022022

Foto: Tristan Boucher/Unsplash

Praxis

Clemens Gruenebach

„… es kann gar nicht schnell genug gehen!“

Was passiert, wenn nichts passiert

„Es kann gar nicht schnell genug gehen!”1 so lautet die Antwort einer Engagierten der Initiative „Frauen(t)raum“ in der Begegnungskirche Köllerbach”2 im Bistum Trier auf die Frage, ob man aktuell einen Zusammenbruch der  Amtskirche beobachten könne.

Sie wollte damit zum Ausdruck bringen, dass nach ihrer Einschätzung die traditionelle römisch-katholische Gemeinde und Pfarrei und insbesondere die kirchenleitenden Personen in den Bistümern viel zu träge und gestrig sind, als dass diese noch adäquat auf die Herausforderungen und Bedarfe reagieren könnten oder wollten.

Beschleunigter Zusammenbruch

Die ständig steigende Zahl von Kirchenaustritten ist jedoch nur eines von vielen sichtbaren Zeichen einer inneren Zersetzung und eines massiven Abbruchs von volkskirchlicher Praxis.

„Es kann gar nicht schnell genug gehen“, so denken wahrscheinlich auch nicht wenige derjenigen, die aus den Kirchen, insbesondere der römisch-katholischen Kirche, austreten.3 Die ständig steigende Zahl von Kirchenaustritten4 ist jedoch nur eines von vielen sichtbaren Zeichen einer inneren Zersetzung und eines massiven Abbruchs von volkskirchlicher Praxis. Auch ist zu beobachten, dass von der Aufbruchstimmung in der Folge des vor 60 Jahren eröffneten Zweiten Vatikanischen Konzils in der römisch-katholischen Kirche im deutschen Sprachraum kaum noch etwas zu spüren ist. Dazu kommt ein ängstliches Erstarren in feudalistisch-bischöflichen Macht- und Entscheidungsstrukturen innerhalb der deutschen Bistümer, das auch durch die zu lobenden Initiativen und Papiere des Synodalen Weges nicht wirklich aufgebrochen wird.

Weitere Anzeichen sind die überbordende Bürokratisierung in den Ordinariaten, außerdem die bei einem großen Teil der Seelsorgerinnen und Seelsorgern wahrzunehmende Lähmung und bleierne Müdigkeit, die Restaurationstendenzen, sowohl innerhalb des jüngeren Klerus als auch bei einem nicht zu unterschätzendenden Teil der Gläubigen und vieles mehr.

Wenn man zu alledem noch die deutlich zurückgehenden Ressourcen beim Personal und bei den Finanzen betrachtet, kann ich nicht anders als zu konstatieren, dass die Gestalt der nachkonziliaren römisch-katholischen Kirche gerade in einem rasanten Tempo implodiert.

Wenn man zu alledem noch die deutlich zurückgehenden Ressourcen beim Personal5 und bei den Finanzen betrachtet, kann ich nicht anders als zu konstatieren, dass die Gestalt der nachkonziliaren römisch-katholischen Kirche gerade in einem rasanten Tempo implodiert. Sie tut es immer noch viel zu leise, denn die meisten Kirchenaustritte geschehen in Stille und lösen bei den ausgetretenen eher Traurigkeit und eine gewisse Schwermut aus. Auch beispielsweise der Rückgang der Gottesdienstbesucherzahlen oder Gremienmitglieder vollzieht sich leise. Die Menschen kommen einfach nicht mehr. Bei den kirchlichen Gebäuden dämmert den inner- und außerkirchlichen Fachleuten mittlerweile, dass wir schon Jahrzehnte von der Substanz leben und eine Riesenwelle von notwendigen Investitionen oder alternativ Schließungen auf die Bistümer und in der Folge auf die Gesellschaft zukommen, weil sich die Kommunen dann mit nicht mehr genutzten, oft ortsbildprägenden Kirchen und Gebäuden befassen müssen, deren Finanzierung durch die Kirche und die Betreuung durch Ehrenamtliche nicht mehr möglich sein wird.

Auch beim Personaleinsatz des kirchlichen Personals bekommen wir die Quittung für mangelnde strategische Personalförderung und -betreuung, für die Diskriminierung von nicht-männlichen Personen und für die Mängel beim Personaleinsatz und den daraus folgenden Konflikten. Besonders deutlich wird dies beim Personaleinsatz und der Betreuung der Priester. Weder gibt es dort eine Art von kirchlicher Mitarbeitervertretung, noch eine auf der Höhe der Zeit befindliche Besoldungs- oder Urlaubsordnung. Auch gibt es (fast) keine Beteiligung der Gemeinden, in denen ein Priester eingesetzt wird. Nicht zuletzt ist die Funktion und die Rolle eines kanonischen Pfarrers durch das römische Kirchenrecht fast absolut geschützt, was ebenfalls dringend einer Überprüfung und Neuordnung bedarf.

