012019

Praxis

Stephan Kronenburg

“Für Dein Leben gern” – Marketing und Employer Branding: Das Bistum Münster geht in der Beziehung zu den Menschen neue Wege

„Geht’s noch?“ – „Sonst habt Ihr keine Probleme?“ Zwar reagieren die Menschen nicht immer so, wenn sie erfahren, dass die katholische Kirche im Bistum Münster seit inzwischen fünf Jahren versucht, professionelles Marketing zu betreiben. Aber, es kommt schon vor.

Gott sei Dank sind viele Rückmeldungen deutlich differenzierter und positiver, insbesondere dann, wenn erklärt wird, warum die katholische Kirche im Bistum Münster diesen Weg geht und welches die Perspektiven und Ziele sind: Das zweitgrößte Bistum in Deutschland möchte auch so den radikalen Veränderungen, vor denen die katholische Kirche landauf landab steht, begegnen. Zu den konkreten Maßnahmen zählen vor allem eine Imagekampagne und Markenstrategie. Zudem soll in diesem Jahr mit einer Kommunikationsoffensive deutlich gemacht, dass die katholische Kirche ein attraktiver Arbeitgeber ist. Eingebettet ist das in den Versuch einer stärkeren Kundenorientierung und in einem Kulturwandel, der den Markenkern „Beziehung“ ins Zentrum stellt.

Marketing als Prozess der Identitätsbildung

Münsters Bischof Felix Genn gesteht dabei offen, dass ihm viele Begriffe aus der Welt des Marketings fremd sind. Doch er macht auch deutlich: „Wenn man Marketing und Markenentwicklung zunächst und vor allem als Prozess einer inhaltlichen Selbstvergewisserung und Identitätsbildung versteht – so wie wir das tun –, dann ist es hilfreich, dass wir als katholische Kirche professionelles Marketing betreiben.“Dabei haben Genn und das Bistum Münster sich auf die Beratung eines „Papstes“ eingelassen. Die Rede ist nicht von Franziskus oder Benedikt, sondern von demjenigen, der gerne als „Marketing-Papst“ bezeichnet wird: Professor Heribert Meffert. Der 81-Jährige, der von 1968 bis 2002 an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster den ersten Marketing-Lehrstuhl Deutschlands leitete, unterstützt das Bistum Münster gemeinsam mit seinen Professoren-Kollegen Peter Kenning und Tim Eberhardt sowie der Düsseldorfer Agentur Castenow.

Wenn man Marketing und Markenentwicklung zunächst und vor allem als Prozess einer inhaltlichen Selbstvergewisserung und Identitätsbildung versteht, dann ist es hilfreich.

Und die Experten haben dem Bistum Veränderungen empfohlen, nicht aus dem Bauch heraus, sondern nach einer umfassenden Analyse der aktuellen Situation, nach einer „Kundenbefragung“. Vor vier Jahren hat das Bistum Münster – als erstes deutsches Bistum in dieser Form – die Katholiken in der Diözese in einer repräsentativen Umfrage gefragt, wie zufrieden sie mit den verschiedenen kirchlichen Angeboten sind. Die Ergebnisse waren vielleicht nicht überraschend, aber nun hatte man es schwarz auf weiß. Professor Meffert fasst es so zusammen: „Die Zufriedenheit mit der Institution ‚Katholische Kirche‘ ist in einem kritischen Zustand – die Lage ist ernst. Ein einfaches ‚Weiter so!‘ darf es nicht geben – die Bedürfnisse und die Wahrnehmungen der ‚Kunden‘ müssen sehr viel stärker in den Blick genommen werden.“ Heißt „ernst“ aber auch hoffnungslos? Keineswegs, wie der Marketing-Experte betont: „Wenn die veränderten kirchlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ernst genommen werden, wenn die notwendigen Veränderungen integer, interaktiv und integrierend angegangen und gestaltet werden, wenn die kirchlichen Dienstleistungen gläubigen-orientiert weiterentwickelt werden, und wenn insgesamt und vor allem die Beziehungsqualität zwischen Vertretern der katholischen Kirche und den Gläubigen verbessert wird, dann muss der katholischen Kirche vor der Zukunft – auch wenn sie ganz sicher anders sein wird als die Vergangenheit – nicht bange sein.“

„Beziehung“ als Kernauftrag und Markenkern

In der Vergangenheit ist manches geschehen, was Vertrauen erschwert und Beziehung gestört hat.

