022016

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Statements

Volker Beck

Religion und Exklusion / Inklusion

Religion als elementare menschliche Lebensäußerung entzieht sich auf der abstrakten Ebene jeder Zuschreibung. Was das Phänomen Religion beobachtbar macht, sind (im politischen Raum zumal) die Organisationen, die sich zur gemeinschaftlichen Ausübung einer Religion gebildet haben – also das, was sowohl umgangssprachlich als auch im Verfassungsrecht (mit jedoch unterschiedlichem Inhalt) Religionsgemeinschaft genannt wird.

Exklusion als Konstitutionsmerkmal von Religion

Die meisten Religionsgemeinschaften sind insofern exklusiv in dem Sinne, dass sie diejenigen, die dem Bekenntnis anhängen, von jenen unterscheidet, die das nicht tun. Man mag das für eine christozentrische Auffassung halten, aber wenn dem so ist, war diese Auffassung so stark, dass sie im Verständnis des deutschen Grundgesetzes vom „Wesen“ der Religion prägend wurde.

Selbstverständlich hat der Staat ein Interesse daran, dass auch Religionsgemeinschaften zu einer inklusiven Gesellschaft beitragen – dass Religion also selbst inklusiv wirkt.

Das deutsche Recht hingegen unterscheidet nicht nach den Kategorien exklusiv und inklusiv, sondern es gewährt den Anhänger*innen von Religionsgemeinschaften die Freiheit, ihr ganzes Leben an den Lehren des Glaubens auszurichten. Inwieweit sich eine Religionsgemeinschaft in den öffentlichen Raum begeben kann, will oder muss, ist also erst einmal die eigene Entscheidung der Anhänger*innen dieser Religionsgemeinschaft. Theologische Gründe für ein Sich-Fernhalten aus der Öffentlichkeit (wie z.B. bei den Zeugen Jehovas) können sich grundsätzlich auf die Glaubensfreiheit berufen. Die Grenze für die Freiheit der Religionsausübung verläuft erst da, wo ein aktives Eintreten gegen den freiheitlichen Staat stattfindet. Das macht die Bekämpfung des Islamismus, der gegenwärtig das Paradebeispiel exklusiver Religionsausübung und Theologie darstellt, so schwierig: Gewaltlose Formen des Islamismus, die ohne Frage den Werten unserer freiheitlichen Demokratie fundamental widersprechen, sind noch nicht strafbar – sondern erst dann, wenn sie gewaltsam werden oder zumindest sich anschicken, die Freiheitsräume anderer zu bedrängen.

Inklusion als gesellschaftspolitisches Leitbild – auch für Religionen

Doch das ist natürlich nur eine Seite der Medaille. Selbstverständlich hat der Staat ein Interesse daran, dass auch Religionsgemeinschaften zu einer inklusiven Gesellschaft beitragen – dass Religion also selbst inklusiv wirkt. Was angesichts der oben skizzierten „trennenden“ Eigenschaft von Religion wie ein Paradox klingt, gewinnt Kontur durch die einfache Feststellung, dass Angehörige von Religionsgemeinschaften zugleich auch Staatsbürger sind und darüber hinaus auch Männer oder Frauen, Bewohner*innen bestimmter Städte, Stadtteile oder Bundesländer usw. usf.

Es gibt wenige Institutionen der Zivilgesellschaft, in denen die Gedanken und Inhalte dieser „sozialen“ Inklusion so positiv gewürdigt und diese Werte so stark gelebt werden wie in den jüdischen Gemeinden und in den christlichen Großkirchen.

