beauftragte Gemeindeteams etwa in den Bistümern Hamburg und Freiburg die Verantwortung für das kirchliche Leben (d.h. die Seelsorge) vor Ort. Vermeidet man in diesem Zusammenhang den Begriff „Gemeinde“ oder den Begriff „Leitung“ ist man auf sicherem Terrain.

Mit fortschreitendem Priestermangel kommt jetzt zunehmend die Pfarrei bzw. der Pastorale Raum in den Blick. Die Suche nach neuen, partizipativen Leitungsmodellen, um Laien an der Verantwortung zu beteiligen, orientiert sich argumentativ primär am Kirchenrecht. Vielfach hat es den Anschein, als wolle man mit „neuen Leitungsmodellen“ das Kirchenrecht korrigieren oder aushebeln. Dies führt natürlich auf der Gegenseite, insbesondere bei Priestern, zu heftigen Gegenreaktionen und birgt die Gefahr einer Polarisierung zwischen Kräften, die sich Veränderung wünschen und solchen, die genau dies verhindern wollen.3 Die Fixierung der Diskussion auf kirchenrechtliche Fragen hat zur Folge, dass i.d.R. nach einer rechtlichen Lösung gesucht wird. Da jedoch „Leitung“ in der Kirche – trotz Dehnbarkeit des Kirchenrechts – theologisch und kirchenrechtlich ausschließlich Klerikern vorbehalten ist, tappt man in eine Falle, aus der schwer zu entkommen ist. Die Argumentation dreht sich notwendig im Kreis.

Gebraucht wird eine Lösung 2. Ordnung, die es erlaubt, die Leitungsarchitektur differenziert an die jeweiligen Bedingungen vor Ort anzupassen und zeitlich begrenzt zu vereinbaren.

Die gefundenen „neuen“ Lösungen sind vielfach die alten. So wurde der Einsatz von pastoralen Diensten als Ersatzlösung nach can. 517,2 – derzeit als neues Modell in Osnabrück gehypt – bereits in den 1990er Jahren in Limburg und Linz praktiziert. Gerade dieses Modell hat – über einen kurzen Entlastungseffekt hinaus – angesichts der knappen finanziellen Ressourcen und der ebenfalls stark zurückgehenden Zahl pastoraler Dienste wenig Zukunft. Zudem hat man bei den gefundenen Lösungen den Eindruck, dass quasi nichtpriesterliche Pastöre konstruiert werden und eine neue Form von Klerikalismus entsteht.

Durchaus interessante Ansätze in der Vergangenheit wurden in der Zwischenzeit wieder abgeschafft oder nicht weiterverfolgt. Bereits in den 1990er Jahren gab es in Aachen Pfarreien, die im Rahmen von can. 517,2 von Ehrenamtlichen geleitet wurden.4

Ersatzlösungen innerhalb des Kirchenrechts, die primär der Stützung von Pfarrern dienen, die als inkompetent eingeschätzt werden, sind noch problematischer. Wenn etwa ein pastoraler Laienmitarbeiter/innen einem Pfarrer als Assistent zur Seite gestellt wird, stellt man den Pfarrer öffentlich bloß. Darüber hinaus sabotiert man sowohl die Priester in der Rolle der Pfarrer (hier Priester, die es nicht können, dort pastorale Dienste, die es können, aber nicht dürfen) und instrumentalisiert umgekehrt pastorale Dienste (man nutzt ihre Kompetenzen aus, um durchaus mögliche systemische Lösungen zu vermeiden).

Alles in allem sind „Leitungsmodelle“ als diskrete Zustände, die eine Vielzahl von Parametern fixieren, völlig unterkomplex angesichts der aktuellen und zukünftigen Herausforderungen, vor denen Leitungskräfte in der Kirche stehen. Gebraucht wird eine Lösung 2. Ordnung, die es erlaubt, die Leitungsarchitektur differenziert an die jeweiligen Bedingungen vor Ort anzupassen und zeitlich begrenzt zu fixieren.

Im kirchlichen Kontext ist der Leitungsbegriff dogmatisch und kirchenrechtlich mit dem Hirtenamt (lat. munus regendi) verknüpft bzw. gleichgesetzt und impliziert automatisch ein ganz enges, dem byzantinischen Kaiserhof entlehntes, feudal-monarchisches oder abgemildert hierarchisch-bürokratisches Vorverständnis.

2. Zum Leitungsbegriff – Sprachspiele unterscheiden

Um den Vorgang des Gestaltens, des Steuerns und Entwickelns von Systemen und den sie konstituierenden Komponenten zu beschreiben, wird heute eher der Begriff „Führung“ gebraucht.5 Führung begründet sich weniger aus der Organisation als aus der Person des Führenden. Sie wird am konkreten Verhalten gemessen. Nicht Be­fugnisse, sondern personale und soziale Fähig­keiten stehen im Vordergrund. Anders der Begriff „Leitung“: Er beschreibt eher die formale Position in einer Organisation mit Verantwortung, Aufgaben und Befugnissen, unabhängig von der Frage, ob der oder die jeweilige Stelleninhaber*in die persönlichen Kompetenzen mitbringt, diese Funktion angemessen auszufüllen. Im kirchlichen Kontext kommt hinzu, dass er dogmatisch und kirchenrechtlich mit dem Hirtenamt (lat. munus regendi) verknüpft bzw. gleichgesetzt wird und automatisch ein ganz enges, dem byzantinischen Kaiserhof entlehntes, feudal-monarchisches oder abgemildert hierarchisch-bürokratisches Vorverständnis impliziert.6

Die mit diesem Leitungsverständnis verknüpften Kulturen sind tief in der DNA von Kirche verankert. Sie prägen die theologische Tradition als auch das Kirchenrecht. Daher kommt man im kirchlichen Kontext nicht ohne den Leitungsbegriff aus. Um den polarisierten theologischen Debatten zu entgehen, wird in der Betrachtung von Leitung im Folgenden eine dogmatisch-kirchenrechtliche und eine pastoral-organisatorische Ebene unterschieden. Aus dogmatisch-kirchenrechtlicher Perspektive ist Kirche dort, wo in apostolischer Sukzession der Bischof im Auftrag und im Namen Christi handelt. Das Hirtenamt, also Leitung, kommt zunächst und primär dem Bischof zu. Alle zugeordneten Ämter und Strukturen sind sekundär und existieren nur bezogen auf den Bischof und die Ortskirche.7 Teilhabe (participatio) an Leitung im theologischen Sinn ist gebunden an die Priesterweihe. Laien ist ausschließlich Mitverantwortung (cooperatio) möglich.

Aus pastoral-organisatorischer Perspektive ist Leitung nur eine Facette von Führung, die wesentlich umfassender zu verstehen ist.

Aus pastoral-organisatorischer Perspektive ist Leitung nur eine Facette von Führung, die wesentlich umfassender zu verstehen ist. Gemeint ist die operational (im Detail) definierte formale Verantwortung für eine Organisation(-seinheit), z.B. eine Pfarrei oder eine Gemeinde. Ob Leitungsverantwortung theologisch i.S. von participatio oder cooperatio zustande kommt, ist in pastoralpraktischer und organisatorischer Hinsicht irrelevant.

3. Die Herausforderung – Quadratur des Kreises?

Leitung in der Kirche neu oder anders als bisher zu denken, ist alternativlos und zugleich eine große Herausforderung, da es kaum Spielräume zu geben scheint.

Es gibt perspektivisch nicht genügend Priester, die qualifiziert leiten können

Die Kirche verliert zunehmend an Relevanz sowohl für den einzelnen als auch für die Gesellschaft als Ganze. In Folge dieser Entwicklung zeichnet sich eine fortschreitende Verknappung der finanziellen und personellen Ressourcen ab. Insbesondere der Priestermangel ist dramatisch. Im Jahr 2025 wird es praktisch keine Priesteramtskandidaten mehr geben, die aus Deutschland kommen. In einer Reihe von Diözesen sind die Stellen von Pfarrern selbst nach Bildung von Großpfarreien nicht mehr adäquat zu besetzen. Die Organisationseinheiten sind inzwischen so groß und komplex, dass sie nicht mehr einfach wie früher durch einen Pastor geführt werden können. Verantwortung muss geteilt werden. Allerhöchstens ein Drittel der Priester ist in der Lage, solche Gebilde der Größe eines mittelständischen Unternehmens zu führen und zu leiten. Da Pfarreien als Organisationsgrößen sinnvoll und notwendig sind, müssen sie organisiert und geleitet werden. Immer weniger Priester können oder wollen diese Verantwortung übernehmen. Priesterimport ist – nach vielen Jahren zumeist negativer Erfahrung – hierfür keine Lösung.

