022020

Foto: Note Thanun/Unsplash

Praxis

Gregor Schorberger

Schwul und katholisch in der Gemeinde Maria Hilf

Eine christliche Gemeinschaft von und für Lesben, Schwule und ihre Freund*innen (PSK) in Frankfurt am Main

Zum Projekt „Schwul und katholisch in der Gemeinde Maria Hilf“ (PSK) sagte der Frankfurter Stadtdekan Dr. Johannes zu Eltz im Buch „Eine Brücke bauen“ des Jesuitenpaters James Martin [Stuttgart 2018]: „Die Gruppe, überwiegend homosexueller Männer, feiert regelmäßig Eucharistie. Als es losging, wurde das Projekt von manchen stark angefeindet. Auch ich war aus der Ferne total dagegen. […] Bevor ich nach Frankfurt [August 2010] kam, dachte ich: Eines der ersten Dinge, die ich hier tun werde, ist, das Projekt schwul und katholisch plattzumachen. Aber der Stadtdekan ist von Amts wegen verpflichtet, einmal im Jahr im Projekt „schwul und katholisch“ Eucharistie zu feiern und ein Gespräch zu führen. Also ging ich hin. Und dann diese Messe, äußerlich ruhig, aber von innen her bewegend. Das hat mich tief berührt. Wie diese Menschen auf Gottes Wort hören und miteinander das Brot brechen, das hat mich so beeindruckt, das ich mich bekehrt habe.“

Johannes zu Eltz: Das hat mich so beeindruckt, das ich mich bekehrt habe.

Die Anfänge

Es ist schon erstaunlich, wie bedrohlich  eine kleine schwule Gottesdienstgemeinschaft auf einen leitenden Kirchenvertreter, dem ehemaliger Richter am Limburger Diözesangericht [1999-2010] Dr. Johannes zu Eltz, wirkte, dass er sie „plattmachen“ wollte. Eine Gottesdienstgemeinschaft, die seit Frühjahr 1991 mit ihren verbündeten Priestern und Pastoralreferentinnen zuerst in der Kapelle der Katholischen Hochschulgemeinde und dann in der Kirche der Gemeinde Maria Hilf regelmäßig Gottesdienst feiert. Schaut man auf die Beweggründe der  Initiatoren des PSK, die wegen ihres Outings als schwule Studenten trotz ihrer hervorragenden theologischen und menschlichen Fähigkeiten Berufsverbot im Bistum Limburg erhalten hatten, ist die Einstellung des ehemaligen Richters nicht verwunderlich. Schwule Christen mit ihren Freunden und Freundinnen zeigten sich gegen die kirchliche Tabuisierung homosexueller  Personen nicht nur seit 1991 in aller Öffentlichkeit, sondern luden auch – wegen ihrer weit geöffneten Kirchentüren –  andere Menschen zu ihren sonntäglichen Abendgottesdiensten mit ökumenischer Gastfreundschaft ein. Unter Beibehaltung der Liturgie des Kirchenjahres begannen die Verantwortlichen zunehmend in geschlechtergerechter Sprache auf der Grundlage schwuler Befreiungstheologie und der Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils Eucharistie- bzw. Wortgottesfeiern zu gestalten. Etwa zwanzig bis dreißig Frauen und Männer kamen nicht nur aus dem Rhein-Main-Gebiet sonntagsabends in die Kirche Maria Hilf. Der Zuspruch schwuler, lesbischer, bisexueller und transidenter Menschen bestätigte die Initiatoren angesichts ihres Gemeindevorhabens. Ausdruck für ihre sorgfältig vorbereitete sonntägliche Liturgie ist das in den PSK-Anfangsjahren entstandene Gebet- und Gesangsbuch „Gotteslob unterm Regenbogen“. Der Katholischen Hochschulgemeinde Frankfurt gefiel dieses Gebetbuch so gut, dass sie es für ihre eigenen Studierenden anschaffte.

