Die kommende Kirche? Mit Jacques Derrida auf pastoralen Konversionsflächen
„Wollt ihr mit uns ein paar Spareribs essen?“ Mit diesen Worten begrüßte uns ein freundlicher Ex-GI, als wir aus der Türe traten, um miteinander den Stadtteil Mannheim-Franklin zu erkunden. Wir – das waren: Pastoralreferent Richard Link, Elisabeth Wöhrle und Burkhard Hose vom Würzburger Hubland und das theologische Forschungsteam Anna Asteriadis, Lukas Moser und Christian Bauer. Die Einladung der nebenan grillenden US-Boys haben wir leider nicht angenommen. Warum uns das im Nachhinein ziemlich geärgert hat und welche theologische Erkenntnis es aber dennoch ermöglichte – davon wird gleich noch berichtet.
Konversionsflächen wie der neue Mannheimer Stadtteil Franklin, ein ehemaliges US-Militärgelände, sind urbane Experimentierfelder mit einer guten Portion kulturellen Sexappeals. Zukunftslabore für die Gesellschaft, aber auch für Kirchen. Und daher auch Hotspots, nicht nur für die Stadtplanung, sondern auch für die Pastoraltheologie1. Städtische Entwicklungsflächen erweisen sich heute als kirchliche Bekehrungschancen, die neue und andere Formen pastoraler Präsenz ermöglichen.
Denn der Konversionsbegriff ist doppeldeutig. In urbanistisch-säkularem Sinn verweist er auf die Verwandlung von „Nicht-Orten“2 (wie frühere Militärgebiete, Industrieanlagen oder Verkehrsknoten) in lebenswerte Plätze3 Und in theologisch-pastoralem Sinn auf Bekehrungserlebnisse (lat. conversio), die auch einer umkehrbereiten Kirche verheißen sind, die sich angesichts der Missbrauchskrise auf den synodalen Weg4 ihrer eigenen Selbstevangelisierung56 macht: Kirche bekehrt sich auf urbanem Neuland.
Städtische Entwicklungsflächen erweisen sich heute als kirchliche Bekehrungschancen, die neue und andere Formen pastoraler Präsenz ermöglichen.
Für den Weg zu dieser anderen, nicht mehr klerikalen, misogynen und homophoben, nach innen autoritären und nach außen identitären Kirche wähle ich im Folgenden einen ‚etwas anderen‘ Zugang, der vor allem auf die pastorale Kreativität von genuin theologischen Diskursen setzt. Und ich wechsle die Referenztheorie: von deutscher Soziologie zu französischer Philosophie. Anders als beim Strategiekongress Die nächste Kirche geht es weniger um die systemtheoretischen „Strategien“7 einer von Niklas Luhmann inspirierten ‚nächsten Kirche‘8 als vielmehr – dieses Konzept in freundlicher Nahbeziehung kritisch ergänzend, überschreitend, kontrastierend – um die dekonstruktiven „Taktiken“9 einer von Jacques Derrida inspirierten ‚kommenden Kirche‘: Futur 2, aber anders.
Es geht um christliche „Mikroresistenzen“ 10 einer alltäglichen Lebenskunst der Freiheit, deren charismatische Widerborstigkeit mit Michel Foucault darauf zielt, scheinbar übermächtige institutionelle „Systeme der Macht kurzzuschließen, sie zu demontieren oder zu knacken“11. Diese subversiven Freiheitspraktiken unterlaufen die Makrostrategien kirchlicher Herrschaftsstrukturen und wenden sie um zu Mikrotaktiken pastoraler Widerstandsnester: „Es geht darum, […] jene untergründigen Formen ans Licht zu bringen, die diese zersplitterte, taktische und bastelnde Kreativität von Gruppen und Individuen annimmt […]. Viele Alltagspraktiken […] entsprechen dem taktischen Typ […]. […] Ich möchte einigen dieser multiformen, widerborstigen, listenreichen und hartnäckigen Handlungsweisen folgen, die der Disziplin entkommen, ohne ihren Einflussbereich zu verlassen […].“12
1. Konversion im Bauwagen: Entdeckungen einer explorativen Theologie
Geschichten zeugen Geschichten. Daher verstehe ich Pastoraltheologie als eine theologische Geschichtensammlerin, die gute pastorale Geschichten nicht nur einsammelt, sondern auch so weitererzählt, dass andere darüber in ihre eigene Erzählung finden13. Narrative des Gelingens sind dabei besonders wichtig. Denn Menschen kommen erst dann ins Handeln, wenn ihre Lust auf etwas größer ist als ihre Angst vor etwas. Entsprechende Geschichten gilt es, in die Routinen des kirchlichen Alltags hineinzuerzählen. Geschichten aus der Zukunft, die erstaunt sagen lassen: „Ich habe die Geburt der Kirche von morgen gesehen.“14 Die Suche danach führt auf Konversionsflächen15 wie das Würzburger Hubland16, das Wiener Nordbahnviertel17 oder eben nach Mannheim-Franklin18.
Wir müssen ein Teil des Quartiers werden.
Bleiben wir für einen ersten Moment in Mannheim. Auch auf diesem ehemaligen US-Militärgelände gab es eine signifikante kirchliche Perspektivenumkehr19. Hieß es dort erst noch „Das Stadtquartier soll ein Teil von uns werden“, so erkannte man schnell: „Nein, umgekehrt – wir müssen ein Teil des Quartiers werden.“ Dieser umkehrbereite Kirchengeist drückte sich baulich zunächst in einer ökumenischen ‚Bauwagenkirche‘ aus, von der unser Gastgeber mit leuchtenden Augen erzählte und die noch immer ein Hauch von urchristlicher Hauskirche umweht – aus jener Zeit also, in der christliche Gemeinden noch so klein waren, dass sie in ein Wohnzimmer passten. Zurück in die Zukunft?
