022022

Foto: Samuel Regan-Asante/Unsplash

Statements

P. Manfred Kollig SSCC

Umsonst habt Ihr empfangen, umsonst sollt Ihr auch geben

Was mich antreibt, mich mit aller Kraft in der Kirche zu engagieren und mich für sie einzusetzen

„Umsonst habt Ihr empfangen, umsonst sollt Ihr auch geben.“ Dieses Wort Jesu (Matthäus 10,8) ist mein Leitwort, das ich anlässlich meiner Priesterweihe ausgewählt habe. Umsonst, gratis habe ich wie alle Menschen Gaben empfangen, um sie in der Zeit meines Lebens und in der Wirklichkeit einzusetzen, in der ich lebe. Mit diesen Gaben kann ich Menschen in ihrem Leben unterstützen, kann die Perspektive auf das ewige Leben eröffnen und bei alledem die Beziehung zu Gott pflegen. Aus diesem Geist wollte ich mich engagieren und tue es auch heute. Die Orte, an denen ich war und bin, haben sich verändert. Meine Aufgaben haben sich verändert. Nicht verändert aber hat sich meine Haltung, die Gaben, die ich gratis empfangen habe, auch umsonst einzusetzen. Umsonst kann dann im Deutschen auch „vergeblich“ bedeuten. Auch das gehört zur Wirklichkeit. Die Ambivalenzen –  zum Beispiel teilweise sich extrem unterscheidende Kirchenbilder der Katholik:innen, in deren Dienst ich unabhängig von ihren Vorstellungen stehe – ertrage ich, weil ich glaube, dass Gott unter allen Umständen gegenwärtig ist und in jedem Menschen lebt und wirken will. Seine Gegenwart ist Grund meiner Anwesenheit.

Die Ambivalenzen … ertrage ich, weil ich glaube, dass Gott unter allen Umständen gegenwärtig ist und in jedem Menschen lebt und wirken will.

Wo ich die Knackpunkte im Blick auf die Zukunft sehe

Wenn wir auf die letzten 60 Jahre zurückschauen, erweisen sich Themen, die wir seit dem 19. Jahrhundert in unserer Kirche nicht zufriedenstellend beantworten, auch nach dem II. Vatikanischen Konzil als ungelöste Probleme. Selbst wenn einige behaupten, Themen seien theologisch geklärt. Hätten Sie Recht, bedeutet das noch nicht, dass es keine Knackpunkte mehr gibt. Meines Erachtens  ist beispielsweise das Verhältnis von Amt und Teilhabe beziehungsweise aktiver Teilnahme aller Gläubigen und zwischen hierarchischer und synodaler Kirche nicht zufriedenstellend geklärt. Woran mache ich dies fest? Zum einen zeigt sich das in den Texten sowohl der Konstitution „Lumen gentium“ als auch in den Texten der Würzburger und der Dresdner Synode als auch in diözesanen Vereinbarungen. Ein wichtiges Kriterium für die Frage, ob ein Problem gelöst ist oder nicht, ist die Einheit. Wenn eine Lehre die Einheit gefährdet und zu untragbaren Spannungen führt, wie wir sie in unserer Kirche – nicht nur in Deutschland – derzeit haben, können wir ein Problem nicht als gelöst betrachten. Einheit bedeutet nicht Uniformität. Aber sie bedeutet, dass man

Meines Erachtens  ist beispielsweise das Verhältnis von Amt und Teilhabe beziehungsweise aktiver Teilnahme aller Gläubigen und zwischen hierarchischer und synodaler Kirche nicht zufriedenstellend geklärt.

  • im Frieden und in guter Beziehung sachlich diskutieren kann
  • gemeinsam erkennt, wenn man ein Thema nicht weiterbearbeiten kann, und gemeinsam anerkennt, dass man es deshalb besser ruhen lässt
  • sich ermutig und Ängste überwindet, um entschieden voranzugehen, wo man sich bisher vor Entscheidungen gedrückt hat
  • miteinander aushält, wenn es unterschiedliche Positionen gibt
  • gemeinsam zweifeln lernt, wo man die eigene Meinung und Position nicht mehr hinterfragt.