Schwule Christen mit ihren Freunden und Freundinnen zeigten sich gegen die kirchliche Tabuisierung homosexueller  Personen nicht nur seit 1991 in aller Öffentlichkeit, sondern luden auch – wegen ihrer weit geöffneten Kirchentüren –  andere Menschen zu ihren sonntäglichen Abendgottesdiensten mit ökumenischer Gastfreundschaft ein.

Lebendige Gottesdienstgemeinschaft

Endlich konnten gleichgeschlechtlich liebende Menschen in dieser ersten schwul-lesbischen Gottesdienstgemeinschaft im deutschsprachigen Raum aufatmen, beten, singen, sich als gläubige Katholiken ohne Angst zeigen, ohne sich verteidigen oder sich für ihre gottgegebene Sexualität entschuldigen zu müssen. Vom Gottesdienstmoderator, der zu Beginn des Gottesdienstes die Gemeinde wie den Priester bzw. die Pastoralreferentin begrüßt, weiß sich die Gemeinde willkommen geheißen. Schwule und Lesben geben sich den Friedenskuss, tragen aus ihrer Lebenserfahrung Fürbitten vor Gott und treten einzeln oder als Liebespaar im Kreis um den Altar auf. Die sonntägliche Fürbitte im Hochgebet für alle an AIDS Erkrankten, Verstorbenen und um sie Trauernden berührte viele Mitfeiernde tief. Schwule, lesbische und transidente Christen hören aus ihrer Gemeinschaft die Predigt, in der ihre Lebenswirklichkeit auf Grund der Frohen Botschaft Jesu vorkommt. So vom Sonntagsgottesdienst getröstet und gestärkt, fühlen sich viele gut vorbereitet für die kommende Woche, für ihre Arbeit, Nachbarschaft, Familie und ihren Freundeskreis.

Gemeinschaftsleben und Aktionen in der Öffentlichkeit

Trotz Anfeindungen extrem rechtskatholischer  und evangelikaler Kreise, trotz äußerer und innerer Krisen des PSK – zum Beispiel angesichts der Fluktuation ihrer Mitglieder in den Anfangsjahren – fühlen sich die PSK’ler durch ihren Sonntagsgottesdienst nicht nur spirituell gestärkt. Über die Jahre entstand ein reichhaltiges Gemeinschaftsleben mit Feiern, Reisen und Wochenendtagungen mit spiritueller Vergewisserung und Gemeinschaftsbildung. Darüber hinaus entstanden Untergruppen für die Bereiche Liturgie, Diakonie und Öffentlichkeitsarbeit. Obgleich die sonntägliche Liturgie das Hauptanliegen des PSK vor Ort im Frankfurter Gallusviertel blieb, wollten die Teilnehmer*innen nicht in einem sogenanntes „Nest des Wohlfühlens“ bleiben, sondern zeigten sich in der lesbisch-schwulen Frankfurter Community und nahmen an deren Aktionen wie zum Beispiel dem jährlichen CSD mit einem eigenen christlichen Stand und einem Gottesdienst zu Beginn der Christopher Street Day Tage teil.

Allen Anfeindungen extrem rechtskatholischer  und evangelikaler Kreise zum Trotz … entstand über die Jahre ein reichhaltiges Gemeinschaftsleben mit Feiern, Reisen und Wochenendtagungen.