Immer weniger Priester können oder wollen diese Verantwortung übernehmen. Priesterimport ist – nach vielen Jahren zumeist negativer Erfahrung – hierfür keine Lösung.

Dogmatik und Kirchenrecht sind klar und eindeutig

Trotz vielfältiger Versuche sprachlicher Relativierung („kooperative Leitung“, „partizipative Leitung“) ist und bleibt (auf absehbare Zeit) Leitung im kirchlichen Kontext theologisch und kirchenrechtlich eindeutig dem „Priestertum des Dienstes“ zugeordnet und mit der Eucharistie verknüpft (LG 10, can. 519).8 Laien und damit per se Frauen sind strukturell vom Zugang zu den Ämtern ausgeschlossen. Ihnen kommt (im kirchenrechtlichen Sinne) allenfalls Mitverantwortung (cooperatio) zu, die einseitig von der Amtshierarchie gewährt wird. Partizipation an Leitung (participatio) ist in der geltenden Rechtsnorm vom Grundsatz her nicht vorgesehen. Genau das bestätigen auch die Ausnahmen can. 517,1 und can. 517,2 CIC.

Der Culture gap ist kaum noch zu überbrücken

Die Art und Weise, wie Leitung in Kirche begründet und über weite Strecken praktiziert wird, stößt bei den Menschen zunehmend auf Widerstand. Das Leitungsverhalten kirchlicher Amtsträger und ihr Umgang mit Macht haben sich in den letzten Jahrzehnten kaum geändert. Klerikalismus gehört zum Kern des Problems und trägt wesentlich zur Exkulturation von Kirche bei.9 Feudal-monarchisches oder gar absolutistisch-totalitäres Verhalten von Menschen in Leitungsverantwortung wird heute nicht mehr akzeptiert. Die Menschen haben sich emanzipiert, insbesondere Jüngere lassen sich das einfach nicht mehr bieten und bleiben weg. Der Emanzipationsprozess hat inzwischen den inneren Kreis der kirchlich Aktiven erreicht.10 Angesichts der kulturellen Kluft stellt sich die Frage, ob diese überhaupt noch zu überbrücken ist, zumindest ob die Zeit reicht, den erforderlichen Kulturwandel in Gang zu setzen und nachhaltig zu implementieren.11

Partizipation an Leitung (participatio) ist in der geltenden Rechtsnorm vom Grundsatz her nicht vorgesehen.

4. Fragestellung und Anforderungen an eine nachhaltige Lösung

Die Frage, wie unter den aktuellen Bedingungen postmoderner Gesellschaft Leitung in der Kirche vor Ort, speziell die Leitung von Pfarreien oder Pastoralen Räumen (in denen Pfarreien zusammengeschlossen sind) professionell gestaltet werden kann, um Kirche nachhaltig lebendig zu halten und ihr und der Frohen Botschaft im gesellschaftlichen Rahmen Geltung zu verschaffen, ist für die Zukunft von Kirche von erheblicher Bedeutung. Wenngleich es nicht die wichtigste Frage ist12, taucht sie in Prozessen kirchlicher Entwicklung immer wieder auf, überlagert alle anderen Fragen und wirkt – unbeantwortet – vielfach als Bremsklotz, das einen qualitativen Sprung verhindert.

Eine angemessene Antwort auf die Frage, wie Leitung zukünftig pragmatisch gestaltet werden kann, muss folgenden Anforderungen gerecht werden:

  • sie muss der theologischen Tradition und den kirchenrechtlichen Vorgaben entsprechen,
  • sie muss einem zukunftsfähigen Kirchenverständnis (fluide Sozialgestalt, differenzierte Rollenarchitektur) entsprechen,
  • sie muss die veränderten organisatorischen Rahmenbedingungen (Ressourcenverknappung) abbilden,
  • sie muss der Komplexität aktueller und zukünftiger Herausforderungen einer Kirche im Umbruch gerecht werden,
  • sie muss im Blick auf die konkreten Bedingungen vor Ort flexibel konfigurierbar sein,
  • sie muss als Standardlösung auf alle möglichen kirchenrechtlichen Konstellationen anwendbar sein, also gerade auch dort, wo noch genügend Pfarrer vorhanden sind,
  • sie muss als Lösung 2. Ordnung die Möglichkeit bieten, sämtliche Leitungskonstellationen im Binnenraum der Pfarrei darzustellen und
  • sie muss letztlich einen verbindlichen und überprüfbaren Handlungsrahmen generieren, der monarchisch-absolutistisches Leitungsverhalten ausschließt.13

Eine zukunftsfähige Leitungsarchitektur muss einen verbindlichen und überprüfbaren Handlungsrahmen generieren, der monarchisch-absolutistisches Leitungsverhalten ausschließt.

5. Kirchenrechtlicher Rahmen – die Hardware

Das Kirchenrecht bietet drei Optionen zur rechtlichen Ausgestaltung der Leitung von Pfarreien.

Codex Iuris Canonici, Can. 519:

 „Der Pfarrer ist der eigene Hirte der ihm übertragenen Pfarrei; er nimmt die Seelsorge für die ihm anvertraute Gemeinschaft unter der Autorität des Diözesanbischofs wahr, zu dessen Teilhabe am Amt Christi er berufen ist, um für diese Gemeinschaft die Dienste des Lehrens, des Heiligens und des Leitens auszuüben, wobei auch andere Priester oder Diakone mitwirken sowie Laien nach Maßgabe des Rechts mithelfen.“

Das kirchenrechtliche Standardmodell sieht vor, dass ein Pfarrer die Seelsorge für die ihm anvertraute Gemeinschaft wahrnimmt und damit das kirchliche Leben – auf unseren Zusammenhang bezogen – die Pfarrei leitet. Andere (Priester, Diakone, Laien) können ihm dabei helfen.

Codex Iuris Canonici, Can. 517 § 1:

 „Wo die Umstände es erfordern, kann die Seelsorge für eine oder für verschiedene Pfarreien zugleich mehreren Priestern solidarisch übertragen werden, jedoch mit der Maßgabe, dass einer von ihnen Leiter des seelsorglichen Wirkens sein muß, der nämlich die Zusammenarbeit zu leiten und dem Bischof gegenüber zu verantworten hat.“

Das Spezialmodell der Pfarreileitung in solidum sieht vor, dass mehreren Priestern gleichzeitig die Seelsorge für eine oder mehrere Pfarreien anvertraut ist, wobei einer der Priester als „Moderator“ die Zusammenarbeit leitet und das gegenüber dem Bischof vertritt bzw. verantwortet.

Das Kirchenrecht ist gesetzt.

 Codex Iuris Canonici, Can. 517 § 2:

 „Wenn der Diözesanbischof wegen Priestermangels glaubt, einen Diakon oder eine andere Person, die nicht die Priesterweihe empfangen hat, oder eine Gemeinschaft von Personen an der Wahrnehmung der Seelsorgsaufgaben einer Pfarrei beteiligen zu müssen, hat er einen Priester zu bestimmen, der, mit den Vollmachten und Befugnissen eines Pfarrers ausgestattet, die Seelsorge leitet.“ (Anm.: Priester = Moderator)

Das Modell can. 517,2 ist als Notfallprogramm gedacht, wenn zu wenig Priester vorhanden sind. In diesem Fall kann der Bischof auch einer anderen Person oder einer Gruppe von Personen, die keine Priester sind, seelsorgliche Aufgaben übertragen, wobei ein Priester als Administrator zu bestimmen ist, der mit den Befugnissen eines Pfarrers ausgestattet die Seelsorge leitet. Dieses Modell lässt auch rechtlich viele Möglichkeiten offen, bis dahin, dass der Bischof selbst die Rolle des Administrators übernehmen kann.

