022022

Foto: Paul Becker/Unsplash

Bonustrack

Wolfgang Müller

Erzdiözese Freiburg

Kirchenentwicklung 2030 – ein „Zukunftsweg“ der Erzdiözese Freiburg

Beschäftigen Sie sich in Ihrer Diözese mit dem Szenario einer disruptiven Entwicklung bzw. eines Zusammenbruchs der bisherigen Gestalt? Wo bzw. mit wem wird das Thema systematisch diskutiert und bearbeitet? Wie bereiten Sie Ihre Diözese kommunikativ auf dieses Szenario vor? Wie wollen Sie die Handlungs- und Steuerungsmöglichkeit Ihrer Diözese erhalten? Welche Überlegungen gibt es, in diesem Szenario den Übergang zu gestalten? Wie kann in diesem Szenario Ihre Diözese der Verantwortung für die Mitarbeitenden gerecht werden? Wie können Sie als Diözese in dieser Situation der Verantwortung für die Gesellschaft gerecht werden?

Die Veränderungen der kirchlichen „Landschaft“ gehen an der Erzdiözese Freiburg nicht spurlos vorbei. Der zunehmende Relevanzverlust in der Gesellschaft korrespondiert auch im Südwesten der Bundesrepublik mit der zurückgehenden Zahl der Kirchenmitglieder. Der selbst verschuldete Vertrauensverlust, gepaart mit einer im öffentlichen Diskurs radikalen Infragestellung kirchlicher Positionen, die im Widerspruch zu einer demokratischen und pluralen Gesellschaft stehen, potenziert Auflösungserscheinungen, die schon seit Jahrzehnen anhalten, nun aber eine eigene dramatische Entwicklung genommen haben. Die Corona-Pandemie bewirkt zudem eine weitere Beschleunigung der Entfremdung vieler mit der Kirche. Quantitativ lässt sich das exemplarisch mit der Zahl der Kirchenaustritte belegen: im Jahr 2021 traten in der Erzdiözese Freiburg mit rund 30.000 Personen doppelt so viele Katholiken aus der Kirche aus als im Schnitt der letzten zehn Jahre. Die aktuellen Zahlen des Jahres 2022 gehen nochmals darüber hinaus. Die innere Distanz vieler zu Glaubensinhalten und Werten der katholischen Kirche zeigten die Rückmeldungen zur diözesanen Phase der nächsten Weltbischofssynode zum Thema einer synodalen Kirche.

Die Erzdiözese startete in den vergangenen Jahren immer wieder Initiativen, um diesen Entwicklungen zu begegnen. Meist waren dies eigenständige Aktionen verschiedener diözesaner Einrichtungen (z.B. Imagekampagnen), punktuelle Veranstaltungen (z.B. Diözesantage) oder konsultative Prozesse mit eingegrenzten Fragestellungen wie die beiden Diözesanversammlungen in den Jahren 2013 und 2014. Mit dem Projekt „Kirchenentwicklung 2030“, das von Erzbischof Stephan Burger im Jahr 2018 gestartet wurde, bündelt die Erzdiözese nun die Kräfte und führt mehrere Initiativen zusammen. Das Projekt zielt auf eine tiefgreifende Veränderung in der Erzdiözese, in dem nicht nur Strukturen, Prozesse und Ressourceneinsatz in den Blick genommen werden, sondern ebenso eine inhaltliche Neuorientierung der Arbeit in Pastoral, Bildung und Caritas angezielt wird. Alle Bereiche sollen miteinander auf eine gemeinsame Zielperspektive hin in Einklang gebracht werden.

Nicht nur Strukturen, Prozesse und Ressourceneinsatz werden in den Blick genommen, sondern ebenso wird eine inhaltliche Neuorientierung der Arbeit in Pastoral, Bildung und Caritas angezielt.

Auf den ersten Blick erscheint „Kirchenentwicklung 2030“ als ein radikaler Strukturprozess. Markantes Kennzeichen ist der Plan, alle bisherigen 1049 Pfarreien aufzulösen und an deren Stelle 36 Pfarreien neu zu bilden. Im Schnitt werden die neuen Pfarreien rund 50.000 Katholiken zählen, die kleinste 21.000, die größte 114.000. Allein schon die Größe der neuen Pfarreien macht deutlich, dass diese nicht mit Bildern der bisherigen Pfarrgemeinden gedacht werden kann. Die „Pfarrei (neu)“ ist keine „XXL-Pfarrei“, sondern eine Einrichtung einer neuen Gestalt von Kirche. Dies ist u.a. wie folgt skizziert: „Es geht um den Abschied vom Modell einer vorwiegend von Hauptberuflichen getragenen und verantworteten Kirche, das einer Versorgungs- und Mitmachlogik folgt, und um die Entwicklung einer ‚Pastoral der Ermöglichung‘, die auf die Selbstführung und Selbstorganisation derer, die sich engagieren, ausgerichtet ist.“1 Damit wird die bisherige Fokussierung auf Strukturen verlassen und es drängen sich andere Fragen in den Vordergrund: die Förderung kleiner Gemeinden/Gemeinschaften als Orte kirchlichen Lebens, ein neues Verständnis ehrenamtlichen Dienstes in der Kirche sowie die Zurüstung und Begleitung von Ehrenamtlichen, eine neue Form der Wahrnehmung von Leitung, eine neue Präsenz der Kirche in der Gesellschaft ….

