022019

Foto: Hivan Arvizu-Soyhivan/Unsplash

Praxis

P. Manfred Kollig SSCC

Neue Führungsarchitektur im Ordinariat des Erzbistums Berlin

Interview mit Generalvikar P. Manfred Kollig

Das Erzbistum Berlin hat 2017/ 2018 im Erzbischöflichen Ordinariat eine neue Aufbaustruktur eingeführt. In diesem Zusammenhang wurde auch die Führungsarchitektur verändert. Generalvikar P. Manfred Kollig spricht im Interview mit Valentin Dessoy über Anlass, Konzeption, Umsetzung und Auswirkungen

Valentin Dessoy: Welche Situation fanden Sie vor, als Sie als neuer GV nach Berlin kamen (wie war das Ordinariat organisiert, was waren Stärken und Schwächen, …)?

P. Manfred Kollig:

Die Dezernentinnen und Dezernenten arbeiteten relativ unabhängig voneinander, kamen mit ihren Anliegen zum Generalvikar und klärten mit ihm bei Bedarf jeweils einzeln Fragen „ihrer“ Dezernate mit dem Generalvikar.

Als ich im Februar 2017 meinen Dienst begann, habe ich eine sehr heterogene Dienstgemeinschaft vorgefunden. Relativ viele Beschäftigte stammen ursprünglich aus anderen deutschen Bistümern oder aus dem Ausland. Einige Mitarbeitende hatten noch in den ehemaligen Ordinariaten in West-Berlin und in Ost-Berlin (zuständig für die Teile des damaligen Bistums in Ost-Berlin, in Brandenburg und in Vorpommern) gearbeitet. Viele haben die Finanzkrise des Erzbistums 2002/2003 erlebt mit teilweise auch persönlichen Einschnitten wie Umwandlung von Vollzeit- in Teilzeitstellen und der Aufgabe von bis dahin bezahlten Diensten in den Pfarreien (wie z.B. Sekretariats-, Hausmeister- und Küsterdiensten). Diese Erfahrungen wirkten und wirken spürbar nach. Trotzdem habe ich viele überdurchschnittlich motivierte und engagierte Mitarbeitende angetroffen.

Das Erzbischöfliche Ordinariat hatte damals die Struktur, die nach meinem Kenntnisstand der Struktur vieler Generalvikariate in Deutschland ähnelt. Es gab Dezernate, die in anderen Bistümern auch Hauptabteilungen genannt werden. Die Leiter der Dezernate waren die unmittelbaren Mitarbeitenden des Generalvikars. Die Dezernentinnen und Dezernenten arbeiteten relativ unabhängig voneinander, kamen mit ihren Anliegen zum Generalvikar und klärten mit ihm bei Bedarf jeweils einzeln Fragen „ihrer“ Dezernate mit dem Generalvikar. Die sogenannte Dezernentenrunde, die sich einmal wöchentlich traf, war eher ein Ort gegenseitiger Information und weniger eine Instanz, in der Entscheidungen vorbereitet und getroffen wurden. Zudem war nicht gesichert, dass die nötigen Informationen aus der Dezernentenrunde auch an die Mitarbeitenden im Ordinariat weitergegeben wurden.

Dessoy: Was waren Ihre Beweggründe über eine neue Aufbaustruktur und insbesondere auch über eine neue Führungsarchitektur nachzudenken?

Da unser Erzbistum … sehr vielfältig ist, haben wir uns auf die Communio als Quelle und Ziel der Kirchenentwicklung in unserem Bistum verständigt.

Kollig: Ganz oben steht die bewegende Einsicht, dass wir uns neu auf die Kirche als Communio besinnen müssen. Wir sind uns oft nicht mehr bewusst, dass Kirche keine Gemeinschaft von Menschen ist, die sich gesucht und gefunden haben. Wir sind weder als Weltkirche noch als Pfarrei noch als Dienstgemeinschaft in einem Ordinariat ein Freundeskreis oder ein Club. Vielmehr sind wir alle – ganz gleich mit welcher Ausrichtung, mit welchen Vorlieben oder Lebensläufen – in die Gemeinschaft mit Gott berufen als Schwestern und Brüder, die es anzunehmen und mit denen es zusammenzuarbeiten gilt; von denen wir uns nicht distanzieren oder trennen können. Mit meinen Worten sage ich gerne: Wir sind berufen zu lieben, auch wenn wir uns nicht mögen.