Vernetzung mit anderen Gruppen im deutschsprachigen Raum

Als die PSK’ler erfuhren, dass inzwischen auch andere lesbisch-schwule Gottesdienstgemeinschaften in Basel, Stuttgart, Münster und Nürnberg entstanden waren, lud das PSK diese Gemeinden zum Dreikönigstag 2002 nach Frankfurt am Main ein, um sich als LSGG (Lebischwule Gottesdienstgemeinschaften)  zu vernetzen und gemeinsam in ihren Bistümern und Landeskirchen aufzutreten. Inzwischen gehören zehn schwul-lesbische Gemeinden von Basel bis Berlin der LSGG an. Neben den Jahrestagungen traten die LSGG‘ler zusammen auf Katholiken- und Kirchentagen jeweils mit einem Stand, einem Gottesdienstort und einer zentralen Veranstaltung in Zusammenarbeit mit andern lesbischen, schwulen, transidenten christlichen Initiativen auf, wie zum Beispiel der „Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche e.V.“  oder dem „Netzwerk katholicher Lesben e.V.“ oder der „Arbeitsgemeinschaft schwule Theologie e.V.“.

Zusammenarbeit vor Ort – Verortung im Bistum

Vor Ort im Frankfurter Gallusviertel suchte das PSK einen guten Austausch mit der gastgebenden Gemeinde Maria Hilf. Eine jährlich gemeinsam gestaltete Sonntagmorgenmesse mit anschließendem  Mittagessen, regelmäßige Teilnahme am Pfarrfest mit eigenem Cocktailstand und an Gemeinderatssitzungen festigte den gegenseitigen Respekt bis hin zur selbstverständlichen Akzeptanz des PSK in der Gemeinde Maria Hilf. Unsicherheiten, Ängste und Vorurteile bestanden nicht nur in der Pfarrei Maria Hilf, sondern auch unter den PSK‘ler selbst. Anlässlich seines Visitationsbesuches im PSK 1996 sagte Bischof Franz Kamphaus zu den ängstlichen PSK‘lern, die befürchteten, dass, wenn Lederkerle oder Transvestiten an  ihrem Gottesdienst teilnehmen, die Kirchtüren zugemacht würden: „Wenn das Projekt vom Heiligen Geist ist, wird es Bestand haben.“

Inzwischen gehören zehn schwul-lesbische Gemeinden von Basel bis Berlin der LSGG an.

Es ist kein Geheimnis, dass sich Ressentiments gegen Minderheiten durch Outing, Begegnung, Dialog und Bildung sehr schnell in Luft auflösen. So ist auch die spontan veränderte Haltung des oben erwähnten Stadtdekans Dr. Johannes zu Eltz  zu verstehen. Er ist vom extremen Gegner des PSK zu einem engagierten Befürworter geworden. Outing – Mut sich zu zeigen trotz aller begründeten Ängste, Konflikte und Bedrohungen in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft, in der Pfarrgemeinde oder im Bistum ist der einzige Weg, um als homosexuelle Menschen normal in der Gesellschaft zu leben. Charakterzüge wie Selbstbewusstsein (wissend um Rechte und Pflichten), Selbstinitiative (auch gegen Widerstände) und Selbstverantwortung (der bedingungslosen Liebe Gottes als Schöpfer und Heiler vertrauend) können sich leichter in einer schwul-lesbischen Gemeinschaft entwickeln. Auf Grundlage dieser Erkenntnis entstand auf Initiative der PSK-Sprecher 1996 bis 1998 in Zusammenarbeit  mit dem damaligen Rechtsdezernenten des Limburger Bischofs,  Thomas Schüller, ein kirchenamtliches Dokument mit dem Titel „Projekt. Schwul und katholisch in der Gemeinde Maria Hilf“. Es ist das erste Mal im deutschsprachigen Raum, dass in einem kirchlichen Dokument das Wort „schwul“ benutzt wurde. Unter anderem  steht in diesem kirchenrechtsgültigen Papier, dass der Frankfurter Stadtdekan jährlich das PSK zur Visitation zu besuchen hat. Wie sich zeigte, besuchte der Stadtdekan das PSK nicht nur, sondern feiert mit der kleinen Gottesdienstgemeinschaft zusammen Eucharistie und bleibt anschließend zum geselligen Informationsaustausch. Aus dieser Zusammenarbeit entstanden auf Stadtebene gemeinsame Veranstaltungen wie in der Philosophisch Theologischen Hochschule St. Georgen zum Thema „schwul, lesbisch, katholisch sein“. Darüber hinaus wurde von der Stadtkirche eine Seelsorgestelle gegründet, an die sich ratsuchende homosexuelle Menschen, aber auch Eltern, Geschwister, Lehrer und Pfarrbeauftragte wenden können. Selbst die traditionspflegende Zeitung „Gottesdienst“, eine Information und Handreichung der Liturgischen Institute Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, veröffentlichte im März 2019 den Bericht des ehemaligen Sprechers Burkhard Cramer anlässlich der 25-jährigen Feier des PSK im Frankfurter Haus am Dom unter der Fragestellung „Lern- und Wandlungsort. In Frankfurt am Main gib es seit über 25 Jahren einen Gottesdienst, der sich an homosexuelle Menschen und Ihre Freundinnen und Freunde richtet. Was unterscheidet diese Gruppenmesse von anderen, und warum braucht es diese Feiern überhaupt?“

