022019

Foto: Mirko Blicke/Unsplash

Statements

Benno Elbs

Bei euch soll es nicht so sein

Die Debatte um Macht in der Kirche wurde die längste Zeit nicht geführt. Dort, wo sie stattgefunden hat, wurde sie entweder unter dem Deckmantel der (sakramentalen) Vollmacht verschleiert oder durch den – an sich richtigen – Hinweis, jedes Amt in der Kirche sei ein Dienstamt, im negativen Wortsinn spiritualisiert. Theologische Idealität und faktische Realität liegen nicht immer beieinander.

An-fragen

Ich schreibe diese Zeilen als Bischof der Katholischen Kirche. Damit bin ich nicht nur jemand, dem Verantwortung übertragen wurde, sondern auch Adressat der Kritik, die ein Aufbrechen bisheriger Macht- und Hierarchiestrukturen fordert. Ich schreibe diese Zeilen aber auch als Psychotherapeut, der viel über Machtverhältnisse und deren Gefahren reflektiert. Klar ist, dass Macht Kontrolle braucht. Das gilt für alle Bereiche des zwischenmenschlichen Lebens, auch für alle Bereiche von Institutionen, besonders aber für geschlossene Systeme. Wie sind kirchliche Institutionen (Pfarren, Schulen, diözesane Abteilungen, Caritas…) miteinander vernetzt?

Die Debatte um Macht in der Kirche wurde die längste Zeit nicht geführt.

Wie ist das Verhältnis zwischen Klerikern und sog. Laien, wie zwischen Männern und Frauen? Wer entscheidet in dogmatischen, juristischen oder finanziellen Frage- und Problemstellungen? Und wie werden diese Entscheidungen kontrolliert? Ein wacher, unvoreingenommener und kritischer Blick von außen ist für einen guten Umgang mit Macht unerlässlich. Solche Kontrollmechanismen sind wichtig. Es gibt also Handlungsbedarf.

„Sakralisierte Hülle“

Klar ist, dass Macht Kontrolle braucht. Und Kontrollmechanismen fehlen.

Mögliche Gründe für den nahezu vollständigen Ausfall verbindlicher Kontrolle hat Daniel Bogner, Professor für Theologische Ethik an der Universität Fribourg, in einer messerscharfen Analyse im Online-Feuilleton feinschwarz.net in die Diskussion eingebracht. Dort geht er u.a. auf die Ämter- und Rollenstrukturen und die Risikofaktoren sakraler Vollmacht in der Kirche ein. Er spricht von einer „sakralisierten Hülle“, die seiner Ansicht nach Kleriker sakrosankt und immun gegen Kritik mache und zudem Ehrfurcht und Unterwürfigkeit seitens der Gläubigen fördere. Wer würde es wagen, jemandem zu widersprechen, der – zumindest im liturgischen Kontext – in persona Christi handelt und dem qua Weihe sacra potestas verliehen ist, die von dem kommt, dem alle (Voll-)Macht gegeben ist im Himmel und auf Erden (vgl. Mt 28,18)? Und Bogner fragt mit kritischem Blick auf das kirchliche Ämterverständnis weiter: „Weshalb sollte man die Herrschaft einer Institution dividieren, deren Macht doch eine nur ‚geliehene‘ ist, über die man nur treuhänderisch verfügt und die aus einer einzigen Quelle (der in Anspruch genommenen sogenannten ‚Amtsgewalt Christi‘) ausfließt?“

Die “sakralisierte Hülle“ macht Kleriker sakrosankt und immun gegen Kritik und fördert zudem Ehrfurcht und Unterwürfigkeit seitens der Gläubigen (Bogner).

Amt und Charisma

Division der Macht, wie sie Bogner anspricht, halte ich für ein wichtiges Stichwort. Die Forderung, Kontrollinstanzen zu schaffen, die analog zum staatlichen Verfassungsgerichts- bzw. Rechnungshof einen unabhängigen und transparenten Blick von außen auf die Institution Kirche garantieren, wurde von verschiedener Seite bereits eingebracht. Die Einführung einer solchen Gewaltenteilung, wie sie in der liberalen Tradition etwa bei Locke oder Montesquieu zu lernen wäre, würde tiefgreifende Auswirkungen haben, auch auf das Verständnis der Amtstheologie. Zu fragen wäre z.B., ob das geistliche Amt ausschließlich monokratisch in einer Person vereint sein muss oder ob nicht ein Plural von Ämtern und Funktionen denkbar wäre.

