022022

Foto: elkb/mck

Bonustrack

Heinrich Bedford-Strohm

Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern

Beschäftigen Sie sich in Ihrer Landeskirche mit dem Szenario einer disruptiven Entwicklung bzw. eines Zusammenbruchs der bisherigen Gestalt?

Als evangelische Landeskirche verdankt sich die ELKB letztlich einer Art von Disruption – nämlich der Reformation. Dass Kirche Veränderungsprozesse vollzieht – auch radikale – gehört nach evangelischer Überzeugung zu ihrem Wesen (ecclesia semper reformanda). Natürlich beschäftigen wir uns in der ELKB mit disruptiven Entwicklungen – wenngleich nicht in der katastrophischen Lesart dieses Phänomens.

Die Kirche als Bewegung existiert ungebrochen seit über 2000 Jahren. Die Form ihrer Organisation hat die Kirche dabei immer wieder verändert. Kirchengeschichtlich sind diese Veränderungen selten aus Totalzusammenbrüchen des bestehenden Systems erwachsen. Meist war und ist es so, dass nach radikalen Disruptionen verschiedene Formen von Kirche nebeneinander existieren.

Diejenige Organisationsform, die die ELKB heute prägt (Parochialprinzip mit Kirchengemeinden als vereinsähnlicher Gemeinschaft), ist vor 150 Jahren entstanden und war eine Reaktion auf das explodierende Bevölkerungswachstum im Zuge der Industrialisierung. Gegenwärtig schrumpft unsere Gesellschaft, hinzu kommen Megatrends wie Globalisierung, Digitalisierung, Individualisierung und Mobilität, die das Leben der Menschen prägen und verändern. Ich bin der Überzeugung, dass sich unsere Kirche diesen Gegebenheiten anpassen muss, wenn sie den Menschen weiterhin einen einfachen Zugang zur Liebe Gottes ermöglichen möchte. Diese Adaptionsleistung würde ich jedoch nicht als Zusammenbruch bezeichnen, sondern die Veränderung der Kirche voll-zieht sich momentan als Umbau, der auf viele, auch auf kaum beeinflussbare, Veränderungen reagiert.

Wo bzw. mit wem wird das Thema systematisch diskutiert und bearbeitet?

Wie sich Kirche verändern soll, um relevant zu bleiben, wird systematisch im Rahmen unseres Zukunftsprozesses “Profil und Konzentration” (PuK) diskutiert. Seit 2016 findet dieser als breit angelegter Beteiligungsprozess auf allen Ebenen der Landeskirche statt. Kirchenentwicklung und Ressourcensteuerung werden dabei zusammengedacht. Rahmendaten für die Diskussion bieten uns die Prognosen zur Mitglieder- und Finanzentwicklung genauso wie unsere Personalprognose. Diese Daten werden regelmäßig aktualisiert. Gleichzeitig werden von der Kirchenleitung inhaltliche Strategien und Schwerpunktsetzungen entwickelt, mit denen diesen Veränderungen mittel- und langfristig begegnet werden soll.

In allen nötigen Um- und Rückbauprozessen (im Rahmen der Ressourcensteuerung) halte ich es für ganz entscheidend, dass wir zugleich auf Erprobungen setzen. Durch Förderung von auftrags- und sozialraumbezogenen Innovationen in verschiedenen Bereichen (z.B. frische Formen von Kirche, Kasualien und Digitalisierung) erhoffen wir uns die bewusste Initiierung von Disruptionen im Sinne der Entstehung neuer, dezentraler, noch nicht etablierter Formen von Kirche. Wir reden in diesem Zusammenhang von emergenter Kirchenentwicklung. Für all diese Veränderung braucht es geistliche Bilder. Meines ist ein Wort aus dem Johannesevangelium, das auf Christus bezogen ist und damit auch ein Bild für Kirche im Wandel gibt: “Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein – wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht” (Joh 12,24).

Wie bereiten Sie Ihre Landeskirche kommunikativ auf dieses Szenario vor?

Die Rahmendaten zur Mitglieder-, Finanz- und Personalentwicklung werden regelmäßig kommuniziert. Im Rahmen von Veranstaltungen zu Profil und Konzentration, Beratungsprozessen zur Landesstellenplanung, Konferenzen der Regionalbischöf*innen mit ihren Kirchenkreissynodalen, jüngst auf einer Zukunftskonferenz aller kirchenleitenden Organe und auch beim “EinBlick in die Zukunft der Landeskirche” – einem digitalen Format, in dem der Landeskirchenrat mit seinen Mit-arbeitenden regelmäßig zu Zukunftsthemen in Dialog tritt.

Als Kirchenleitung ist es unsere Aufgabe, zum einen den Sinn unserer Rahmenvorgaben transparent zu machen und zum anderen sie immer wieder an die Bedürfnisse der mittleren und unteren Leitungsebene anzupassen, die wiederum jeweils eigene Lösungen passgenau vor Ort entwickelt. Jede Ebene ist so an der Steuerung des Umbaus aktiv beteiligt. Je mehr die Notwendigkeit zur Veränderung von allen Beteiligten gesehen wird, desto größer ist die Akzeptanz dieser Veränderung. Entscheidend ist es – theologisch wie aus der Sicht der Organisationsentwicklung-, dass in der Kirche auf allen Ebenen die Frage nach dem Sinn der eigenen Arbeit beantwortet ist: Wir sind gesandt durch Christus und wir haben die Aufgabe, immer wieder neu zu erkunden, welche Ant-worten das Evangelium auf die Fragen der Menschen gibt, was sie brauchen, diakonisch und seelsorgerlich.