Das Projekt wird von einer Vielzahl von Gremien und Gruppen getragen, die sich mit der anstehenden Transformation auseinandersetzen. Eine repräsentativ besetzte Projektleitung mit einem Geschäftsführenden Ausschuss hat die inhaltliche Leitung inne, eine schlagkräftige Projektkoordination sorgt für die zielgerichtete Steuerung der Prozesse. Verschiedene Koordinierungs- und Projektgruppen erarbeiten auf der Basis von Analysen anstehende Konzepte. Wesentliche Weichenstellungen erfolgten 2022 in zwei mehrtägigen Sitzungen des Diözesanforums, in dem u.a. alle diözesanen Räte sowie relevante diözesane Gremien vertreten sind.

Das Projekt wird von einer Vielzahl von Gremien und Gruppen getragen, die sich mit der anstehenden Transformation auseinandersetzen.

Ziele, Inhalte und Verlauf des Projektes werden laufend kommuniziert. Eine eigene Internetseite (www.kirchenentwicklung2030.de, ergänzt durch www.ebfr.de/dioezesanforum), regelmäßige Beiträge auf den Social-Media-Kanälen des Erzb. Ordinariates sowie ausführliche Berichte in der Bistumszeitung KONRADSBLATT ergänzt durch Pressemeldungen sind wichtige Instrumente. „Kirchenentwicklung 2030“ war und ist mehrfach Thema bei diözesanen „Tagen der Pfarrgemeinderäte“ oder den „Tagen der Pastoralen Berufe.“

Die Befragung und Information von Stakeholdern dient dazu, den Blick über den kirchlichen Bereich zu weiten. Jeweils eigene Gesprächsrunden des Erzbischofs u.a. mit Vertretern und Vertreterinnen aus der Wirtschaft, der öffentlichen Verwaltung oder mit Medienschaffenden brachten interessante Zusammenhänge zu Tage.

Auch wenn die Personalsituation der Erzdiözese angespannt ist und viele Stellen im pastoralen Bereich nicht mehr besetzt werden können bzw. sich bei der Verwaltung auch der Fachkräftemangel zeigt, so agiert die Erzdiözese nicht aus einem Notstand heraus. Zudem gibt die finanzielle Situation der Erzdiözese (noch) Gestaltungsmöglichkeiten. Dies erlaubt es, die anstehende Transformation gezielt anzugehen, Schwerpunkte zu setzen und Abschiedsprozesse abzufedern. Das auf eine längere Dauer angelegte Projekt (2030!) ermöglicht es zudem, die anstehende Umgestaltung mit Bedacht und ohne von außen auferlegten Zeitdruck zu gestalten. Alle Planungen basieren auf längerfristigen Analysen, so dass verhindert wird, nach kurzer Zeit von vorn anfangen zu müssen.

Der Erfolg des Projektes hängt wesentlich von der Frage ab, ob es gelingt, die Mitarbeitenden der Erzdiözese mitzunehmen. Für die meisten bedeutet „Kirchenentwicklung 2030“ eine Auseinandersetzung mit ihrer Rolle und ggf. eine Neujustierung. Von den derzeit rund 220 Pfarrern werden künftig nur noch 36 eine Pfarrei leiten, pastorale Mitarbeitende müssen sich in neuen Rollen einfinden, Mitarbeitende in der Verwaltung sind davon nicht ausgenommen. Auch für Ehrenamtliche wird sich so manches verändern. Die Erzdiözese fördert und begleitet diese Auseinandersetzung mit den neuen Rollen mit eigenen Veranstaltungen für die verschiedenen Gruppen von Mitarbeitenden und stimmt sie auf die anstehenden Veränderungen ein. In der Vermittlung erweist es sich hilfreich, dass das Projekt nicht ins Leben gerufen wurde, um unmittelbar Personal und Finanzen einzusparen, wenn gleich auch solche Einsparungen auf die Erzdiözese zukommen werden, selbst wenn es das Projekt Kirchenentwicklung 2030 nicht gäbe.

“Kirchenentwicklung 2030“ zielt darauf, Kirche so weiterzuentwickeln, dass mit ihr das Evangelium in der Gesellschaft präsent ist und es diese prägt.

„Ich wünsche mir für unsere Erzdiözese, dass … die Kirche als eine verlässliche Partnerin erfahren wird für alle Akteure, die an einer humanen Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens interessiert sind – in Bildung, Sozialwesen und Politik“2, so der Erzbischof in seinem Vorwort zum Arbeitsinstrument zu Pastoral 2030. Damit macht er deutlich, dass „Kirchenentwicklung 2030“ kein rein innerkirchlicher Prozess ist, keine Nabelschau oder kein Versuch einer „Selbstheiligung“, sondern immer im Kontext der kirchlichen Sendung steht. „Kirchenentwicklung 2030“ zielt darauf, Kirche so weiterzuentwickeln, dass mit ihr das Evangelium in der Gesellschaft präsent ist und es diese prägt.

 

Freiburg, 27.7.2022

Ordinariatsrat Wolfgang Müller, Leiter Hauptabteilung 6 – Grundsatzfragen und Strategie im Erzbischöflichen Ordinariat Freiburg

  1. Siehe Erzb. Ordinariat Freiburg (Hg), Arbeitsinstrument zu Pastoral 2030, siehe: www. kirchenentwicklung2030.de/materialien-kontakt/.
  2. Siehe Erzb. Ordinariat Freiburg (Hg), Arbeitsinstrument zu Pastoral 2030, a.a.O.

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