022022

Foto: BAILEY MAHON/Unsplash

Statements

Andreas Sturm

Ungehorsam sein, anders handeln oder gehen

In den letzten Monaten habe ich oft darüber gesprochen, warum ich die Hoffnung auf Veränderung in der römisch-katholischen Kirche verloren und am Ende für mich keinen anderen Ausweg mehr gesehen habe, als zu gehen. Ein Weg der Entfremdung, der sicher nicht erst im letzten Jahr seinen Anfang nahm, aber der eben doch mit immer schnellerem Tempo für mich zuletzt alternativlos war. Ich bereue meinen Schritt auch nicht, denn ich fühle mich in meiner neuen kirchlichen Heimat, der alt-katholischen Kirche, sehr wohl.

Der Begriff der Alternativlosigkeit ist von der Gesellschaft für Deutsche Sprache 2010 zum Unwort des Jahres gekürt worden und auch ich merke bei mir, wie oft er trotzdem in meinem aktiven Sprachgebrauch vorkommt.

Hinter verschlossenen Türen habe ich mich getraut, den einen oder anderen Regelverstoß zu unternehmen

Aber stimmt das rückblickend auch? War es wirklich alternativlos oder muss ich vielleicht selbstkritisch anmerken, dass ich im letzten eben auch in meinem Handeln als Priester in unterschiedlichen Aufgaben und Positionen, zuletzt als Generalvikar, nicht auch viel zu sehr systemimmanent gedacht und gehandelt habe und deswegen auch keine Alternativen gesehen habe? Hinter verschlossenen Türen habe ich mich getraut, den einen oder anderen Regelverstoß zu unternehmen: habe queere Paare gesegnet oder auch heterosexuellen Paaren, die schon mal verheiratet waren, ermöglicht, sich nochmal das Ja-Wort zuzusprechen. Auch ihre Verbindung habe ich gesegnet. Es kam vor, dass pastorale Mitarbeitende in einer Eucharistiefeier, deren Vorsitz ich hatte, predigten oder bei einer Taufe oder Trauung über das übliche Maß hinaus assistierten. Dazu kommt sicher auch noch, dass ich im Lauf der Jahre immer deutlicher meine Stimme erhoben und für Veränderungen eingesetzt habe, aber im Letzten war ich eben immer im System verhaftet. Stolz kann ich auf all das nicht sein, denn es reicht wohl kaum aus, um echte Veränderungen herbeizuführen.

Momentan wird ja viel darüber gesprochen, was der synodale Weg an Veränderungen bringen kann. Ich muss gestehen, dass ich Vieles dabei eher skeptisch sehe und kaum Hoffnung auf echte Veränderung habe. Gleichzeitig habe ich auch den Applaus und die Euphorie nach der Verabschiedung des Grundtextes zu Frauen in der Kirche erlebt und dies am Live-Stream mitverfolgt. Möglicherweise sind meine Erwartungen einfach vollkommen überzogen und ein Großteil ist zufrieden, wie es läuft. Scheinbar hat man sich so an die Rolle gewöhnt, dass man nicht mehr tun kann, sodass schon der Versuch allein, ein Thema auf die römische Agenda beim weltweiten synodale Prozess zu bringen, ausreicht. Ich bin gespannt, wie erfolgreich dies ist. Ich muss gestehen, dass ich seit dem Waterloo in Bezug auf eine Öffnung des Priesteramtes für verheiratete Männer (Viri probate) im Rahmen der Amazonas-Synode sehr ernüchtert auf den weiteren Verlauf der Bischofssynode auf Weltebene schaue.

Möglicherweise sind meine Erwartungen einfach vollkommen überzogen und ein Großteil ist zufrieden, wie es läuft.

Aber nehmen wir nur mal all jene Punkte, die in Deutschland entschieden werden. Selbst hier bin ich immer noch äußerst skeptisch, wie das weiter gehen wird. Der synodale Weg ist ja aufgrund seiner Genese im Letzten doch absolut systemimmanent geblieben. Der jeweilige Bischof ist Herr des ganzen Verfahrens und er entscheidet frei, ob er etwas in seinem Bistum einführen wird. Diesen Sachverhalt hat man auch immer wieder, gerade angesichts heftigen Gegenwinds aus Rom, betont. Nun mag die überwiegende Zahl der sich zur Zeit im Amt befindenden Diözesanbischöfe alle Beschlüsse in ihren jeweiligen Bistümern umsetzen, aber wer gibt die Garantie, dass auch ein Nachfolger wieder so huldvoll ist und sich erbarmt. Auf mich wirkt das alles immer wie die Gewährung von Gnadengeschenken in einem absolutistischen System. Die Gläubigen als getaufte und gefirmte Subjekte kirchlichen Handelns tauchen dabei gar nicht auf.