Gottesdienst wird heute auf Franklin noch immer in ökumenischer Gemeinsamkeit gefeiert – und zwar in einem pastoralen Shabby-Chic-Mehrzweckraum. Ein Klassenzimmer der ehemaligen Elementary School wurde in eine multifunktionale Wohnzimmer-Kirche verwandelt, in der unter anderem Sofas, eine Kaffeemaschine, ein Schreibtisch mit Büroschrank, ein aufblasbares Planschbecken, Secondhand-Sakralmobiliar und ein ganz besonderer Holzaltar zu finden sind. Dieser wurde nämlich von den Inhabern einer Boulderhalle gebaut, bei denen die beiden Seelsorger unterkamen, wenn es ihnen im Bauwagen zu kalt wurde. Vorbild des Altardesigns: ein Clubtisch in der Boulderhalle.
Eine jesuanisch inspirierte Kirche liest am Verhalten von Kindern ab, wie reichgottesfrohes Leben geht
Next door: die ehemaligen US-GIs, die uns spontan zum Barbeque einluden. Wir lehnten – wie bereits berichtet – ab, denn wir mussten ja leider zur Geländeerkundung losgehen. Ein vertaner Kairos? Wahrscheinlich. Es blieb (und bohrte) die Frage, ob man sich nicht viel öfter unterbrechen und einladen lassen sollte. Nicht umsonst hatte bereits Rolf Zerfaß die Gastfreundschaft20 (nicht nur in der Perspektive des Gastgebers, sondern auch des Gastes) zu einem pastoralen Leitbild erklärt. Christoph Theobald spricht sogar von „heiliger Gastfreundschaft“21 als dem stilbildenden Motiv des Christentums.
Auf dem Weg durch das neue Quartier zeigte Richard uns auch die geschlossene Kirche des Militärgeländes, die eventuell gekauft werden soll – obwohl man nur 2x im Jahr (zu St. Martin und an Weihnachten) einen Raum für über hundert Menschen braucht. Spontane Reaktion: Warum wollt ihr eure gute Nachbarschaft zu den Leuten in der Elementary School denn aufgeben? Dort habt ihr doch alles, wonach sich viele in der Pastoral sehnen: ungezwungene Alltagskontakte zu Menschen aus anderen Sozialmilieus…
Ortswechsel auf die Metaebene: ‚Theologisches Clustern‘ in Richards Wohnzimmer. Mit einem richtigen Disclosure-Moment, der sich im Sinne einer felix culpa nicht zuletzt auch unserem Ausschlagen der BBQ-Einladung ‚verdankt‘. Auf dem Boden liegen Eindrücke unserer Raumerkundung, unter anderem die Stichworte „Kinder“ (beim Spiele beobachten), (neue) „Pfade“ (ausprobieren) und „Einladungen/Angebote“ (annehmen). In der theologischen Draufsicht („Freestyle-Theologie“) dann die Erkenntnis: „Das ist ja wie bei Jesus!“, so der überraschte Ausruf des ‚gelernten‘ Exegeten Burkhard Hose. Eine jesuanisch inspirierte Kirche liest am Verhalten von Kindern ab, wie reichgottesfrohes Leben geht. Sie ist im Geist des galiläischen Wanderpredigers unterwegs. Und sie lässt sich wie dieser – anders als wir – in ihren Routinen unterbrechen und in fremde Häuser einladen.
2. Kirche mit leichtem Gepäck: Optionen einer anderen Pastoral
Pastoraltheologie soll inspirieren, d. h. theologisch „auf andere Gedanken bringen“22. Und zwar so, dass die Pastoral vor Ort wieder neu zu Kräften kommt. Dazu kann sie die möglichen Wirklichkeiten von Utopien (im Sinne von idealisierten Kirchenträumen) anbieten. Oder aber die wirklichen Möglichkeiten von Heterotopien23 (im Sinne von realisierten Spielräumen) – so wie man sie z. B. auf städtischen Konversionsflächen antrifft. Sie sind das real existierende Gegenteil von theologischen Luftschlössern. Und sie ermöglichen eine Reise in die Zukunft der Pastoral. Denn hier kann eine zunehmend ressourcenschwächere Kirche nicht mehr auf jahrzehntelang antrainierte Pastoralreflexe zurückgreifen. Ein neues Wohngebiet? Kirche mit Turm bauen, Pfarrhaus und Gemeindezentrum dazu, vielleicht noch ein Kindergarten und ein paar Jugendräume – fertig. Und als personale Ergänzung dieses räumlichen Angebots: Pfarrer, Pastoralreferentin, Diakon, Sekretärin.
Hier kann eine zunehmend ressourcenschwächere Kirche nicht mehr auf jahrzehntelang antrainierte Pastoralreflexe zurückgreifen.
Ein spannendes Experiment nach dem Ende der Selbstverständlichkeiten bzw. jenseits der vermeintlichen Sicherheit von Alltagsroutinen (vom Pfarrbüro über Gottesdienstordnungen und Gremiensitzungen bis hin zur Sakramentenkatechese24): Was bleibt von Kirche eigentlich übrig, wenn sie sich aufgrund schwindender Ressourcen nicht mehr auf Immobilien und (immobile) Traditionen verlassen kann, sondern stattdessen neue Formen pastoraler Präsenz (er)finden muss25? Der Architekt Walter Klasz sagt: Form entsteht, wenn man alles weglässt, was nicht notwendigerweise dazugehört.
Wir haben uns im Rahmen des Würzburger Konversionsflächen-Projektes auf die Suche nach diesem Wenigen, aber pastoral Notwendigen gemacht. An allen erkundeten Orten sind uns als verbindende Gemeinsamkeit folgende Dinge begegnet: die Bibel und ein Tisch für das Herrenmahl, Sofas und Kaffeemaschinen. Überall gab es aber nicht nur diese vier Dinge, sondern auch viele tolle Menschen, die eine gemeinsame spirituelle Haltung der Präsenz26 auszeichnet. Gerade in ihrer freigebenden und raumlassenden Zurückhaltung legt diese Grundhaltung unaufdringlicher Antreffbarkeit performativ ein sehr glaubwürdiges Zeugnis von der schöpferischen Lebenskraft des Evangeliums ab.