6. Kirchenentwicklung – zentrale Aufgabe von Führung/ Leitung

Viele Menschen machen sich darüber Gedanken, wie sich Kirche entwickeln und verändern müsste, damit sie ihrem Auftrag, ihrer Sendung nachhaltig gerecht zu werden kann. Bei allen terminologischen Unterschieden und Differenzen im Detail zeigt sich eine hohe Konvergenz im Blick auf zentrale Aspekte, die für eine bessere Kontextualisierung bzw. Inkulturation in einer sich permanent wandelnde Gesellschaft entscheidend sind. Führungs- und Leitungskräfte in der Kirche haben zentral die Verantwortung dafür, dass die notwendigen umfassenden Transformationsprozesse in Gang gesetzt, gestaltet und begleitet werden. Die zukünftige Führungs- und Leitungsarchitektur muss so gebaut werden, dass sie dies persönlich und organisatorisch dazu in der Lage sind.

Kirche von den Adressaten her denken – von der Innen- zur Außenorientierung

Die größte Herausforderung für die Zukunft besteht darin, die Frohe Botschaft (das Scandalon von Tod und Auferstehung Jesu Christi) so erfahrbar zu machen und zur Sprache zu bringen, dass sie heute bei den Menschen ankommen und relevant werden kann, gerade auch bei jenen, die sich von der Kirche abgewendet haben oder gar nicht (mehr) christlich sozialisiert sind. Das erfordert ein grundlegendes Umdenken und hat massive Konsequenzen für die Praxis. Heute werden rund 90 % der verfügbaren Ressourcen für 5-10 % der Kirchenmitglieder aufgewendet, die das Ressourcenaufkommen generieren. Das Gros der heutigen Nutznießer kirchlicher Angebote wird in 10 Jahren verstorben sein. Um den Anschluss nicht gänzlich zu verlieren, wird die Kirche ihre Binnenorientierung aufgeben und ihre Aufmerksamkeit im Kernbereich der Pastoral jenen 90-95 % zuwenden, die heute nicht bzw. nicht mehr erreicht werden. Das schließt die gezielte Umverteilung der vorhandenen Ressourcen mit ein.

Ausgehend von einer gemeinsamen Vergewisserung und Verständigung darüber, was die Mission und der innerste Kern der Frohen Botschaft ist, orientiert Kirche ihr ganzes Handeln zukünftig grundlegend an den (sich dynamisch verändernden) Lebenswirklichkeiten und ästhetischen Orientierungen der Menschen, auf die hin es geschieht. In diesem Prozess wird sich auch das Verständnis der Botschaft selbst vertiefen und verändern. Sie investiert dauerhaft und substantiell (ab 50% ihrer Ressourcen aufwärts) in Produktentwicklung, Innovation und Gemeindegründung. Da sich Innovation nicht deduktiv aus dem Bisherigen herleiten lässt, hat kirchliches Handeln zukünftig grundsätzlich experimentell-prototypischen Charakter.

Die größte Herausforderung für die Zukunft besteht darin, die Frohe Botschaft (das Scandalon von Tod und Auferstehung Jesu Christi) so erfahrbar zu machen und zur Sprache zu bringen, dass sie heute bei den Menschen ankommen und relevant werden kann.

Kirche als Netzwerk oder Bewegung organisieren – fluide Organisation

Struktur ist in der Kirche kein Selbstzweck. Sie dient nur dazu, Erfahrungsräume zu schaffen, damit Menschen mit der Frohen Botschaft in Berührung kommen und die Relevanz für ihr Leben entdecken können. Um dies in einer hoch dynamischen Umwelt möglich zu machen, wird Kirche ihre Programmierung auf maximale Stabilität und Performance aufgeben und sich als Organisation so verändern, dass sie sich in Kontexten bewegen kann, die maximale Flexibilität und Bewegung erlauben.

Eine Kirche, die dieser Logik folgt, hat eine reduzierte vertikale (organisatorische) und eine hohe horizontale (pastorale) Komplexität. Sie folgt den Prinzipien von Subsidiarität und Partizipation. Sie schafft Raum für lebendiges, vielfältiges und selbstverantwortetes kirchliches Leben. Der Weg dorthin führt notwendig über Deregulation, den Abbau bestehender hierarchischer Strukturen und die radikale Vereinfachung von Prozessen.

Kirche in Selbstverantwortung ermöglichen – differenzierte Rollenarchitektur

Das kirchliche Leben wird in der Zukunft nicht mehr von Profis, also Priestern, Diakonen oder pastoralen Mitarbeiter*innen, sondern von den gläubigen Menschen selbst aufgrund ihrer Taufwürde und ihrer Begabungen getragen und verantwortet werden. Hauptberufliche Dienste werden natürlich weiterhin gebraucht werden. Sie sind allerdings nicht mehr primär für die operative Seelsorge face-to-face und deren Organisation zuständig. Ihre Aufgabe ist es, Kirche-Sein zu ermöglichen, Menschen wahrzunehmen, sie zur Jüngerschaft zu ermutigen, ihre Charismen zu entdecken und den Rahmen zu schaffen, damit sie Verantwortung für ihr Kirche-Sein übernehmen können, sie dabei zu fördern und zu unterstützen. „Ermöglichung“ ist dabei als emanzipativer Vorgang zu verstehen, der die Fähigkeit zu Selbstverantwortung und Selbststeuerung freisetzt.

Die Koordinaten des Führungshandelns verschieben sich: Während in der Vergangenheit unter vergleichsweise stabilen Verhältnissen die vertikale Dimension von Führung, also im engeren Sinne Steuerung (Planung, Organisation und Controlling) im Vordergrund stand, gewinnt zunehmend die horizontale Dimension von Führung (Lernen, Entwicklung und Innovation) an Bedeutung.

Dieser Ansatz stellt die Beziehung der handelnden Akteure im pastoralen Feld i.S. von Papst Franziskus auf den Kopf:

Seelsorger*innen sind in einem solchen Verständnis nicht weniger, sondern viel stärker als bisher in ihrer Führungsrolle gefragt. Allerdings verschieben sich die Koordinaten des Führungshandelns: Während in der Vergangenheit unter vergleichsweise stabilen Verhältnissen die vertikale Dimension von Führung, also im engeren Sinne Steuerung (Planung, Organisation und Controlling) im Vordergrund stand, gewinnt zunehmend die horizontale Dimension von Führung (Lernen, Entwicklung und Innovation) an Bedeutung.

7. Leitungsarchitektur als konfigurierbares Betriebssystem

Die theologisch begründete Verfasstheit von Kirche als einer Institution, die sich im Gegenüber von Communio und Ministratio, also bottom-up und top-down konstituiert (LG 4), ist ebenso gesetzt, wie das Kirchenrecht, das den Rechtsrahmen für mögliche Lösungsoptionen in der  Gestaltung von Leitung vorgibt. Innerhalb dieses Rahmens kommt dem Pfarrer (can. 519,2), dem Moderator (can. 517,1) bzw. dem Administrator (c 517,2)14 die Letztverantwortung für die Seelsorge, also die Leitung der Pfarrei zu.

Auf dieser Basis lassen sich jedoch unendlich viele Organisationslösungen delegierter und geteilter  Leitungsverantwortung denken, die sich allein dadurch unterscheiden, wie man die Parameter der Teilhabe an der Leitungsverantwortung konfiguriert15, d.h. wie man sie in einem kontinuierlich oder diskret strukturierten Suchraum konkret festlegt.

Kirchenrechtlicher Rahmen (Hardware) und organisatorische Struktur (Betriebssystem) sind zu differenzieren.

Das Konzept einer konfigurierbaren Leitungsarchitektur sieht zunächst die Differenzierung einer theologisch-kirchenrechtlichen (Hardware) und einer pastoral-organisatorischen Betrachtungsebene (Betriebssystem) vor. Die organisatorische Übertragung (Delegation) von Leitungsaufgaben entspricht theologisch der Teilhabe an Leitung (participatio von Priestern) bzw. der Teilhabe an Leitungsverantwortung / Mitverantwortung in der Leitung (cooperatio von Laien).

 

Kernidee des Konzepts ist, dass die Leitung kirchlicher Systeme organisatorisch unter den gegenwärtigen Bedingungen komplexer, dynamischer Umwelten nur in Form kooperativer, geteilter Leitung angemessen und professionell ausgeübt werden kann. Leitung – zumal die Leitung großer Pfarreien oder Seelsorgeräume – geschieht angemessen in einem Leitungsteam. Jedem Mitglied des Leitungsteams kommen dabei dem Subsidiaritätsprinzip folgend operational definierte Verantwortungsbereiche, Aufgaben und Befugnisse zu. Sie können je nach Bedingungen vor Ort unterschiedlich weit gefasst sein. In jedem Fall aber haben die Leitungskräfte für ihren jeweiligen Bereich eine exakt definierte, möglichst weit gefasste Prokura16, die das Eingriffsrecht des jeweiligen Vorgesetzten minimiert und rationalen und überprüfbaren Kriterien unterwirft.