Im ersten Jahr habe ich sehr viel mit den Dezernenten über die Themen Kommunikation und Kooperation im Ordinariat gesprochen. Ebenso bin ich in die einzelnen Dezernate gegangen und habe dort Erfahrungen, Einschätzungen und Wünsche abgefragt. Außerdem waren mir gerade im ersten Jahr auch die Rückmeldungen aus den Pfarreien und den kirchlichen Einrichtungen an das Ordinariat wichtig. Aus alledem ergab sich für mich folgendes Bild:

Einerseits hat das Erzbistum Berlin den Pastoralen Prozess „Wo Glauben Raum gewinnt“ ins Leben gerufen. Mit diesem Prozess soll die Kirche im Erzbistum weiterentwickelt werden. Ziel des Prozesses ist. die Kommunikation und die Kooperation zwischen den Pfarreien zu verbessern, ebenso zwischen den Gemeinden innerhalb der Pfarreien und mit den Orten kirchlichen Lebens wie z.B. Kindertagesstätten und Schulen in kirchlicher Trägerschaft, anderen katholischen Einrichtungen, Ordensgemeinschaften und Verbänden. Da unser Erzbistum aufgrund der historischen und geografischen Bedingungen – Ost-West, Stadt-Land, mit einem über 20% hohen Ausländeranteil und zusätzlich vielen deutschen „Binnen-Migranten“ etc. – sehr vielfältig ist, haben wir uns auf die Communio als Quelle und Ziel der Kirchenentwicklung in unserem Bistum verständigt. Das bedeutet, dass wir uns als Katholiken von Gott in Gemeinschaft gerufen glauben und uns nicht als Club von Freundinnen und Freunden verstehen, die sich gesucht und gefunden haben.

Andererseits führt diese Vielfalt dazu, dass dieses System auch dafür sorgen muss, diese Vielfalt der Perspektiven einzubringen, Verständnis und Verständigung zu fördern und die in der Natur liegende Neigung des Menschen, eher in der Komfortzone der eigenen Denkmuster zu bleiben, zu überwinden.

Wenn diese Kirchenentwicklung in der Fläche des Erzbistums verwirklicht wird, muss sich dies auch auf das Ordinariat auswirken. Mir war nach einem Jahr klar geworden, dass die Forderung, in Communio zu leben und dazu gleichsam als Konsequenz die Kommunikation und Kooperation zu verbessern, auch an diejenigen gerichtet sein musste, die diesen Prozess von der Bistumsebene aus begleiten.

Andererseits können wir uns, wo immer wir den Anspruch haben, Katholische Kirche zu sein, nicht in Strukturen bewegen, die wir von der politischen Ebene kopiert haben. So wichtig es ist, die jeweiligen Zuständigkeiten zu klären, so wichtig ist es auch, sich über die Zuständigkeit hinaus im Rahmen jeder übernommenen Aufgabe beispielsweise folgende Fragen zu stellen: Wer könnte zu dieser Aufgabe etwas wissen (ganz gleich, in welchem Bereich oder auf welcher Hierarchieebene er oder sie arbeitet)? Wer müsste darüber informiert werden, dass ich an dieser Aufgabe arbeite (weil das Arbeitsgebiet der Kollegin oder des Kollegen davon betroffen wird)?

Zudem gilt für alle Ordinariate: Es liegt in der Natur des Systems, dass hier Menschen mit unterschiedlichen Professionen und damit erkenntnistheoretischen Ansätzen und Arbeitsstilen in einer Dienstgemeinschaft verbunden werden. Theologische und betriebswirtschaftliche, baufachliche und publizistische, pädagogische und juristische Kompetenzen, um nur einige zu nennen, sind einerseits notwendig, damit die Katholische Kirche unter den deutschen Gegebenheiten ihren Dienst tun kann. Andererseits führt diese Vielfalt dazu, dass dieses System auch dafür sorgen muss, diese Vielfalt der Perspektiven einzubringen, Verständnis und Verständigung zu fördern und die in der Natur liegende Neigung des Menschen, eher in der Komfortzone der eigenen Denkmuster zu bleiben, zu überwinden. Es gibt meines Erachtens nur wenige Einrichtungen, die aufgrund der Ausbildung des Personals und der Zielsetzungen, die mit dem jeweiligen Arbeitsbereich verbunden sind, so divergierend sind. Umso wichtiger ist es, Strukturen abzubauen, die – um es in einem Bild auszudrücken – unabhängige Seen schaffen, und stattdessen dafür zu sorgen, dass es zwischen den Seen Verbindungen gibt.

