022019

Foto: Alice Donovan Rouse/Unsplash

Daniel Bogner

Von der Anstaltsmacht zur Handlungsmächtigkeit des Gottesvolkes

Bitte stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Der Kirche gelingt es, sich den gesellschaftlichen und organisatorischen Herausforderungen zu stellen und sie folgt dabei konsequent ihrer Botschaft.

  1. Hat sich der persönliche Umgang mit Macht seitens kirchlicher Verantwortungsträger/innen (Haltungen und Verhalten) oder die institutionellen Bedingungen von Machtausübung in der Kirche (Machtarchitektur) verändert und wenn ja, wie?
  2. Welche (alternativen) Machtphänomene, -mechanismen und -verwerfungen erwarten Sie, wenn sich Machtstrukturen, Haltungen und Verhalten tatsächlich in der von Ihnen beschriebenen Weise verändern werden?

Dank der durchgreifenden Reformen hat sich das Machtthema geklärt. Die Ausübung von Macht ist transparent geworden und kann wirksam kontrolliert werden – und zwar von denen, die Kirche sind: von der Gemeinschaft der Gläubigen. Das hat alle entlastet und befreit!

Zunächst diejenigen, die qua Amt und Funktion entscheidungsbefugt sind und insofern Macht ausüben. Sie wissen, dass sie dies als einen Dienst an der Gemeinschaft der Glaubenden tun. Sie wissen auch, dass ihre Aufgabe zwar notwendig ist, aber zugleich von der Glaubensgemeinschaft mandatiert und kontrolliert wird und mit dem Ende des Mandates zurückgegeben wird in die Hände der Mitglaubenden. Es tut den Amtsträgern gut, dass sie mit ihrer eigenen Amtspraxis nicht mehr unter dem Druck stehen, allein und vollmächtig die „heilige Herrschergewalt Christi“ (sacra potestas) darstellen und vermitteln zu müssen, sondern dass sie ein zwar wichtiger, aber eben in ein Netz mit vielen anderen eingebundener Teil jener Handlungspraxis sind, mit der Menschen versuchen, eine Antwort auf Gottes Wort zu geben.

Es tut den Amtsträgern gut, dass sie mit ihrer eigenen Amtspraxis nicht mehr unter dem Druck stehen, allein und vollmächtig die „heilige Herrschergewalt Christi“ (sacra potestas) darstellen und vermitteln zu müssen.

Befreit hat es natürlich auch die von Machtausübung Betroffenen. Da die Regeln dafür und für den Zugang zu Ämtern in der Kirche transparent und „theologisch fair“ festgelegt wurden, muss sich keiner mehr vor verschleierter oder versteckter Machtausübung fürchten, die sich nicht als solche zu erkennen gibt. Machtausübung ist auch für die religiöse Gemeinschaft hier und dort notwendig, aber sie verliert ihren sakrosankten Nimbus und ihren Schrecken, weil sie verbindlich kontrolliert werden kann und die von der Machtausübung Betroffenen an dieser Kontrolle – zumindest in vermittelter Weise – auch teilhaben können.

Das bis hierher Gesagte betrifft ein mehr oder weniger klassisches Verständnis von „Macht“ – verstanden als ein Handeln, das sich bestimmter Mittel und Instrumente bedient, um bei anderen ein bestimmtes Verhalten auszulösen. Diese Gestalt von Macht ist überall dort unvermeidlich, wo Menschen sich in Gemeinschaften zusammenschließen und diese Gemeinschaften auf irgendeine Art und Weise gesteuert und gelenkt werden müssen. Ich glaube aber, die unternommenen Reformen werden schon mittelfristig einen noch ganz anderen Effekt haben, der weit über diesen Begriff von Macht hinausgeht und ihn um eine wichtige Dimension erweitert. Das Gesicht dessen, was man „Macht“ nennt, wird sich dadurch verändern und das hängt wesentlich mit dem Geist der christlichen Gemeinschaft zusammen.

Macht wird dann zur Handlungsmacht der Gemeinschaft der an Gott Glaubenden, zur Handlungsmächtigkeit als einer Antwort auf den Ruf Jesu zur Nachfolge.

Macht kann man mit Hannah Arendt Macht auch verstehen als die Fähigkeit, sich im kommunikativen Austausch mit anderen auf ein gemeinschaftliches Handeln zu einigen. Dieser Austausch wird in der Demokratie vor allem diskursiv geprägt sein. Der Glaubensgemeinschaft stehen hingegen viel breitere Mittel und Möglichkeiten zur Verfügung: Gebet und Spiritualität, Kultus und Feier, das „gemeinsame Leben“ im Geiste des christlichen Glaubens können Wege sein, um ein solches Einvernehmen zu erarbeiten und daraus eine kirchliche Existenzform zu gewinnen, die dem Ruf der Kirche entspricht: Volk Gottes zu sein, sein Bundesangebot anzunehmen.

Dies wird möglich durch eine langsam neu wachsende Haltung der Gläubigen: Sie sind nicht mehr gefangen in der einzigen Rolle, „Heilsempfänger“ zu sein und damit abhängig von einem mit sakraler Macht ausgestatteten Klerus. Wo Kirche dem Typ nach eine „Anstalt“ war, die für den Zweck der möglichst verlustfreien Übermittelung des Heils errichtet wurde, wuchs bei den Mitgliedern dieser Kirche ein „Schäfchen-Gehorsam“ der Unterwürfigkeit. Diese Haltung wächst hinüber in die Bereitschaft zu aktiver, phantasievoll-kreativer und angstfreier Beteiligung. Macht wird dann zur Handlungsmacht der Gemeinschaft der an Gott Glaubenden, zur Handlungsmächtigkeit als einer Antwort auf den Ruf Jesu zur Nachfolge.

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