Leitung kirchlicher Systeme kann unter den gegenwärtigen Bedingungen komplexer, dynamischer Umwelten nur in Form kooperativer, geteilter Leitung angemessen und professionell ausgeübt werden kann

Hier stellt sich die Frage, wie das skizzierte Konzept der Teilhabe an Leitungsverantwortung mit der vom Kirchenrecht gesetzten Letztverantwortung des Pfarrers (bzw. Moderators oder Administrators) zusammenpasst, die im Kern monarchisch-absolutistischen Charakter hat. Teilhabe an Leitung bzw. Leitungsverantwortung in einem monarchisch-absolutistischen System ist durchaus möglich, dann nämlich,

  • wenn das Spielfeld für das eigenständige Handeln bzw. für die (Mit-)Entscheidung klar abgesteckt ist,
  • wenn die Prozesse an den Schnittstellen rational, transparent und verbindlich gestaltet sind,
  • wenn sich der absolute Monarch öffentlich selbst an diese Handhabung (Regelungen) verbindlich bindet,
  • wenn sich die Selbstverpflichtung auch formal bzw. strukturell abbildet (z.B. über Ordnungen oder Kontrakte abgesichert ist) und
  • wenn ein verbindliches Prozedere existiert, wie bei der Feststellung von Diskontinuitäten (Abweichungen) zu verfahren ist, um zu einer für alle Beteiligten und das Gesamtsystem angemessenen Lösung zu kommen.

Konkret: Die Akteure des Leitungsteams handeln miteinander und mit dem Bischof/ Generalvikar (bzw. einem/r Vertreter*in, der/die in seinem Namen handelt) die Parameter der konkreten Leitungsarchitektur vor Ort aus und halten die Absprachen in einem schriftlichen Kontrakt fest.17 Die Geschäftsgrundlage für das konkrete Leitungshandeln ist also ein Commitment, eine wechselseitige, verbindliche und überprüfbare Selbstverpflichtung. Bei dem Commitment handelt es sich um einen Dreieckskontrakt, in dem der Bischof als dritte Instanz, die Einhaltung der getroffenen Regelungen garantiert.

Für ein solches Commitment kann der Bischof die Parameter vorkonfigurieren, indem er z.B. – wie in vielen Orden üblich – die zeitliche Begrenzung der Übernahme von Leitungsverantwortung (z.B. auf 5 Jahre) verfügt oder mögliche Rollen im Leitungsteam als Orientierungsrahmen vorgibt, die dann im Rahmen des Commitments weiter ausgestaltet werden.18

Die Akteure des Leitungsteams handeln miteinander und mit dem Bischof/ Generalvikar die Parameter der konkreten Leitungsarchitektur vor Ort aus und halten die Absprachen in einem schriftlichen Kontrakt fest.

Das Commitment funktioniert nur, wenn es regelmäßige Evaluationsschleifen und darüber hinaus ein geregeltes Verfahren für den Fall gibt, dass von den Beteiligten eine Unvereinbarkeit des konkreten Verhaltens mit der getroffenen Vereinbarung festgestellt wird. Ein solches Verfahren muss i.S. einer transparenten Schrittfolge (Eskalationsdynamik) gewährleisten, dass in einem gesicherten Rahmen mit Hilfe einer dritte Instanz die Möglichkeit eröffnet wird, bestehende Wahrnehmungs- und Interessensunterschiede zu kommunizieren, miteinander auszuhandeln und zu gemeinsamen Lösungen i.S. verbindlicher Regelungen an den kritischen Schnittstellen zu kommen. Führt diese Stufenfolge des Konfliktmanagements nicht zu einer einvernehmlichen Lösung, steht am Ende notwendig und verbindlich eine administrative Entscheidung seitens des Bischofs/ Generalvikars.

Der Personaleinsatz muss im Vorfeld sicherstellen, dass von hauptamtlicher Seite nur solche Personen für Leitungsaufgaben in die Verantwortung genommen werden, die in der Lage und bereit dazu sind, diese in der beschriebenen Weise auszuüben. Darüber hinaus muss die Akzeptanz vor Ort (Zustimmung der Gremien) gegeben sein. Der Einsatz ehrenamtlicher Laien in Leitungsverantwortung ist nicht einseitig von oben zu bestimmen. Er ergibt sich aus einem Willensbildungsprozess in den verantwortlichen Gremien und bedarf der Zustimmung seitens des Bischofs (bzw. der jeweils Verantwortlichen innerhalb der bischöflichen Verwaltung).19

Der Personaleinsatz muss sicherstellen, dass von hauptamtlicher Seite nur solche Personen für Leitungsaufgaben in die Verantwortung genommen werden, die in der Lage und bereit dazu sind, diese in der beschriebenen Weise auszuüben.

Kernelemente einer Leitungsarchitektur als konfigurierbares Betriebssystem:
  1. Die Leitung des Seelsorgeraums/ der Pfarrei geschieht im Leitungsteam  (Leitung durch Einzelperson ist nicht möglich).
  2. Der Priesterlicher Leiter lt. CIC hat die Gesamtverantwortung und delegiert definierte (u.U. vom Bischof vorkonfigurierte) Aufgaben- und Verantwortungsbereiche (z.B. die Verwaltung) an die Mitglieder im Leitungsteam.
  3. Die konkrete Aufteilung der Verantwortung, der Aufgaben und der Befugnisse ist das Ergebnis eines transparenten Aushandlungsprozesses.
  4. Die Mitglieder im Leitungsteam sind mit Prokura (vollumfänglicher Verantwortung für Inhalte, Prozesse, Personal und Ressourcen) ausgestattet; der priesterliche Leiter hat kein Eingriffsrecht jenseits der getroffenen Delegationsvereinbarung.
  5. Sämtliche Entscheidungen, die das Ganze betreffen (also nicht Teilbereiche betreffen, die entweder dem priesterlichen Leiter vorbehalten oder aber vollumfänglich an Mitglieder im Leitungsteam delegiert sind)  werden gemeinsam nach dem Konsent-Prinzip gefällt.
  6. Es existiert ein definierter Eskalationsmechanismus, um bei Dissonanzen im Leitungsteam zu angemessenen Lösungen zu kommen.
  7. Die Mitglieder des Leitungsteams committen sich in Form eines schriftlichen Kontraktes miteinander und mit dem Bischof, der die allseits verbindliche Geschäftsgrundlage darstellt.
  8. Es können nur solchen Personen Leitungsverantwortung übertragen werden, die der Logik der Architektur folgen und ihren Geist voll mittragen.

8. Konfigurationsparameter 1. Ordnung

Die Skalierungsparameter für die Konfiguration20 der konkreten Leitungsarchitektur in einer Pfarrei (oder einem Seelsorgeraum) sind völlig unabhängig von dem zugrunde gelegten kirchenrechtlichen Leitungsmodell. Es ändern sich allenfalls die beteiligten Mitspieler, die für die kirchenrechtlich geforderte Gesamtverantwortung stehen (also Pfarrer, Moderator, Administrator oder Bischof).

Sofern keine Vorkonfiguration seitens des Bischofs erfolgt ist, sind folgende Parameter zwischen den Verhandlungspartnern auszuhandeln und zu fixieren:

(1) Basiskoordinaten der Leitungsarchitektur

Welches kirchenrechtliche Modell soll zugrunde gelegt werden und wer übernimmt darin welche Rollen? Wie viele Personen gehören zum Leitungsteam? In welchem Umfang und in welcher Weise werden ehrenamtlich tätige Laien mit in die Leitungsverantwortung genommen?

Beispiel 1: can. 517,2

Administrator ist der Bischof, die Leitung der Pfarrei wird einem/er Pastoralen Mitarbeiter*in übertragen.

Beispiel 2: can. 517,2

Administrator ist der Pfarrer der Nachbarpfarrei, die Leitung der Pfarrei wird einer Equipe von 3 ehrenamtlichen Personen übertragen.