An allen erkundeten Orten sind uns als verbindende Gemeinsamkeit folgende Dinge begegnet: die Bibel und ein Tisch für das Herrenmahl, Sofas und Kaffeemaschinen.
Konversionsflächen ermöglichen daher „Heteromorphien“27 einer anderen Pastoral. Sie sind urbane Andersorte, an denen zugleich pastorale Andersformen gefunden werden können. Andersortige soziale Räume („Anderswo“) ermöglichen andersartige Weisen kirchlicher Präsenz („Anderswie“). Es entsteht eine reichgottesfrohe Anderskirche. Metaphorisch gesprochen: Nach dem Untergang der pastoralen Schwerindustrie28 muss die Kirche institutionell und spirituell abrüsten. Jenseits der ‚schweren Moderne‘ könnten auf dem Brachland ‚postindustrieller‘ Glaubensruinen dann – wie in Detroit, der Welthauptstadt alternativer Mikroökonomien – offene Heilsbrachen entstehen, die erste Pionierpflanzen anziehen und sich nach und nach in Biotope nachwachsenden Lebens verwandeln.
Hier lassen sich nicht nur Heterotopien einer andersortigen, sondern auch Heteromorphien einer andersartigen Pastoral entdecken. Denn es ist ja nicht viel gewonnen, wenn man an neuen Orten einfach nur ‚den alten Stiefel macht‘. An den neuen Orten einer tatsächlich anderen Pastoral jedoch zeigt sich nicht nur, wo sich Kirche heute wandelt, sondern auch wie: Anderswo trifft Anderswie. Dabei geht es – um mit Paul Watzlawick zu sprechen – nicht nur um systemstabilisierende „Lösungen erster Ordnung“ („Mehr des Selben“), sondern vielmehr um systemverunsichernde „Lösungen zweiter Ordnung“ („Weniger des Selben“, d. h. „Mehr des Anderen“). Diese erst ermöglichen an neuen Orten wirklich alternative pastorale Formen der christlichen Nachfolge Jesu: Kirche, aber anders.
Die theologische Rede von dieser anderen Kirche, deren Kommen man in Konversionsgebieten auf die Spur kommen kann, ist mit dem biblischen Sprechakt der Prophetie verbunden. Sie ist weniger apokalyptische Vorhersage als vielmehr weisheitliche Hervorsage29 des Kommenden. Nach dem jesuanischen Vorbild der Rede vom Reich Gottes30 beobachtet sie die gegenwärtige Welt, in der Weizen und Unkraut nebeneinander gedeihen (vgl. Mt 13,24-30), mit einem heilsfokussierten Zukunftsblick: Wo sind inmitten der Differenz von weisheitlichem ‚Schon‘ und apokalyptischem ‚Noch nicht‘ verborgene Anzeichen für die Ankunft des Reiches Gottes zu finden: „Fragmente des Guten im Jetzt“31? Analog zum Realitätsbezug dieser (bis hin zum eigenen Lebensopfer) tatbezeugten „apokalyptischen Weisheit“32 fahndet die Rede von der kommenden Kirche nach dem Zukünftigen im bereits Bestehenden: Wo leben Menschen schon heute undercover33 eine kommende Kirche, die noch nicht voll ins Licht getreten ist? Eine „noch nicht gewusste Kirche“ 34, deren Kommen sich gleichwohl schon jetzt abzeichnet und deren Profil sich bereits in ersten Umrissen erahnen lässt?
Es wird wohl eine Kirche ohne Turm und Schaukasten35 sein, dafür aber mit leichtem Gepäck, offenem Geist und einer suchenden Sprache. Diese zutiefst jesusbewegte „Kirche ohne Geldbeutel und Vorratstasche und Schnallenschuhe“366 erkundet ihr Umfeld mit einer lernbereiten, entdeckungsfreudigen Gottesvermutung: „Gott ist an diesem Ort, und ich habe es nicht gewusst“ (Gen 28,16). Das ermöglicht eine Pastoral des Zutrauens in die eigene Unsicherheit, des mitgehenden Interesses und der überraschbaren Offenheit. Konversionsflächen nicht als gesellschaftliche Missionsgebiete, sondern als kirchliche Lernfelder. Verbundenheit statt Kirchenbindung. Selbstbekehrung statt Fremdmission. Nur so können säkulare Konversionsflächen zu Orten des gelebten Evangeliums werden, wo Menschen aufatmen und über sich hinauswachsen, wo sie im Geiste Jesu aufrecht gehen lernen und zu sich und zueinander finden – und wo sich ihr Leben zum Guten wendet.
Es wird wohl eine Kirche ohne Turm und Schaukasten sein, dafür aber mit leichtem Gepäck, offenem Geist und einer suchenden Sprache
Wie im Fall der französischen Bewegung der Arbeiterpriester nach dem Zweiten Weltkrieg bzw. vor dem Zweiten Vatikanum kann das zu einem neuen Verständnis von der Mission37 der Kirche in der Welt führen. Immer wenn diese ‚Priester im Blaumann‘, die in Autofabriken, Kohlminen und Hafenvierteln das Evangelium bezeugten, indem sie das Leben der Arbeiter:innen teilten, gefragt wurden, wie viele Bekehrungen es denn gebe, haben sie geantwortet: „Nur wenige. Aber wir haben uns selbst bekehrt“. Denn nicht sie haben die Arbeiter:innen zur Kirche, sondern diese haben sie zum Evangelium bekehrt. Mission geschieht dann nicht, weil die Anderen uns brauchen (das tun sie in der Regel nicht), sondern wir die Anderen – ihre anderen Geschichten vom Leben und daher auch ihre anderen Geschichten von Gott. Pastorale ‚Welt-Mission‘ der Kirche als entdeckerische Selbstentgrenzung auf einen je größeren Gott. Daher: Kirche braucht Franklin – und nicht umgekehrt.