Dessoy: Wie sieht die neue Architektur, das Führungsmodell, konkret aus?

Es gibt zwei große Themenbereiche, die im Ordinariat bearbeitet werden müssen: „Sendung“ und „Ressourcen“… Die Bereichsleitungen der beiden Arbeitsbereiche einigen sich jeweils für ein Jahr auf eine Koordinatorin oder einen Koordinator aus ihren Reihen.

Kollig: Es gibt zwei große Themenbereiche, die im Ordinariat bearbeitet werden müssen: „Sendung“ und „Ressourcen“. Dem Arbeitsbereich Sendung sind alle Dienste zugordnet, die im Bistum für die Erfüllung des kirchlichen Auftrags in Berlin, Vorpommern und großen Teilen Brandenburgs zuständig sind. Dem Arbeitsbereich Ressourcen sind jene Dienste zugeordnet, die für den Einsatz und die sachgemäße Verteilung der Mittel zuständig sind. Die sieben Bereiche sind in Teilbereiche gegliedert. Die drei Bereiche Pastoral, Bildung und Personal-Sendung bilden den Arbeitsbereich Sendung; die Bereiche Finanzen, Bau, Personal-Ressourcen und Bistumsintene Organisation bilden den Arbeitsbereich Ressourcen. Die Bereichsleitungen der beiden Arbeitsbereiche einigen sich jeweils für ein Jahr auf eine Koordinatorin oder einen Koordinator aus ihren Reihen. Die Koordinatoren moderieren gewissermaßen die Bereiche des jeweiligen Arbeitsbereichs, klären Schnittstellen-Probleme und Arbeitsabläufe, beziehen den Generalvikar zu gegebener Zeit in Entwicklungen in den Arbeitsbereichen ein und sorgen für den Informationsfluss. Sie sammeln Themen, auch Konfliktthemen, und tragen zur Klärung bei. Schließlich gibt es einige Zentrale Servicestellen, die keinem Arbeitsbereich zugeordnet sind, sondern gleichsam wie ein Zahnrad zwischen den Arbeitsbereichen Dienstleistungen für das gesamte Ordinariat und alle Bereiche erbringen. Zu diesen Servicestellen gehören Presse- und Öffentlichkeitsarbeit oder Recht.

Dessoy: Wie war der Prozess zur Entwicklung der neuen Konzeption gestaltet (Motivation/Widerstände der Beteiligten, Aufwand, …)?

Kollig: Wenn ich hier einzelne Schritte aufzähle, die wir gemacht haben oder noch machen werden, klingt das nüchtern und kann den Eindruck erwecken, es gehe nur um eine Strukturveränderung. Deshalb erinnere ich vorab nochmals daran: Die Strukturveränderung ist ein Mittel, um das System zu irritieren, das Beharrungsvermögen aufzubrechen und neue Wege zu wagen, um die Kommunikation und Kooperation zu verbessern. Die Kommunikation in diesem Prozess ist stärker als die Struktur und die Strukturveränderung. 

Strukturveränderung ist ein Mittel, um das System zu irritieren, das Beharrungsvermögen aufzubrechen und neue Wege zu wagen, um die Kommunikation und Kooperation zu verbessern.