Die Einführung einer Gewaltenteilung, wie sie in der liberalen Tradition etwa bei Locke oder Montesquieu zu lernen wäre, würde tiefgreifende Auswirkungen haben, auch auf das Verständnis der Amtstheologie.

In dieser Spur könnte man, wie es der Dortmunder Dogmatiker Thomas Ruster in seinem jüngsten Buch anregt, weiter darüber nachdenken, ob die Vollmacht des Heiligens, Leitens und Verkündigens nicht auch auf verschiedene Personen, Frauen wie Männer, aufgefächert werden könnte, ohne dabei jedoch einer Klerikalisierung möglichst vieler Menschen das Wort reden zu wollen.

Wir alle wissen: Macht ist eine positive, weil gestalterisch wirkende Kraft. Liegt sie in der Hand eines Einzelnen, besteht ein Risiko. Partizipation an Macht und Verantwortung würde aus einer Haltung befreien, die Macht als „Eigentum“ begreift, das die einen haben und die anderen nicht. Dieser Gestus des Macht-„Habens“ ist zudem eine der Quellen des Klerikalismus, der allen voran für Papst Franziskus ein rotes Tuch ist. Die christliche Tradition jedoch kennt eine große Wertschätzung verschiedener Berufungen und Charismen. Nur, wenn diese geteilt werden, kann Kirche wachsen. Das biblische Bild des Leibes und der Glieder (vgl. Röm 12,3-8; 1 Kor 12) muss kirchliches Handeln leiten. Ich plädiere deshalb dafür, in einer Verteilung der Macht auf mehrere Schultern und in einem gemeinsamen Übernehmen von Verantwortung nicht ein Risiko, sondern vielmehr eine große Chance zu sehen, die die Glaubwürdigkeit des Glaubens fördert. In der Diözese Feldkirch haben wir etwa in vielen Pfarren pastorale Leitungsteams installiert, in denen Frauen und Männer gemeinsam mit dem Priester Leitungsverantwortung wahrnehmen. Das ist in erster kleiner Schritt in die vorhin skizzierte Richtung.

Partizipation an Macht und Verantwortung würde aus einer Haltung befreien, die Macht als „Eigentum“ begreift, das die einen haben und die anderen nicht.

Auswirkungen

Die Welt braucht nicht nur integre Menschen, sondern auch integre Institutionen. „Ihr wisst, dass die Mächtigen… Bei euch soll es nicht so sein“ (Mk 10,42) ist eines der wenigen Worte Jesu über Macht und deren Gebrauch. Der Themenkomplex Macht darf jedenfalls nicht isoliert betrachtet werden. Er zeitigt auch Auswirkungen auf andere kirchliche Grundvollzüge, allen voran die Evangelisierung. Denn die Glaubwürdigkeit des Glaubens ist auch in der Kongruenz von Glaubensinhalt und Gestalt der verkündigenden Institution verbürgt. Wie soll eine Gemeinschaft authentisch und überzeugend den Glauben vermitteln, wenn sie Ansprüche, die das Fundament jeder funktionierenden Gesellschaft bilden, nur partiell erfüllt?

Um diese Glaubwürdigkeit des Glaubens auch auf Zukunft hin für die Menschen annehmbar zu machen, ist es nötig, sich einerseits immer wieder neu im Evangelium zu verankern, und andererseits institutionelle Rahmen zu schaffen, um Machtmechanismen kontrollieren und gegebenenfalls korrigieren zu können. So kann die Institution glaubwürdig das tun, was die französischen Bischöfe anregen: proposer la foi. Mit einer solchen Reform wäre freilich auch ein kirchenrechtlich verankertes Mitwirkungsrecht der Gläubigen verbunden. Sie haben im Moment viele Pflichten, aber nur wenig Rechte.  Wie genau so ein Modell aussehen könnte, wäre weiter zu diskutieren. In diesem Prozess sind wir – alle – gefordert. Und das im Geist des Evangeliums.

Um die Glaubwürdigkeit des Glaubens auch auf Zukunft hin für die Menschen annehmbar zu machen, ist es nötig, einen institutionelle Rahmen zu schaffen, um Machtmechanismen kontrollieren und gegebenenfalls korrigieren zu können

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