Bei dieser conversión pastoral geht es weniger darum, im Sinne einer introvertierten Komm-her-Pastoral38 selbst Einladungen auszusprechen und Angebote zu machen („Mehr des Selben“), sondern im Sinne einer extrovertierten Geh-hin-Pastoral39 stattdessen Einladungen von Anderen anzunehmen und auf fremde Angebote einzugehen („Mehr vom Anderen“). Wie von selbst (jesuanisch gesprochen: automaté40) ergeben sich dann Orte einer quartierspräsenten, andersförmigen Kirche der Zukunft, die das Evangelium ganz ohne Kirchturm und Schaukasten lebt – dafür aber (wie z. B. im Wiener Nordbahnviertel) zur Miete in einem Ladenlokal oder (wie z. B. in Mannheim-Franklin) in einem Bauwagen. Keine Kirche ohne Sofa, Kaffeemaschine und beweglichem Altar: diese konversionstheologische Handlungsmaxime kann auch andernorts die pastorale Fantasie beflügeln, Mut machen und Kräfte wecken. Denn Geschichten zeugen Geschichten. Und auch fremder Boden trägt.
3. Jacques Derrida: Umrisse einer kommenden Kirche
Ein kleines Theorieexperiment zu Beginn. Wenn Sie des Französischen mächtig sind, dann lesen Sie sich doch einmal kurz die beiden folgenden Worte laut vor: différence und différance. Hören Sie einen Unterschied? Vermutlich nicht. Denn rein phonetisch gibt es zwischen diesen beiden Begriffen keinen Unterschied – wohl aber philosophisch. Der erste („différance“) ist von der französischen Orthografie her eigentlich ein Rechtschreibfehler („différence“ wäre korrekt). Aber zugleich ist er auch ein Neologismus, der dem französischen Meisterdenker Jacques Derrida (1930-2004) als diskursives Werkzeug dient, um bestehende Verhältnisse dekonstruktiv zu öffnen. Différance ist in ihrer phonetisch-orthografischen Performanz so etwas wie die potenzierte Differenz, eine Differenz hoch zwei: die Differenz der Differenz. Ein kleiner Buchstabe (a statt e) macht hier den Unterschied.
Mithilfe dieser wurzelhaften, d. h. in sich selbst radikalisierten (lat. radix = Wurzel) Differenz-Differenz lässt sich auch eine ‚kommende Kirche‘ („église à venir“) pastoral weiterführend theologisch rekonstruieren. Differenztheoretisch ist sie nämlich mit dem verwandt, was Jacques Derrida die ‚kommende Demokratie‘ („démocratie à venir“) nennt. Beide Größen leben aus einem radikalen Zwiespalt („différance“), der tief in den Wurzeln des jeweils Eigenen steckt. So war zum Beispiel die griechische Polis, also das erste demokratisch verfasste Gemeinwesen der Menschheit, in ihren Ursprüngen eine höchst beschränkte Demokratie, welche nur die freien männlichen Bürger einer Stadtgesellschaft umfasste – und keine Sklav:innen, Frauen und Fremden. Demokratie gibt es „nur in der différance, in der sie sich von sich unterscheidet. Sie ist […] unendlich in ihrer Unfertigkeit“41.
Eine Zukunft, die man schon kennt (oder auch nur zu kennen meint), ist keine wirkliche Zu-Kunft.
Derrida spricht daher von einer démocratie à venir: einer kommenden, in diesem Sinne unvoll-kommenen bzw. zu-künftigen Demokratie. Im Französischen spielt diese Wendung mit den Worten ‚Zukunft‘ („avenir“) und ‚im Kommen‘ („à venir“) – was ganz ähnlich auch im Deutschen funktioniert: Zu-Kunft ist das, was auf uns zu-kommt. Es geht um eine Demokratie der Zukunft („démocratie d’avenir“), die permanent im Kommen ist („démocratie à venir“), weil sie in der säkularen Messianizität42 eines prinzipiell offenen Morgen immer nur unvollkommen realisiert sein wird. Das umfassende Teilhabeversprechen der Demokratie bleibt ein dauerhaft unvollendetes politisches Projekt, denn von Beginn an sitzt in ihren geschichtlichen Konstituenten eine stets neu zu dekonstruierende Grunddifferenz von hegemonial-inkludierten und subaltern-exkludierten Menschen43
Dieser Gedanke einer ‚kommenden Demokratie‘ tauchte bei Derrida erstmals in Das andere Kap (1989) auf. Er kehrte dann in Marx‘ Gespenster (1993) wieder und wurde zuletzt in Schurken (2003) weiter ausgefaltet. Er steht für eine „kämpferische und schrankenlose politische Kritik“44des Demokratischen, die eine permanente demokratische Selbstüberschreitung im Zeichen universaler Gerechtigkeit erfordert: „Das Kommende […] bezeichnet nicht nur das Versprechen, sondern auch, dass die Demokratie niemals existieren wird im Sinne von gegenwärtiger Existenz […], […] weil sie in ihrer Struktur stets aporetisch bleiben wird. […] Die Verbindung von Demokratie und Gerechtigkeit wird zu einem Motiv […], [welches] […] das Denken der Zu-Kunft mit dem irreduziblen ‚Vielleicht‘ verknüpft.“45
Eine solche différance prägt auch die christlichen Kirchen. Diese beanspruchen, idealerweise eine in jesuanischem Geist entgrenzte Versammlung (griech. ekklēsía) zu sein, die anders als die griechische Polis auch Sklav:innen, Frauen und Fremden (vgl. Gal 3,28) umfasst. Auch hier hilft möglicherweise die Etymologie weiter. Denn der Begriff ‚Kirche‘ lässt sich in verschiedenen Sprachen auf unterschiedliche Wortherkünfte zurückführen, die auf eine ekklesiologische Wurzeldifferenz im Griechischen verweisen46: kyriakḕ (= die dem Herrn Gehörende) für den ‚germanischen’ Sprachraum (vgl. Kirche im Deutschen, Church im Englischen, Kerk im Niederländischen) und ekklēsía (= die Herausgerufene47) im ‚romanischen’ Sprachkontext (vgl. Église im Französischen, Chiesa im Italienischen, Iglesia im Spanischen). Das egalitäre Teilhabeethos der ekklēsía steht in Spannung zur hierarchischen Kirchenverfassung der kyriakḕ. Kirche ist immer beides: demokratische ekklēsía und monarchische kyriakḕ48 (wobei beide Begriffe auch anders interpretiert werden können).