Mit einem externen Organisationsberater und Theologen, der einige Bistümer berät, über einen reichen Erfahrungsschatz verfügt und auch das Erzbistum Berlin schon vorher beraten hat, gab es 2017 einen ersten Klausurtag mit den Dezernenten und meinem Stellvertreter. Dieser diente dem gegenseitigen Kennenlernen und einer Bestandsaufnahme. Dort wurde beschlossen, daran weiterzuarbeiten und während eines zweiten Klausurtags die Themen „Kommunikation und Kooperation“ im Ordinariat genauer anzusehen. Bei einem dritten und vierten Klausurtag im Jahr 2018 haben wir uns mögliche Veränderungen in der Struktur angeschaut, die wir zwischenzeitlich erarbeitet hatten. Diese wurden in einer größeren Arbeitsgruppe „Organisationsentwicklung“, in der Mitarbeitende unterschiedlicher Professionen und die Mitarbeitervertretung vertreten waren, besprochen und weiterentwickelt. Die Entwürfe wurden bei zwei Mitarbeiterversammlungen vorgestellt. Ebenso gab es im Jahr 2018 zwei Fortbildungstage mit dem externen Berater für alle Führungskräfte, d.h. die damaligen Dezernats- und Abteilungsleitungen und die Leiterinnen und weitere leitende Beschäftigte. Mit demselben externen Berater gab es für alle Mitarbeitenden in drei Gruppen eine Fortbildung, die 3 Stunden umfasste. An diesen drei Gruppen-Fortbildungen habe ich auch selbst teilgenommen, um die Fragen, Vorschläge und Stimmungen kennenzulernen. Im Jahr 2019 bessern wir nach und lösen Probleme, die sich ergeben und die wir bisher übersehen haben. Dabei hilft uns das Ergebnis einer Mitarbeiterbefragung zu den Erfahrungen des ersten Halbjahrs. Die notwendigen Nachjustierungen bestehen vor allem darin, dass Schnittstellen zwischen den Arbeitsbereichen „Sendung“ und „Ressourcen“ zwischen den Bereichen, Teilbereichen und Servicestellen noch nicht umfänglich geregelt waren. Inzwischen sind alle Vollmachten (Entscheidungsbefugnisse, Unterschriftsberechtigungen etc.) geregelt. Im Dezember werden wir nochmals im Rahmen eines Klausurtags mit allen Bereichs- und Teilbereichsleitungen sowie dem Pressesprecher, dem Leiter der Servicestelle „Projekte und Prozesse“, der Justiziarin und dem Leiter des Diözesanarchivs arbeiten und vor allem Regeln für das Berichtswesen vereinbaren, durch die Kooperation zwischen den Einheiten verbessert wird.

Widerstände zeigen sich dort, wo auch in der neuen Struktur Mitarbeitende sich nicht mit Kolleginnen und Kollegen vernetzen, Informationen nur teilweise weitergeben, Wissen nicht umfänglich teilen und nur bedingt eigenverantwortlich, aber zugleich eigenmächtig handeln.

Vorbehalte, die geäußert wurden, lassen sich gut unter der Überschrift formulieren: Haben wir bisher alles falsch gemacht? Diese Widerstände zeigen sich außerdem dort, wo auch in der neuen Struktur Mitarbeitende sich nicht mit Kolleginnen und Kollegen vernetzen, Informationen nur teilweise weitergeben, Wissen nicht umfänglich teilen und nur bedingt eigenverantwortlich, aber zugleich eigenmächtig handeln. Vorbehalte äußern sich aber auch gegenüber anderen Veränderungen wie z.B. die Einführung Bezeichnung „Servicestelle“.

Dessoy: Welche Ziele sind damit verbunden? Welche Chancen/ Risiken, Vor- und Nachteile sehen Sie?

Kollig: Auch hierzu nur einige Aspekte:

Klarheit bzgl. unseres Auftrags als Ordinariat: Diese Struktur gibt eine klare Antwort auf die Frage: Wozu muss es uns geben? Alle Mitarbeitenden unterstützen, gestalten und fördern den kirchlichen Auftrag, Gott in dieser Welt zu entdecken und zu betrachten, aus dem Glauben zu leben und ihn zu verkünden. Die einen nehmen durch ihre pastorale, pädagogische und soziale Arbeit direkt an der Erfüllung der Sendung teil; die anderen durch die ordnungsgemäße Verwaltung der Güter und der Sorge um deren angemessenen und nachhaltigen Einsatz. Unterscheiden die einen im Arbeitsbereich Sendung eher, was sinnvoll und geboten ist von dem, worauf man inhaltlich verzichten kann, prüfen die anderen die Möglichkeiten, das Sinnvolle zu tun.

Unterscheiden die einen im Arbeitsbereich Sendung eher, was sinnvoll und geboten ist von dem, worauf man inhaltlich verzichten kann, prüfen die anderen (im Arbeitsbereich Ressourcen) die Möglichkeiten, das Sinnvolle zu tun.

