012022

Foto: Markus Spiske/Unsplash

Statements

Jan Köpper

Entgegen der Lethargie. Der Wandel braucht Mut und die Bereitschaft, loszulassen

„Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ (nicht gegendered, Zitat von Antoine de Saint-Exupéry)

Das neue Normal!?

Es scheint vollkommen klar. In unserer komplexen, globalisierten und eng verzahnten Welt entsteht zunehmend der Narrativ der Nachhaltigkeit. Nachdem unzählige Menschen, Organisationen, Unternehmen und Initiativen seit Jahrzehnten dafür einstehen, unser wirtschaftliches Handeln und gesellschaftliches Zusammenleben sozialer und ökologischer zu gestalten, ist Nachhaltigkeit im Mainstream angekommen. Nicht, dass der Mainstream bereits nachhaltig geworden ist, aber keine*r kommt mehr umhin, Rede und Antwort zu stehen, was die eigene Haltung und das Verhalten in Bezug auf sozial-ökologische Gerechtigkeit betrifft.

Keine*r kommt mehr umhin, Rede und Antwort zu stehen, was die eigene Haltung und das Verhalten in Bezug auf sozial-ökologische Gerechtigkeit betrifft.

Lange Zeit haben wir moralisch argumentiert, haben versucht, mit gesundem Menschenverstand zu verdeutlichen, dass ein auf quantitatives Wachstum ausgelegtes Wirtschaftssystem an Grenzen stoßen muss. Einzelne Fakten konnten dies auch in der Vergangenheit bereits sehr gut belegen. Heute zeigen uns jedoch weitreichende naturwissenschaftliche Erkenntnisse deutlicher als je zuvor, wie weit wir diese Grenzen bereits überschritten haben und welche Folgen daraus für die globale Gemeinschaft entstehen. Wir haben belastbare Argumentationsgrundlagen zu den biophysikalischen Belastungsgrenzen unseres Planeten, sei es Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Süßwassermangel oder zunehmende Naturkatastrophen. Auch dem hartnäckigsten Zweifler muss klar sein, dass wir uns durch unser Handeln die eigene Lebensgrundlage entziehen und die Stabilität des Systems in größter Gefahr ist.

Die Aufsichtsbehörden und Zentralbanken sprechen daher auch bereits von sogenannten Nachhaltigkeitsrisiken, die negative Auswirkungen auf Finanz- und Wirtschaftsstabilität mit sich bringen. Alle Marktakteure werden aufgerufen, sich dieser Risiken anzunehmen und sie aktiv in die Unternehmensteuerung und Entscheidungsfindung zu integrieren. Die Sprache der Risikoperspektive versteht jede Wirtschaftseinheit und so setzt sich derzeit etwas in Bewegung, was langsam aber sicher zu einer ganzheitlicheren und längerfristigen Betrachtungsweise führen wird. Die Motivationslage der Risikosteuerung jedoch, ist ein zweifelhafter Berater. Wer einen Schritt weiterdenkt erkennt, dass es Zeit ist die Zukunft zu gestalten, im Sinne einer inklusiven, gemeinwohlorientierten Wirtschaft. Das hieraus neue Chancen entstehen, wir als Gesellschaft zusammenarbeiten können, miteinander ins Gespräch kommen müssen, neue Perspektiven notwendig sind, dass eine Zukunft, die wir wollen, von uns gestaltet werden kann. Das klingt nach Aufbruch und Innovation und ist zweifelsfrei eine viel bessere Motivationslage als der trübe Blick auf Risiken. Auch wenn wir genau diesen Blick ebenso benötigen, um in der aktuellen Sprache des Marktes Gehör zu finden, wir sollten mehr über Chancen sprechen.

Dauerhaftigkeit oder Emanzipation?

Wir brauchen eine gemeinsame Sprache des Wandels.

