022022

Foto: Josh Applegate/Unsplash

Statements

Stefan Wisskirchen

Die Frage nach dem Warum

Irgendwie ist es ja erstaunlich. Fast jeden Tag fragt mich jemand: „Warum bist Du Priester geworden?“

Die Antwort darauf ist nicht so einfach und doch auch einfach. Äußere Gründe gibt es da viele von denen ich erzählen kann. Gute Vorbilder, die Liebe zum Gottesdienst, eine tolle Gemeinschaft.  Über das Innere zu sprechen ist dann doch kompliziert in Worte zu fassen. Es ist ein Geheimnis. Zwischen Gott und mir. Es hat sich gefügt. Gott hat nicht losgelassen, mir seine Wirklichkeit zu zeigen und mir meinen Platz in dieser Wirklichkeit zuzusprechen.

Aber, wie war das eigentlich damals? Eine gute alte Zeit? Die „Kirche des Abbruchs“ ist für mich eine Realität, die ich nicht anders kenne. Ich bin 1979 geboren, goldene Zeiten habe ich in der Kirche nicht erlebt. Als es darauf zuging Priester zu werden, war es eher so, dass Menschen aus meinem persönlichen Umfeld, die nicht zur Kirche gehörten oder gingen, mich zu diesem Schritt ermutigt haben. Die Skepsis von Menschen in der Kirche war oftmals größer. „Das ist doch nicht mehr zeitgemäß!“

Wenn ich an meine Geschichte in der Kirche zurückdenke, dann ist es sicher in der Kindheit und Jugend eine Geschichte der Sakramente. Die sakramentale Gestalt der Kirche fand in den Katechesen und den damit verbundenen Feiern statt. Gerade die Eucharistiefeier am Sonntag und die Gemeinschaft der Kirchengemeinde, besonders der Ministranten, waren für mich ein sicherer Ort. Ist das noch so?

Das ist jetzt ein Rückblick, der sich auch auf die vergangenen Jahre hin ausdehnen könnte, aber es soll ja mehr um die Lage jetzt und die Zukunft gehen.

Einen Blick in die Zukunft zu wagen, ist riskant. Es gibt so viele Unwägbarkeiten, aber auch die Beeinflussung durch selbsterfüllende Prophezeiungen. Zukunftsforschung hatte in den vergangenen Jahren eine gewisse Aktualität. Immer wieder gab es Prognosen und Hinweise aus der Wissenschaft, wie es weitergehen kann, wie es weitergehen wird. Manche Entwicklung, die wir in der Gesellschaft und auch in den Kirchen sehen, ist sicher so eingetroffen, manches aber auch nicht. Die Geschichte des Menschen ist nichts Lineares und immer auch durch das Unvorhersehbare geprägt.

Wer Verantwortung in der Kirche hat, muss auch Vorsorge für die Zukunft tragen. Ein realistischer Blick in Entwicklungen, Veränderungen und Rahmenbedingungen ist notwendig, in aller Nüchternheit.

Gleichzeitig möchte ich den Blick auf die Gegenwart Gottes in unserem Leben, unseren Planungen und Unternehmungen nicht aufgeben. Das ist doch die Erfahrung des Volkes Gottes: Immer wieder bricht Gott die Entwicklung der Geschichte überraschend auf. Christus selbst war, wenn auch lange erwartet, die größte Überraschung Gottes.

Die Erscheinungen des Totgeglaubten setzen dieses Moment der Überraschung fort, können den menschlichen Blick auf die Zukunft neu ausrichten und stellen ihn Tag für Tag in Frage.

In meiner Gegenwart erlebe ich solche Geschichten von Menschen, die aus ihrer Vergangenheit geweckt werden, manchmal sogar darin regelrecht gefesselt waren. Lähmende Traurigkeit, unerfüllbarer Leistungsdruck, misslungene Beziehungen, das Gefühl austauschbar zu sein.

Dann befreit eine Begegnung mit Gott, die ihnen zeigt: ich bin gesehen, ich bin gewollt, ich bin geliebt – ich habe eine Zukunft!

Genau dazu braucht die Gesellschaft aus meiner Sicht die Kirche. Sie garantiert den Blick Gottes auf die Wirklichkeit des Menschen. Es braucht keine hohlen Phrasen von Vertröstung, sondern das Zeugnis für die reale Gegenwart Gottes im Hier und Jetzt. Für mich passiert das am deutlichsten in den Sakramenten, weil es hier nicht um Meinung und bloße Wort geht, sondern um die Zuwendung Gottes zum Einzelnen in Gemeinschaft.

Um Sinn zu finden und Sinn zu stiften, sollten wir immer zuerst nach dem „Warum“ und erst dann nach dem „Wie“ fragen.

Genau in dieser Spannung wird sich auch die Veränderung der Kirche in ihrer Gestalt in unserem Land, in Westeuropa, in der ganzen Welt vollziehen.

Entwicklungen werden die äußere Gestalt betreffen. Kleiner werdende Gemeinden und Gemeinschaften, verbunden mit Orten an denen die Kirche lebt. Die Kirche wird ihre „Kernkompetenzen“ stärken müssen, um durch diese Zeit zu finden, sie wird mehr ein Akteur von vielen sein und hoffentlich ein guter Kooperationspartner für verschiedenen gesellschaftliche Gruppen. In meinem Arbeitskontext als Hochschulpfarrer erlebe ich diese Entwicklung – anfanghaft – schon jetzt. Als Hochschulgemeinde sind wir ein sehr verlässlicher Partner in der Landschaft der Hochschulen. Kernkompetenz ist dabei vor allem die Seelsorge, die Sorge um den ganzen Menschen.

Wir dürfen als Kirche, aus meiner Sicht, nicht in einen „Etikettenschwindel“ geraten. Wo Kirche draufsteht, sollte dann auch Kirche drin sein. Wahrscheinlich werden wir die Dimension des stellvertretenden Handelns und Seins wieder neu entdecken. Aus dem Heiligen Geist heraus kleine Auferstehungen ermöglichen. Dabei uns ganz in der Gelassenheit des Handelns Gottes in dieser Welt verankern.

Um Sinn zu finden und Sinn zu stiften, sollten wir immer zuerst nach dem „Warum“ und erst dann nach dem „Wie“ fragen.

Darin sehe ich auch die wichtigste Entscheidung der Kirche für die Zukunft auf mich als Priester, Christ und Menschen hin. Wir müssen eine klare Antwort finden auf die Frage, warum es diese Kirche gibt und geben muss, sonst werden wir wahrscheinlich bedeutungslos. Was ist es, das diese Kirche der Welt geben kann – und niemand anderes? WER ist es, den sie zu geben hat?

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