Ich glaube es bräuchte einen anderen Ansatz. Damit es zu echten und bleibenden Veränderungen kommt, braucht es den Ungehorsam und ein breiter Aufruf zu einem anderen Handeln. In den letzten Wochen lese ich immer wieder von solchen und ähnlichen Aktionen. Einem Aufruf zur Laienpredigt in Eucharistiefeiern, eine Frau in der Schweiz, die zusammen mit den Männern konzelebriert, Priester, die keine Segnungen und sakramentale Trauungen Menschen bzw. Paaren vorenthalten, die von der offiziellen Lehre dafür ausgeschlossen wären.

Damit es zu echten und bleibenden Veränderungen kommt, braucht es den Ungehorsam und ein breiter Aufruf zu einem anderen Handeln.

Ich habe keine Ahnung, ob das zielführend ist. Beim Blick in die Kirchengeschichte habe ich den Eindruck, dass Menschen Dinge anders gemacht haben, als es die offizielle Lehre war und dies dann zu Veränderungen geführt hat: Beispiele hierfür sind die Änderung der Zelebrationsrichtung und die Verwendung der Landessprache in der Eucharistie sowie die Tradition von Mädchen als Ministrantinnen.

Die römisch-katholische Kirche ist Weltkirche und ist darauf stolz – zu Recht. Aber wenn das Weltkirchen-Argument zum Hemmschuh wird, weil die Erwartung im Raum ist, dass man erst etwas ändern kann, wenn alle anderen mitziehen, dann werden wir keine Veränderung erleben. Dann wird die Diskriminierung von LGBTQ+ in der römisch-katholischen Kirche weiter gehen, weil es Länder auf dieser Erde gibt, in denen auf Homosexualität die Todesstrafe steht. Da werden Frauen weiter ausgegrenzt, weil es viele Länder gibt, in denen die Gleichberechtigung von Frauen und Männern nicht existiert. Und all die vielen Betroffenen sexualisierter Gewalt werden auch zukünftig erleben müssen, dass Aufarbeitung – echte Aufarbeitung – nicht existiert, weil in zu vielen Ländern Nähe, Distanz und Sexualität kein Thema sind und die Stellung des Priesters oder gar Bischofs viel zu machtvoll ist und somit sein Handeln vollkommen unhinterfragt akzeptiert wird. Und wir werden auch erleben, dass noch viel, viel mehr Menschen die römisch-katholische Kirche verlassen. Die Wenigsten werden sich einer neuen Kirche anschließen, da sie aus den Erfahrungen mit Kirche genug haben. Und das müsste uns so unruhig werden lassen, weil es im Letzten die Kirche und den gelebten Glauben in dieser Welt so dringend bräuchte.

Und wir werden auch erleben, dass noch viel, viel mehr Menschen die römisch-katholische Kirche verlassen.

Als Martin Luther mit seinen Anliegen auftrat, wollte die kirchliche Obrigkeit nicht hören, was dieses „kleine Mönchlein aus Wittenberg“ zu sagen hat. Heute stehen so viele auf und erheben ihre Stimme und machen ihrem Unmut lautstark Luft, aber auch heute sind es weltweit nur einige wenige Bischöfe, die dies hören und wahrnehmen. Bei Luther kam es in der Folge zum Bruch und erst dann sah man in der römischen Kirche Handlungsdruck. Erst dann kam es zu einem Konzil, welches grundlegende Reformen einläutete. Hat die römische Kirche in diesen 500 Jahren so wenig gelernt? Verhält man sich nicht schon wieder so ähnlich, wie damals zur Zeit der Reformatoren?

Ich will nicht zur Revolution aufrufen und sehe mich auch wahrlich nicht als Martin Luther 2.0, aber ich würde allen raten, die Veränderung wollen, diese auch zu leben und umzusetzen. Jede und jeder kann hier in seinem Bereich einfach anders handeln. Wer wartet, bis Rom oder das zuständige Ordinariat die Erlaubnis gibt, erlebt dies mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr. Ich rate allen dazu, die Veränderung in der römisch-katholischen Kirche wollen, dies auch aktiv umzusetzen und in ihrem Bereich anzugehen. Einen Pfarrer kann man seines Amtes entheben, vielleicht auch fünf oder zehn, aber hunderte nicht. Das gleiche gilt auch für pastorale Mitarbeitende. Die Reformwilligen sind so schlecht vernetzt und organisiert, dass man ihnen nur raten kann, sich bei den konservativen Gruppen in der Kirche eine Scheibe abzuschneiden.

Wenn man nicht ungehorsam sein kann, weil man keine Kraft dazu hat, die Widerstände zu groß sind oder man daran krank wird, dann geht man besser.

Wenn man nicht ungehorsam sein kann, weil man keine Kraft dazu hat, die Widerstände zu groß sind oder man daran krank wird, dann geht man besser. Es gibt genügend andere Kirchen. Wenn man bleibt und nichts tut, dann trägt man dazu bei, dass dieses System der Diskriminierung und des Machtmissbrauchs weiter gefestigt und gestärkt wird.

 

Ich hatte am Ende die Kraft, weiterzukämpfen, nicht mehr und bin gegangen.

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