Wie wollen Sie die Handlungs- und Steuerungsmöglichkeit Ihrer Landeskirche erhalten?

Um den Übergang souverän zu gestalten, entwickeln wir unsere Steuerungstools kontinuierlich weiter: Die Landesstellenplanung findet in kürzeren Abständen statt und folgt seit 2020 der Logik von Profil und Konzentration. Der innerkirchliche Finanzausgleich (IKFA) legt Mehr- bzw. Minder-einnahmen aus den Kirchensteuern ohnehin schon immer direkt um, wenn Kirchengemeinden und Dekanate budgetiert werden. Weil sich in Zukunft die Frage stellen wird, ab welcher Höhe von notwendigen Kürzungen bestimmte Bereiche nicht mehr arbeitsfähig sind, wird gerade ein Konzept zur flächendeckenden Gebäudereduktion ebenso wie zur Neustrukturierung der mittleren Ebene in der Fläche unserer Landeskirche erarbeitet. Und unsere Finanzabteilung entwickelt zu-dem eine mittelfristige Finanzplanung für einen 5-Jahres-Zeitraum, bei dem die nötigen Kürzungen bei gleichzeitiger Setzung inhaltlicher Schwerpunkte gemeinsam abgestimmt werden sollen.

Welche Überlegungen gibt es, in diesem Szenario den Übergang zu gestalten?

Neben den genannten Punkten (die primär auf eine verlässliche Ressourcensteuerung zielen) setzt die ELKB bewusst auf die Förderung von Innovationen. Wir sind der Überzeugung, dass Kirchenentwicklung in einer ausdifferenzierten, postmodernen Welt nur als dezentraler Prozess gesteuert werden kann. Dieser Prozess läuft emergent ab – d.h. nicht immer ist am Beginn eines Projektes klar, was am Ende herauskommt und nicht jede Idee wird ein Erfolg. In unserem MUT-Projekt werden Pioniere jedoch systematisch beraten und gecoacht, wenn sie neue Formen von Kirche ausprobieren wollen. Die Projekte werden untereinander vernetzt und ausgewertet. Mit den Schlussfolgerungen daraus befasst sich dann wiederum die Kirchenleitung, um die Frage zu klären, wie sie erfolgreiche Projektlogiken mehr und mehr in die bestehende Betriebslogik unserer Landeskirche überführen kann und diese sich dadurch verändert.

Wie kann in diesem Szenario Ihre Landeskirche der Verantwortung für die Mitarbeitenden gerecht werden?

Gute Kommunikation mit allen Mitarbeitenden ist in Veränderungsprozessen essentiell. Wir bauen deshalb besonders dialogische Formate unserer Mitarbeiterkommunikation konsequent aus. Zu-dem arbeiten wir an einer aussagekräftigen Darstellung der Bilanz der ELKB, welche die Solidargemeinschaft aller kirchlichen Ebenen im Rahmen der Veränderungsprozesse transparent machen soll, ebenso wie die nachhaltige Absicherung der Versorgungslasten. Trotz aller notwendigen Kürzungen halten wir an einer Deckungsquote für die Versorgung der öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisse von ca. 80-85% fest. Die ELKB soll ein attraktiver Arbeitgeber bleiben.

Überdies sollen unsere Nachwuchskräfte optimal auf ihren Dienst in einer ELKB, die anders sein wird als bisher, vorbereitet werden. Die zweite Ausbildungsphase auf dem Weg in den Pfarrberuf wurde daher ganz neu gestaltet. Weitere Bausteine müssen folgen. Wir gehen davon aus, dass in Zukunft auch die mittlere Ebene neue Führungskompetenzen benötigt, um im Zuge der anstehen-den Veränderungen gut entscheiden zu können. Auch alle Ehrenamtlichen, die kirchenleitend tätig sind, sollten in regionaler-lokaler Kirchenentwicklung fortgebildet werden, da diese auf allen Ebenen die anstehenden Veränderungen mittragen und mitgestalten sollen.

Wie können Sie als Landeskirche in dieser Situation der Verantwortung für die Gesellschaft gerecht werden?

Es ist erklärtes Ziel unseres Zukunftsprozesses, Menschen in Not wahrzunehmen und Teilhabe zu ermöglichen. Die Zusammenarbeit mit der Diakonie soll daher verstärkt und die Vernetzung von Kirchlichem Entwicklungsdienst, Katastrophenhilfe und z.B. Brot für die Welt vorangetrieben werden. Mir ist wichtig, dass wir als Kirche auch Verantwortung für globale Herausforderungen, wie z.B. den Klimaschutz, tragen. Wir haben uns verpflichtet, nachhaltig und gerecht zu wirt-schaften und dafür finanzielle Mittel bereitzustellen.

 

12.10.2022

Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof der Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern

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