Es geht daher nicht darum, eine Organisation beraterisch abzusichern, sondern sie theologisch zu verunsichern.
Mit Derrida lässt sich somit auch in der Wurzel des Christentums selbst eine Differenz freilegen. Zwischen klerikalen Machtasymmetrien und synodaler Selbstbekehrung liegt auf dieser gerade eine enorme Spannung, über die man auch in organisationsberaterischen Strategieprozessen nicht hinweggehen darf. Denn auch das Christentum ist durch eine différance bestimmt, deren Dekonstruktion in den eigenen Wurzeln etwas zutiefst Befremdliches und zugleich auch Öffnendes zutage fördert. Es geht daher nicht darum, eine Organisation beraterisch abzusichern, sondern sie theologisch zu verunsichern. Ihren Glauben gilt es so zu entsichern, dass er – so John Caputo, der wohl am stärksten von Derrida inspirierte Theologe – auf eine heilsame Weise „von innen her verstört wird“49: „Dieses Verstörende kommt nicht von außen, es steckt tief unten in ihren eigenen Wurzeln“50.
Eine Zukunft, die man schon kennt (oder auch nur zu kennen meint), ist keine wirkliche Zu-Kunft. Derridas wurzelhaft-dekonstruktive Formatierung des Futur 2 („futur antérieur“) spielt daher mit der Differenz von futur (= kalkulierbare Zukunft, für die man stabilisierende Strategien entwickeln kann) und avenir (= offene Zukunft, die subversive Taktiken erforderlich macht). Sein futur antérieur ist ein avenir récursif51: ein existenziell riskanter Blick aus einer ungesicherten Zukunft auf die eigene Gegenwart: So wird es vielleicht gewesen sein. Diese mögliche, möglicherweise aber auch ganz andere Zukunft zu imaginieren, schafft einen ereignishaft entzogenen Nicht-Ort („chōra“52), von dem aus sich dennoch konkrete pastorale Handlungsoptionen für die Gegenwart entwickeln lassen.
Dabei gilt es, sich von den Heilsversprechen von meist kontrafaktisch eingerichteten ‚Steuerungsgruppen‘ zu verabschieden. Komplexe soziale Prozesse lassen sich in ihrer prinzipiellen Offenheit nicht organisational steuern. Man kann nur versuchen, in ihnen zu steuern – als Ganze lassen sich nicht beherrschen. Es gilt das Prinzip Taschenlampe: Man sieht nur so viel mehr in ihrem Lichtkegel, wie man selbst voranzugehen bereit ist. Für diesen nächsten Schritt auf dem unsicheren Gelände einer ‚kommenden Kirche‘ stimmt nicht nur die Spruchweisheit „Wege entstehen im Gehen“, sondern auch ein glücklicher Freudscher Versprecher des Synodalen Weges: „Wege entgehen im Stehen“.
Man muss die Kirche nehmen, wie sie ist – aber man darf sie nicht so lassen
Analog zur dunklen Offenheit alles Kommenden bleiben auch diese kirchlichen Wege im Sinne Luhmanns53 kontingent: Sie könnten – je nach imaginierter Zukunft – auch ganz anders sein. Entsprechende „Kontingenzöffnungen“54 sind die pastorale Aufgabe einer Theologie im dekonstruktiven Futur-2-Modus. Ihre „spekulativen Extrapolationen“55 aus der Gegenwart setzen zwar am gerade Vorfindlichen an, sie überschreiten dessen Empirie aber zugleich auch von einer möglichen anderen Zukunft her und eröffnen auf diese Weise kreative Differenzen des Neuen: Man muss die Kirche nehmen, wie sie ist – aber man darf sie nicht so lassen. Von der Zukunft einer möglicherweise kommenden Kirche ausgehend schon jetzt weiterführende Handlungsoptionen zu eröffnen – das aktiviert nicht nur die theologische Vorstellungskraft, es stimuliert auch den pastoralen Möglichkeitssinn.
Derridas Überlegungen zur ‚kommenden Demokratie‘ gelten daher auch für eine ‚kommende Kirche‘. Auch das dort versammelte Volk Gottes56 kennt nämlich autoritäre Versuchungen und identitäre Begrenzungen, die tief in seinen ekklesialen Wurzeln stecken. Eine ‚kommende Kirche‘ wird deshalb – anders als die jeweils ‚nächste Kirche‘57– nie wirklich (an)gekommen sein. Sie bleibt vielmehr dauerhaft im Kommen, weil auch ihre Vollendung noch immer aussteht (vgl. Lumen gentium 8). Unter eschatologischem Vorbehalt stehend, muss sie sich permanent erneuern („ecclesia semper reformanda“). Und es gibt keine organisationsberaterische Strategie, die ein Futur 2 ihres künftigen Gekommenseins garantiert. Sondern nur pastoralsubversive Taktiken, die den Raum ihres potenziellen Kommenkönnens offen halten. Mehr kann eine Theologie, die gesellschaftliche und kirchliche Transformationen als mitgehendes Außen begleitet, nicht leisten. Aber eben auch nicht weniger.
- Vgl. raumtheologisch Christian Bauer: Architekturen der Pastoral. Skizzen einer theologischen Theorie des Entwerfens, in: Katharina Karl, Stephan Winter (Hg.): Gott im Raum. Theologie und der spatial turn: Aktuelle Perspektiven, Münster 2020, 313-342.
