022022

Statements

Bernd Mönkebüscher

Haben wir uns verrechnet?

„Wenn einer einen Turm bauen will, setzt er sich dann nicht zuerst hin und berechnet die Kosten, ob seine Mittel für das ganze Vorhaben ausreichen?“ (Lk 14,28)

Haben wir uns verrechnet? Habe ich mich verrechnet? Ich habe zu bauen geglaubt, keinen Turm, aber „lebendige Gemeinde“ nannte man das früher.

Viel wurde dafür versucht. Viel eingesetzt. Viel gedruckt. Viel initiiert. Viel gebacken. Viel gegrillt. Viel geredet. Viele Gottesdienste gefeiert. Für die Kirche, für die „lebendige Gemeinde“ reichte das offensichtlich nicht. Sie stirbt. Um ein Wort zu benutzen, das derzeit mit Blick auf die Klimakatastrophe gebraucht wird: Wir stehen kurz vor dem Kipppunkt. Wer sich unter 60 Jahre alt im Gottesdienst verläuft, ist Minderheit. Selbst bei Vorträgen, die die Zukunft von Kirche im Blick haben oder „Reizthemen“ darstellen wie etwa die Frage der Weihe von Frauen findet man in den klassischen Gemeinden wenig Interesse unter jüngeren Menschen. (Als wir Schwester Philippa Rath im August 2022 zu Gast hatten, waren zwar 90 Interessierte teilnehmend, eine der 90 war unter 50 Jahre alt.)

In den 30 Jahren, in denen ich im Dienst bin, ist es nur bergab gegangen, ein weniger werden auf allen Ebenen.

Meine persönliche Wahrnehmung ist: In den 30 Jahren, in denen ich im Dienst bin, ist es nur bergab gegangen, ein weniger werden auf allen Ebenen. Hab ich nicht im Blick gehabt, wie es sich anfühlt, auf einem sinkenden Schiff zu sein, einer Gemeinschaft anzuhören, die mehr und mehr schrumpft, immer schwächer wird, immer zerbrechlicher und in ihren Führungsetagen viel an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat? Was macht das mit uns, wenn wir nur abgeben und verlieren: Kirchliche Gebäude, Menschen, junge Menschen, Vielfarbigkeit – und das Gefühl abhanden gerät, gut aufgehoben zu sein?

Die Mittel für den Bau sind aus. Vielleicht reichen sie gerade noch für den Rückbau…Es ist ähnlich wie beim aus Trockenheit sterbenden Wald. Einige Bäume stehen noch, aber in einigen Jahren… Viele sagen: Die Politik reagiert immer noch nicht konsequent genug auf die Herausforderungen der Klimakatastrophe; reagiert unsere Kirche genug auf die Herausforderungen, die kirchliches Leben sterben lassen, um gar nicht zu fragen: Agiert sie? Oder bauen wir irgendwie weiter, nach der Devise, die Hoffnung stirbt zuletzt. Oder: Der Letzte, die Letzte macht das Licht aus.

Die gegenwärtigen Abbrüche treten in einer Massivität und Grundsätzlichkeit auf,   die erschrecken. Epochal. 

Eine gängige Redewendung, die in diesen Zusammenhängen gebraucht wird, ist zu sagen, dass ja „nur“ die gewohnte Sozialgestalt von Kirche sterben würde, nicht aber das Evangelium oder die Kirche selbst. Das ist nicht falsch, weil es auf die sich immer wandelnde Kirche hinweist; aber die gegenwärtigen Abbrüche treten in einer Massivität und Grundsätzlichkeit auf,  die erschrecken. Epochal. Und ist wirklich erkennbar, wohin sich die „Wandlung“ vollzieht? Ich habe 7 Jahre gesessen und „gerechnet“, die Zeit meiner Ausbildung, und die Jahre davor, in denen der Berufswunsch klarer wurde. Und viele andere haben ebenso „gerechnet“. Reichen die Mittel? Alle, die derzeit in dieser Krisenzeit real bauen, wissen, was es bedeutet, wenn die Preise immer mehr steigen. Manche haben Glück und können ihre Pläne stoppen; andere sind mittendrin und kommen nicht mehr heraus – und verschulden sich und haben Angst und wissen nicht weiter.

Die Fragen kommen von außen – und die Fragen kommen von innen. Und wenn wir die oben aufliegenden Fragen tiefer stellen, dann ist es wesentlich die Frage nach Gott.

„Der da hat einen Bau begonnen und konnte ihn nicht zu Ende führen.“ Heißt es weiter beim Evangelisten Lukas. Viele kirchliche Mitarbeitende erleben einen solchen Spott: Wo arbeitest du? Wie kannst du da arbeiten: In einer Institution, die immer noch Frauen und queere Menschen diskriminiert, in einer Institution, die immer noch geistlichen und körperlichen Missbrauch systemisch begünstigt? Die Fragen kommen von außen – und die Fragen kommen von innen. Und wenn wir die oben aufliegenden Fragen tiefer stellen, dann ist es wesentlich die Frage nach Gott. Wer ist uns Gott? Jemand, der Frauen in bestimmten Diensten und Ämtern nicht möchte? Jemand, der Orgelmusik über alles mag? Jemand, der Messgewänder braucht? Jemand, der das Blut seines Sohnes zur Versöhnung braucht? Zeigen diese Fragen nicht, dass Glaube und Kirche immer arg zeitgeschichtlich geprägt und gar nicht anders denk- und lebbar sind? „Die Weigerung der Kirche, ihr Verhältnis zur Welt zu bedenken, bedeutet nicht Treue zur apostolisch grundlegenden Vergangenheit, sondern sie verrät damit ihre geschichtlich bezeugte stete Durchdringung von Kirche und Welt, die durch ihre gegenseitige Veränderung  zu einer beispiellosen Erfolgsgeschichte der Kirche geworden ist.“ (Bischof Bätzing beim Ludgerusfest am 04.09.2022)

Ich bin 56 Jahre alt. Und ich möchte mich nicht mehr verrechnen. Ich habe demnach noch 14 Jahre vor mir im Dienst. Augen zu und durch? Augen auf und raus? Ich setze auf das „Dazwischen“.