In dieser Aussage von Professor Meffert wird bereits die Perspektive genannt, von der sich das Bistum Münster in Zukunft auf allen Feldern sehr viel stärker leiten lassen will: Beziehungsqualität. „Das mag nicht neu erscheinen“, räumt das Bistum in einem im Frühjahr 2018 veröffentlichen Grundsatzpapier ein. Neu ist aber, dass das Bistum offen und ungeschminkt auf Schwächen hinweist, die es bei diesem Thema gab und gibt: „Auch dieBistumsleitung muss diese Kultur erst noch erlernen und verankern. In der Vergangenheit ist manches geschehen, was Vertrauen erschwert und Beziehung gestört hat. Menschen, die der katholischen Kirche fernstehen, erfahren diese zu wenig als eine Kirche, die an ihnen Interesse zeigt und für sie da ist, wenn sie sie brauchen. Trotz aller Bemühungen ist eine Kultur der Beziehung noch nicht identitätsstiftend geworden. Weder im Bistum selbst noch in der Außenwahrnehmung der Kirche von Münster wird eine solche Kultur als Kern dessen, wofür die katholische Kirche im Bistum Münster steht, wahrgenommen.“

Das soll sich ändern. „Es geht darum, eine Kultur der Beziehung zu fördern, die im Geiste Jesu ist“, wird als Ziel formuliert. Und wie soll das konkret erreicht werden? Bischof Genn gibt Hinweise: „Durch neue partizipative Leitungsmodelle auf Ebene der Pfarreien und Gemeinden, durch verlässliche inhaltliche Schwerpunktsetzungen, durch Gottesdienste, die nah am Leben der Menschen sind und zeigen: Gott ist bei uns sowie durch eine Außendarstellung der katholischen Kirche im Bistum Münster, die unsere gemeinsame Identität zum Ausdruck bringt.“

Provokante Imagekampagne

Apropos Außendarstellung: Hierzu gehörte im Jahr 2018 eine Imagekampagne, die eingebunden war in ein umfassendes Paket der Markenentwicklung. Mit von manchen als provokativ oder verstörend empfundenen Plakaten – weil sie vermeintliche Nachteile in den Mittelpunkt stellten – wies das das Bistum im vergangenen Jahr an Bushaltestellen, in Kneipen und Sozialen Netzwerken auf die verschiedenen Angebote der katholischen Kirche hin: von der Ehe-, Familien- und Lebensberatung, über die Familienbildung bis hin zur klassischen Seelsorge und Sakramentenspendung. Diese Kampagne sollte nicht nur unerwartet, sondern vor allem auch identitätsstiftend und relevant für die jeweilige Zielgruppe sein.

Warum aber die unerwarteten und zum Teil provokanten Plakate? Jochen Huppertz, der den Prozess der Markenentwicklung des Bistums seitens der Agentur Castenow begleitet, erläutert das: „Gezeigt wird bewusst nicht, wie toll die Angebote der katholischen Kirche im Bistum sind. Vielmehr wird das berühmte Haar in der Suppe, das immer jemand findet, in den Mittelpunkt gestellt. Über die vermeintlichen Nachteile beziehungsweise Angebotslücken werden die Vielfalt und Leistungsfähigkeit der Angebote, die die katholische Kirche im Bistum Münster den Menschen macht, inszeniert. Das geschieht mit lustigen, zum Teil natürlich sehr überzeichnenden Fotos und Sprüchen, die das scheinbare Defizit auf den Punkt bringen. Es ist nach unserer Einschätzung sehr humorvoll. Und ‚Humor‘ steht gewiss nicht ganz oben auf der Liste der Attribute, die man der katholischen Kirche sofort zuschreibt.“ Die Kampagne wurde im Blick auf ihre Wirkung professionell ausgewertet. Dabei zeigte sich deutlich die Wirkung externer Faktoren, die vom Bistum Münster nicht zu beeinflussen sind. Denn im Kampagnenzeitraum gab es ein „Critical Incident“, die Veröffentlichung der sogenannten MHG-Studie zum sexuellen Missbrauch in der Kirche. Diese beeinflusste die Wahrnehmung der Kampagne. Diese wurde vor der Veröffentlichung der MHG-Studie grundsätzlich signifikant besser wahrgenommen als danach. Legt man die ermittelten Werte vor der Veröffentlichung der MHG-Studie zugrunde, erfuhr die Kampagne eine Bewertung, die besser war als der Durchschnitt ähnlicher Kampagnen.