- Marc Augé: Nicht-Orte, München 2010.
- Ähnliche theologische Geschichten lassen sich auch im Kontext des preisgekrönten Kirchenexperiments „St. Maria als…“ erzählen, in dem sich die ‚Pastoralruine‘ der Stuttgarter Marienkirche selbst als eine lebensförderliche ‚Konversionsfläche‘ erweist (vgl. expl. Christian Bauer: Heiligkeit jenseits des Sakralen? St. Maria in Stuttgart – ein dritter Weg der Kirchennutzung, in: Liturgisches Jahrbuch 2022, 17-33 sowie Lukas Moser: Wir haben eine Kirche, haben Sie eine Idee? Pastoralgeographische Erkundungen zur Transformation eines Stuttgarter Kirchenraums, Stuttgart 2023).
- Vgl. Christian Bauer: Synodales Reframing. Papst Franziskus und sein Weg der Kirchenreform, in: Ute Leimgruber u. a. (Hg): Die Leere halten. Skizzen zu einer Theologie, die loslässt [FS Erich Garhammer], Würzburg 2021, 165-170.
- Vgl. Christian Bauer: Vom Lehren zum Hören. Offenbarungsmodelle und Evangelisierungskonzepte im Übergang vom Ersten zum Zweiten Vatikanum, in: Julia Knop, Michael Seewald (Hg.): Das Erste Vatikanische Konzil. Eine Zwischenbilanz 150 Jahre danach, Darmstadt 2019, 95-116.
- „Als ‚Strategie‘ bezeichne ich ein Kalkül von Beziehungen der Kräfte untereinander […], das einen Ort voraussetzt, der […] als Basis für die Organisation seiner Beziehungen zu einer bestimmten Außenwelt […] dient. Die politische, ökonomische und wissenschaftliche Rationalität baut auf diesem strategischen Modell auf.“ (Michel de Certeau: Arts de faire. L’invention du quotidien I, Paris 1990, XLVI).
- Vgl. soziologisch Dirk Baecker: Studien zur nächsten Gesellschaft, Frankfurt/M. 2007.
- „Von einer ‚Taktik‘ spreche ich, wenn ein Kalkül vorliegt, das nicht mit etwas Eigenem rechnen kann […]. Sie hat nur den Ort des Anderen. Sie dringt teilweise in ihn ein, ohne ihn jedoch voll erfassen zu können […]. Sie verfügt [anders als die Strategie] über keine Basis, wo sie ihre Gewinne kapitalisieren, ihre Expansionen vorbereiten und sich ihre Unabhängigkeit von den Umständen bewahren könnte.“ (Certeau: Arts de faire, XLVI).
- Luce Giard: Histoire d’une recherche, in: Michel de Certeau: Arts de faire. L’invention du quotidien I, Paris 1990, I–XX, XIII.
- Michel Foucault: Des supplices aux cellules, in: Ders.: Dits et Écrits I (1954–1975). Paris 2001, 1584–1588, 1588.
- Certeau: Arts de faire, XL; XLVII; 146.
- Vgl. das feministisch-theologische Konzept des hearing to speech in Nelle Morton: The Journey is Home, Boston 1985.
- Louis Rétif: J’ai vu naître l’Église de demain, Paris 1971. Kirche ist für Louis Rétif vor allem ein „Ferment der Befreiung“ (ebd., 9) zu einem besseren Leben. Seine Pastoral zielte auf ein „anderes, mehr dem Evangelium entsprechendes Gesicht“ (ebd., 11) von Kirche: „Meine Kirche ist auch auf der Straße anzutreffen, ich fand sie in den Spuren der Solidarität im Quartier. Ich bin ihr […] überall dort begegnet, wo Jünger:innen Christi wieder eine Weise finden, das Evangelium zu leben, die alle lesen können.“ (ebd., 11f).
- Vgl. das vom Bonifatiuswerk geförderte Netzwerk Konversionsflächen
- Vgl. das vom Bistum Würzburg geförderte Forschungsprojekt „Kirche am Hubland – ein urbanes Pionierprojekt“
- Vgl. die ‚Grätzlhood‘ des Wiener Nordbahnviertels, wo Anna Asteriadis seit 2020 das Kirchenzentrum FranZ leitet.
- Die Maximen theologischer Feldforschung lauten nach Robert E. Park: 1. Go into the district, 2. Nose around, 3. Get the feeling (vgl. Rolf Lindner: Die Entdeckung der Stadtkultur. Soziologie aus der Erfahrung der Reportage, Frankfurt/M. 1990, 10f).
- Gaudium et spes lehrt eine entsprechende Resonanzumkehr: Nicht ‚unsere‘ Botschaft soll Resonanz bei ‚den Leuten’ finden, vielmehr sollen umgekehrt „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“ (GS 1) der anderen Menschen (besonders der armen und bedrängten) „in den Herzen“ (ebd.) der Jünger:innen Christi „ihren Widerhall finden [lat. resonare]“ (ebd.).
- Vgl. Rolf Zerfaß: Seelsorge als Gastfreundschaft, in: Ders: Menschliche Seelsorge. Für eine Spiritualität von Priestern und Laien im Gemeindedienst, Freiburg-Basel-Wien 51991, 11-32.
- Christoph Theobald: Christentum als Stil. Für ein zeitgemäßes Glaubensverständnis in Europa, Freiburg 2018, 337.
- So die schöne Definition von Bernhard Spielberg auf dem Berliner Jubiläumskongress („250 Jahre zwischendrin. Pastoraltheologie feiert Jubiläum“) der Arbeitsgemeinschaft für Pastoraltheologie.
- Vgl. Christian Bauer: Pastorale Andersorte? Eine kleine theologische Sprachkritik, in: Diakonia (2015), 136-141.
