012024

Editorial

Valentin Dessoy und Frank Reintgen

Editorial

Das Erschrecken nach den Wahlen zum Europaparlament ist groß. Es gab zwar keinen Erdrutschsieg der rechts-nationalistischen Kräfte in Europa, aber doch deutliche Zugewinne. Die politischen Kräfte in Europa verschieben sich. Dies ist nur eins von vielen Anzeichen, die deutlich machen: Wie leben in zunehmend polarisierten Welten. Man kann darin die äußeren, reaktiven Anzeichen eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels sehen, der einerseits die Möglichkeiten individueller Entfaltung immer weiter steigert aber zugleich auf der anderen Seite global, gesellschaftlich und individuell existenzielle Gefährdungen forciert.

Soziolog:innen und Zukunftsforscher:innen erkennen in der aktuellen Entwicklung – Peter F. Druckers Konzept der Medienepochen folgend – erste Konturen der nächsten Gesellschaft. Unsere Gesellschaft befindet sich demnach in einem tiefgreifenden Wandel, der alle Funktionssysteme erfasst hat. Wie der Übergang von der mittelalterlichen Ständegesellschaft zur modernen funktional gegliederten Gesellschaft zeigt, vollziehen sich gesellschaftliche Umbrüche dieser Dimension über eine längere Zeit, lange unmerklich und dann oftmals disruptiv. Sie sind in der Übergangszeit mit erheblichen gesellschaftlichen Verwerfungen verknüpft, in denen das, was ”normal” ist und gelten soll, neu verhandelt wird. Klar ist: Wir werden anders leben. Aber wer bestimmt, wie dieses „andere“ aussehen wird?

Die Redaktion von futur2 hat die Autor:innen dieser Ausgabe gefragt, wie auf diesem Hintergrund gesellschaftliche Aushandlungsprozesse über ihre eigenen Basisprämissen funktionieren können: Wie geht das, wenn die Wahrnehmungen weiter auseinanderdriften, wenn die Interessen immer inkongruenter werden, wenn sich politische Positionen polarisieren, wenn es heterogene Wertorientierungen gibt und die Regeln der Kommunikation brüchig werden? Wie ist es möglich, einen Kommunikationszusammengang aufrechtzuerhalten, der erforderlich ist, um das “neue Normal” im bestehenden Normal zu entwickeln? Oder ist der Zusammenbruch der Kommunikation unvermeidlich, damit etwas ganz Neues entstehen kann? Aus der Zukunftsperspektive betrachtet: Was werden wir getan haben, wenn der Übergang hinter uns liegt? Gibt es diesen Übergang ohne Polarisierung, wechselseitige Exklusion, Hass, Gewalt oder auch Krieg als Ausdruck der (System-)Disruption? Was ist das “normative Mindset”, damit die Transformation nicht zur gesellschaftlichen Apokalypse wird? Was sind Brückentechniken, was die kommunikative Basisausstattung für einen guten Weg in die Zukunft?

Die neue Ausgabe hat länger gebraucht, als sonst, was angesichts des Themas nicht verwunderlich ist. Sie trägt den Titel: Was ist das neue Normal? – Gesellschaftliche Transformation in polarisierten Welten. Namhafte Autor:innen haben sich beteiligt. Zusammengekommen sind lesenswerte Analysen, Zeitdiagnosen und Zukunftsperspektiven.

Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen und freuen uns auf Ihr Feedback.

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