022022

Foto: Photo by Carolina Nichitin/Unsplash

Bonustrack

Andreas Frick

Bistum Aachen

Beschäftigen Sie sich in Ihrer Diözese mit dem Szenario einer disruptiven Entwicklung bzw. eines Zusammenbruchs der bisherigen Gestalt?

Der radikale Wandel der Sozialgestalt der Kirche, so wie wir sie kennen, war und ist zentraler Gegenstand des Synodalen Gesprächs- und Veränderungsprozesses „Heute bei dir“ im Bistum Aachen. Auf diesen Prozess und seine Ergebnisse beziehe ich mich vor allem im weiteren Verlauf. Er steht zeitlich und vom Anspruch in engem Zusammenhang mit dem Synodalen Weg in Deutschland. Er wurde bereits am 31. Dezember 2017 vom Aachener Bischof Dr. Helmut Dieser ausgerufen. Aufgabe des „Heute bei dir“-Prozesses war und ist es, für den inhaltlichen, wie strukturellen Veränderungsdruck mit Vielen und möglichst gemeinsam Lösungsansätze zu finden und zur Entscheidungsreife zu bringen. In umfangreichen Beteiligungsformaten rang man um Lösungen, die weit genug tragen, um den disruptiven Entwicklungen Rechnung zu tragen und gleichzeitig möglichst viel Akzeptanz zu erringen.

Wo bzw. mit wem wird das Thema systematisch diskutiert und bearbeitet?

Im Rahmen vielfältiger Prozessformate bei „Heute bei dir“: Teil-Prozessgruppen, Basis-Arbeitsgruppen, Synodalkreis, Synodalversammlung; auch mit den Diözesanen Räten im Bistum, wobei sich im Prozessverlauf deren Rolle verändert hat, denn dem Bischof war im Start und Verlauf wichtig, möglichst viele neue Blickwinkel hinzuzugewinnen, und das ging nicht ohne Konflikte.

Für den inhaltlichen, wie strukturellen Veränderungsdruck mit Vielen und möglichst gemeinsam Lösungsansätze finden und zur Entscheidungsreife bringen.

Die Themen sind also in vielen verschiedenen Beteiligungsformaten auf den Weg gebracht. In den zurückliegenden Jahren haben sich insgesamt 5000 haupt- und ehrenamtlich Engagierte im Bistum Aachen eingebracht. Dies allein ist schon großartig. Zu wegweisenden Beschlüssen hat dann der Synodalkreis (von Juni 2021 bis April 2022) geführt, der nach dem Konsent-Prinzip aus den sehr komplexen Beratungsvorlagen Richtungsentscheidungen (mit dem Bischof) getroffen hat.

Wie bereiten Sie Ihre Diözese kommunikativ auf dieses Szenario vor?

Veränderungsprozesse erfordern ein Höchstmaß an Transparenz, Information und Orientierung. Deshalb weiten wir die interne Kommunikation stark aus, informieren in einem regelmäßigen Newsletter und zweimal jährlich auch in einem gedruckten Magazin.

Veränderungsprozesse erfordern ein Höchstmaß an Transparenz, Information und Orientierung.

Allerdings muss allen auch klar sein: Die Umsetzung der Themen erfordert Zeit, Sorgfalt und inhaltliche Validität. Die Projektgruppen arbeiten intensiv, hoch diszipliniert und thematisch in engem Austausch. Einerseits gilt es, eine hohe Komplexität verständlich darzustellen, andererseits Themen neu miteinander zu verzahnen. Orte von Kirche und Pastorale Räume können nicht neu gedacht werden, ohne die kirchenrechtliche und vermögensrechtliche Dimension zu berücksichtigen.

Wie wollen Sie die Handlungs- und Steuerungsmöglichkeit Ihrer Diözese erhalten?

Zum notwendigen Wandel gibt es keine Alternative. „Alle“ sind gefragt, einen nachhaltigen Kulturwandel in der Kirche als Beitrag in dieser Gesellschaft gemeinsam zu wollen und gestalten. Dies geschieht ganz praktisch durch ein integriertes Maßnahmensystem aus:

  • Vorausschauender Finanzplanung
  • Strategischem Management: Langfristiges, zielorientiertes, integriertes strategisches Vorgehen, mit wirksamem Controlling den Prozessentscheidungen entsprechend
  • Entwicklung und Installierung neuer, zukunftsweisender Personaleinsatzkonzepte und Leitungsmodelle, die in einem Paradigmenwechsel nicht nur das Ehrenamt oder Engagierte stärker mit einbeziehen, sondern von und mit den Engagierten deren Wahrnehmung von Gesamt- und Mit-Verantwortung neu denken, planen, ermöglichen und absichern.
  • Zukunftsweisende Pastoralkonzepte, welche über die neu entstehenden/geschaffenen Strukturen realisiert werden können.
Welche Überlegungen gibt es, in diesem Szenario den Übergang zu gestalten?