Beispiel 3: can. 519

Leitungsteam besteht aus Pfarrer und 4 ehrenamtlich tätigen Laien.

(2) Qualifikation und Kompetenzen der Mitglieder im Leitungsteam/ Zugänge

Welche fachlichen Qualifikationen bzw. Kompetenzen seitens der Leitungskräfte sind erforderlich bzw. bringen diese aus ihren Ursprungskontexten mit (z.B. pastorale, diakonische, verwaltungsbezogene, organisatorische, kommunikative, innovative Kompetenzen)?

Die Skalierungsparameter für die Konfiguration der konkreten Leitungsarchitektur in einer Pfarrei (oder einem Seelsorgeraum) sind völlig unabhängig von dem zugrunde gelegten kirchenrechtlichen Leitungsmodell.

(3) Zugänge zur Leitungsverantwortung

Wie ist der Zugang zu den vorgesehenen Leitungsrollen gestaltet (top-down oder bottom-up oder beides)?21

(4) Dauer der Vereinbarung/ zeitliche Begrenzung der Führungsfunktion

Wie lange sollen Beteiligte in Führungsfunktion bleiben/ wann stellen sie ihre Funktion dem Bischof wieder zur Verfügung?

(5) Art und Umfang der Verantwortungsbereiche/ Aufgaben22

Wer ist wofür verantwortlich/ hat welche Aufgaben? Was wird gemeinsam verantwortet?

Die Zuordnung kann personell (z.B. Kindergartenpersonal), inhaltlich (z.B. für die Kommunionkatechese), territorial (z.B. für Gemeinde/ Kirchort X) bzw. prozessbezogen (z.B. für Innovation) erfolgen.

(6) Art und Umfang der Befugnisse (Zuständigkeitskompetenz/ Prokura)

Was sind Weisungsbefugnisse (gegenüber untergeordnetem Personal), Entscheidungsbefugnisse (finanziell, inhaltlich, personell), Zeichnungsbefugnisse (Unterschrift), Vertretungsbefugnisse (nach innen und außen) … der einzelnen Mitglieder im Leitungsteam?

(7) Strukturen der Zusammenarbeit

Welche Besprechungsformate werden gebraucht (Art und Frequenz): Tagesplanung (Briefing), Wochenplanung (dispositive Meetings), Jahresplanung (operative Meetings), strategische Planung (strategische Meetings)? Wer ist in welchen Gremien vertreten? Wie ist das Informations-/ Kommunikationssystem gestaltet? Welche Führungs- und Steuerungsinstrumente werden eingesetzt (z.B. Mitarbeitergespräch, Pastoralkonzept, …)? Wie sieht die Vertretungsregelung aus? Etc.

(8) Prozesse/ Verfahren in der Zusammenarbeit

Wie sind Kommunikations-, Beratungs- und Entscheidungsprozesse gestaltet? Wie geschieht Steuerung (Planung und Controlling)? Welche Verfahren und Instrumente sollen Lernen und Entwicklung, Innovation und Qualitätssicherung ermöglichen? Welche Verfahren gibt es im Umgang mit Beschwerden und Kritik? Wie werden Interessensunterschiede und Konflikte ausgehandelt?

(9) Umfang und Einsatz der Ressourcen

Auf welche Ressourcen (Knowhow, Manpower, Geld) kann jeweils in welchem Umfang und wofür [über die in (5)] definierten Befugnisse hinaus) zurückgegriffen werden (z.B. Sekretariat, Logistik, …)?

(10) Verfahren und Sanktionen bei Zuwiderhandlung

Welche über den vom Bischof vordefinierten, für alle Pfarreien einheitlich strukturierten Eskalationsmechanismus (vgl. Punkt 11.) hinausgehenden Regelungen und Sanktionen zur Absicherung des Commitments sollen getroffen werden?

Die Skalierungen werden in einem Kontrakt festgehalten, der die konkrete Zusammenarbeit des Leitungsteams regelt. Der Kontrakt wird durch die Unterschrift der den genannten Parteien (Leitungsteam, Bischof/ Generalvikar oder bevollmächtigte Person) ratifiziert.

Die Skalierungen werden in einem Kontrakt festgehalten, der die konkrete Zusammenarbeit des Leitungsteams regelt. Der Kontrakt wird durch die Unterschrift der den genannten Parteien (Leitungsteam, Bischof/ Generalvikar oder bevollmächtigte Person) ratifiziert.

9. Konfigurationsparameter 2. Ordnung

Der Bischof kann im Blick auf die Parameter 1. Ordnung bestimmen, was er vorgeben bzw. für die Verhandlungen vor Ort freigeben will. Das Spektrum der Vorkonfiguration umfasst die Möglichkeit

  • alle Parameter genau festzulegen und eine begrenzte Anzahl diskreter Modelle vorzugeben (die Akteure vor Ort haben wenig Spielraum bei der Ausgestaltung, allenfalls eine Wahlmöglichkeit),23
  • bestimmte Parameter festzulegen (z.B. welches kirchenrechtliche Modell zugrunde gelegt wird), andere nicht z.B. die Umschreibung von Aufgaben und Befugnissen),
  • eine Bandbreite für einzelne oder alle Parameter vorzugeben, innerhalb derer sich die Lösungen vor Ort bewegen müssen (z.B. Teamgröße zwischen 3 und 5 Personen) oder
  • alle Parameter freizugeben und deren Ausgestaltung dem Aushandlungsprozess24 zu überlassen (maximale Gestaltungsfreiheit).

    Der Bischof kann im Blick auf die Parameter 1. Ordnung bestimmen, was er vorgeben bzw. für die Verhandlungen vor Ort freigeben will.

Grundsätzlich ist es sinnvoll, wenn der Bischof seine Vorstellung, wie Leitung in Zukunft gestaltet werden soll, anhand dieser Parameter skizziert (z.B. i.S. von Rollenbeschreibungen für bestimmte Leitungsfunktionen) und als Orientierungsrahmen in den Verhandlungsprozess einspeist. Es kann durchaus sinnvoll und notwendig sein, an bestimmten Stellen verbindliche Vorgaben zu machen, z.B. was die zeitliche Begrenzung der Führungsfunktion und weitere Rahmenbedingungen (z.B. bei Existenz einer Bistumsstrategie, Vorliegen eines Pastoralkonzeptes …) betrifft.

10. Letztverantwortung und Entscheidungsfindung im Leitungsteam

Fragen, für die sich das Leitungsteam eine gemeinsame Entscheidung vorbehält, sind von besonderer Bedeutung. Entscheidungsverfahren, die auf dem Mehrheitsprinzip beruhen, sind nur bedingt geeignet, ein Höchstmaß an Teilhabe herzustellen. Sie führen in der Regel zu polarisierten Entscheidungen (z.B. 55% ja vs. 45 % nein), die wenig hilfreich sind. Mehrheitsentscheide liefen zudem der Letztverantwortung zuwider, die u.U. nicht ohne Bruch des Commitments wahrgenommen werden müsste.  Nach dem Konsensprinzip zu verfahren ist in der Regel höchst aufwendig und für den Alltag kaum tauglich. Bedingung der Möglichkeit, Letztverantwortung im Team wahrzunehmen ist die Anwendung eines der beiden folgenden Verfahren.

Entscheidung nach dem Konsent-Prinzip

Das Verfahren kommt aus der Soziokratie und lässt sich im pfarrlichen und kirchlichen Kontext generell ideal anwenden.25 Die Moderation von Entscheidungsprozessen nach dem Konsent-Prinzip kommt ohne Abstimmung aus. Alle relevanten Fragestellungen werden zunächst im Diskurs erörtert. Die Moderation stellt sicher, dass alle Beteiligten in der Phase der Meinungsbildung ihre Sichtweisen und Argumente einbringen können.

Der Pfarrer übt über das Konsentverfahren – die Möglichkeit ggf. ernsthafte Bedenken gegen eine Lösungsvorschlag einzubringen – seine Letztverantwortung aus. Der Clou: Alle Akteure des Leitungsteams können das.