Kooperation systemisch sichern innerhalb der Arbeitsbereiche und zwischen den Arbeitsbereichen: Am Beispiel der Dienste in den Schulen lässt sich dies gut darstellen. Man kann den Bereich Schule als geschlossenes System betrachten. Wir haben es stattdessen geöffnet. Somit werden die Inhalte wie z.B. das Profil dieser Schulen und deren pastorale Bedeutung in dem Arbeitsbereich Sendung, die organisatorischen Themen wie z.B. Finanzen, Baugestaltung und Beschaffung im Arbeitsbereich Ressourcen bearbeitet. Somit bekommen automatisch viel mehr Mitarbeitende eine Kenntnis über die Bedeutung Katholischer Schulen. Gleichzeitig wird es effizienter, wenn die Fachleute für Finanzen, Bau, IT, Personalwesen etc. nicht nur einige Bereiche sondern alle unterstützen. Auch der Religionsunterricht und alle seine Aspekte wie z.B. Personalgewinnung und –förderung ist nicht nur eine Angelegenheit einiger weniger, die im Bereich Schule arbeiten. Durch die Bearbeitung des Themas im Arbeitsbereich Sendung werden auch diejenigen beispielsweise an Problemlösungen beteiligt, die ansonsten z. B. verstärkt für Kategorialseelsorge oder Priesterausbildung  zuständig sind.

Die temporär übergebene Verantwortung als Koordinatorin bzw. Koordinator öffnet den Blick über den eigenen Bereich hinaus auf den ganzen Arbeitsbereich. Sie übernehmen mit dem GV und seinem Stellvertreter Verantwortung, wenn es Kooperationsprobleme zwischen den Arbeitsbereichen gibt.

Die temporär übergebene Verantwortung als Koordinatorin bzw. Koordinator öffnet den Blick über den eigenen Bereich hinaus auf den ganzen Arbeitsbereich.

Eines der Risiken, das im Blick behalten werden muss: Die größere Durchlässigkeit der Bereiche und die Förderung bereichsübergreifender Kooperation kann dazu führen, dass Mitarbeitende versuchen, unangenehme Aufgaben an andere weiterzureichen. Ein zweites Risiko besteht darin, dass durch die breitere Verteilung der Verantwortung kleinere Einheiten wie Teilbereiche sich abschotten und, waren die Dezernate wie Seen, die nicht verbunden waren, jetzt Pfützen entstehen, die unverbunden sind. Ganz gleich welche Struktur, Beteiligung setzt immer voraus, dass diejenigen, die beteiligt werden, fachlich und sachlich überzeugen, statt in erster Linie Eigeninteressen zu vertreten; und dass die Haltung, Menschen die es betrifft, in die eigene Arbeit einzubeziehen, sich durchsetzt und antreibt.

Dessoy: Gibt es schon erste Erfahrungen mit dem Modell? Welche Wirkungen sind absehbar?

Kollig: Durch die Veränderung wurde es notwendig, das eigene Tun verstärkt zu reflektieren: Welchen Sinn hat mein Auftrag? Wer ist von meinem Tun betroffen? Wer könnte etwas zur Lösung eines Problems beitragen? Mit wem muss ich über die gemeinsamen Schnittstellen sprechen? Viele solcher Fragen gibt es. Sie führen zu einer Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun und letztlich zu einer besseren Kommunikation und Verständigung.

Das neue System vermeidet Nadelöhre bzw. eine Klumpenbildung bei der Verteilung von Macht und Vollmacht. Die Vollmachten bzgl. Entscheidungen und Unterschriften wurde auf eine größere Zahl von Mitarbeitenden verteilt. Dadurch wird vermieden, dass Entscheidungen aufgrund der hohen Anzahl nur noch der Form genügend getroffen bzw. unterschrieben werden.

Die größere Durchlässigkeit der Bereiche und die Förderung bereichsübergreifender Kooperation kann dazu führen, dass Mitarbeitende versuchen, unangenehme Aufgaben an andere weiterzureichen.

Die breitere Verteilung von Vollmachten führt dazu, dass die Bereiche und Teilbereiche Chancen und Risiken genauer und in kürzeren Zeiträumen feststellen können. Auch ist eine bessere Begleitung des Personals möglich. Hier arbeiten wir auch noch daran, dass die Mitarbeitenden sich nicht an die ehemaligen Vorgesetzten wenden, sondern ihre unmittelbaren Vorgesetzten in die Vorgänge einbeziehen.

Dessoy: Sie gehören zu den Arnsteiner Patres. Was hat das Modell mit Ihrer Ordenszugehörigkeit zu tun?