Als Kirche können wir bezüglich der Einheit in der Vielfalt besser werden. Dazu muss die Überzeugung stark gemacht werden:  „Deus semper major.“ Gott ist immer größer. Dieses Wort des hl. Ignatius von Loyola weist in die richtige Richtung. Denn dieser Gott ist es, der eint. Ein großer Knackpunkt ist die Vorstellung, es dürfe keine Vielfalt geben. Das gilt sicher für die Aussagen des Glaubensbekenntnisses, die uns einen. Aber in Bezug auf moralische Werte und Wertungen ist Differenzierung geboten, besonders dann, wenn es um die Einstellung zu einem konkreten Menschen geht. Nicht umsonst berufen sich politische Gruppierungen, die eher die Uniformität bis ins Detail suchen und sich mit Diskurs und Vielfalt schwer tun, gerne auf jene Gruppen in der Katholischen Kirche, die sich ebenfalls Uniformität wünschen. Als Kirche müssen wir uns wehren, wenn politische oder religiöse Gruppierungen sich auf uns berufen und damit diskriminierende Aussagen und Handlungen rechtfertigen.

Ein großer Knackpunkt ist die Vorstellung, es dürfe keine Vielfalt geben.

Ein weiterer großer Knackpunkt in unserer gegenwärtigen Situation ist die Vermessenheit sowie, damit einhergehend, die mangelnde Demut. Vermessen und maßlos sind einige Forderungen, die weder mit der aktuellen gesellschaftlichen Situation, noch mit der kirchlichen Wirklichkeit kompatibel sind. Vermessen ist der Anspruch auf Macht und Autorität, der nicht nach den tatsächlichen Ressourcen – Fähigkeit, Zeit, etc. – fragt und die Kontingenz als Wesensmerkmal alles Geschaffenen, auch des Menschen, missachtet. Vermessen ist die Vorstellung, mit geringeren personellen Ressourcen alles aufrechterhalten zu können. Vermessen ist die Behauptung, mit Aktionen und Kampagnen könnte Kirche Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.

Ein weiterer Knackpunkt ist, dass wir Macht oft exklusiv an Positionen und Ämter binden. Gerade in den 80er und 90er Jahren habe ich Gemeindereferentinnen kennengelernt, die Leitungsaufgaben wahrnahmen, ohne dafür formal die Position zu haben. Und ich erlebe Menschen, die Leitungspositionen innehaben, aber weder leiten noch führen. Der Aspekt, Leitung nicht exklusiv an Position zu binden, muss zusammengedacht werden mit den Bemühungen, Ämter und Positionen geschlechterunabhängig allen Menschen, die dazu berufen sind, zu öffnen. Zugleich relativiert das Zusammendenken beider Perspektiven die Diskussionen über und den Kampf um Positionen.

Ein weiterer Knackpunkt ist, dass wir Macht oft exklusiv an Positionen und Ämter binden.

Wie notwendige Veränderungen konstruktiv gestaltet werden können

Ermutigen möchte ich, sich die Wirklichkeit anzusehen. Dazu gehört es, dass Katholik:innen sich darüber austauschen, welche Aspekte der Wirklichkeit sie sehen. Die Realität ist so komplex, dass es bereits das Miteinander braucht, um die Wirklichkeit möglichst umfassend und korrekt kennenzulernen. Dazu gehört auch die innere Freiheit. Wer Blickwinkel und Argumente verkürzt, um seine vorgefasste Meinung durchzusetzen, ist gefangen und befangen. Beispielsweise leben wir in einer „alternden Gesellschaft“. Als Kirche haben wir in dieser Wirklichkeit die Pflicht, die Menschen zu begleiten und sie zu erinnern: Die letzten Jahre des Lebens sind ebenso wichtig – unter anderem für die Gottesbeziehung – wie die ersten. Auch möchte ich gerade in Krisenzeiten, in denen man nicht weit nach vorne schauen kann, zu Experimenten ermutigen und sie unterstützen. Bei alledem ist es wichtig, dass wir uns und unser Tun am Abend jedes Tages selbst reflektieren und Gott für das Gelungene danken und ihm und seiner Barmherzigkeit das Misslungene anvertrauen. Denn jenseits der nicht zu unterschätzenden Bedeutung von Gemeinde-, Gruppen- und Netzwerkbildung ist letztendlich der einzelne Mensch verantwortlich für das, was er tut. Er kann niemals gegen sein Gewissen handeln, selbst wenn er sich dabei auf die Kirche beruft. Kirche muss mehr zur Gewissensbildung des einzelnen Menschen beitragen und weniger sich mit Reglementierungen befassen, die dem einzelnen Menschen die Verantwortung abzunehmen scheinen. Um dieses Gewissen zu bilden, braucht es möglichst viel Wissen. Dies beinhaltet auch, möglichst viele Aspekte zu einem Thema zur Kenntnis zu nehmen.

