022022

Statements

Andreas Unfried

Fürchte dich nicht, du armer Wurm Jakob

Auflösungserscheinungen, Kipp-Punkte, Zusammenbrüche – und nicht wirklich Aussicht auf Besserung: Damit sollten wir uns eigentlich auskennen. Und könnten drüberstehen und uns an Jesus halten: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde.“ hat der gesagt. Und sich dabei an den Zweiten Jesaja gehalten: „Fürchte dich nicht, du armer Wurm Jakob“ (Jes 41,14). Und beide sagen sie es gegen den Trend und gegen den Augenschein.

„Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn Euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben.“

Jesaja sagt es denen im Exil. Vom ehrwürdigen Tempel stand da kein Stein mehr. In der Königsstadt Jerusalem weideten Ziegen in den Trümmern. Und Psalmenlieder ließen sich jetzt bei ihren Gelagen die neuen Herren von ihren judäischen Sklaven zur Belustigung vortragen. Das sah Jesaja natürlich auch alles. Und sah mehr. Sah den Zionsberg, und dass die Menschen alle dorthin pilgern werden. Weil die Erde dort getränkt sein wird von Frieden und Gerechtigkeit. (Einen Tempel sah der Zweite Jesaja übrigens dort nicht. Das unterschied ihn vom anderen großen Träumer seiner Zeit: Ezechiel. Der sah den neuen, wiederhergestellten Tempel in allen, aber wirklich allen Details voraus. Bloß, dass er sich bei ihm am Ende verflüssigt und zum Lebensstrom wird für die Menschen. Auch ein schönes Bild für eine Kirche, die ins Schwimmen kommt. Aber das nur am Rande).

Jesus jedenfalls hat sich in diese gedankliche Reihe gestellt und die Linie noch ein Stück ausgezogen: Nicht um den Zionsberg werde es gehen, sondern um das Reich Gottes für alle Menschen. „Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn Euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben.“ (Lk 12,32)

„Na, bitte“, könnten die Reformgegner in ihrer Wagenburg sagen. „Kein Grund zur Beunruhigung. Alles schon mal dagewesen. Und die Kirche hat es ausgehalten. Unabsteigbar, unkaputtbar eben.“ Aber da würde dem Zweiten Jesaja der Hut hoch gehen (und dem Ezechiel auch). Denn so hat er es gewiss nicht gemeint. Und von wegen: unkaputtbar. Die einst blühenden Kirchen Nordafrikas und Kleinasiens sprechen eine andere Sprache.

Wer aus Angst um den Fortbestand der Kirche diese vor der Welt abschotten möchte, der hat im Grunde schon aufgehört an die Wirksamkeit von Kirche zu glauben …

Beunruhigung also sehr wohl. Gelassenheit aber auch. Sich keine Angst einjagen lassen. Weder von denen, die hämisch grinsend auf unsren Untergang warten. Noch von den andren, die uns weismachen wollen, jede kleinste Änderung im Lehrgebäude brächte das ganze Gefüge zum Einsturz. Und erst recht nicht davon, dass wir nur ein kleines Häuflein sind, gering an Kraft und allzu beschränkt in unsren Möglichkeiten. Das alles widerlegt nicht den Grund unsrer Hoffnung.

Wer aus Angst um den Fortbestand der Kirche diese vor der Welt abschotten möchte, der hat im Grunde schon aufgehört an die Wirksamkeit von Kirche zu glauben und kauft sich höchstens noch ein bisschen Zeit. Wer an die Wirksamkeit von Kirche glaubt, dem können die bröckelnden Tempel-Steine sogar letztlich egal sein: egal ob Gebäude, gesellschaftlicher Einfluss oder institutionelle Macht. Nicht egal sein kann uns dann aber, wovon diese Kirche kündet. Und mit welchem Maß an Entschlossenheit und Unerschrockenheit sie das tut.

Fürchtet euch nicht. Denkt nicht zu klein von dem, was ihr bewirken könnt. Für eine bessere Kirche. Vor allem aber für eine bessere Welt. Kleinmut ist keine Option. Und Feigheit keine Strategie. Wir brauchen nicht mit dem Kopf durch die Wand. Aber immer mal an der Türklinke rütteln, ob die Tür denn tatsächlich immer noch verschlossen ist, das sollte man von uns doch erwarten können. (Und manchmal geht sie ja einfach nach der andern Seite auf…)

Wir sollten uns nicht unterschätzen. Und unsere Pfarreien und Gemeinden auch nicht. Und tunlichst auch nicht, wer uns alles an Bündnispartnern begegnen könnte. Vorausgesetzt natürlich: Wir versuchen es. Und laden ein, es mit uns zu versuchen. Oder laden uns bei denen ein, die es jedenfalls versuchen. Womöglich finden wir den Gott, den wir so schmerzlich vermissen, gerade dort. Wer hat denn gesagt, dass der, der die Welt erlöst hat, sich exklusiv um die Katholiken kümmern würde?

Bange machen gilt nicht. Ihr könnt mehr, als ihr ahnt. Und ihr ahnt nicht mal im Ansatz, was Gott durch euch kann.

Furchtlos und gelassen: für den wirksamen Schutz vor sexualisierter Gewalt, für Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, für die Bewahrung der Schöpfung und die Rettung des Klimas. Für Frieden in Gerechtigkeit und für den Kampf gegen Armut und Ausgrenzung. Für einen wertschätzenden Umgang miteinander – ach, es ist fast egal, wo wir anfangen. Das meiste hängt sowieso zusammen. Und es wird nur etwas werden, wenn es nicht in hektischen Aktionismus ausartet oder aus Resignation und Kleinmut gleich ganz unterbleibt.

Liebe Würmlein! Bange machen gilt nicht. Ihr könnt mehr, als ihr ahnt. Und ihr ahnt nicht mal im Ansatz, was Gott durch euch kann.

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