012019
Statements
Gerne in der zweiten Reihe. Über Marke und Macht
Im Schaufenster
Geschäfte legen in ihre Fensterauslagen das, was sie in besonderer Weise den potentiellen Kund*innen anbieten wollen: Klassiker, Dauerbrenner, Neuheiten, Angebote. Ein kleines Gedankenspiel mag dieses Bild einmal auf die Kirche übertragen: Was ist die Auslage unseres Geschäfts?
Bevor irgendwer auf irgendwelche frommen Gedanken kommt, gehe ich mal dazwischen. Jahrelang gab es diese Auslagen nämlich gar nicht – der unprofessionelle Umgang mit den tatsächlichen Präsentationsflächen in Schaukästen erinnert daran. Es musste nichts in die Auslagen, weil Kirche das nicht nötig hatte – die Leute waren ja da. Schonmal darüber nachgedacht, warum? Welche Systemlogik das hinbekommen hat?
Wenn etwas in der Auslage gelegen hätte, dann wäre das funkelnd und blendend, süßlich und ekelerregend, huldvoll und erbärmlich gewesen: Macht.
Macht war das Markenzeichen der Kirche.
Kirche hatte Macht, war im Gesellschaftssystem machtvoll verankert, hatte fest positionierten Einfluss und normative Kraft, war öffentlich präsent und in der Öffentlichkeit repräsentiert. Die verkündete christliche Botschaft der Liebe, Geschwisterlichkeit, Gerechtigkeit, des Friedens und der Gnade Gottes für alle Menschenkinder (und rund um den 4. Oktober auch den Tieren) kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Institution Kirche eine absolute Organisation war. Ein Straßenwitz früherer Zeit könnte lauten: „Woran erkennt man die Kirche? An ihrer Macht.“
Sagen wir es mal so: Macht war das Markenzeichen der Kirche.
Über die Korrelation von Marke und Macht
Nicht, dass die Kirche von ihrem Anliegen her mächtig sein wollte, sie hat sich verführen lassen, sie wurde angelockt, so erzogen und hat es dann mitgemacht. Schon früh wurde sie eine transzendental legitimierte, absolutistische Monarchie. Weltliche Monarchen wurden immerhin ab und zu durch verlorene Kriege ausselektiert. Doch die Kirche hatte keine natürlichen Feinde. Später dann ging sie ein Bündnis mit dem neuzeitlich gesellschaftlichen System und den Herrschaftsprozessen in diesem ein.
Mit der Anerkennung des menschlichen Gewissens als subjektive Sittennorm konnte durch das II. Vatikanische Konzil eine vom System selbst legitimierte Infragestellung des Machtsystems beginnen.
Dort hatte es einen stabilisierenden Sinn, dass Kirche machtvoll war, konnte doch der Kontingenzüberschuss – das an Sinn, was sich nicht durch säkulare Gesetze und Ordnungsverfahren einholen ließ – an die Kirche mit ihrem Glauben an einen die Wirklichkeit übersteigenden, ordnenden Raumes (Reich Gottes, Himmel, Ewigkeit, Geistwirken, heilige Weihen) abgetreten werden.
Zum Problem wurde dabei auch, dass die kontrollierende Machtinstanz ebenfalls ins Transzendente verschoben, kirchliche Macht dadurch in weltlichen Kategorien unangreifbar wurde. Und es ist umgekehrt kein Wunder, dass mit der Anerkennung des menschlichen Gewissens als subjektive Sittennorm durch das II. Vatikanische Konzil eine vom System selbst legitimierte Infragestellung des Machtsystems beginnen konnte. Was für ein Coup.
Und die Stimme des Gewissens vieler in Kirche ist zunehmend lauter geworden.
Marke 2.0
Die Kirche hat lange Zeit Gefallen an den Annehmlichkeiten ihrer Marktmacht gefunden – und dadurch ihre Unschuld verloren. So gehört Macht zwar nicht zur DNA der Organisationsform von Kirche – dann würde ich persönlich sie aufgeben, weil mir die Grundlage für meine Hoffnung und mein Engagement in Veränderung entzogen wäre – aber die Macht ist durch Zellveränderung ins „Selbst“ übergegangen. Wie ein Krebsgeschwür.
Die Kirche krankt an ihrer Macht. Manche Repräsentant*innen von Kirche wirken wie infiziert, andere haben sich in die Krankheit ergeben, sind rat- und mitunter hoffnungslos.
Hinsichtlich der Positionierung der Kirche sind die oft beklagten leeren Kirchen Ausdruck dafür, dass man auf dem Leitstand weiterhin dort einen Markt sieht, wo das Kundenpotential längst fehlt. Denn wie dem nackten Kaiser in Andersens Märchen ist der Kirche die Macht entzogen worden, auch wenn diese meint, ihre Gewänder, Insignien und Sprachwolken bedeuteten noch etwas.
Die Macht ist durch Zellveränderung ins „Selbst“ der Kirche übergegangen. Wie ein Krebsgeschwür.
Was die gemeindekirchlich geprägte Sonntagseucharistie betrifft möchte ich ausrufen: „Lasst die Toten ihre Toten begraben!“ Es wäre an der Zeit, die eucharistische Dimension der von Menschen hoch nachgefragten Kindertagesstätten, Lebensberatungsstellen, Hospizen, Nachtgebeten in der Stadt, Gottesdiensten in öffentlichen Segens- und Krisenmomenten und anderen high-frequently-Places theologisch zu reflektieren.
Wenn Jesus ganz da ist, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, wie ist er dann an diesen Orten transzendent und transsubstantiell da, an denen durch Engagierte und Mitarbeiter*innen der lebendige Christus bezeugt und den Menschen heilend verkündet wird? Die Eucharistie, insbesondere am Sonntag, gehört befreit vom ideologischen Überbau des gemeindebildenden Alleinstellungsmerkmals. Gemeinde gründet sich dort, wo Evangelium und Existenz sich begegnen. Natürlich auch am Sonntag und in der Eucharistie.
Mein Ausblick auf den Strategiekongress
Der Strategiekongress im Dezember wird die Dimension der Macht in der Kirche gründlich auseinandernehmen. Die nächste Ausgabe der futur2 wird sich vorbereitend auch damit beschäftigen.
Die Eucharistie, insbesondere am Sonntag, gehört befreit vom ideologischen Überbau des gemeindebildenden Alleinstellungsmerkmals.
Doch solange muss man gar nicht warten. Es sind ja doch die inneren Haltungen, die eigenen Bilder, die Handlungspfade, die einen Unterschied machen müssen.
Mein Bild einer erstarkten Kirche lautet: Ich bin stolz auf eine Kirche in der zweiten Reihe. Eine Kirche, die nicht mehr überall dabei sein muss, überall mitreden möchte, die beleidigt ist wenn man sie nicht anspricht, die nicht mehr von sich sagt „Ohne mich geht es nicht“. Nicht aus Bescheidenheit, nicht Ohnmächtig, sondern voller Selbstbewusstsein, mit Kontur, mit einem Sendungsauftrag, mit Ressourcenentscheidungen zur Gestaltung ihrer Sendung. Aber befreit von den Strapazen, etwas darzustellen, was zwar korrumpierte Zelle, aber nicht Zellkern in ihrem Körper ist. Ich vertraue dabei auf die Selbstheilungskräfte der Kirche. Irgendwie verrückt.
Kirche in der zweiten Reihe. – Was für eine Marke. Was für eine Macht.