- „Wir sind ständig dabei vorzubereiten, schüren Vorfreude, heizen Erwartungen an für den großen Tag, wenn das Christkind kommt, wenn der liebe Heiland kommt, wenn der Bischof kommt […]. Und ist der große Tag vorbei, schütteln wir uns einmal kräftig und stürzen uns in die Vorbereitungen mit der nächsten Gruppe auf den nächsten großen Tag. Erstkommunionkinder, Brautpaare wachsen so schnell nach, dass wir uns die geheime Hoffnungslosigkeit erst gar nicht einzugestehen brauchen, die uns ob dieses Treibens alle Jahre wieder den Rücken hinaufkriecht. Ist Jesus dazu gestorben, daß sich dieses kirchliche Karussell dreht?“ (Rolf Zerfaß: Gemeinde als Ort der Hoffnung, in: Wolfgang Bahr, Hans-Peter Hurka (Hg.): Basisgemeinden in Österreich, Wien 1986, 13-37, 35f).
- Siehe auch den Lehrgang „Kirche er:finden an neuen Orten“, den ich zusammen mit Anni Findl-Ludescher, Anna Hennersberger, Bernhard Spielberg und dem Salzburger Bildungshaus St. Virgil entwickelt habe und der seit 2014 nun schon zum vierten Mal stattfindet.
- Vgl. Christian Bauer: Präsenzpastoral. Einfach nur da sein, in: Christ in der Gegenwart (31/2024), 8 sowie Dorothee Steiof: Was macht Gott in der Stadt? Erfahrungen aus einem Projekt der Präsenzpastoral im Süden von Stuttgart, auf: Feinschwarz.net (29. Juni 2021). Rolf Zerfaß in seiner Abschiedsvorlesung: „Wir stehen im Übergang von einer Kirche, die sich selbst behauptet […] hin zu einer Kirche, die teilnimmt an dem, was die Menschen bewegt, und umgekehrt ihnen Anteil an dem gibt, was sie als ihr Erbe hütet. […] So wird sie fähig, von einer Pastoral der Eroberung Abschied zu nehmen zugunsten einer Pastoral der Präsenz unter den anderen […].“ (Rolf Zerfaß: Das Volk Gottes auf dem Weg in die Minderheit? Zur pastoralen Aktualität einer zentralen Erfahrung Israels, in: Christian Bauer, Ottmar Fuchs (Hg.): Ein paar Kieselsteine reichen. Pastoraltheologische Beiträge von Rolf Zerfaß, Ostfildern 2009, 162-177, 170f).
- Vgl. Christian Kern: In anderen Formen. Theologie als Heteromorphologie, in: ZPTh 2023, 67-79 sowie Christian Bauer: Vom Anderswo zum Anderswie? Hans-Joachim Sander und der theologische Methodendiskurs, in: Ders., Judith Gruber, Christian Kern (Hg.): Spielarten der Macht. Theologie orten und Räumen mit Hans-Joachim Sander, Ostfildern 2024, 71-102.
- Vgl. Hans-Joachim Sander: Mitten in zu großen Räumen vor verengten Lagen. Nach dem Ende des Fordismus in der Kirche Österreichs, in: Rainer Bucher (Hg.): Nach der Macht. Zur Lage der katholischen Kirche in Österreich, Innsbruck-Wien 2014, 99-121.
- Vgl. Christian Bauer: Vom Leben gelernt. Erkundungen zur biblischen Weisheit, in: Ulrike Bechmann, Rainer Bucher, Rainer Krockauer, Johann Pock (Hg): Theologie als Werkstatt. Offene Baustellen einer praktischen Theologie, Münster 2023, 5-26.
- „Jesus kündigte das Reich Gottes an, gekommen ist die Kirche.“ (Alfred Loisy: L’évangile et l’église, Bellevue 31904, 155).
- Hans Weder: Gegenwart und Gottesherrschaft. Überlegungen zum Zeitverständnis bei Jesus und im frühen Christentum, Neukirchen-Vluyn 1993, 56.
- Zu diesem u. a. von Karl Löning vertretenen exegetischen Grundkonzept vgl. Martin Ebner: Wo findet die Weisheit ihren Ort? Weisheitskonzepte in Konkurrenz Martin Fassnacht u. a. (Hg.): Die Weisheit – Ursprünge und Rezeption [FS K. Löning], Münster 2003, 79–103.
- Dieses pastorale ‚Prinzip 007‘ ist mit dem Konzept des Apokalyptischen allein schon etymologisch eng verwandt (griech. apokalýptein = aufdecken, enthüllen, offenbaren).
- Elke Langhammer: An anderen Orten Gott suchen und Kirche sein. Zum Heterotopiedenken in der aktuellen pastoraltheologischen Diskussion, in: Ernesti, Jörg u. a. (Hg.): Orte des Glaubens. Christsein zwischen Beheimatung und Heimatlosigkeit, Innsbruck 2011, 59-68, 62.
- Es war eine kluge Entscheidung des Bistums Würzburg, auf dem Hubland keine kirchenräumlichen Claims abzustecken und nicht in die ‚Baulast‘ von Immobilien zu investieren, sondern stattdessen mit Elisabeth Wöhrle und Burkhard Hose von der Katholischen Hochschulgemeinde pastoral bewährte Menschen zu schicken, die als wache christliche Zeitgenoss:innen aufgrund ihres KHG-Spirits über ein hohes Ansehen in der Würzburger Zivilgesellschaft verfügen („Die missionieren nicht“).
- Rolf Zerfaß: Welche Wege führen aus der Gotteskrise?, in: Christian Bauer, Ottmar Fuchs (Hg.): Ein paar Kieselsteine reichen. Pastoraltheologische Beiträge von Rolf Zerfaß, Ostfildern 2009, 180-204, 194. Es gilt der Auftrag: „Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe!“ (Lk 10,4).
- Christian Bauer: Mission, in: Christine Büchner, Gerrit Spallek (Hg.): Auf den Punkt gebracht. Grundbegriffe der Theologie, Ostfildern 2017, 157-169.