Leider erleben wir derzeit aber auch eine gewisse Ermüdung in Teilen der Gemeinschaft. Ängste vor einem vermeintlichen Verzicht oder Einschränkungen der so innig geliebten Lebensweise tun ihr Übriges. Zu oft und zu lange schon, werden die Begriffe Nachhaltigkeit und ESG (Environmental, Social, Governance) inflationär, unklar und beliebig genutzt. Vorwürfe des Greenwashings wie kürzlich bei der Deutsche Bank Tochter DWS, der Deka oder entsprechende Untersuchungen bei Goldman Sachs verstärken das Misstrauen gegenüber der Ernsthaftigkeit von Wirtschaftseinheiten im Umgang mit den Themen. Der Beliebigkeit der genutzten Begriffe sowie deren Missbrauch durch eine Vielzahl von Akteuren können wir am besten durch klare Definitionen, Transparenz, glaubwürdige Kommunikation und Authentizität begegnen. Wir brauchen daher eine gemeinsame Sprache des Wandels, die uns eine Einordnung des Notwendigen erlaubt und gleichzeitig die Perspektive einer positiven Veränderung öffnet.

Mit Blick auf den Begriff der Nachhaltigkeit kann es hilfreich sein, zwei grundsätzliche Auslegungen zu differenzieren, die dann in ihrer Verbindung den weiten Möglichkeitsraum des Wandels aufgreifen und eine positive Konnotation erlauben:

  1. Nachhaltigkeit im Sinne von Dauerhaftigkeit: Die Perspektive der Dauerhaftigkeit betont Nachhaltigkeit als ein Moment der langfristigen Stabilisierung des Ökosystems und des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Ausgangspunkt ist das Grundverständnis, dass ein auf Wachstum durch die Nutzung von natürlichen Ressourcen ausgerichtetes Wirtschaftssystem zwangsläufig auf planetare Grenzen und soziale Ungleichheiten stößt. In den letzten Jahren haben sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse hierzu derart weiterentwickelt und verdichtet, dass planetare Grenzen (auch biophysikalische Belastungsgrenzen) und sogenannte Kipppunkte im Erdsystem in Schwellenwerte quantifiziert werden können, die nicht überschritten werden dürfen. Analog zu den planetaren Grenzen lassen sich auch soziale Fundamente definieren, die nicht unterschritten werden dürfen. Diese Perspektive dient als Abgrenzung oder Weiterentwicklung des ESG-Begriffs, der lediglich einzelne Nachhaltigkeitsaspekte beschreibt, die für Wirtschaftseinheiten in ihren jeweiligen Branchen relevant sind. Die ESG-Debatte hat es aber bisher verpasst, die einzelnen Aspekte in einen Kontext der gesellschaftlichen Stabilisierung zu bringen und verpufft somit größtenteils wirkungslos. Auch die heutige Nachhaltigkeitsberichterstattung arbeitet im Wesentlichen mit ESG-Leistungskennzahlen und stellt im besten Fall die Verbesserung dieser Leistungskennzahlen über einen gewissen Zeitraum dar – sog. ESG-Progress. Aber was sagt diese Form der Kommunikation über tatsächliche Nachhaltigkeit aus? Reicht eine Reduktion von CO2-Emissionen aus, um 1,5°C kompatibel zu wirtschaften? Reicht eine Verringerung der Wasserbelastung mit toxinen aus, um Gewässer intakt zu halten? Mitnichten. Nur wenn wir spezifische Grenzen und Schwellenwerte benennen innerhalb derer sich Öko- und Sozialysteme stabilisieren, können wir verstehen, ob ein Unternehmen bemessen an etwaigen Leistungskennzahlen tatsächlich nachhaltig wirtschaftet. Wir brauchen eine Kontextualisierung auf Basis naturwissenschaftlicher Erkenntnisse.
  2. Nachhaltigkeit im Sinne von Regeneration & Emanzipation: Die Perspektive der Regeneration und Emanzipation ergänzt die Perspektive der Dauerhaftigkeit und betont Nachhaltigkeit als eine Möglichkeit der gesellschaftlichen Gestaltung, der sozio-kulturellen Emanzipation und dem Aufbau von sozial-ökologischen Werten (anstelle des reinen Erhalts im Sinne von Dauerhaftigkeit). Im Mittelpunkt dieser Perspektive steht der Gestaltungsanspruch einer transformativen Veränderung des Status Quo hin zu einem gemeinwohlorientierten Systemwandel, regenerativen Ökosystemen und Bildern einer Zukunft, die wir wollen.