Kirche muss mehr zur Gewissensbildung des einzelnen Menschen beitragen und weniger sich mit Reglementierungen befassen, die dem einzelnen Menschen die Verantwortung abzunehmen scheinen.

Wie sich die Kirche weiterentwickeln wird

Die Kirche (in Deutschland) muss systemisch so aufgestellt werden, dass sie nicht ohne Gott auskommen kann. Diese Prämisse, die ich u.a. aufgrund der historisch gewachsenen engen Bindungen zwischen Kirche und Staat mit ihren Chancen und Risiken voranstelle, prägt dann mein Zukunftsbild von Kirche. Mag es teilweise ein Wunschbild sein und bleiben. Ich bin überzeugt, dass wir die Kraft dazu hätten, uns dem in der Wirklichkeit zu nähern, wenn wir es denn wollten.

Die Auflösung von überkommenen Strukturen und die Befreiung von Verpflichtungen, die überfordern, werden zu einer Lösung von Problemen führen, die wir als Kirche seit Jahrzehnten und Jahrhunderten als Ballast tragen. Vor allem werden wir klaren gemeinsamen Beratungs- und Entscheidungsprozessen folgen, die begleitet werden von Unterscheidungsprozessen. Diese werden weniger von Ideologie und mehr von Spiritualität geleitet werden. Der Glaube an das Wirken des Heiligen Geistes in allen Getauften wird stärker sein als die Angst vor der Auseinandersetzung. Gemeinsame Suche nach Antworten auf die Fragen unserer Zeit wird die teils zu wenig von Geist und Vernunft geleiteten Debatten ablösen. Befugnisse und Verantwortung in der Kirche werden in eine Balance gebracht, um den Dienst der Verkündigung effizient und verantwortungsbewusst ausüben zu können. Ich gehe davon aus, dass wir eine Kirche sein werden, die mehr von Gott als von sich selbst reden wird; die Jesus Christus Stimme und Hand in dieser Welt schenkt, ihn darstellt und nicht sich selbst.

Die Auflösung von überkommenen Strukturen und die Befreiung von Verpflichtungen, die überfordern, werden zu einer Lösung von Problemen führen, die wir als Kirche seit Jahrzehnten und Jahrhunderten als Ballast tragen.

Auch muss die Kirche verstärkt lernen, sich je nach Ziel mit Gruppierungen zu vernetzen, die ebenfalls dieses Ziel verfolgen, auch dann, wenn diese nicht die religiöse Überzeugung teilen. An der Stelle einer engen Verbindung mit dem Staat wird es verstärkt wechselnde und in den Zielen begründete Bündnisse geben.

Weshalb ich dabei bin und bleibe

Zu meiner Ordensprofess hatte ich das Wort des Herrn gewählt „Sag nicht, ich bin noch zu jung.“ (Jeremia 1,7). Diese Auswahl hatte sicher den Sitz in meinem Leben, war ich doch erst 19 Jahre alt, als ich versprach, in der Ordensgemeinschaft nach den Evangelischen Räten leben zu wollen. Im Laufe meines Lebens hat sich die Bedeutung dieses Schriftwortes geweitet: Such nicht Gründe, um dich dem Herrn zu verweigern. Dieser will durch uns Menschen in dieser Welt gegenwärtig sein, in guten und in schwierigen Zeiten. Diese Treue Gottes auch in unserer sündhaften Kirche darzustellen, sehe ich als Auftrag. Mein aktuelles Engagement zurücknehmen würde ich, wenn Krankheit dies erfordert oder wenn der Bischof mich aus dem Amt entlässt. Mein Leben als Ordenschrist in dieser Kirche möchte ich mit meinem letzten Atemzug beenden. Da ich sehr in der Gegenwart lebe, habe ich mir über Formen des Rückzugs keine Gedanken gemacht.

Mein Leben als Ordenschrist in dieser Kirche möchte ich mit meinem letzten Atemzug beenden.

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