Die Formulierung einer Pastoralstrategie für das Bistum Aachen wird die vorliegenden Beschlüsse ausfalten und sie in eine vollständige Programmatik überführen, welche neben inhaltlichen Anforderungen auch Managementanforderungen erfüllt.

Die Umsetzung der Prozessergebnisse und die damit verbundene Konkretisierung werden fortlaufend synodal begleitet und auf ihre Treue zu den Prozessbeschlüssen und zu den definierten Grundwerten der Prozessergebnisse, Freiheit, Begegnung und Ermöglichung, geprüft (ggf. mit noch zu entwickelnden synodalen Organen).

Der selbstverordnete Paradigmenwechsel in Haupt- und Ehrenamt wird durch eine entsprechende Befähigungsoffensive begleitet. (Qualifizierungsoffensiven folgen den Anforderungen)

Die Veränderungen in den inhaltlichen und territorialen Zuschnitten im Bistum werden bis 2028 umgesetzt. Zur Steuerung des komplexen Vorgangs hat das Bistum eine eigene Stabsabteilung zeitlich befristet eingesetzt.

Alles hängt mit allem zusammen. Jeder, der schon einmal einen Change-Prozess gesteuert hat, weiß, wovon ich spreche.

Zur Absicherung der notwendigen Anpassungen in der Fläche des Bistums wird die bereits existierende regionale Struktur auf ihren Umsetzungsauftrag hin konzeptionell und personell angepasst und zielbezogen – folgerichtig zeitlich begrenzt – eingesetzt.

Neue Leitungsmodelle können nicht entwickelt werden, wenn gleichzeitig nicht auch der Zugang von Frauen zu Diensten bzw. Ämtern geklärt wird. Alles hängt mit allem zusammen. Jeder, der schon einmal einen Change-Prozess gesteuert hat, weiß, wovon ich spreche.

Wie kann in diesem Szenario Ihre Diözese der Verantwortung für die Mitarbeitenden gerecht werden?

Es ist die Überzeugung der erarbeiteten Prozessergebnisse, dass ein verantwortlicher Umgang mit dem Personal nur über konsequente und fundamentale Strukturveränderungen bewerkstelligt werden kann, nachdem bisherige und bewährte Einsatzkonzepte in den veränderten Realitäten massive Überforderung und einen massiven Verlust an Wirksamkeit mit sich bringen. Der Handlungsdruck wird also einerseits von einem Großteil des Personals selbst formuliert; zugleich birgt die erforderliche Veränderung ein hohes Maß an Verunsicherung, das kommunikativ, vor allem aber mit einem überzeugenden, integrierten Gesamtkonzept für Pastoral und Strukturen aufgefangen werden soll und wird. Die widersprüchlichen Dynamiken aus Veränderungswillen und Veränderungsängsten werden unserer Einschätzung nach die Prozessumsetzung kontinuierlich begleiten und bleiben Daueraufgabe.

Wie können Sie als Diözese in dieser Situation der Verantwortung für die Gesellschaft gerecht werden?

Die Kirche von Aachen übernimmt ihren vielfältigen Auftrag in Pastoral/Verkündigung, Bildung, Caritas ihren Möglichkeiten entsprechend und muss in den kommenden Jahren immer stärker in Netzwerken und mit bekannten und neuen Kooperationspartnern zusammenzuarbeiten. Wir werden dieser gesellschaftlichen Verantwortung also täglich gerecht: In Schulen, Kindertagesstätten, der Pflege und an allen Orten von Kirche. Allein im Bistum Aachen arbeiten 40 000 Menschen haupt- oder nebenamtlich sowie mit unzähligen ehrenamtlich Engagierten, deren Wirkung für die Zivilgesellschaft unschätzbar wichtig ist.

Wir müssen aufpassen, dass wir uns bei allen notwendigen Reformen nicht zu stark mit uns selbst beschäftigen

Allerdings müssen wir aufpassen, dass wir uns bei allen notwendigen Reformen nicht zu stark mit uns selbst beschäftigen. Sich langfristig abzeichnende Finanzlücken müssen über effizientere Strukturen und zukünftig stärker über Fundraising-Aktivitäten kompensiert werden, um auch in Zukunft die erforderliche Finanzkraft aufbringen zu können. Dem stellen wir uns, denn als Kirche sind wir Teil dieser Gesellschaft – im radikalen Umbruch. Und darin sind wir unverzichtbar.

 

21.10.2022

Andreas Frick, Generalvikar Bistum Aachen

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