Neues Logo – Neuer Claim

Zugleich gab sich das Bistum Münster auch ein neues Logo, auf dem nun nicht einfach nur „Bistum Münster“ steht, sondern – neben einem offenen Kreuz – der Schriftzug „Katholische Kirche, Bistum Münster“. Denn nur mit der Bezeichnung „Bistum“, diese Erfahrung wird immer wieder gemacht, können viele Menschen nichts mehr anfangen. Zur Logik der Markenentwicklung gehört auch, dass viele Einrichtungen im Bistum das Zeichen in angepasster Form inzwischen übernommen haben: vom Priesterseminar, über Bildungshäuser, Beratungsstellen, den St.-Paulus-Dom, die Diözesanbibliothek oder auch bereits eine beachtliche Zahl von Pfarreien: Viele treten nun für alle erkennbar unter einer einheitlichen grafischen „Linie“, einer sogenannten „Dachmarke“ nach innen und außen auf. Das war und ist eine weitere Konsequenz aus der Befragung der Katholiken. Bischof Genn erläutert es: „Wir konnten der Studie auch entnehmen, dass viele Menschen gar nicht wissen, bei welchen Angeboten, die sie gerne nutzen, es sich um solche der katholischen Kirche handelt. Das möchten wir ändern: Wo katholische Kirche drin ist, sollte auch katholische Kirche draufstehen.“

Viele Menschen wissen gar nicht, bei welchen Angeboten, die sie gerne nutzen, es sich um solche der katholischen Kirche handelt.

Schließlich gehörte zum Prozess der Markenentwicklung im Jahr 2018, dass die katholische Kirche im Bistum Münster nun nach außen hin mit einem Claim, einem Slogan auftritt, wie man das auch von anderen Institutionen oder Unternehmen kennt. Er heißt: „Für Dein Leben gern.“  Claim – wieder so ein Begriff aus dem Marketing, mag man kritisieren. Gibt man jedoch „Claim“ bei Google ein, erscheint als erste Übersetzung „Anspruch“. Das trifft es gut. Denn mit dem Claim möchte das Bistum den Anspruch formulieren, den es an sich selbst hat. Der Claim soll die Haltung verdeutlichen, mit der die katholische Kirche im Bistum Münster Kirche sein will. Funktionieren, darüber ist man sich bei den Verantwortlichen im Bistum im Klaren, werden Logo, Claim und Markenbildung nur, wenn die Versprechen, die den Menschen damit gegeben werden, gehalten werden. Die Menschen müssen Kirche als beziehungsstiftend erfahren. Hier gibt es auch im Bistum Münster – das zeigt der Alltag und dass zeigen viele Ergebnisse der Befragung der Katholiken – noch einen großen Nachholbedarf.

Die katholische Kirche als attraktiver Arbeitgeber

Funktionieren, darüber ist man sich bei den Verantwortlichen im Bistum im Klaren, werden Logo, Claim und Markenbildung nur, wenn die Versprechen, die den Menschen damit gegeben werden, gehalten werden.

Nachholbedarf gibt es auch noch darin, wie sich die katholische Kirche im Bistum Münster, aber auch darüber hinaus, als Arbeitgeber präsentiert und darstellt. In der Öffentlichkeit herrscht – von der Kirche selbstverschuldet – oft das Bild einer ewig gestrigen Institution vor, die ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor allem vorschreibt, wie sie auch ihr Privatleben zu gestalten haben. Dass die katholische Kirche im Bistum Münster für Zehntausende Menschen ein attraktiver, familienfreundlicher, sinnstiftender und geschätzter Arbeitgeber ist, bekommt die Öffentlichkeit bislang kaum mit. Auch, dass unfassbar engagierte und kompetente Frauen und Männer in enorm vielfältigen Berufen gerne bei der katholischen Kirche im Bistum Münster arbeiten, ist kaum bekannt. Dies soll sich –  als weiterer Baustein im Konzept einer identitätsorientierten Markenbildung – in diesem Jahr ändern. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die von Kolleginnen und Kollegen hierfür vorgeschlagen wurden, werden in der Öffentlichkeit erzählen, warum sie gerne für die katholische Kirche im Bistum Münster arbeiten, warum die Arbeit in der und für die katholische Kirche für sie mehr ist als einfach irgendein „Job“. Und der Arbeitgeber „Katholische Kirche“ wird zugleich seinen Mitarbeitenden auf vielfältige Weise einfach einmal „Danke“ sagen. Auch die Probleme, die es gibt und geben kann, wenn man bei der katholischen Kirche arbeitet, werden nicht verschwiegen, sondern thematisiert werden.

So soll auch auf diesem Weg eines professionellen „Employer Brandings“ gezeigt werden, dass die katholische Kirche im Bistum Münster auch als Arbeitgeber mehr ist und dass sie anders ist, als das Bild, das von ihr in der veröffentlichten Meinung oft gezeichnet wird. Nicht, weil die Medien einfach gerne auf die katholische Kirche „draufhauen“, sondern weil die katholische Kirche hierfür selbst leider immer wieder die Anlässe liefert. Ja, „es geht noch“ und ja, die katholische Kirche hat viele Probleme, aber es gibt dennoch keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken.

Weitere Informationen gibt es auf www.bistum-muenster.de/beziehung.

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