Es ist dabei wichtig zu betonen, dass die Perspektive der Dauerhaftigkeit lediglich versucht, einen Zustand der Stabilisierung zu erreichen, der weitestgehend innerhalb des gleichen Systems bzw. des Status Quo einen ökologischen und sozialen Ausgleich erlaubt. Die Perspektive der Regeneration und Emanzipation hingegen nimmt die Dauerhaftigkeit als notwendige Grundlage der Gestaltung eines neuen Systems, das ein deutliches Mehr an sozial-ökologischer Vielfalt, Gerechtigkeit und Menschlichkeit anstrebt.

Verzichten müssen wir nur auf Egoismen, Gier, Hass und Neid.

Die Chance, in beiden Perspektiven Impulse zu setzen, Menschen mitzunehmen, einzubinden und ko-kreative Lösungen zu finden ist immens groß wenn wir es schaffen, den Wandel positiv zu besetzen. Es geht um mehr Lebensqualität, mehr Nähe, mehr Achtsamkeit, mehr Natur, mehr Miteinander, mehr Solidarität. Verzichten müssen wir nur auf Egoismen, Gier, Hass und Neid. Das Materielle weicht der Liebe, Glück findet sich in der Gemeinschaft, Menschsein bedeutet Ganzheitlichkeit von Körper, Geist und Seele. Wer hier an Verzicht denkt, sollte sich einlassen, alte Wahrheiten loslassen und sich mit Mut auf den Weg begeben eines besseren belehrt zu werden.

Bilder einer Zukunft, die wir wollen

„Die Bilder einer Zukunft, die wir fürchten, können wir nur überwinden durch Bilder einer Zukunft, die wir wollen.“ (Wilhelm Ernst Barkhoff)

Es ist absolut notwendig, dass Wirtschaftsakteure und Finanzinstitute deutlich transparenter als bisher über die positiven und negativen Wirkungen ihres Handelns Auskunft geben.

In Anbetracht der komplexen Problemlagen und schnellen Veränderungen unserer Zeit ist es absolut notwendig, dass Wirtschaftsakteure und Finanzinstitute deutlich transparenter als bisher über die positiven und negativen Wirkungen ihres Handelns Auskunft geben. Informationen zum gesellschaftlichen Mehrwert wirtschaftlicher Aktivitäten müssen nachvollziehbar aufbereitet und öffentlich zugänglich sein – insbesondere die sozial-ökologischen Kosten von wirtschaftlichen Zusammenhängen! Nur so werden Menschen in die Lage versetzt, sich den Folgen ihrer Konsumentscheidungen und alltäglichen Handlungen bewusst zu werden und mündige Überlegungen zu Verhaltensänderungen anstellen zu können.

Neben diesen Informationen als Grundlage von mündigen Entscheidungen gilt es auch, den gemeinsamen Blick auf die Zukunft zu schärfen und eine Vision zu entwickeln, die allen Orientierung und Partizipation verspricht. In der GLS Bank haben wir dies zum Anlass genommen im Rahmen der sogenannten Wirkungstransparenz die Frage nach der Zukunft zu stellen. So können wir Zukunftsbilder entwickeln anhand derer wir zusammenkommen, uns mit unseren Bedürfnissen, Ideen und Wünschen kennenlernen und gemeinsam beginnen Zukunft zu gestalten:

  1. Zukunft gemeinsam denken: Welche Ziele sind für eine sozial-ökologische Gestaltung unserer Gesellschaft wichtig? Mit welchen Worten beschreiben wir den Veränderungswillen? Lassen sich gemeinsame Leitsätze definieren, nach denen wir den Weg zu einer neuen Wirtschaftsweise gehen können? Anhand dieser Fragen kann eine gemeinsam Idee von gesellschaftlichem Wandel entstehen, denn: die Zukunft, die wir wollen, beginnt mit einer gemeinsamen Sprache des Wandels.
  2. Zukunft gemeinsam verstehen: Mit den Zukunftsbildern als Ausgangspunkt können wir immer tiefer in unsere jeweiligen Alltagswelten eintauchen. Wie tragen bestimmte Verhaltensweisen, Konzepte, Methoden und Abläufe dazu bei, unsere Zukunftsbilder zu verwirklichen? Welche Merkmale und Qualitäten sind dafür unerlässlich? Wo entstehen Zielkonflikte? Mithilfe sogenannter Wirkindikatoren können wir schauen, worauf es wirklich ankommt. Die Wirkindikatoren sind Suchhilfe und Ankerpunkte für das Verständnis eines Beitrags zu gesellschaftlichen Veränderungsprozessen wie den Zukunftsbildern. Wir erheben und analysieren die Wirkindikatoren in unseren Diskussionen und treffen Ableitungen, wie wir die Hebel des Wandels identifizieren und stärken können. Und auch hier gilt: Gemeinsam müssen wir die Wirkindikatoren weiterentwickeln, um eine gemeinsame Sprache in ein gemeinsames Verständnis zu bringen.
  3. Zukunft gemeinsam stärken: Mit den Zukunftsbildern und Wirkindikatoren machen wir unseren gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch transparent. Viel wichtiger ist aber, dass sie uns helfen, die Bedingungen, Hindernisse und Potenziale für ihre Verwirklichung herauszuarbeiten. Manchmal stehen regulatorische Rahmenbedingungen einer wirkungsvollen Umsetzung entgegen, manchmal sind Abhängigkeiten zu anderen Akteuren ein Hinderungsgrund. Und manchmal mangelt es einfach nur an den notwendigen Ressourcen. Die GLS Wirkungstransparenz stellt also nicht nur den Beitrag zu Veränderungsprozessen dar, sondern bringt sogenannte Hebel des Wandels in den Fokus und verknüpft das gemeinsame Narrativ des Wandels mit konkreten Forderungen und Möglichkeiten. Mit diesem Handwerkszeug sind wir als Akteurin der sozial-ökologischen Transformation gut gerüstet.

So denken wir gemeinsam die Zukunft, verstehen, was es für die Umsetzung unserer Zukunftsbilder braucht, und finden Wege unseren Gestaltungsanspruch zu stärken und gemeinschaftlich in die Tat umzusetzen. Doch dies soll nur ein Beispiel sein, wie wir anhand eines positiven Bildes der Zukunft eine gemeinsame Sprache und Bewegung schaffen, um etwaige Pfadabhängigkeiten, Sorgen und Ängste proaktiv aufgreifen und beilegen zu können.

Los geht’s

Politischer Aktivismus im Sinne der Nachhaltigkeit wird zur Bürgerpflicht.

Die Zeit rennt und wir müssen dringend heraus aus der Lethargie. Zu oft wirken die Entwicklungen zu langsam, zu behäbig, zu wenig ambitioniert. Aber wir dürfen auch eines nicht vergessen: es brodelt regelrecht, als wollte etwas Neues geboren werden. Dies zeigen zahlreiche Akteur*innen und Organisationen, die nicht locker lassen, einen echten Beitrag zum Wandel zu leisten. Das Thema Biodiversität ist auf der Tagesordnung. Täglich entstehen neue Mess- und Bilanzierungsmethoden zur Steuerung sozial-ökologischer Wirkungen. Die junge Generation erkämpft sich unermüdlich Gehör. Suffizienz, das Einsparen von Material und Energie, wird zum Orientierungspunkt immer mehr Menschen. Politischer Aktivismus im Sinne der Nachhaltigkeit wird wieder zur Bürgerpflicht. Umverteilung und soziale Gerechtigkeit werden lokal erprobt, Umweltinnovationen an den Markt gebracht, Konsumverhalten hinterfragt. Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft rücken zusammen. Die Politik beginnt zu verstehen.

Mein Fazit: Kein Grund für Angst. Jetzt ist die Zeit, zu gestalten, im Geiste der Solidarität und Liebe zu unserem Planeten.

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