Und was die kirchliche Führungskultur betrifft, läuft immer noch das Meiste zielgenau auf die alleinige und un- oder wenig kontrollierte Entscheidungskompetenz des feudal-bischöflichen Amtes auf Bistumsebene und auf die Entscheidung des mit einer immensen Machtfülle ausgestatteten Pfarrers auf lokaler Ebene hinaus. Beide, Bischof und Pfarrer sind damit hoffnungslos überfordert. Wie könnten sie es angesichts der Herausforderungen auch nicht sein? Wo die Machtfülle des Pfarrers vor Ort durch Gremien eingehegt wird, sind diese meist in einem Kirchenbild verhaftet, das den eigenen Kirchturm über alles stellt. Geld für innovative pastorale Experimente freizugeben, ist für solche Gremien nur schwer vorstellbar.

All das vollzieht sich meist leise, was verständlich ist, aber fatalerweise sind alle diese Vorgänge höchst gefährlich und brisant.

All das vollzieht sich meist leise, was verständlich ist, aber fatalerweise sind alle diese Vorgänge höchst gefährlich und brisant. Denn ähnlich wie bei der Baufälligkeit eines Gebäudes der Aufenthalt im Gebäude oder in der Nähe des Gebäudes mit erheblichen Gefahren verbunden ist, so ist der Zusammenbruch der aktuellen Gestalt der Kirche nicht ungefährlich, wie die vielen Verwundungen belegen, die Menschen erlitten haben.

Die Analyse kann nicht klar und scharf genug sein und muss auch so kommuniziert werden, weil es nicht nur um kleine kosmetische Veränderungen der Gesamtausrichtung geht, sondern weil der unkoordinierte Zusammenbruch (oft ohne erkennbare strategische Alternativen der Bistumsleitungen) unnötig immer neue Verwundungen hervorbringt.

Was tut daher Not?

Vieles was sich ändern muss, ist im Kontext des Synodalen Weges auf der Tagesordnung und muss hier nicht wiederholt werden. Ich möchte mich beschränken auf einen Aspekt, der in meinen Augen oft zu kurz kommt, nämlich den der Notwendigkeit von Schutzzonen und Schutzräumen für pastorale Innovation und pastorale Experimente!

Es braucht geschützte Orte und Räume für alle Menschen, Initiativen und Projekte, die für das Ankommen der Kirche im 21.Jahrhundert stehen und sich Menschen zuwenden, die nicht zur klassischen Zielgruppe gehören.

Es braucht geschützte Orte und Räume für alle Menschen, Initiativen und Projekte, die für das Ankommen der Kirche im 21.Jahrhundert stehen und sich Menschen zuwenden, die nicht zur klassischen Zielgruppe gehören. Es braucht Schutzzonen für Initiativen, in denen sich die Kirche nicht mit sich selbst beschäftigt, sondern die Anliegen und Bedarfe der Menschen zu ihrem Anliegen macht.

Solche Projekte6, von denen es in den Bistümern viele gibt, sind oft aufgrund des hohen persönlichen Engagements Einzelner lokal entstanden und zum Teil mit kirchlichen Projektmitteln befristet finanziert. Der Unterschied zur Finanzierung pfarrlicher oder kategorialer Seelsorge ist der, dass bisher keine Pfarrei über die Verwendung ihrer (i.d.R. großzügigen) Mittel Rechenschaft ablegen muss, die Projekte hingegen schon. Ein weiterer Unterschied ist der, dass mit dem Projektende das Projekt oft vor dem Aus steht, weil es sich in direkter Konkurrenz zur Finanzierung pfarrlicher Aufgaben befindet.

Es braucht daher eine Anerkennung der Tatsache, dass sich kirchliches Engagement im Territorium nicht nur parochial ereignet, sondern, dass es weitere und alternative Gemeindeformen und Herausbildungen von Kirchorten/Kirchinitiativen geben kann und geben muss.

Sollte dieser Schutzraum nicht von den Leitungsverantwortlichen auf Bistumsebene und in den Pfarreien zur Verfügung gestellt werden, wird sich der leise aber hochgefährliche Zusammenbruch der Kirche weiter beschleunigen.

Und dies muss sich in der Verteilung der Ressourcen (Personal, Geld und Raumangebot) widerspiegeln. Die alternativen Gemeindeformen und anderen kirchlichen Ausdrucksformen brauchen genau diesen geschützten Raum, brauchen eine Brandmauer, brauchen einen Schutzzaun, damit sie eine Chance haben, im Raum der Kirche zu wachsen und Wurzeln zu schlagen. Sollte dieser Schutzraum nicht von den Leitungsverantwortlichen auf Bistumsebene und in den Pfarreien zur Verfügung gestellt werden, wird sich der leise aber hochgefährliche Zusammenbruch der Kirche weiter beschleunigen.

  1. https://podcast.weil-mehr-geht.de/
  2. https://www.frauen-kirche.org/
  3. Es gibt natürlich auch Kirchen, wie z.B. die alt-katholische Kirche, die aktuell einen Zulauf erleben und wachsen.
  4. Alleine in der katholischen Pfarreiengemeinschaft Sankt Jakob Saarbrücken mit rd. 9000 Mitgliedern sind vom 1.1.22 bis 31.7.22 rd. 180 Personen aus der Kirche ausgetreten.
  5. Es geht hier um bezahltes und ehrenamtliches Personal.
  6. www.wirksamvorort.de

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