Die Erinnerung an die menschliche Konstitution multipler Identitäten vermeidet einen naheliegenden Kurzschluss, dass nämlich der (oder die) Glaubende, weil theologisch sein/ihr ganzes (Seelen-) Leben von Religion umfasst ist, zuerst und immer Glaubende(r) sei und alle anderen Loyalitäten sich dem unterzuordnen haben.
Dem Religionsverfassungsrecht in Deutschland gelingt es seit fast 100 Jahren, religiöses Leben einzuhegen und für das Gemeinwesen fruchtbar zu machen, indem es die integrativen Kräfte in den Religionsgemeinschaften durch enge Kooperation mit dem Staat stärkt und dadurch Extremismen eindämmt. Die wohl wichtigste kommende Herausforderung besteht darin, dieses Arrangement auch in Bezug auf „den Islam“ wirksam und funktionsfähig zu machen. Dabei stellen sich Fragen anders und neu, die in Bezug auf die christlichen Kirchen beantwortet schienen: Was bedeutet Bekenntnisförmigkeit im Islam? (Jedenfalls keine vorherrschende nationale, politische oder sprachliche Orientierung, wie sie die großen islamischen Verbände aufweisen und die innerhalb einer Religion nationale und sprachliche Gruppen ausschließen.) Wie schafft man zurechenbare Mitgliedschaftsstrukturen, die für die Teilnahme der Schüler*innen am bekenntnisorientierten Religionsunterricht unabdingbar sind?

„Soziale“ Inklusion und Religionen

Wenn wir die Ebenen wechseln und nicht mehr von der Exklusion aufgrund von (Nicht-) Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bekenntnis sprechen, sondern den Inklusionsbegriff als sozialen Prozess der gesellschaftlichen Teilhabe aller Menschen ungeachtet ihrer Fähigkeiten oder Eigenschaften verstehen, dann fällt das Urteil in einer Hinsicht ziemlich eindeutig aus: Es gibt wenige Institutionen der Zivilgesellschaft, in denen die Gedanken und Inhalte dieser „sozialen“ Inklusion so positiv gewürdigt und diese Werte so stark gelebt werden wie in den jüdischen Gemeinden und in den christlichen Großkirchen. Das liegt bei den Kirchen auch daran, dass sie mit Caritas und Diakonie starke Anbieter*innen auf dem Sozial- und Wohlfahrtsmarkt haben, wo die Frage nach Inklusion zuallererst beantwortet werden muss. Aber es ist darüber hinaus das Ethos, das hier eine Rolle spielt: Der Gedanke der Gleichheit vor Gott, also der gleichen Würde und des Anspruchs auf gleiche Rechte aller Menschen.

Zur Wahrheit gehört aber leider auch, dass diese theologische Deutung von Bibel und christlicher Tradition in langen Auseinandersetzungen auch gegen kirchliche Widerstände erkämpft werden musste

Der zu Gottes Bild und Gleichnis geschaffene (1.Mose 5:1) und zum 3-fachen Liebesgebot gerufene (5.Mose 6:5, 3. Mose 19,18) Mensch erfüllt die Verheißung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“ Aus dieser humanistischen wie biblischen Perspektive lässt sich Inklusion denken und entwickeln.
Zur Wahrheit gehört aber leider auch, dass diese theologische Deutung von Bibel und christlicher Tradition in langen Auseinandersetzungen auch gegen kirchliche Widerstände erkämpft werden musste, und dass sie kein christliches Gemeingut in dem Sinne darstellt, dass alle sich „christlich“ nennenden Kirchen, Konfessionen und Denominationen es sich zu eigen gemacht haben. Nein, progressive, inklusive Auslegung der Bibel oder historisch-kritische Exegese sind nicht selbstverständlich – im Angesicht einer sich auf den Koran berufenden Terrormiliz, die sich „Islamischer Staat“ nennt, sollten wir uns daran erinnern, dass kein heiliger Text vor willkürlicher und banaler Auslegung oder machtpolitischer Entstellung geschützt ist. Insofern habe ich Hoffnung darauf, dass es den muslimischen Communities nicht nur in Deutschland und Europa durch eine historisch-kritische Theologie „des Islams“ gelingt, den sog. IS auch theologisch in die Schranken zu weisen – die bestehenden „Zentren für Islamische Theologie“ sind auf gutem Weg dahin. Denn ich möchte, dass auch die Muslim*innen in Deutschland ihren Teil zu einer inklusiven Gesellschaft beitragen können – im religiösen Bereich ebenso wie bei der „sozialen“ Inklusion.

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