Sind die Argumente ausgetauscht, beginnt die Phase der Beschlussfassung. Der/die Moderator*in formuliert einen Lösungsvorschlag, der die zuvor gehörten Argumente möglichst umfassend berücksichtigt. Der Vorschlag wird angenommen, sofern es keinen „schwerwiegenden Einwand“, praktisch ein Veto gibt, das – anders als ein Veto – argumentativ begründet werden muss. Ist dies der Fall, wird in der Gruppe ein neuer Lösungsvorschlag gesucht, der auch den Einwand berücksichtigt. Der Vorgang wiederholt sich solange, bis kein schwerwiegender Einwand mehr vorgebracht wird.

Die Erfahrung zeigt, dass die Entscheidungsfindung insbesondere zu Beginn (wenn man anfängt, so zu arbeiten) etwas mehr Zeit in Anspruch nimmt. Danach geht es dafür umso schneller. Unbedingt braucht es eine kompetente und konsequente Moderation. In diesem Verfahren kann die Letztverantwortung über den Mechanismus des „schwerwiegenden Einwandes“ wahrgenommen werden. Damit werden Entscheidungsprozesse im Team mit der Idee der Letztverantwortung kompatibel.

Geistliche Entscheidung in Gemeinschaft nach Ignatius von Loyola

Das Modell der ignatianischen Entscheidungsfindung in Gemeinschaft („deliberatio communitaria“) ist wie das zuvor beschriebene darauf ausgerichtet, möglichst einmütig unter Berücksichtigung aller Argumente zu Entscheidungen zu kommen. Es berücksichtigt zudem die geistliche Dimension.26 Der Entscheidungsprozess hat vier Phasen:

  • Die geistliche und inhaltliche Vorbereitung dient dem Bemühen, die Haltung der Indifferenz (Offenheit für das Wirken des Geistes) zu gewinnen sowie die anstehende Entscheidungsfrage, die Vorgehensweise und weitere Sachfragen zu klären.
  • Die zweite Phase, der Beratungs- und Unterscheidungsprozess sieht den Dreischritt (1) Argumente für die jeweils zur Betrachtung stehende Alternative, (2) Zeit der Stille und des Betens und (3) Austausch im Stil eines Anhörkreises ohne Diskussion vor, der für jede Alternative durchgegangen wird. Den Schluss bildet individuelles, betendes Erwägen des Gehörten mit der Frage, wohin Gott die Gruppe führen will (Unterscheidung der Geister).

    Über das Konsentverfahren werden Entscheidungsprozesse im Team mit der Idee der Letztverantwortung und damit dem Kirchenrecht kompatibel.

  • Die Entscheidungsphase beginnt mit dem gegenseitigen Mitteilen der Option, zu der jeder der Beteiligten nach dem Beratungs- und Unterscheidungsprozess neigt. Die Entscheidung erfolgt im Konsens oder per Mehrheitsbeschluss.27
  • Abschließend prüft jeder der Beteiligten im Gebet, ob er/sie die gemeinsame Entscheidung (oder die Konsequenz aus der Nicht-Entscheidung) vollumfänglich mittragen kann. Es folgt die Verständigung darüber, ob alle die Entscheidung mittragen und zur Umsetzung bereit sind. Wenn nicht, beginnt das Verfahren von vorne. Den Abschluss (nach erfolgter Entscheidung) bildet der Dank an Gott und die Bitte um seinen Beistand für die Umsetzung.

Durch den 4. Schritt ähnelt die Geistliche Entscheidung in Gemeinschaft dem Konsentverfahren. Beides lässt sich also gut miteinander verknüpfen und situativ einsetzen, wenn es angezeigt ist.

11. Eskalationsdynamik

Die Eskalationsdynamik beschreibt das Verfahren, im Konfliktfall (Unvereinbarkeit des Handelns mit den getroffenen Vereinbarungen) auf transparente und für alle gleichermaßen geregelte Weise, mit möglichst geringem Aufwand und möglichst einvernehmlich zu tragfähigen Lösungen zu kommen.

(1) Feststellung einer Unvereinbarkeit

Wenigstens ein Akteur stellt eine Unvereinbarkeit im konkreten Handeln eines anderen Akteurs (oder mehrerer Akteure) mit den getroffenen Vereinbarungen (Commitments) fest, in der Art, dass er in seinem oder andere in ihrem Handeln eine Beeinträchtigung erfahren.

(2) Rückmeldung/ Ansprache der Unvereinbarkeit an die betroffene(n) Person(en)

Aussprache, Klärung und Vereinbarung für die zukünftige Handhabung (u.U. auch Modifikation des ursprünglichen Commitments).

Wenn keine einvernehmliche Lösung gefunden werden kann:

(3) Rückmeldung/ Ansprache der Unvereinbarkeit auf der Ebene des jeweiligen Bezugssystems (Leitungsteam)

Aussprache, Klärung und Vereinbarung für die zukünftige Handhabung (u.U. auch Verständigung über die Modifikation des ursprünglichen Commitments; dann Nachverhandlung in der Konstellation Team plus Bischof/ Generalvikar/ bevollmächtigte Person).28

Die Eskalationsdynamik beschreibt das Verfahren, im Konfliktfall (Unvereinbarkeit des Handelns mit den getroffenen Vereinbarungen) auf transparente und für alle gleichermaßen geregelte Weise, mit möglichst geringem Aufwand und möglichst einvernehmlich zu tragfähigen Lösungen zu kommen.

Wenn keine einvernehmliche Lösung gefunden werden kann:

(4) Rückmeldung/ Ansprache der Unvereinbarkeit auf der nächst höheren Zwischenebene (Dekanat, Region, … sofern vorhanden)

Aussprache, Klärung und Vereinbarung für die zukünftige Handhabung (u.U. auch Verständigung über die Modifikation des ursprünglichen Commitments) unter Begleitung (Moderation/ Mediation) einer neutralen dritten Person aus dieser Ebene (z.B. Dechant).

Wenn die neutrale dritte Person zur Einschätzung kommt, dass der Konflikt auf dieser Ebene nicht gelöst werden oder trotz Versuchs keine einvernehmliche Lösung gefunden werden kann:

(5) Rückmeldung/ Ansprache der Unvereinbarkeit auf der Ebene der Diözese (Generalvikar)

Aussprache, Klärung und Vereinbarung für die zukünftige Handhabung (u.U. auch Verständigung über die Modifikation des ursprünglichen Commitments) unter Begleitung (Moderation/ Mediation) eines einer internen oder externen Mediation mit entsprechenden Spezialkenntnissen.

Wenn der/die Mediator*in zur Einschätzung kommt, dass der Konflikt auf dieser Ebene nicht gelöst werden oder trotz Versuch keine einvernehmliche Lösung gefunden werden kann:

(6) Rückmeldung des Scheiterns der Mediation an den Generalvikar

Vorbereitung und Beschluss einer administrativen Lösung im Rahmen der jeweils gültigen Ordnungen und Verfahren (die bei hauptberuflichen Mitarbeiter*innen anders als bei beauftragten ehrenamtlich tätigen Laien.

(7) Information der Beteiligten

Information der Beteiligten über die administrative Lösung durch den Generalvikar bzw. die jeweils zuständigen Personen bzw. Instanzen in Absprache mit dem Generalvikar . Organisatorische Umsetzung der Lösung im Rahmen der geltenden Verfahrensabläufe.

Das beschriebene Instrument zum Konfliktmanagement muss auf die jeweiligen Verhältnisse in der Diözese angepasst werden. Es ist ausgesprochen stark, funktioniert allerdings nur dann, wenn die letzte Instanz klar und transparent agiert und nicht manipulierbar ist. Haben oder gewinnen die beteiligten Akteure den Eindruck, sie könnten mit der letzten Instanz leichter einen besseren Deal aushandeln, werden sie Konflikte sofort eskalieren, um diese Möglichkeit auszunutzen.

12. Evaluation

Das Commitment im Leitungsteam bedarf einer regelmäßigen Überprüfung. Hierzu dienen die regelmäßig stattfindenden (Mitarbeiter-)Jahresgespräche von haupt- und ehrenamtlich tätigen Mitarbeiter*innen mit den jeweiligen Vorgesetzten bzw. Ansprechpartnern.