Kollig: Unter anderen kommen mir folgende drei Erfahrungen zugute:

  • Seit 1974 lebe ich in dieser Gemeinschaft. Im Laufe der Zeit habe ich es schätzen gelernt, dass wir jährlich in unseren Gemeinschaften vor Ort über unser Leben (Sendung, Lebensstil, Gebetsformen und-zeiten etc.) mit dem Ziel eines sogenannten Kommunitätsprojekts nachdenken und entsprechende Entscheidungen für das kommende Jahr treffen müssen. Auf der nationalen Ebene geschieht dies alle drei und auf der internationalen Ebene alle sechs Jahre.
  • Mit zeitlich befristeten Leitungsämtern auf der lokalen wie auf der nationalen und internationalen Ebene habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht. So lernen möglichst viele Mitbrüder, für ein größeres Ganzes Verantwortung zu übernehmen und weiten den eigenen Horizont.
  • Seitdem ich eingetreten bin, erlebe ich kontinuierlich, wie notwendig es aufgrund des Schrumpfens unserer Gemeinschaft ist, Werke und ordenseigene Einrichtungen aufzugeben oder diese Anderen zu übergeben. Kommunitäten aufzulösen und liebgewonnene Orte und die dort lebenden Menschen zu verlassen, ist schmerzhaft. Gleichzeitig gehört es zu unserer Berufung, Zeugnis zu geben von der Hoffnung, auch wenn wir Wüste erfahren oder gar Exil. Unser letztes Provinzkapitel hat sich der schweren Aufgabe gestellt, in dem Jahr, in dem wir nach 100 Jahren das Kloster Arnstein verlassen haben, den Ersten Brief des Apostels Petrus  zu betrachten: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt“ (1 Petr 3,15). Wie können wir, die wir unseren Namen in Deutschland aus dem Kloster Arnstein an der Lahn ableiten und im Bistum Limburg so gut aufgenommen wurden, diesen Ort und die Menschen verlassen und diese Schriftstelle im Alltag verwirklichen?

    Mit zeitlich befristeten Leitungsämtern auf der lokalen wie auf der nationalen und internationalen Ebene (des Ordens) habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht.

Dessoy: Die Verwaltung im Erzbistum Berlin ist relativ klein. Ist eine Übertragung auch auf größere Verwaltungen denkbar?

Kollig: Meines Erachtens wächst mit der Größe die Notwendigkeit, die Vernetzung zwischen den Arbeitsbereichen im System zu sichern. Wir sind mit unseren 250 Mitarbeitenden nicht das Maß für die Art der Umsetzung. Größere Ordinariate und Generalvikariate benötigen bei der Umsetzung noch weitere Maßnahmen und auch andere Zeitfenster. Das Ziel zu verfolgen, die Kommunikation und die Kooperation zu verbessern, Doppelstrukturen abzubauen, die oft historisch gewachsene oder aufgrund von Persönlichkeiten entstandenen Vorherrschaften abzubauen, um die Begabungen und das Erfahrungswissen besser einbringen zu können, ist Aufgabe aller Ordinariate und Generalvikariate.

Dessoy: Wenn die Pastoral zukünftig in großen Räumen organisiert wird, könnte die Führungsarchitektur analog gebaut werden?

Kollig: Das Prinzip, für alle Mitarbeitende, ganz gleich auf welcher Ebene, dafür zu sorgen, dass die Aufgabe, Verantwortung und Befugnisse einen Dreiklang bilden und somit zueinander passen müssen, muss auf allem Ebenen gelten. Auch auf der Pfarreiebene muss umgesetzt werden, dass Sendung und Ressourcen die Gestaltung des Lebens in der Pfarrei bestimmen. Das bedeutet z.B., dass für eine gute Qualität der Zusammenarbeit zwischen Kirchenvorständen und Pfarreiräten (bisher Pfarrgemeinderäten) und zwischen Hauptamtlichen in der Pastoral und den Verwaltungsleitungen gesorgt werden muss.

Führungsteams, die sich ihrer Sendung und ihrer Ressourcen (Begabungen, Zeit, Geld etc.) bewusst sind und entsprechend handeln, müssen Markenzeichen der Katholischen Kirche sein, ganz gleich auf welcher Ebene.

Führungsteams, die sich ihrer Sendung und ihrer Ressourcen (Begabungen, Zeit, Geld etc.) bewusst sind und entsprechend handeln, müssen Markenzeichen der Katholischen Kirche sein, ganz gleich auf welcher Ebene.

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