- Vgl. Christian Bauer: Diakonische Mission? Konzilstheologische Inspirationen aus Gaudium et spes und Ad gentes, in: Christoph Böttigheimer (Hg.): Vatikanum 21. Erschließung und bleibende Aufgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils für Theologie und Kirche im 21. Jahrhundert, Freiburg/Br. 2016, 403-425, 424.
- Vgl. Christian Bauer: Lerne am Herd die Würde des Gastes. Für den missionarischen Ortswechsel einer ‚Geh-hin-Kirche’, in: Diakonia 41 (2010), 351-358.
- Vgl. Mk 4,28.
- Jacques Derrida: Schurken. Zwei Essays über die Vernunft, Berlin 2005, 62.
- Für den säkularen Juden Derrida ist das Messianische eine „universale Struktur“ (Jacques Derrida: Marx & Sons, Paris 2002, 69) der offenen Zukunft, die er als einen nicht mehr weiter dekonstruierbaren „Messianismus ohne Religion“ (Jacques Derrida: Spectres de Marx. L’État de la dette, le travail du deuil et la nouvelle Internationale, Paris 1993, 102) konzipierte.
- Dazu sehr anregend Steven Levitsky, Daniel Ziblatt: Tyrannei der Minderheit. Warum die amerikanische Demokratie am Abgrund steht und was wir daraus lernen können, München 2024.
- Derrida: Schurken, 123.
- Derrida: Schurken, 123f; 126.
- Vgl. Ryszard Bobrowicz, Frida Mannerfelt: Between kuriakḕ and ekklesía. Tracing a Shift in Scandinavian Practical Theology Based on Handbooks in the Discipline, in: Svensk Teologisk Kvartalskrift (2021), 47-68.
- Ekklēsía kommt von ek-kaleín (= herausrufen) und ist im Sinne von Bürgern zu verstehen, die durch einen Herold (griech. kéryx) aus ihren Häusern gerufen werden.
- Bischof Hugo Aufderbeck: „Wir sind als Kirche keine Monarchie, denn wir alle sind Schwestern und Brüder [= ekklēsía]; wir sind aber auch keine Demokratie, denn wir alle haben einen Herrn [= kyriakḕ]!“ (zit. nach Joachim Wanke: Wir müssen die Kirche nicht retten. Warum Vertrauen weiterführt – auch in der Kirche, in: Deutsche Bischofskonferenz (Hg.): Gemeinsam Kirche sein. Impulse – Einsprüche – Ideen (Arbeitshilfen 286), Bonn 2016, 5-9, 8). Aufderbeck zufolge hängen „Versammler und Versammelte“ (Hugo Aufderbeck: Das gemeinsame Werk. Ein Werkbuch zur Seelsorge, Leipzig 1969, 374), also versammelnder Herr und versammelte Schwestern und Brüder, in konstitutiver Weise zusammen: „Der Herr ist der Rufer, der Versammler, wir die Gerufenen, die Versammelten, die ἐκκλησία κυριακή […].“ (ebd., 370).
- John Caputo: In Search of Radical Theology: Expositions, Explorations, Exhortations, New York 2020, 3.
- Ebd.
- Gregory Chatonsky: Futur anticipatif et avenir récursif, auf: https://chatonsky.net/futur-avenir/.
- Chōra verhält sich zu tópos wie kairós zu chrónos, vgl. Jacques Derrida: Chōra, in: Ders.: Über den Namen. Drei Essays, Wien 2000, 125-170.
- Vgl. Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt/M. 1987, 152.
- Andreas Reckwitz: Gesellschaftstheorie als Werkzeug, in: Ders., Hartmut Rosa: Spätmoderne in der Krise. Was leistet die Gesellschaftstheorie? Berlin 2021, 23-150, 132.
- Steven Shaviro: Discognition, London 2016, 11; 79.
- Auch das Volk Gottes steht in der Gefahr, sich in einem identitären ‚Ethnozentrismus‘ einzuschließen (abgesehen davon, dass es seitens der kirchlichen Rechten derzeit auch eine zunehmende asymmetrische Tribalisierung seiner ‚zwölf Stämme‘ gibt). Der vom Zweiten Vatikanum in Lumen gentium heilsuniversal entgrenzte Volk-Gottes-Begriff ermöglicht eine alteritäre Selbstüberschreitung, welche der Rede vom Volk Gottes alles potenziell Völkische nimmt: „Die Universalität des Gottesbegriffs […] verhindert […] eine völkische […] Regionalisierung des Volks-Begriffs.“ (Rainer Bucher: Das deutsche Volk Gottes. Warum Hitler einige katholische Theologen faszinierte und ‚Gaudium et spes‘ für die deutsche Kirche eine Revolution darstellt, in: Hans-Joachim Sander, Hildegund Keul (Hg.): Das Volk Gottes – ein Ort der Befreiung [FS Elmar Klinger], Würzburg 1998, 64–82, 79). Für eine zeitgemäße Aktualisierung der Rede vom Volk Gottes verwende ich den fluiden, situativ wandelbaren und randunscharfen Leutebegriff (engl. people = Volk, aber auch Leute; vgl. Christian Bauer: Leutetheologie – ein theologischer Ort? Pastoraltheologische Angebote zur epistemischen Klärung, in: Johannes Grössl, Ulrich Riegel (Hg.): Die Bedeutung von Gläubigen für die Theologie, Stuttgart 2023, 27-46).
- Nächste und kommende Kirche hängen zusammen – allerdings eher so, dass die kommende Kirche die (transzendentale) Bedingung der Möglichkeit der (historisch) nächsten Kirche ist. Pastoraltheologisch spannend sind dabei insbesondere jene (ordenspastoralen) Personengruppen, die im Zerfall des Alten bereits das herandrängende Neue des Nächsten verkörpern: die Bettelorden als Avantgarde einer mittelalterlichen Stadtkirche im Niedergang der spätantiken Feudalkirche oder die Jesuiten als Avantgarde einer neuzeitlichen Konfessionskirche im Niedergang der spätmittelalterlichen Ablasskirche.