Zwingend erforderlich ist darüber hinaus ein jährlich stattfindendes (in Konfliktsituationen enger getaktetes) Evaluationsgespräch im Leitungsteam, das von Bischof, Generalvikar, Dechant (oder anderen Vertretern auf Zwischenebene, z.B. Regionalkoordinator*innen) oder einer anderen vom Bischof beauftragten Person durchgeführt wird. Das Evaluationsgespräch sollte – wie das Mitarbeitergespräch – eine klare Struktur aufweisen, um die zurückliegende Zeit der Zusammenarbeit auf der Folie des Commitments systematisch zu analysieren und Vereinbarungen für die weitere Zusammenarbeit i.S. eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses zu treffen.

13. Leitung unterhalb der Ebene der Pfarrei

Für die Leitung unterhalb der Ebene der Pfarrei gilt vom Grundsatz her die gleiche Logik. Die Verantwortung für die Gestaltung von Kirche ist maximal zu dezentralisieren. Das gilt auch für (formale) Leitungsverantwortung. Sie wird von der jeweils übergeordneten Instanz – hier seitens der Leitungsebene der Pfarrei – nach dem Subsidiaritätsprinzip delegiert. Je nachdem, ob es sich etwa um ein kirchliches Zentrum oder um eine Gemeinde bzw. einen Kirchort29 handelt, sind die Basiskoordinaten zu bestimmen, insbesondere ob ehrenamtliche Leitungsteams mit oder ohne hauptberufliche Beteiligung sinnvoll bzw. erforderlich sind. Entsprechend sind alle weiteren Parameter durch zu deklinieren und die Eskalationsdynamik anzupassen.

Kirche konstituiert sich bottom-up und top-down, durch communio und ministratio (LG 4).

14. Systemerweiterung – strukturell geteilte Leitung

Kirche konstituiert sich bottom-up und top-down, durch communio und ministratio (LG 4). Diese beiden Grundbewegungen im Blick auf die Leitungsfrage zusammen zu denken, ist eine weitere Herausforderung und zugleich – theologisch und organisatorisch – eine der größten Stärken der Katholischen Kirche: Sie zwingt die beteiligten Akteure iterativ zu einer wechselseitigen Validierung ihrer Sicht- und Verhaltensweisen.

Das Prinzip der Synodalität müsste dazu i.S. von Partizipation, also Teilhabe an Entscheidungsmacht, erweitert werden. Nur durch Partizipation werden die Getauften als communio inkludiert und damit i.S. Luhmanns systemrelevant. Nur Systemrelevanz sichert nachhaltig Systemzugehörigkeit, andernfalls werden sich die Menschen bei uns massenhaft von der Kirche abwenden.

Wenn „echte“ Partizipation gewollt wird, braucht es eine Leitungsstruktur, in der „exekutives“ Leitungshandeln „legislativer“ Validierung und Kontrolle unterliegt. Eine Gesamtleitungsstruktur lässt sich dem Modell Vorstand/ Aufsichtsrat folgend wie folgt beschreiben:

  • Die „exekutive“ („operative) Leitung der Pfarrei bzw. des pastoralen Raums kommt dem Leitungsteam (= „Vorstand“) zu. Die Besetzung des Leitungsteams erfolgt auf Vorschlag des Bischofs und bedarf der Zustimmung der Vertreterversammlung der kirchlichen Orte in der Pfarrei (= „Konvent SR“). Denkbar ist, dass Vertreter au
  • Die „legislative“ (strategische) Leitung wird vom Pastoralrat30 der Pfarrei bzw. des pastoralen Raums („Aufsichtsrat“) wahrgenommen. Der Pastoralrat wird umgekehrt vom Pfarrkonvent aus seinen Reihen gewählt und bedarf der Zustimmung des Bischofs. Die Leitung des der Pfarrei bzw. des pastoralen Raums hat in den Sitzungen des Pastoralrates beratende Funktion.

    Wenn „echte“ Partizipation gewollt wird, braucht es eine Leitungsstruktur, in der „exekutives“ Leitungshandeln „legislativer“ Validierung und Kontrolle unterliegt.

Beide Leitungsinstanzen – Pastoralteam und Pastoralrat – stehen sich gleichwertig gegenüber. Sie sind wechselseitig aufeinander verwiesen. Entscheidungen an den Schnittstellen der Verantwortung fallen mit Hilfe eines konsensorientierten Verfahrens, z.B. nach dem Konsent-Prinzip.  Sowohl das Leitungsteam als auch der Pastoralrat sind dem Bischof und dem Pfarrkonvent rechenschaftspflichtig. Bei Konflikten müssen sich Bischof und Konvent verständigen und gemeinsam entscheiden.

Die „legislative“ (strategische) Leitung des pastoralen Raumes im Sinne eines Aufsichtsrates beruht in agilen, netzwerkartigen Strukturen nicht auf einer Repräsentanz der Mitglieder, sondern auf einer Repräsentanz der aktiven Teilsysteme, die im Konvent zusammenkommen und den Rat aus ihrer Mitte wählen.

Noch einen Schritt weitergedacht, ließen sich Führung und Leitung im pastoralen Raum komplett in der Meta-Logik von Kreisen, Rollen und Prozessen darstellen, wie wir sie aus der Soziokratie bzw. der Holacracy kennen. Die Pfarrei bzw. der pastorale Raum verstehen sich als Netzwerk weitestgehend autonomer Subsysteme (Kreise). In größeren Netzwerken kann es Kreise auf mehreren Ebenen geben. Die Kreise werden nach innen koordiniert durch die Rolle des sog. Lead-Link. Nach außen (im höheren Kreis) repräsentiert durch den sog. Rep-Link. Die Rollen sind zeitlich begrenzt und können auch von mehreren wahrgenommen werden. Darüber hinaus kann es auf jeder Ebene weitere Rollen geben, die spezifische Unterstützungsfunktion haben.31

Auf diese Weise gelingt eine gestufte Repräsentanz aller Akteure bis auf die höchste Ebene des Systems. Die Leitung der Pfarrei/ des pastoralen Raumes würde auf oberster Ebene in einem Steuerkreis („Board“) geschehen, in dem die aktiven Subsysteme des Raumes repräsentativ vertreten sind. Dieser Kreis hat selbst wiederum einen Lead-Link und einen Rep-Link, die diese Aufgabe zeitlich begrenzt ausüben. Der Lead-Link führt/koordiniert/moderiert das Board nach innen. Der Rep-Link vertritt es nach außen (innerhalb der Gesamtorganisation, der Umwelt etc.).

Spezifisch für die Konstruktion im kirchlichen Kontext wäre die doppelte Legitimation durch die (aktiven) Getauften (den Konvent) und den Bischof. Nach diesem Modell ließe sich der komplette pastorale Raum durchstrukturieren. Die Leitung eines Subsystems (eines pastoralen Zentrums, eines Kirchortes oder eines Handlungsfeldes) könnte vergleichbar organisiert sein. Die Legitimation top-down würde über den jeweils übergeordneten Kreis erfolgen. Die Legitimation bottom-up durch die Versammlung der Aktiven, die sich dem Zentrum oder dem Kirchort zugehörig fühlen.

Auch dieses erweiterte Modell einer geteilten Leitung ist im Rahmen des Kirchenrechtes gut darstellbar, da alles auf einem wechselseitigen Commitment beruht. Selbstverantwortung und Partizipation können dabei sehr weit gehen, ohne dass die Letztverantwortung des Bischofs (bzw. des Pfarrers auf der Ebene des pastoralen Raumes) in Frage gestellt wird. Die Möglichkeit dazu eröffnet c. 127 CIC, wie Thomas Schüller in seinem Beitrag beschreibt: “Mit c. 127 CIC ist es einem Diözesanbischof möglich, sich an die qualifizierte Beratung und Entscheidung eines aus Frauen und Männern bestehenden Gremiums zu binden.” 32 Genau dies tun die Bischöfe von Limburg (Georg Bätzing) und Graz (Wilhelm Krautwaschl). Sie bauen partikularrechtlich eine konstitutionelle Monarchie. Das ist bereits jetzt kirchenrechtlich problemlos möglich.

15. Resümee

Der vorliegende Beitrag bietet einen Denkhorizont und schafft einen Handlungsrahmen, um in der zentralen Frage der Leitung pastoraler Räume unterschiedliche  Perspektiven, Positionen, Ansprüche und Interessen zu integrieren und in einem praktikablen Verfahren zu differenzierten und flexiblen Lösungen zu kommen, die der Komplexität der Anforderungen gerecht wird. Kirchenrecht, Setzungen des Bischofs, Realität vor Ort und Fähigkeiten der Akteure lassen sich so aufeinander abstimmen, dass jeweils die optimale Konfiguration gefunden und verbindlich fixiert werden kann.

