012022

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Statements

Darya Sotoodeh

Das Umsetzungsproblem lösen

Am 28. Februar veröffentlichte der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) den zweiten Teil seines neuesten Berichts. Darin wird der aktuelle Stand der Klimakrise mitsamt Zukunftsprognose erklärt. Daraus werden mögliche Handlungen herausgearbeitet. Durch den Bericht wird wieder einmal deutlich: es hat sich erschreckend wenig getan. Im Gegenteil: Die Klimakrise und ihre Folgen werden immer akuter, sinnvolle Gegenmaßnahmen immer dringender notwendig.

Wieder einmal stellt sich die Frage, warum es nicht funktioniert, obwohl das nötige Wissen anscheinend vorhanden ist.

Die 1,5°C-Grenze, festgelegt auf der Pariser Klimakonferenz im Jahr 2015 und unterschrieben von 195 Staatsoberhäuptern, kann nur noch laut IPCC nur noch eingehalten werden, wenn die internationale Staatengemeinschaft konsequente Maßnahmen umsetzt, und das sofort. Doch neu sind die Erkenntnisse nicht. Im Gegenteil: schon seit Jahrzehnten ist vielen Menschen klar, dass die Erderhitzung immer weiter voranschreiten wird, wenn unsere Lebensweise sich nicht ändert. Dass die Folgen immer drastischer werden, je länger gezögert wird. Dennoch ist genau das passiert. Das mittlerweile Jahrzehnte andauernde Zögern hat etlichen Menschen das Leben gekostet und setzt weitere aufs Spiel. Es gibt seit 1995 jährliche Weltklimakonferenzen, auf denen sich die teilnehmenden Staaten zu (nicht immer ausreichenden) Maßnahmen verpflichten. Und dennoch stehen wir heute an diesem Punkt. Unterschriebene Selbstverpflichtungen wie das Pariser Klimaabkommen werden nicht von allen Staaten konsequent eingehalten. Maßnahmen, die offensichtlich sinnvoll und notwendig sind, nicht umgesetzt. Und wieder einmal stellt sich die Frage, warum es nicht funktioniert, obwohl das nötige Wissen anscheinend vorhanden ist.

Wir haben ein Umsetzungsproblem. Und das liegt bei den verantwortlichen Politiker:innen, in deren Hand es liegt, die Erkenntnisse der Wissenschaft in sinnvolle gesellschaftliche Maßnahmen umzusetzen. Als Erklärung wird immer wieder darauf verwiesen, dass 1,5°C- konforme Maßnahmen nicht umsetzbar wären oder wenn, zu einem hohen Preis. Auf Kosten der Wirtschaft, der Freiheit oder der einfachen Bürger:innen. Gesellschaftliche Themen werden gegeneinander ausgespielt und die Verantwortung der Klimakrise jede:r einzelnen Bürger:in auferlegt. Die Gründe dafür sind komplex.

Zum einen ist die Klimakrise eine globale Krise. Viele verschiedene politische Akteur:innen aus verschiedenen Regierungssystemen, im besten Fall alle, müssen zusammenarbeiten, wobei gemeinsame Einigung und gleichzeitig EInhaltung eigener politischer Prinzipien oft eine Herausforderung darstellen. Viele politische Entscheidungsträger:innen, darunter auch die deutsche Regierung, stellen wirtschaftliche Interessen über das Allgemeinwohl, ob global oder national. Der ständige Wachstumszwang ist die treibende Kraft dahinter. Im Dialog mit der eigenen Bevölkerung lässt sich wirksamer Klimaschutz zumindest in Ländern wie Deutschland als unrealistische Ideologie und eine Gefahr für das Allgemeinwohl darstellen und somit für die eigenen Ziele instrumentalisieren.

Diese selbstbezogene und beschränkte Perspektive wird uns nicht aus der Krise führen. Und leider leiden in erster Linie nicht die Hauptverantwortlichen darunter. Es sind MAPA (most affected people and areas), die am stärksten unter den Folgen der Klimakrise leiden und das schon jetzt. Gleichzeitig tragen sie am wenigsten zu ihr bei. Die Klimakrise verstärkt Ungerechtigkeiten auf der ganzen Welt. Wir brauchen gesellschaftlichen Wandel. Einen, der die Klimakrise bekämpft, in dem er ihre Ursachen bekämpft. Und ihre Zusammenhänge erkennt. Die Ausbeutung von Mensch und Natur für den Profit einiger weniger, die Untergrabung von Menschenrechten und strukturelle Ungleichheit, durch die globale Krisen für die einen deutlich unerträglicher werden als für andere.

Diese Utopie scheint weit entfernt. Aber sie kann inspirieren.

Wie kommen wir da raus? Vielleicht hilft ein hoffnungsvoller Blick in die Zukunft und die Frage, wie wir uns diese wünschen: Wenn alle sich in einer Gesellschaft wahrgenommen und wohl fühlen, ist es plötzlich möglich, gemeinsam für etwas zu kämpfen. So kann auch die Klimakrise angegangen werden. Auf internationaler Ebene können Entscheidungsträger:innen auf Augenhöhe zusammenarbeiten, unterstützt werden sie von ihrer Bevölkerung. Alle können am politischen Geschehen teilhaben und tun das auch gerne. Wir haben nicht nur die Klimakrise, sondern auch Rassismus, Sexismus, materielle Ungleichheit und alle anderen strukturellen Diskriminierungen überwunden. Wirtschaftliches Wachstum steht nicht mehr über allem, eigentlich ist es gar nicht mehr relevant. Niemand muss mehr um ihre/seine Existenz fürchten. Wir wissen, dass wir nicht alleine sind.

Diese Utopie scheint weit entfernt und wir werden sie wohl nicht von heute auf morgen erreichen. Aber sie kann inspirieren. Sie zeigt, welche Hebel bewegt werden müssen, um nachhaltig Klimagerechtigkeit zu bewirken. Zum einen müssen wir weg von der Idee, Themen voneinander getrennt zu betrachten. Im politischen Diskurs und in den Medien kann aufgezeigt werden, was Klimagerechtigkeit bedeutet und dass sie keine Utopie ist. Dass wir keine Angst vor Freiheits- oder Wohlstandsverlust haben müssen und nicht davor, dass uns andere etwas wegnehmen. Wir müssen soziale Ungleichheit aufbrechen, durch Ausgleichsmaßnahmen und auf globaler Ebene zum Beispiel durch einen Schuldenerlass und Reparationszahlungen an ehemals kolonisierte Länder.

Wir haben keine unlösbare Aufgabe vor uns.

Auf lokaler Ebene darf ein nachhaltiger Lebensstil keine außergewöhnliche Leistung mehr, sondern muss Standard sein. Dafür müssen politisch die Weichen gestellt werden. Es braucht entsprechende Förderungen, beispielsweise für den ÖPNV oder die Landwirtschaft. Die Forderungen von Fridays for Future Deutschland und International, die Empfehlungen der IPCC, die Pariser Klimaziele, das alles kann nicht mehr verhandelbar sein. Auch global operierende Konzerne sind hier keine Ausnahme. Der eigene Standortvorteil ist irrelevant, wenn alle Länder sich dazu entschließen, große Unternehmen, die das Klima stark belasten, in ihre Schranken zu weisen.

Wir haben keine unlösbare Aufgabe vor uns. Aber je länger wir warten, desto unlösbarer wird die Bewältigung der Klimakrise.

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