Mir ist klar, dass ich wegen keinem Bischof in der Kirche bin. Es sind einzelne Menschen, mit denen ich mich verbunden weiß. Andererseits wäre es fatal, würden solche Verbindungen zum Gefängnis. (Ist das nicht die eigentliche Zölibatsfrage, die jedem Menschen gilt: Wo lebe ich Beziehungen, die lähmende Abhängigkeiten darstellen?) Als der Berufswunsch in mir wuchs, waren meine Motive nicht klar. Sie mussten reifen. Vielleicht ist das nicht nur am Anfang so. Wenn ich mich frage, was mich noch in der Kirche hält, sind die Motive auch nicht klar oder nur „edel“. Natürlich ist es mein Beruf, der mich in der Kirche hält und der viele schöne Seiten hat. Die „Amtskirche“ hält mich nicht. Allerdings frage ich mich auch, ob nicht zudem eine Portion Feigheit dabei ist, die mich daran hindert, einen Schlussstrich zu ziehen.

Das gewisse „Durcheinander“ der Motivationen und das „Dazwischen“ machen mich unruhig. Ich bin skeptisch bei Menschen, die meinen, die (kirchliche) Zukunft voraussagen zu können.

Das gewisse „Durcheinander“ der Motivationen und das „Dazwischen“ machen mich unruhig. Ich bin skeptisch bei Menschen, die meinen, die (kirchliche) Zukunft voraussagen zu können. Und dann kommt mir immer wieder Jesus in den Sinn. Waren das seine Themen? Ließ er sich nicht wesentlich leiten vom jeweiligen Menschen vor ihm und von der Kraft seiner Verbindung zum „Vater im Himmel“, die er unabhängig von Synagoge und Tempel lebte? Also Leben voll in der Gegenwart, Realpräsenz …

Wir erleben den Zusammenbruch einer zählenden Kirche: Sie hat immer weniger Menschen in ihren Gottesdiensten zu zählen und sie zählt immer weniger im Leben von Menschen. Nüchtern betrachtet sind es Klärungsprozesse. Manche sagen: Geburtswehen. Sind wir am Beginn oder am Ende der Schwangerschaft? Kommt zur Welt, was jahrzehntelang ein Leben vor sich hat oder sind die Zeiträume viel schnelllebiger geworden? Ich kann die Fragen nicht beantworten. Ich kann nur sagen, was für mich zählt, worauf ich baue. (Und denke mir: Wir brauchen Sozialgestalten von Kirche, die zu unseren Glaubens- und Lebensbekenntnissen passen und nicht Bekenntnisse, die zur jetzigen Sozialgestalt von Kirche passen.)

Ich glaube, weil das, was wir leben und erleben, nicht alles ist.
Ich glaube, weil es so viele Menschen gibt,
mit denen es Natur und Leben nicht gut meint.
Ich glaube, dass es eine ewige Bleibe
für das gelungene Menschliche und Gute gibt.
Ich glaube den als Gott, dem menschliches Leid zu Herzen geht.
Ich glaube den als Gott, der Mächtige vom Thron stürzt und Niedrige erhöht.
Ich glaube den als Gott, der Wunden verbindet und Liebe ist.
Ohne Jesus würde mir jemand fehlen, der die Armen, die Hungernden,
die Kranken, die Ausgrenzten in die Mitte rückt.
Ohne Jesus würde mir jemand fehlen, der Versöhnung lebt
und die üblichen Kreisläufe des Bösen durchbricht.
Ohne Jesus würde mir jemand fehlen,
der Gott ein menschliches Gesicht gibt.
Ich glaube die Kraft des Hl. Geistes bewirkt,
dass Menschen uneigennützig sind.
Ich glaube die Kraft des Hl. Geistes bewirkt,
dass Menschen nicht bekommen, was sie verdienen,
sondern was sie bedürfen.
Ich glaube die Kraft des Hl. Geistes bewirkt,
dass wir immer mehr zu Menschen werden.

Als Schwester Philippa bei uns zum Vortrag war, wurde sie gefragt, was sie hält und ihr Kraft gibt. Sie antwortete: Das Gebet. Und es wurde still im Raum. Gebet gibt nicht (nur) ab, Gebet gibt auf.

Gott, was willst du?

Was machen wir mit unseren Bauruinen, mit den guten Absichten, mit den enttäuschten Hoffnungen, mit dieser kaum ausdrückbaren Trauer, was machen wir mit der Einsicht, uns verrechnet zu haben? Was machen wir mit deinem Wort, das doch über allem steht, größer und weiter, als wir Kirche leben und erleben, größer und weiter als unser Rechnen und Verrechnen?

futur2 möglich machen

Hinter der futur2 steht ein Verein, in dem alle ehrenamtlich arbeiten.

Für nur 20 € pro Jahr machen Sie als Mitglied nicht nur die futur2 möglich, sondern werden auch Teil eines Netzwerks von Leuten, die an der Entwicklung von Kirche und Gesellschaft arbeiten.

» MEHR ERFAHREN