Bischof Kamphaus: „Wenn das Projekt vom Heiligen Geist ist, wird es Bestand haben“

Basisgemeinde mit befreiungstheologischem Ansatz

In weiteren Begegnungen und gemeinsamen Aktionen des PSK mit kirchlichen Gruppen und schwul-lesbischer Community, auch auf europäischer Ebene durch die Mitgliedschaft im „Europäischen Forum christlicher Lebens- und schwulen Gruppen“, spiegelt sich die Grundhaltung der PSK‘ler  wieder, wie sie Michael Ling in seiner Rezension zum Buch: „schwul+katholisch eine christliche Gottesdienstgemeinschaft“, Berlin 2013, beschreibt: „Die Gemeinschaft organisiert, gestaltet und leitet ehrenamtlich Gottesdienste und Gemeindeleben – ein Beispiel, wie christliche Gemeinde authentisch gelebt werden kann. Denn: Unabhängig davon, ob ihre Mitglieder schwul und lesbisch sind oder nicht – das PSK kann Modell für eine von Gläubigen selbst getragene und geleitete Basisgemeinde sein. Folgendes wird deutlich: Selbstorganisation von Gemeinde im Sinne einer Entscheidungs-, einer ‚ehrenamtlichen‘ Kirche – auf der Grundlage des gemeinsamen Priestertums aller Gläubigen – ist möglich und  machbar! Von daher können das PSK und seine Gottesdienstgemeinschaft – etwa unter dem Leitbegriff ‚Kommunikation des Evangeliums‘ – alle Menschen ansprechen und ihnen am eigenen Beispiel in einer sich verändernden, von Individualisierung, Pluralisierung, Emotionalisierung und Globalisierung geprägten Welt aufzeigen, wie Glaube gemeinsam eine (neue) Heimat finden, gefördert und gestärkt werden kann…”

Jesus hat alle eingeladen und angenommen, ohne Wenn und  Aber.

Das Projekt selbst versteht sich als Basisgemeinde mit einem befreiungstheologischen Ansatz. Viele der Gemeindemitglieder – auch nicht-schwule bzw. nicht-lesbische – haben die Erfahrung des Auszugs oder des Ausgegrenzt-Seins gemacht. Der Weg zu sich selbst führt durch die Wüste aber auch zu intensiven Suchbewegungen und zu neuen Aufbrüchen. Die Gemeinschaft unterstützt dabei. Auf diese Weise werden spirituelle Erfahrungen gemacht, die anderen kirchlichen Initiativen und Gruppen, Kirchengemeinden und Kirche überhaupt wertvolle Impulse geben können. Jesus hat alle eingeladen und angenommen, ohne Wenn und  Aber, ohne Vorleistungen, ohne Ansehen von Stand, Position, sexueller oder jedweder Orientierung. Diese Annahme ermöglicht dem Einzelnen – als Zusage Gottes – die  Annahme seiner selbst.

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