Der Beitrag zeigt darüber hinaus, dass sich Kirchenrecht und Teilhabe bzw. Mitwirkung an Leitung nicht grundsätzlich ausschließen, im Gegenteil. Das Kirchenverständnis des 2. Vatikanischen Konzils führt in letzter Konsequenz zu strukturell geteilter Leitung. Das hier skizzierte Konzept einer kirchenrechtskonformen, konfigurierbaren Leitungsarchitektur erlaubt es, innerhalb des gegebenen Rahmens, unterschiedliche Formen geteilter Leitung zu generieren und optimal auf die konkrete Situation hin anzupassen. Damit wird auf der Ebene der Pfarrei ein Zusammenwirken von ministratio und communio auf Augenhöhe i.S. von LG 4 ermöglicht und strukturell-organisatorisch verankert. Dieser Pfad führt – soziologisch betrachtet – zu einem hoch modernen Verständnis von Organisation und Führung/Leitung, das der gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung trägt und die Chance eröffnet, die kulturelle Kluft zwischen Kirche und Gesellschaft zu verringern.

 

  1. Die im Folgenden skizzierte Leitungsarchitektur wird aktuell in der Diözese Graz-Seckau und im Erzbistum Hamburg erprobt.
  2. U.a. in den Diözesen Osnabrück, Hildesheim, Magdeburg, Hamburg und Graz.
  3. Vgl. etwa die Diskussion um Begriffe wie „Letztverantwortung“, „Grundverantwortung“ und „Handlungsverantwortung“.
  4. U.a. in Krefeld, vgl. https://augustinus-krefeld.de/st-karl-borromaeus/ [15.05.2019], vgl. https://www.bistum-aachen.de/aktuell/nachrichten/nachricht/Wer-leitet-muss-darauf-achten-dass-er-dem-Heiligen-Geist-nicht-im-Wege-steht./?instancedate=1537432094000 [15.05.2019].
  5. Zur Differenzierung der Begriffe Führung und Leitung vgl. Dessoy, V., Führung übernehmen, Macht abgegeben, in: Wort und Antwort 1/ 2019.
  6. Vgl. Dessoy, V., Partizipation und Leitung in der Kirche, in: E. Kröger, Wie lernt Kirche Partizipation? Theologische Reflexionen und praktische Erfahrungen, 71-90, hier 74ff.
  7. Das traditionelle, monarchische Kirchenverständnis wurde durch das 2. Vatikanische Konzil deutlich modifiziert, indem es die doppelte Wirklichkeit von Kirche als ministratio und communio betont. Kirchenrechtliches Korrelat sind die synodalen Räte als Gremien der Mitverantwortung auf Bistums-, Dekanats- und Pfarrebene.
  8. Man kann sich darüber ärgern oder freuen. Für die Praxis ist das irrelevant. Die kirchliche Verfasstheit ist, wie sie ist und muss akzeptiert werden, um pragmatisch gute Lösungen zu finden.
  9. Die Priesteramtskandidaten werden bis heute auf das tradierte Leitungsverständnis hin ausgebildet.
  10. Der Kirchenstreik Maria 2.0 zeigt, wie weit die Erosion inzwischen reicht. Er war allenfalls ein Warnstreik und bietet einen Vorgeschmack auf das, was kommen wird, bevor sich auch der innere Zirkel der treuen Anhänger*innen abwendet.
  11. Zur verbleibenden Zeit vgl. Dessoy, V., Hahmann, U., Lames, G., Trend wenden – Einschätzungen und Zahlen zur Zukunft der Kirche, in: futur2 1/2018 (https://www.futur2.org/article/trend-wenden-einschaetzungen-und-zahlen-zur-zukunft-der-kirche/; [15.05.2019]).
  12. Die zentrale Zukunftsfrage ist, wie Kirche heute Plausibilität und Relevanz gewinnen kann für Menschen, die sie nicht (mehr) erreicht.
  13. Die monarchisch-absolutistische Kultur von Kirche ist tief in ihrer DNA verankert. Sie kann durch ein neues Leitungskonzept nicht eliminiert werden. Dennoch ist es dem Bischof möglich, sie für seine Ortskirche auf „Stand-by“ zu stellen.
  14. Das kann ein anderer Pfarrer oder auch der Bischof selbst oder ein anderer, von ihm beauftragter Priester sein.
  15. Unter Konfiguration versteht man allgemein die Anpassung eines Programms (hier der Leitungsarchitektur) an ein bestimmtes System (hier die die Anforderungen des pastorales Raumes und die Fähigkeiten der Akteure), sowie das Ergebnis des Anpassungsprozesses, die Konfigurationseinstellungen.
  16. Prokura (italienisch procura, Vollmacht, von lateinisch procurare, für etwas Sorge tragen) ist eine durch einen Vorgesetzten an ein/n Mitarbeiter*in für einen bestimmten Geschäftsbereich erteilte umfassende Handlungs- und Vertretungsvollmacht.
  17. Vgl. Punkt 8. Skalierungsparameter 1. Ordnung.
  18. Vgl. Punkt 9. Skalierungsparameter 2. Ordnung.
  19. Vgl. hierzu auch Punkt 14. Systemerweiterung – strukturell geteilte Leitung.
  20. Konfiguration bezeichnet das Einstellen von Programmparametern zur Herstellung auf die jeweiligen Verhältnisse vor Ort (Anforderungen der Aufgaben, Kompetenzen der Akteure) hin optimierter Varianten der Leitungsarchitektur.
  21. Vgl. dazu Kap. 14. Systemerweiterung – strukturell geteilte Leitung.
  22. Vorbehaltlich der kirchenrechtlich explizit den Weiheämtern vorbehaltenen Dienste: Vorsitz der Eucharistie, Spendung des Bußsakraments etc.
  23. Die sogenannten (neue) Leitungsmodelle sind nichts anderes als vorkonfigurierte diskrete Zustände im prinzipiell vielgestaltigen Suchraum. Sie werden den Systemen vor Ort als Möglichkeit oder in Form weniger Wahloptionen zur Verfügung gestellt.
  24. An dem er als dritter Partner beteiligt ist und seine Vorstellungen natürlich auch einbringen kann!
  25. Vgl. The Sociocratic Group, A-B-C für angehende SKM-GesprächsleiterInnen. Schritt für Schritt zu effektiven Sitzungen, ohne Erscheinungsort und Jahr. Strauch, B., Reijmer, A., Soziokratie, Kreistrukturenals Organisationsprinzip zur Stärkung der Mitverantwortung des Einzelnen, München 2018.
  26. Wolfgang Zecher, Geistliche Entscheidungsfindung in Gemeinschaft. „Der Heilige Geist und wir haben beschlossen …“ (Apg 15,28), in:  Impulse für die Pastoral 4/2014, 24-31.
  27. Kommt es nicht zu einem Ergebnis kann das bedeuten, dass eine weitere Beratungsschleife erforderlich ist, die Entscheidung nur zeitlich begrenzt und auf Probe gefällt werden kann, die Gruppendynamik den Konsens verhindert und der Prozess unterbrochen werden muss oder die Entscheidungsfrage falsch war.
  28. Vgl. Ausführungen zum Commitment Punkte 6ff.
  29. Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass jeder Kirchort zwingend eine formale Leitung benötigt. In vielen Fällen wird es fluide oder punktuelle Formen der Führung geben, die keiner Formalisierung in der beschriebenen Weise bedürfen.
  30. Der Pastoralrat ist in diesem Modell sowohl für die inhaltlich-pastorale als auch die wirtschaftliche Ausrichtung der Pfarrei/ des pastoralen Raums zuständig.
  31. Vgl. Dessoy, V., Kirche braucht Profis, keine Gemeindereferenten. Skizze einer neuen Rollenarchitektur, in: das magazin 4/2017, 4-12.
  32. Vgl. https://www.futur2.org/article/macht-und-ohnmacht-aus-kirchenrechtlicher-sicht-ein-beitrag-zur-aktuellen-diskussion-um-macht-und-machtmissbrauch-in-der-katholischen-kirche/?fbclid=IwAR1k3vg4vH44jO3iXFnZJcR6_T8edgGQgLU99FQBJSa2hjFK3fldUQx9d8A.

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